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Ich habe nichts mehr nachzutragen - Die christlichen Texte

Hanns Dieter Hüsch, Helmut Lotz

 

Verlag Edition día, 2015

ISBN 9783860345863 , 416 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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9,99 EUR


 

Und hätte der Liebe nicht. Predigt


Liebe Freunde und Freundinnen mit Christus! Es ist für mich eine hohe Auszeichnung, mit euch in dieser Messe eine Predigt zu versuchen. Ich sage versuchen, weil ich bis zu diesem Augenblick immer noch nicht recht begriffen habe, das ich das tun darf. Denn predigen heißt ja verkünden, verkündigen, heißt auch schelten oder sogar im Zorn sich für oder gegen etwas ereifern, die Leviten lesen. Was aber kann ich verkünden, wen sollte ich schelten, und für wen oder gegen was soll ich mich an dieser Stelle ereifern. Und siehe da, ich fand einen Ausweg und dachte mir: Du musst dich für etwas begeistern!

Nun ist das wie immer und alles leichter gedacht und gesagt als getan. Wir leben wieder in einer Welt der Knechtschaft, der Ausbeutung, der bedingungslosen Polarisierung, wir leben in einer Todeslandschaft und wissen oft nicht mehr ein noch aus. Wie soll da noch Begeisterung übrig bleiben oder neu aufkommen und wachsen, zumal wir selber schon halb gefangen sind in den Netzen unserer ideologischen Weismacher und ihrer pragmatischen Handlager, Spekulanten und Interessenkrämer, die Gottes Erde und was darin ist, den Erdkreis und die darauf wohnen, verkaufen und verkommen lassen.

Nun, ich halte hier keine politische Rede, obwohl es vielleicht für mich leichter wäre. Nein, ich will mich für etwas begeistern! Vielleicht für eine Devotio moderna, für eine neue Frömmigkeit ohne Aufsehen, ohne unsere irdische Betriebsamkeit, ohne Raserei durch die erbarmungslose Öffentlichkeit unserer Tage. Ich weiß, wie schwierig das ist, wie viele Konflikte auszuhalten sind, wie viele Widersprüche anzunehmen und zu ertragen sind, wie viele Enttäuschungen verarbeitet werden müssen, wie viel täglicher Kleinkram uns einen Strich durch unsere Hoffnungen macht und wie viele Menschen dann oft in einem Labyrinth der Aussichtslosigkeit enden.

Manch gutes Wort und manch schöner Spruch sind dann für viele Menschen nicht mehr annehmbar. Das ist nicht so einfach, dann nur mit der Bibel zu kommen und zu glauben, dann ginge es schon wieder, dann sei wieder alles gut. Das müssen wir wissen, wenn wir öffentlich darüber nachdenken wollen. Das müssen wir wissen, wenn wir unserer Soziabilität treu bleiben wollen. Aber dennoch und gerade deswegen bleiben wir bei dem Wort Gottes, dennoch und gerade weil wir es wissen, setzen wir auf die Bibel, dennoch harren wir aus und setzen unsere Hoffnung auf die Sprache Jesu Christi. Warum?

Weil es die freieste Sprache, die umfassendste, die menschlichste und die innigste Sprache ist. Selbst im Schweigen sagt und zeigt uns Christus, dass es, meine Freunde, um eine andere Weltgeschichte geht als die, die wir hier und jetzt so jämmerlich fabrizieren. »Und er antwortete ihm nicht auf ein Wort, so dass sich der Landpfleger sehr verwunderte.« Ein Bibelsatz, der mich in den letzten Jahren immer wieder beeindruckte und begleitete. Und ich meine, es ist ein hochpolitischer Satz. Wie tief muss Jesus durch Pilatus und dessengleichen hindurchgesehen haben und wahrlich eine andere Geschichte gemeint haben, und das angesichts des nahen Todes. Wie lächerlich sie uns doch alle erscheinen müssen, die Herren Landpfleger und ihresgleichen früher und heute, wenn wir uns die übermenschliche und überweltliche Contenance des Jesus von Nazareth vorstellen. Ich sage es so salopp, um mir überhaupt nur einen Bruchteil von diesem Geist, der die Welt überwunden hat, vorstellen zu können.

Und vielleicht muss man es ganz anders sagen und sehen, ganz anders auslegen, »des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg, aber der Herr allein lenkt seinen Schritt«, das wissen wir zu gut, aber gleichviel, warum das alles:

Weil er uns erlösen wollte, weil er uns geliebt hat, weil er von uns gewusst hat, weil er unser Kommen und Gehen und das, was an schwerem Leben dazwischen ist, weil er dies vorausgefühlt hat und immer voraussehen wird bis in alle Ewigkeit, weil er uns geliebt hat.

Ich will hier nicht den Theologen spielen und keinem ins Handwerk pfuschen, aber könnte es vielleicht nicht daran liegen – der organisierte Tod marschiert immer schneller mit Gift und Gas, mit Hunger und Folter, mit den teuflischsten Waffen seit Menschengedenken durch unsere Welt, mit Hass und Habgier in den Hirnen laufen die Menschen Programmen und Funktionären nach – könnte es vielleicht nicht auch daran liegen, dass wir alle noch nicht mit der Geschichte Jesu Christi begonnen haben, oder dass wir alle meinen, die Geschichte Gottes schon so gut zu kennen.

Martin Luther sagt: »Wir hingegen, liebe Freunde, wollen uns so verhalten, als ob wir die Geschichte noch nicht kennen.« Wollen wir vielleicht annehmen, wir sind schon ganz ordentliche Christen, wenn wir ein Transparent höher halten, oder etwas mehr beten und singen, ein Grab schmücken, Geld nach Lateinamerika schicken, damit sei schon alles getan. Natürlich ist damit vieles getan. Aber ich meine, ich fürchte sogar, wir haben mit dem größten und schwersten Mittel noch nicht begonnen: mit der Liebe, wie sie uns Christus demonstriert hat. Mit der Nächstenliebe nicht und mit der Feindesliebe haben wir noch nicht begonnen, und sind frei nach Goethe ein düsteres Geschlecht geblieben, dem nicht zu helfen ist.

Bertolt Brecht, der sicher kein Christ war, hat es uns vorgehalten: »Wollt nicht in Zorn verfallen, denn alle Kreatur braucht Hilf’ von allen.« Der Ton liegt auf alle und allen, die Freundlichkeit und die Hilf’ für jede Kreatur. Die Solidarität der Kreaturen. Das braucht Geduld, aber es heißt auch: »Ein Geduldiger ist besser als ein Starker, und wer sich selbst beherrscht, ist besser als einer, der Städte gewinnt.«

Lasst uns, meine Freunde, die Geschichte Jesu Christi beginnen. Die große Geschichte der Liebe, daraus die Geschichte des Friedens wächst, blüht und gedeiht. Verlassen wir die Geschichte der kleinlichen Polarisierer, deren Mittelmäßigkeit stets in Anmaßung übergeht. Lasst uns, wie der große griechische Prediger Johannes Chrysostomos gesagt hat, das Kreuz Christi wie eine Krone tragen. Beginnen wir mit der Geschichte Gottes, unsere Weltgeschichte wird eine andere werden, und wir werden erlöster aussehen.

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete

und hätte der Liebe nicht

so wäre ich ein tönend Erz

oder eine klingende Schelle

Und wenn ich weissagen könnte und wüsste

alle Geheimnisse und alle Erkenntnis

und hätte allen Glauben

also dass ich Berge versetzte

und hätte der Liebe nicht

so wäre ich nichts

Die Liebe ist langmütig und freundlich

die Liebe eifert nicht

die Liebe treibt nicht Mutwillen

Sie blähet sich nicht

Sie stellet sich nicht ungebärdig

Sie suchet nicht das Ihre

Sie lässt sich nicht erbittern

Sie rechnet das Böse nicht zu

Sie verträgt alles

Sie glaubet alles

Sie hoffet alles

Sie duldet alles

Die Liebe höret nimmer auf

So doch die Weissagungen aufhören werden

Und die Sprachen aufhören werden

Und die Erkenntnis aufhören wird

Denn unser Wissen ist Stückwerk

Und unser Weissagen ist Stückwerk

1. Korinther 13

Und so werden auch die Soldaten langsam nicht mehr durch die Stadt marschieren, sie werden langsam nach Hause gehen und Apfelbäume – wenn ich ein Dichter wäre, müssten’s Apfelbäume sein – und Apfelbäume pflanzen. In Peking werden die Soldaten mit ihren Bajonetten kleine Holzvögelchen schnitzen. Und überall werden die Soldaten voller Freude wieder ein richtiges Handwerk erlernen und mit den Kindern sonntags auf den Hügeln sitzen und Pflanzen beschreiben. Die großen Raketen werden zwar zunächst noch in den großen Museen zu sehen sein, aber dann wird man bald darüber lachen. Und der große amerikanische Präsident wird am lautesten darüber lachen. Die ganze Welt wird lachen.

Und wie das so ist, zuerst werden alle Menschen etwas verlegen grinsen, dann werden sie lächeln, dann lachen und schließlich so losprusten, dass die, die noch vor kurzem sehr geweint hatten, schon ein bisschen mitlächeln. Man wird sich auf die Schulter schlagen und sagen: Mensch!

Denn ein anderes Wort wird ihnen zunächst nicht einfallen. Mensch!, werden sie alle sagen, und denken werden sie alle, wie konnten wir nur so lange so dumm sein, wo wir doch immer dachten, wir wären so klug. Und wenn wir dann sehen, wie die Marxisten nicht mehr Marxisten und die Kapitalisten nicht mehr Kapitalisten und die Faschisten nicht mehr Faschisten und die Kommunisten nicht mehr Kommunisten und die Nationalisten nicht mehr Nationalisten und die Rassisten nicht mehr Rassisten und die Stalinisten nicht mehr Stalinisten zu sein brauchen, dann werden wir sehen, wie eine zufriedene Menschheit durch Täler und Schluchten, über Gebirge und auf wilden Flüssen sich auf den Weg macht, um sich Guten Tag zu sagen und zu fragen: Wie geht es dir?

Und wen wundert’s dann, wenn dann die Chinesen in Bonner Cafés sitzen und Deutsche auf dem Roten Platz in Moskau Luftballons steigen lassen, wen wundert’s dann, wenn Orthodoxe mit Atheisten sich übers Wetter unterhalten und Farbige in europäischen Krankenhäusern operieren und Juden und Kleinbürger, Hindus, Christen und Zigeuner an einem schönen runden Tisch im Freien sitzen und sich alte Witze erzählen.

Wen wundert’s dann?!

Und dann kommen auch noch die Amerikaner (die kommen ja immer) und singen eines ihrer vielen lustigen Lieder. Und der Refrain eines Liedes könnte vielleicht heißen:

Wenn wir ehrlich sind, alter Bursche

Müssen wir doch zugeben

Dass wir alle gleich sind

Das bisschen Fleisch und Knochen

Das ist doch nichts Besonderes

Darum lass uns daran...