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Dunkle Liebe - Schuld

Sophie Jackson

 

Verlag LYX, 2016

ISBN 9783736300231 , 544 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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1


Wesley James Carter, Insasse der Arthur Kill Correctional Facility und Querulant aus Leidenschaft, grinste den missmutigen Wachmann an, der ihn nun schon seit geschlagenen zehn Minuten nach seiner Häftlingsnummer befragte. Zu behaupten, dass Carters unverfrorenes Verhalten und seine amüsierte Miene den übergewichtigen Mann mit lichtem Haar verärgerten, wäre eine glatte Untertreibung gewesen. Dem armen Kerl stand schon fast Schaum vorm Mund.

Es war Freitag, fünf Minuten nach dem offiziellen Schichtende der Wachmannschaft.

Für Carter ein Grund mehr, sich querzustellen.

Der Beamte fuhr sich ungeduldig über den wulstigen Nacken und kniff die müden Augen zusammen. »Jetzt hören Sie mir mal genau zu«, sagte er in drohendem Ton, der bei anderen Häftlingen sicherlich wirkte wie ein Messer an der Kehle. »Es ist ganz einfach. Sie geben mir ihre Nummer. Ich schreibe sie in dieses Formular hinein, das ich für den für Sie zuständigen Sozialarbeiter vorbereitet habe, und anschließend kann ich nach Hause gehen.«

Carter funkelte den pummeligen Armleuchter aufmüpfig an.

Der Beamte lehnte sich sichtlich unbeeindruckt auf seinem Bürostuhl zurück. »Wenn Sie mir Ihre Nummer nicht geben, wird meine Frau stinksauer. Und ich muss meiner stinksauren Frau dann erklären, dass irgendein dreister Nichtsnutz mich hat warten lassen. Dann wird sie sich noch mehr aufregen und keifen, dass es unsere Steuern sind, von denen die drei Mahlzeiten täglich und die Gefängnisoveralls für Loser wie Sie finanziert werden.« Er beugte sich vor. »Also, zum letzten Mal: Insassennummer.«

Betont lässig schielte Carter zur Faust des Beamten hin, mit der er den Schlagstock an seinem Gürtel umschlossen hielt, und stieß gelangweilt den Atem aus. Normalerweise hätte er es darauf angelegt, dass der Kerl ihm eine verpasste, und die Prügel mit einem Lächeln eingesteckt. Doch heute war er nicht in Stimmung.

»081 056«, antwortete Carter gleichgültig und konnte es sich nicht verkneifen, dem Kerl kurz zuzuzwinkern.

Mit verkniffener Miene kritzelte der Beamte die Zahl auf das Formular und rollte sich mit dem Stuhl zum Schreibtisch seiner blonden Sekretärin hinüber. Der Fettsack war tatsächlich zu faul, um aufzustehen und sechs Schritte zu laufen.

Carter wartete, während Blondie die Nummer eintippte, die nun schon seit neunzehn Monaten als sein Zweitname fungierte. Er wusste, welche Vergehen auf dem Monitor erscheinen würden: Autodiebstahl, Umgang mit einer gefährlichen Waffe, Drogenbesitz, Trunkenheit und Ruhestörung – um nur ein paar zu nennen. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung war er auf diese Liste an Straftaten und Vergehen, die zwei Bildschirme füllte, nicht stolz. Doch sie gab ihm eine Art Selbstempfinden, nach dem er schon fast die ganzen siebenundzwanzig Jahre seines Lebens ziellos gesucht hatte. Noch immer suchte er danach, und bis er dieses besondere Etwas gefunden hatte, war diese Liste alles, was er hatte.

Wie auch immer.

Er fuhr sich über das kurz geschorene Haar. Er war es leid, über dieses Thema nachzugrübeln.

Das Geräusch von Papier, das aus einem altertümlichen Drucker gerissen wurde, riss ihn aus seinen Gedanken.

»Nun, Mr Carter«, setzte der Wachmann seufzend an. »Es sieht so aus, als würde sich Ihr Aufenthalt bei uns noch weitere siebzehn lange Monate hinziehen. Das hat man davon, wenn man sich mit Koks erwischen lässt.«

»Der Stoff gehörte nicht mir«, antwortete Carter ausdruckslos.

Der Wachmann zog eine falsche Mitleidsmiene. Dann grinste er. »Was für ein Pech!«

Carter verkniff sich eine Erwiderung, weil er wusste, dass schon in wenigen Wochen seine Bewährungsverhandlung anstand, und schnappte sich schweigend das Formular.

Flankiert von einem weiteren Wachmann schlenderte Carter am Schreibtisch vorbei und durch einen engen Korridor zu einer weißen Tür, die er aufstieß, indem er mit der flachen Hand dagegen schlug. Der Raum dahinter wirkte klaustrophobisch beengt und steril und stank nach Eingeständnissen. Obwohl er hier schon unzählige Stunden zugebracht hatte, bekam er trotzdem wieder schwitzige Hände, und sein Herz schlug schneller.

Mit durchgedrücktem Rücken und steifen Schultern ging Carter auf den billigen Holzschreibtisch zu, hinter dem ihm ein Gorilla von einem Mann zulächelte.

»Wes«, begrüßte ihn Jack Parker, der für ihn zuständige Gefängnis-Sozialarbeiter. »Schön, dich zu sehen. Bitte setz dich doch.«

Carter schob die Hände in die Taschen seines Overalls und ließ sich plump auf den Stuhl fallen. Jack war der Einzige hier, der ihn mit seinem Vornamen ansprach; alle anderen nannten ihn Carter. Doch Jack bestand auf der zwanglosen Anrede, da er sie als wichtige Voraussetzung dafür erachtete, dass er und Carter eine vertrauensvolle Beziehung zueinander aufbauen konnten.

Worauf Carter ihm mitgeteilt hatte, dass er das für kompletten Schwachsinn hielt.

»Hast du was zu rauchen?«, fragte er mit einem abschätzigen Seitenblick auf den Wachmann, der sich bei der Tür postiert hatte.

»Klar.« Jack warf ein Päckchen Camel und ein Streichholzbriefchen auf den Schreibtisch.

Carters lange blasse Finger kämpften mit der Schutzfolie. Schon zwei lange Tage waren seit seiner letzten Zigarette vergangen. Carter hielt es kaum noch aus. Zwei zerbrochene Streichhölzer und eine Menge Flüche später inhalierte er endlich den dichten köstlichen Rauch. Er schloss die Augen, hielt den Atem an, und für den Bruchteil einer Sekunde war die Welt in Ordnung.

»Besser?«, erkundigte sich Jack mit einem hinterlistigen Grinsen.

Carter blies den Rauch über den Schreibtisch hinweg und nickte.

Es beeindruckte ihn, dass Jack der Versuchung widerstand, den Rauch wegzuwedeln. Sie wussten beide, dass dieses Verhalten Carter nur dazu animiert hätte, es wieder zu tun. Er sprang sofort auf jedes Anzeichen von Schwäche oder Verärgerung an und biss sich mit der Zähigkeit eines Terriers an seinen Opfern fest.

Anscheinend ein instinktiver Abwehrmechanismus. Sie hatten über dieses Verhalten in einer ihrer ersten Sitzungen gesprochen. Er hatte diesen Mechanismus inzwischen so sehr verinnerlicht, dass er nach außen hin stark, dominant und, wie die meisten Angestellten und Insassen von Arthur Kill bestätigen konnten, höllisch einschüchternd wirkte.

Jack zog eine fast zwanzig Zentimeter dicke Akte aus der Tasche und schlug sie auf, blätterte die zahlreichen Berichte, gerichtlichen Verlautbarungen und Zeugenaussagen durch, die sich über die Jahre angesammelt hatten, in denen Carter als »Gefahr für die Allgemeinheit« bezeichnet wurde, als »willensstark« und »intelligentes Individuum, dem es an Selbstbewusstsein mangelte, um sich zu behaupten und seinen starken Willen in geordnete Bahnen zu lenken«.

Nun – wie auch immer.

Carter war es leid, sich anzuhören, wie viel Potenzial doch in ihm steckte. Ja, er war intelligent und hielt mit unerschütterlicher Loyalität zu den Menschen, die ihm wichtig waren, doch solange er zurückdenken konnte, hatte er einfach keinen Lebensweg für sich finden können, der ihm passend erschienen wäre. Sein ganzes Leben schon wanderte er ziellos umher, fand keinen Ort, an dem er sich langfristig wohl oder willkommen gefühlt hätte, und schlug sich mit seiner abgefuckten Familie und seinen bescheuerten Freunden herum, bei denen alle fünf Minuten ein neues Drama aufkam.

Hier im Knast war es wenigstens etwas einfacher für ihn. Die Probleme des wahren Lebens waren hier nur Legenden, von denen bei gelegentlichen Besuchen erzählt wurde. Nicht dass Carter oft Besucher empfing.

Jack schlug die letzte Seite im Aktenordner auf, schrieb das aktuelle Datum auf das leere Blatt und schaltete den kleinen Digitalrekorder ein, der zwischen ihnen auf dem Tisch stand.

»Vierundsechzigste Sitzung, Wesley Carter, Häftlingsnummer 081 056«, leierte er monoton herunter. »Wie geht es dir heute?«

»Superduper«, antwortete Carter und drückte mit einer Hand seine Zigarette aus, während er sich mit der anderen schon wieder eine neue anzündete.

»Gut.« Jack schrieb eine kurze Notiz auf das Blatt vor ihm. »So, gestern war ich bei einer Besprechung zugegen, bei der es um deine Teilnahme an den verschiedenen Kursen ging, die hier in der Vollzugsanstalt angeboten werden.«

Carter verdrehte genervt die Augen.

Jack ignorierte es. »Ich kenne deine Ansichten zu diesem Thema, aber es ist wichtig, dass du, solange du hier einsitzt, Dinge tust, die dich herausfordern.«

Carter legte den Kopf in den Nacken und blickte verdrossen zur Decke. Herausforderung? Dieser ganze Laden war eine einzige Herausforderung. Jeden Tag aufs Neue war es eine Herausforderung, nicht die Beherrschung zu verlieren und einem dieser dämlichen Vollidioten, die hier herumliefen, eine zu verpassen.

»Es stehen verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl«, fuhr Jack fort. »Englische Literatur, Philosophie, Soziologie. Ich habe Mr Ward und den Bildungsspezialisten erklärt, dass du zwar mit deinen bisherigen Tutoren einige Schwierigkeiten hattest, du dich inzwischen aber nicht mehr wie ein siebzehnjähriger Schulabbrecher benimmst. Das stimmt doch, oder?«

Carter zog eine skeptische Miene.

Jack stützte das Kinn auf die Fingerspitzen. »Welchen Kurs möchtest du belegen?«

»Ist mir egal«, erklärte Carter schulterzuckend. »Ich wünschte, sie würden mich verdammt noch mal einfach in Frieden lassen.«

»Aber die Teilnahme ist Voraussetzung...