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Layers - Tech-Thriller von Bestsellerautorin Ursula Poznanski

Ursula Poznanski

 

Verlag Loewe Verlag, 2015

ISBN 9783732004034 , 448 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

Kapitel 2

Sie steuerten auf einen teuren dunklen Lieferwagen zu, der am Rand des Parks abgestellt war. Als sie näher kamen, stieg ein groß gewachsener Mann aus und öffnete die Hecktür.

»Du steigst besser hinten ein«, sagte Nico an Dorian gewandt. »Zur Sicherheit, du verstehst?«

Natürlich verstand er. In Kürze würde es hier von Polizisten nur so wimmeln und sobald Emils Kumpel aus ihrem Rausch erwachten, würden sie sich garantiert noch an den Zwischenfall von vergangener Nacht erinnern. Als Dorian sich sein Taschenmesser zurückgeholt hatte. Wie sehr er jetzt wünschte, er hätte es nicht getan.

Die Hecktüren schlossen sich und sperrten jegliches Licht aus, ließen ihn in undurchdringlicher Dunkelheit zurück. Dann wurde der Motor gestartet.

Panik. Nur einen Augenblick lang, aber so heftig, dass Dorian keine Luft mehr bekam und sich nun beinahe wirklich übergeben musste. Er hatte sich diesem Nicolas Korte einfach ausgeliefert, ohne ihn zu kennen, ohne zu wissen, was er wirklich vorhatte. Vielleicht fuhren sie gerade zu einem abgelegenen Ort, wo man in ein paar Tagen oder Wochen Dorians Leiche finden würde …

Nur – was hätte der Kerl davon? Außer er war ein irrer Mörder, der gerne Teenager tötete.

Bilder aus den Horrorfilmen, die Dorian früher so oft gesehen hatte, tauchten in seinem Kopf auf. Er schüttelte sie ab. Nein, das war bloße Fantasie, so etwas passierte in Wirklichkeit nicht.

Außerdem hatte er nach wie vor das Taschenmesser, dessen Griff er immer noch zwischen Daumen und Zeigefinger festhielt, ohne dass es ihm richtig bewusst gewesen war.

Er unterdrückte den Impuls, es einfach fallen zu lassen, obwohl der Ekel ihn fast schüttelte. Aber so dumm, seine einzige Waffe wegzuwerfen, war er nicht.

Die Fahrt dauerte lange und bot Dorian jede Gelegenheit, sich den Kopf über das zu zerbrechen, was passiert sein mochte.

War er Schlafwandler und hatte Emil im Zuge einer Episode getötet? Oder hatte er es bewusst getan und danach verdrängt? War es möglich, dass Nicos Theorie mit dem Schlag auf den Kopf, der die Erinnerung an das Geschehene ausgelöscht hatte, stimmte?

Jeder dieser Gedanken fühlte sich falsch an. Da war es doch wahrscheinlicher, dass ihm das Messer im Schlaf gestohlen worden war …

Sie mussten nun schon mindestens eine halbe Stunde unterwegs sein. Vielleicht auch eine ganze. Dorians Arm, mit dem er das Messer so weit wie möglich von sich weghielt, begann mehr und mehr zu erlahmen.

Irgendwann ließ er es doch fallen. Weil er müde war und die Schmerzen kaum nachließen. Weil ohnehin alles verloren war. Weil nichts mehr einen Sinn ergab. Nun schlitterte das Messer bei jeder Kurve klappernd von einer Wagenseite zur anderen.

Nach geraumer Zeit wurde das Auto langsamer, die Straße holpriger, und dann hielten sie an.

Dorian blinzelte ins graue Morgenlicht, als der Fahrer die Hecktüren öffnete. Insgeheim hatte er mit weiterer Dunkelheit gerechnet, einem Wald oder einem anderen finsteren Ort. Doch sie standen in der Auffahrt eines alten Herrenhauses, umgeben von einem gepflegten Park. Sorgsam geschnittene Hecken, mächtige Laubbäume, ein von Marmorstatuen gesäumter Weg.

Vorhin hatte Nico eine Villa erwähnt. Bornheims Villa. Das war sie wohl. Nun wies er auf die Freitreppe, die zum Eingang führte. »Herzlich willkommen, Dorian. Du solltest etwas essen und du wirst duschen wollen. Antonia wartet im Haus auf dich, sie wird dich mit allem versorgen, was du brauchst.«

Das Taschenmesser lag in greifbarer Nähe, die Stöße gegen die Autowände hatten die Klinge halb wieder eingeklappt. Es widerstrebte Dorian, danach zu greifen; das Blut, das das Messer vorhin an seiner rechten Hand hinterlassen hatte, war teils abgewischt, teils eingetrocknet. Er wollte nicht noch einmal damit in Berührung kommen.

»Lass es ruhig liegen.« Nico hatte seinen Blick offenbar bemerkt. »Wir kümmern uns darum, dass niemand es zu sehen bekommt, und in nächster Zeit wirst du es nicht brauchen.«

Der Kies knirschte unter Dorians Schuhen, während er auf das Anwesen zuging. Erst als er die Treppe betrat, wurde ihm klar, was eben passiert war, und einen Moment lang überlegte er, einfach kehrtzumachen und davonzulaufen.

Nico hatte ihn mit seinem Namen angesprochen. Doch den hatte Dorian ihm gar nicht genannt.

Antonia erwies sich als sommersprossiges rothaariges Mädchen in Jeans und grünem Rollkragenpullover. Sie streckte Dorian die Hand hin und zuckte nur die Schultern, als er ihr seine nicht reichte. Er wollte nichts und niemanden mit diesen schmutzigen Fingern anfassen; da war es ihm lieber, Antonia hielt ihn für unhöflich.

»Möchtest du etwas essen?«, erkundigte sie sich, während sie durch die Eingangshalle voranging. »Wir haben ein normales, ein vegetarisches und ein Diätmenü. Bist du lactoseintolerant? Irgendwelche Allergien?«

Beinahe hätte Dorian laut herausgelacht – aus Erschöpfung, aber auch, weil er das Gefühl hatte, in einer völlig fremden Welt gelandet zu sein. Seit sechs Monaten ernährte er sich hauptsächlich von Supermarktmüll, an guten Tagen von dem, was in der Notschlafstelle gekocht wurde. Oder bei der Caritas. Und nun wurden ihm drei verschiedene Menüs angeboten.

»Zuerst würde ich mich gern waschen.« Unwillkürlich versteckte er seine rechte Hand hinter dem Rücken. »Und falls du eine Kopfschmerztablette hast …«

»Kann ich verstehen und habe ich.« Weder in Antonias Stimme noch in ihrem Blick lag Ironie. »Komm mit.«

Sie führte ihn ein Stockwerk höher, in ein luxuriöses Badezimmer mit acht Duschen und ebenso vielen Waschbecken. Heller Marmor, indirekte Beleuchtung. Aus einem Medizinschrank, für den sie den Schlüssel an einem Bund trug, holte sie Schmerztabletten und drückte eine davon aus dem Blister. »Hier hast du Seife und zwei Handtücher und hier«, sie zeigte auf einen ordentlich zusammengelegten Haufen Kleidung, »etwas zum Umziehen.« Ein knappes Lächeln, schon war sie aus der Tür.

Als Erstes schluckte Dorian die Tablette, dann zog er sich langsam aus. Alle seine Instinkte schlugen Alarm. Das alles hier war viel zu gut, um harmlos zu sein. Keine Sekunde lang glaubte er, dass irgendjemand aus reiner Menschenliebe junge Leute von der Straße holte, um sie in seiner Villa auf Fünf-Sterne-Niveau einzuquartieren. Schon gar nicht, wenn man annahm, dass sie gerade jemanden getötet hatten.

Sofort stand Dorian wieder Emil vor Augen, wie er bäuchlings auf dem dunklen Asphalt lag, in einer größer und größer werdenden Blutlache …

Er musste längst gefunden worden sein. Wahrscheinlich tot.

Für einen Moment schloss Dorian die Augen. Ich war es nicht, sagte er sich immer wieder. Ich war es nicht. Aber ich hätte versuchen müssen, ihm zu helfen.

Die Erinnerung und das schlechte Gewissen verblassten erst allmählich, als Dorian unter der Dusche stand. Es war unfassbar schön, sich endlich wieder richtig säubern zu können; zudem kam das Wasser nicht nur von oben, sondern auch aus seitlichen Düsen, es prasselte auf ihn ein, hüllte ihn in Dampf.

Es mussten fünfzehn oder zwanzig Minuten vergangen sein, ehe er die Dusche wieder verließ und sich mit einem der dicken weißen Handtücher abtrocknete.

Die Kleidung, die man für ihn vorbereitet hatte, bestand aus Unterwäsche, einer grauen Jeans und einem ebenso grauen Langarmshirt. Die Sachen passten, als hätte er sie vorher anprobiert.

Ein wenig später, an dem langen Tisch im Speisezimmer, versuchte er, Antonia behutsam auszufragen.

»Nico hat dieses Haus Bornheims Villa genannt. Weißt du, wer Bornheim ist?«

Bei der Nennung des Namens ging ein Strahlen über Antonias Gesicht. »Natürlich weiß ich das. Raoul Bornheim, der großartigste Mensch, dem ich je begegnet bin.« Sie stupste Dorian an. »Oder dem du je begegnen wirst. Er hat jeden Einzelnen hier aus einer Notsituation geholt, manche von uns säßen ohne ihn längst im Gefängnis, andere wären tot.«

Für mich gilt Ersteres, dachte Dorian bitter. »Und das tut er einfach, weil er nett ist?«

»Wenn du das so ausdrücken willst. Er tut es, weil die Menschen ihm am Herzen liegen. Er setzt sich für eine ganze Menge guter Ziele ein, hat drei eigene wohltätige Organisationen und unterstützt sieben oder acht andere.«

Dorian zog die Augenbrauen hoch, was nun immerhin schon ging, ohne dass er die Zähne zusammenbeißen musste. Die Tablette wirkte.

»Glaub nicht, du bist der Erste, der sich fragt, ob Bornheim bescheuert ist«, fuhr Antonia fort, während sie einen Teller voll herrlich duftendem Hühnercurry aus der Mikrowelle holte und vor ihm abstellte. »Alle, die hier landen, sind erst misstrauisch und bei manchen dauert es zwei oder drei Monate, bis sie kapieren, dass niemand ihnen etwas Böses will.« Sie reichte ihm eine Serviette – aus Stoff – und setzte sich neben ihn. »Es gibt trotzdem Leute, die es nicht lange hier aushalten. Weil Bornheim Wert auf Benehmen legt und darauf, dass wir den Unterricht ernst nehmen. Da ist er ziemlich strikt.«

Unterricht. Wahrscheinlich war er der Einzige im Haus, vermutete Dorian, bei dem dieses Wort Vorfreude auslöste. Während er aß, musterte er Antonia von der Seite. »Haben sie dich auch von der Straße aufgelesen?«

Sie nickte. »Gewissermaßen. Ich habe mit ein paar anderen in einem einsturzgefährdeten Haus gewohnt, das inzwischen abgerissen wurde. Damals hat Bornheim mich aufgegabelt, persönlich. War echt Glück.«

Glück ja, Zufall eher nicht. Ebenso wenig wie Nicos Auftauchen in der U-Bahn-Station, das hatte er ja sogar selbst zugegeben. War es...