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Mordseeküste - Drei Küstenkrimis

Eva Almstädt, Nina Ohlandt, Wolf S. Dietrich

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2015

ISBN 9783732513215 , 1200 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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12,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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1. Kapitel


Pia Korittki stand in ihrer Küche und filetierte eine Apfelsine. Der Fruchtsaft rann ihr über die Finger, und als das Messer aus Versehen in das weiche Fleisch schnitt, spritzte Fruchtsaft auf ihren nackten Bauch.

Sie unterdrückte einen leisen Fluch, denn sie wurde beobachtet. Neben ihr in seinem Kinderstuhl saß ihr Sohn Felix und aß ein Käsebrot. Er blickte sie aufmerksam aus großen, dicht bewimperten Augen an. Pia war nur mit Unterhose und einem schwarzen BH bekleidet. Das Top und der Hosenanzug, den sie zur Gerichtsverhandlung tragen wollte, hingen noch sauber und gebügelt am Schrank. Mit seinen zwei Jahren fand ihr Sohn es noch nicht komisch, wenn sie so herumlief. Wann sie wohl mal wieder ein erwachsener Mann so zu sehen bekommen würde? Ihre letzte Nacht mit Lars lag schon wieder ein paar Wochen zurück. Ein schöner Abend, wunderbarer Sex, und als sie ihn am Morgen darauf gebeten hatte zu gehen, bevor Felix wach wurde, hatte er mit Unverständnis reagiert. Er beschwerte sich, dass sie kaum Zeit für ihn habe. Sie hatte versucht, ihm begreiflich zu machen, dass sie wegen Felix eben vorsichtig sein müsse. Tja, und dann hatte sie noch gesagt, dass es ihr auf die Nerven gehe, wie er immer über ihren Beruf lästere. Er hatte gekontert, dass sie seine Hobbys ja auch nicht gerade gutheiße, woraufhin sie gesagt hatte, dass er schon wegen dieser bescheuerten Hobbys zeitlich mindestens genauso eingeschränkt sei wie sie, von seiner Agentur ganz zu schweigen … Hatte sie wirklich »bescheuert« gesagt? Er war jedenfalls ziemlich wütend geworden und, wenn sie sich recht erinnerte, wutschnaubend gegangen. Seitdem herrschte Funkstille.

Pia seufzte bei der Erinnerung an den Streit und legte die Orangenscheiben zu den anderen Obststückchen in die Frühstücksdose. Sie verschloss sie mit einem kräftigen Druck ihres Handballens und legte sie in Felix’ Rucksack. Obst und Vitamine, gute Mutter!, dachte sie spöttisch. Die Verhandlung vor Gericht heute würde weniger einfach werden.

Pia arbeitete als Kriminaloberkommissarin im Kommissariat 1 der Bezirkskriminalinspektion Lübeck. Heute sollte sie als Zeugin in einem Mordprozess aussagen. Sie war im Sommer an den Ermittlungen in einem Fall auf Fehmarn beteiligt gewesen, der großes Medieninteresse hervorgerufen hatte. Sie hoffte, dass die Presse ihre Aufmerksamkeit inzwischen anderen Ereignissen widmete. Der Täter war überführt und gefasst worden, eine Entführung, die mit der Tat in Zusammenhang stand, glimpflich ausgegangen. Doch Pia hatte damals eine unangenehme Begegnung mit dem Täter in ihrer Küche gehabt. Nicht daran denken! Die Befriedigung darüber, dass er sich heute vor Gericht für seine Taten verantworten musste, dass Jesko Ebel wahrscheinlich verurteilt werden würde, stellte sich nicht ein. Die Täter wurden früher oder später aus der Haft entlassen, spazierten frei herum und erfreuten sich unter Umständen ihres Lebens, während die Opfer für alle Zeiten tot waren oder traumatisiert blieben. Viele fürchteten sich sogar vor einer weiteren Begegnung mit dem Täter.

Pia warf einen Blick auf die Küchenuhr. Sie lag noch gut in der Zeit. Sie wollte Felix um kurz vor halb acht zu seiner Tagesmutter bringen, um dann rechtzeitig um acht im Gericht zu sein. Sie wischte Felix den Mund und die klebrigen Finger mit einem feuchten Waschlappen ab und trug ihn ins Bad, um ihm die Zähne zu putzen.

Felix streichelte ihr Haar. »Milla«, sagte er.

»Mama, nicht Milla«, korrigierte Pia.

»Milla bielen.«

Milla? Pias Mobiltelefon auf der Kommode im Flur vibrierte.

»Korittki.«

»Oh, gut, dass ich dich noch erwische, Pia! Es tut mir leid, aber du kannst Felix heute nicht zu mir bringen. Ich hab über Nacht wahnsinnige Zahnschmerzen bekommen und muss erst mal zum Zahnarzt.«

»Mist!«, entfuhr es Pia. »Ich meine, tut mir leid, dass du krank bist. Ich hab nur gleich einen Gerichtstermin.« Noch während sie sprach, wurde Pia klar, dass es nichts half. Wenn Fiona krank war, war sie krank. Felix begann, auf ihrem Arm zu zappeln, und sie ließ ihn herunter.

»Ja, es kommt immer alles auf einmal«, bestätigte die Tagesmutter. »Du bist leider nicht die Einzige, der das heute gar nicht passt. Hast du nicht einen Babysitter, der einspringen kann?«

»Ich weiß noch nicht, ich werde die beiden gleich mal anrufen. Dir gute Besserung!«

»Danke. Wenigstens konnten sie mich beim Zahnarzt gleich heute Vormittag einschieben. Wir hören uns wieder.«

»Gute Besserung und viel Glück!« Pia unterbrach die Verbindung und starrte auf ihr Telefon, als wüsste das die Lösung des Problems. Glück konnte sie jetzt ebenfalls gut gebrauchen.

Felix, der kein großer Fan des Zähneputzens war, war im Wohnzimmer verschwunden und spielte mit seinen Bausteinen. Pia ging ihr Telefonregister durch und suchte nach einer Alternative. Ihre Eltern waren nicht da. Lars fiel selbstredend aus. Ihre Freundin Susanne Herbold, die gleichzeitig ihre Vermieterin war, arbeitete tagsüber ebenfalls. Zwei ihrer sporadisch einspringenden Babysitter, die sie erreichte, waren auf dem Weg zur Schule oder zur Uni. Und jetzt war es schon Viertel nach sieben. Pia wusste niemanden mehr. Mitnehmen konnte sie Felix auch nicht. Allein die Vorstellung, ihn in die Nähe von Jesko Ebel zu bringen, bereitete ihr Magenschmerzen.

Seit sie ein Kind hatte, war ihr die Trennung von Privat- und Berufsleben wichtiger denn je. Wer also dann? Hinnerk, Felix’ Vater? Sie hatten sich schon vor Felix’ Geburt getrennt, doch seine Vaterrolle nahm Hinnerk sehr ernst. Er hatte inzwischen einen Studienplatz für Medizin in Lübeck bekommen, nachdem er sein Studium in Ungarn begonnen hatte. Verabredet war, dass er Felix an diesem Samstagvormittag abholte und das Wochenende mit ihm verbrachte. Mit von der Partie wäre seine neue Freundin, von der Pia bisher nur wusste, dass sie Mascha hieß. Sollte sie Hinnerk fragen, ob er spontan einspringen konnte, um ihr zu helfen? Letztlich hatte sie keine andere Wahl. Pünktlich zu einer Gerichtsverhandlung zu erscheinen war ihr dann doch wichtiger als ihr Stolz. Sie musste wohl oder übel über ihren Schatten springen. Zwanzig nach sieben! Hinnerk war ihre letzte Option. Pia spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Wie gut, dass sie noch nicht vollständig angezogen war. Sie wählte Hinnerks Mobilnummer.

Gernot Wiese stand im Wintergarten und beobachtete, wie die Schneeflocken gegen das Glas wehten, schmolzen und dann als Tropfen daran herunterrutschten. Manchmal vereinigten sie sich, meistens überholten sie sich gegenseitig. Eine Parabel auf das menschliche Miteinander. Auch er war gerade heimtückisch überholt worden. Gernot schloss Wetten mit sich selbst darüber ab, welche Tropfen bis unten durchkamen und welche nicht. Wenn der eine hier es bis an den Rahmen schaffte, würde es ein schlimmer Tag werden, unkte er. Wenn nicht, auch. Viel mehr hatte er sowieso nicht zu tun. Nicht einmal draußen herumlaufen konnte man bei diesem scheußlichen Wetter. Durch die nasse Scheibe konnte er in dem trüben Licht gerade noch bis zum Feldrand sehen. Es war kurz vor halb zehn und immer noch nicht richtig hell. Zum Weglaufen. Er musste laut gedacht haben, denn Anneke stand plötzlich hinter ihm und sagte: »Es wird heute nicht mehr heller, Gernot. Kannste vergessen. Arbeitest du heute wieder in deinem Café?« Sie klang aufreizend fröhlich.

Mit dem leeren Kaffeebecher in der Hand drehte er sich zu ihr um. Würdigte sie keiner Antwort. Es hatte neulich schon eine Diskussion darüber gegeben, warum er »vorgab«, im Café zu arbeiten, wo er doch so ein schönes Arbeitszimmer unter dem Dach hatte. Ob er da nur den Frauen hinterhergucken wolle? Er wünschte, Frauen wären sein Problem. Die Frau, mit der er seit acht Jahren verheiratet war, trug ein hellgraues Kostüm mit einer roten Bluse darunter. Sie hatte sich das Haar zu einem Zopf gebunden und sah effizient und erfolgreich aus. Nur die Schuhe passten nicht. Zur Schonung des Echtholzparketts trug sie im Haus nur Gesundheitssandalen. Wenn er besser drauf gewesen wäre, hätte ihn ihr Anblick aufgeheitert. Ihre Pumps würde sie sich erst an der Tür anziehen.

Sie hatten das Haus gemeinsam mit einem Architekten geplant und den Grundriss amerikanisch konzipiert. Durch die Garage gelangte man über einen Vorraum in die Küche. Sehr praktisch. Und natürlich äußerst schick.

Er sah etwas Grellgelbes am Fenster vorbeifahren. Der Postbote brachte immer zuerst den Fuhrmanns auf dem Bauernhof ein Stück die Straße hinunter die Post. Auf dem Rückweg kam er dann zu ihnen, den »Neubürgern«. In Groß Tensin galt man bei den Alteingesessenen auch nach fünfundzwanzig Jahren noch als Neubürger, hatte ihm der Bürgermeister mal jovial erklärt. Nichts für ungut …

Heute war es Gernot nur recht, dass der Postbote zuerst die »Alteingesessenen« bedachte. Er erwartete seit Tagen Post von seiner neuen Bank, die Anneke nicht sehen sollte.

»Das war doch unser Briefträger. Der Benjamin fährt auch bei jedem Wetter mit dem Rad«, sagte sie halb belustigt, halb bewundernd. Seit Anneke über vierzig war und Schokoladenkekse die Tendenz hatten, als Hüftgold an ihr kleben zu bleiben, registrierte sie akribisch die körperliche Fitness ihrer Mitmenschen und kommentierte sie auch. Ihr selbst reichte das Reiten als Sport nicht mehr aus. Sie zeigte zusätzlich ein bedenkliches Interesse an Fitnessübungen.

»Und wie immer in kurzen Hosen. Der Spinner«, ergänzte er, bevor sie seine nicht vorhandene Fitness kommentierte.

»Na, immerhin kann er sich das leisten.«

Sie schaute also neuerdings auf die Waden des Briefträgers. Seine, Gernots, waren ja auch nicht mehr so der Hammer.

Anneke wollte sich gerade von ihm...