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Kommunikation als Lebenskunst - Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens

Bernhard Pörksen, Friedemann Schulz von Thun

 

Verlag Carl-Auer Verlag, 2016

ISBN 9783849780111 , 217 Seiten

2. Auflage

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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19,99 EUR

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1   Das Kommunikationsquadrat

Suche nach dem Schlüsselsatz

PÖRKSEN: Wenn Sie – im Sinne eines kleinen Gedankenexperiments – zum Einstieg einen einzigen Schlüsselsatz nennen müssten, der Ihr gesamtes Werk charakterisiert, wie würde dieser Satz lauten?

SCHULZ VON THUN: Nur ein einziger Satz!? Soll ich die ganze Reichhaltigkeit des Werks auf einen Punkt zusammenschrumpfen lassen? Das will mir nicht so recht behagen!

PÖRKSEN: Natürlich wäre ein solcher Reduktionismus gerade für den Gesprächsauftakt fatal. Es müsste also ein Satz sein, von dem aus man weiter und in die Tiefe denken kann. Sigmund Freud hat einmal eine solche Formulierung für die Psychoanalyse präsentiert. Er sagte, das Ich sei »nicht Herr im eigenen Haus«, sondern das Unbewusste die prägende Kraft. Davon ausgehend kann man sein Werk entfalten.

SCHULZ VON THUN: Das ist allerdings ein schönes Beispiel! Wenn ich einen solchen prägnanten Satz für meine Lehre finden könnte, würde ich mich vielleicht freudig ergeben. Lassen Sie mich daher einmal zurückfragen: Haben Sie einen solchen Schlüsselsatz entdeckt, der die gesamte Lehre enthält, enthalten könnte?

PÖRKSEN: Ich denke tatsächlich, dass Ihr Werk auf einer einzigen fundamentalen Einsicht basiert. Man könnte sie folgendermaßen formulieren: Die Qualität der Kommunikation bestimmt die Qualität unseres Lebens.

SCHULZ VON THUN: Das ist gewiss nicht falsch, jedenfalls für unser hiesiges Leben in der westlichen Welt zu Friedenszeiten. Wir kommen als Beziehungswesen auf die Welt, und von der Geburt bis zum Tod steht und fällt vieles – privat, beruflich und politisch – mit der Qualität des Miteinanders. Und auch für den inneren Dialog gilt, dass seine Qualität für ein gelingendes Leben von großer Bedeutung ist. Wie rede ich mit mir? Welche Stimmen lasse ich zu Wort kommen, wenn ich alleine bin? Bin ich auch da noch in guter Gesellschaft?

PÖRKSEN: Und doch sind Sie, so scheint mir, nicht ganz einverstanden.

SCHULZ VON THUN: Stimmt. Denn zum einen muss man relativierend hinzufügen, dass Gesundheit, Krankheit, Schicksalsfügungen und Schicksalsschläge ebenso ausschlaggebend für unser Leben sein können. Zum anderen betont Ihre These bloß die Bedeutsamkeit des Themas Kommunikation, tangiert aber noch gar nicht den Gehalt meiner Lehre – wie es gelingen kann, den Herausforderungen der zwischenmenschlichen Kommunikation gewachsen zu sein und gewachsen zu werden!

PÖRKSEN: Ist es nicht aufschlussreich, dass unser Gespräch gleich mit einer Irritation beginnt? Das zeigt doch schon: Kommunikation scheint ganz einfach und ist doch gleichzeitig wahnsinnig schwer, missverständlich und komplex. Sie selbst haben diese Komplexität erklärt, indem Sie auf den Simultancharakter von Kommunikation hingewiesen haben. Was ist damit gemeint?

SCHULZ VON THUN: Gemeint ist, dass sich Kommunikation als ein eigenartiges Spiel begreifen lässt, das auf vier Spielfeldern gleichzeitig gespielt wird. Dieses Simultangeschehen – man hört eine Äußerung, womöglich nur einen einzigen Satz, und empfängt doch in ein und demselben Moment vier Botschaften – habe ich im Modell des Kommunikationsquadrats zusammengefasst [Abb. 1]. Die eine Seite ist die Ebene des Sachinhalts, der Information über die Verhältnisse in der Welt. Hier geht es unter anderem um Wahrheit. Des Weiteren enthält jede Äußerung eine Beziehungsbotschaft, die signalisiert, was ich von dem anderen halte, ob ich ihn schätze, ihn als gleichberechtigt akzeptiere oder ihn kritisch sehe, nicht ernst nehme usw. Hier geht es auch um Akzeptanz. Darüber hinaus findet sich in einer Äußerung stets auch eine kleine Kostprobe der eigenen Persönlichkeit; man gibt etwas von sich preis und lässt mehr oder weniger erkennen, wie es einem geht, was einen umtreibt, beseelt oder quält. Das ist die Ebene der Selbstkundgabe. Hier stellt sich die Frage nach der Wahrhaftigkeit und Authentizität. Früher habe ich diese Dimension der Kommunikation als Selbstoffenbarung bezeichnet, aber das klingt ein wenig nach einem Seelenstriptease und löst unnötig Widerstand aus – insofern also die Rede von der Selbstkundgabe, die sich leichter vermitteln lässt. Und schließlich enthält eine Äußerung eine appellative Seite. Hier geht es um Wirksamkeit: Man möchte Einfluss nehmen, man spricht, um etwas zu erreichen und auszulösen.

Abb. 1: Die vier Botschaften einer Äußerung: das Kommunikationsquadrat

PÖRKSEN: Dieses Kommunikationsquadrat haben Sie 1981 das erste Mal in einem eigenen Buch beschrieben, das sich bis zum heutigen Tag mehr als eine Million Mal verkauft hat. Es gibt zumindest im deutschsprachigen Raum kein Modell der Kommunikation, das derart eingeschlagen hätte. Auch Ihre Beispiele – oft harmlose, aus dem Alltag stammende Sätze und Äußerungsfragmente – besitzen längst den Rang von Klassikern und finden sich in Schulbüchern. Mögen Sie im Sinne einer kleinen Illustrationsübung einmal ein paar Schlüsselbeispiele herausgreifen?

SCHULZ VON THUN: Dann lassen Sie uns das Urbeispiel nehmen, das heute tatsächlich in den Schulen gelehrt wird. Folgende Situation: Ein Mann und eine Frau sitzen im Auto, der Mann auf dem Beifahrersitz, die Frau fährt. Und er sagt: »Du, da vorne ist grün!« Auf der Ebene der Sachinhalte ist dies eine überprüfbare Information, die wahr oder falsch sein kann. Es ist eine Information über die Verhältnisse in der Welt. Gleichzeitig bzw. simultan gibt der Mann – Stichwort Selbstkundgabe – auch etwas von sich selber preis, eventuell ist er ungeduldig oder in Eile. Man weiß es nicht so genau. Auf der Ebene der Beziehung lässt er vielleicht einen Kompetenzzweifel an ihrer Fahrtüchtigkeit erkennen. Und womöglich enthält seine Äußerung den Appell, etwas schneller zu fahren, um noch bei Grün über die Ampel zu kommen (»Gib Gas!«). In jedem Fall zeigt schon dieses kleine Beispiel, dass drei der vier Botschaften implizit bleiben. Sie sind deutungsfähig, interpretationsoffen und man muss, um sie zu dechiffrieren, den Tonfall und die begleitende Mimik beachten, den Kontext kennen, eventuell auch die Vorgeschichte der beiden.

Die Macht des Empfängers

PÖRKSEN: Sie selbst haben ja in Ihrer Beschreibung des Kommunikationsquadrats deutlich gemacht, dass der Sprechende nicht nur vier Botschaften sendet und gewissermaßen – so Ihre Formulierung – »mit vier Schnäbeln spricht«, sondern dass der Hörende auch mit vier Ohren empfängt und letztlich selbst darüber entscheidet, was ihm besonders zentral erscheint. Lässt sich nun auch für die Seite des Empfängers ein ähnlich schlagendes Beispiel finden?

SCHULZ VON THUN: Natürlich, ja. Da sagt eine Ehefrau zu ihrem Mann: »So selten, wie du zu Hause bist, da leiden die Kinder auch schon darunter!« Der Empfänger steht nun vor der Entscheidung, welches seiner vier Ohren er »anspringen« lässt bzw. auf welche der vier ankommenden Botschaften er reagieren will. Hört er mit dem Sach-Ohr? Geht es ihm primär um die Inhalte der Äußerung? Hört er mit dem Selbstkundgabe-Ohr? Versucht er also, den Menschen hinter der Äußerung zu erspüren, ihn zu begreifen? Hört er mit dem Beziehungs-Ohr und reagiert vor allem darauf, wie er sich als Mensch angesprochen und behandelt fühlt? Oder hört er mit dem Appell-Ohr und wendet sich der Frage zu, wozu der andere ihn mehr oder minder deutlich auffordern möchte? Je nachdem, welches Ohr anspringt, wird er innerlich und dann wohl auch äußerlich unterschiedlich reagieren – und damit den weiteren Gesprächsfaden spinnen. Ob er sich dieser »freien Auswahl« bewusst ist, steht auf einem anderen Blatt, aber er kann nicht nicht auswählen.

PÖRKSEN: Das bedeutet, dass auch die Art und Weise des Zuhörens bestimmt, was geschieht. Das Zuhören legt zumindest in groben Zügen fest, was im Verlauf des Gesprächs in welcher Weise besprochen werden kann, weil man als ein Empfänger mit der ersten, unmittelbaren Reaktion sehr verschiedene Verstehensmöglichkeiten auf einen Pfad der weiteren Kommunikation verengt.

SCHULZ VON THUN: Ganz genau, und bei vielen Menschen ist unabhängig von den konkreten Erfordernissen der Situation ein Ohr auf Kosten der anderen besonders gut ausgebildet. Ein sachbetonter Mann würde zunächst einmal Folgendes heraushören: »Ich bin, erstens, selten zu Hause. Zweitens, die Kinder leiden. Das Leiden der Kinder wird, drittens, eben dadurch ausgelöst, dass sie mich kaum sehen.« Er könnte dann – interessiert an der Sachebene – weiterfragen: »Woran machst du fest,...