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Gilbert Pinfolds Höllenfahrt - Ein Konversationsstück

Evelyn Waugh

 

Verlag Diogenes, 2016

ISBN 9783257607079 , 176 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

{9}Bildnis des Künstlers in mittleren Jahren


Es kann gut sein, dass in den nächsten hundert Jahren die englischen Romanschriftsteller unserer Zeit etwa so eingeschätzt werden, wie wir heute die bildenden Künstler des späten 18. Jahrhunderts sehen. Die kraftvollen Schöpfernaturen, die wahrhaften Genies, gibt es nicht mehr, doch bringt es unsere Generation an ihrer Stelle noch immer durch Eleganz und Einfallsreichtum zu einer bescheidenen Blüte. Mag sein, dass magere Jahre kommen und unsere Nachfahren sehnsüchtig auf eine Epoche zurückschauen werden, in der immerhin noch viele Talente bereit und fähig waren, ihre Leser zu unterhalten.

Unter solchen Autoren rangierte Mr Pinfold weit oben. Er hatte mit fünfzig Jahren, als sein Abenteuer begann, schon ein Dutzend Bücher geschrieben, die alle noch immer gekauft und gelesen wurden. Sie waren in viele Sprachen übersetzt worden und erfreuten sich vor allem in den Vereinigten Staaten eines zwar wechselnden, doch zuzeiten äußerst lukrativen Erfolges.

Viele ausländische Studenten wählten Mr Gilbert Pinfolds Romane als Themen für ihre Doktorarbeiten. Doch wenn sie versuchten, in seinem Werk kosmische Bedeutungen aufzuspüren oder eine Verbindung mit einer gerade herrschenden philosophischen, soziologischen oder psychologischen {10}Theorie herzustellen, wurden ihre Fragebögen mit ehrlichen, aber kurzen Auskünften abgespeist – ganz im Gegensatz zu ihren Kollegen, die sich selbstgefälligere Schriftsteller ausgesucht hatten, mit deren Antworten sie ihre halbe Dissertation bestreiten konnten. Mr Pinfold gab nichts preis. Nicht, dass er von Natur aus verschlossen oder unwillig gewesen wäre, er hatte diesen Studenten nur einfach nichts zu sagen. Seine Bücher waren für ihn Dinge, die er zwar erschaffen hatte, die aber jetzt außerhalb von ihm existierten, um von anderen benutzt und beurteilt zu werden. Er hielt sie für gut geschrieben, besser als manche anderen, angeblich genialen Werke, aber er bildete sich nichts darauf ein, schon gar nicht auf sein Ansehen als Schriftsteller. Er hatte nicht den Wunsch, das, was er geschrieben hatte, zu vernichten, doch hätte er viel darum gegeben, es überarbeiten zu dürfen. Er beneidete die Maler, die immer wieder zum selben Thema zurückkehren können, um es deutlicher und reicher zu gestalten, bis es vollkommen ihrer Vorstellung entspricht. Ein Schriftsteller hingegen ist dazu verpflichtet, immer Neues hervorzubringen, andere Namen für neue Figuren, neue Ereignisse und neue Schauplätze für seine Erzählungen zu erfinden. Dabei war Mr Pinfold der Ansicht, dass die meisten Autoren nur Keimzellen für ein oder zwei Bücher in sich tragen; alles andere ist berufsmäßige Betrügerei, der sich selbst die größten Meister wie Dickens und Balzac schamlos schuldig gemacht hatten.

Als er sein einundfünfzigstes Lebensjahr begann, schien es Mr Pinfold in jeder Hinsicht gutzugehen. Als Kind liebevoll, lebhaft und eifrig, in der Jugend zerstreut und oft unglücklich, als junger Mann selbstbewusst, unbeugsam und {11}erfolgreich, hatte er in mittleren Jahren weniger nachgelassen als andere seines Jahrgangs. Diese Überlegenheit schrieb er seinem ungestörten, beschaulichen Leben in Lychpole zu, einem abgelegenen Dorf etwa hundert Meilen von London entfernt.

Mr Pinfold war einer Frau treu ergeben, die um viele Jahre jünger war als er und die das kleine Anwesen bewirtschaftete. Sie hatten viele gesunde, gut aussehende und wohlerzogene Kinder, und sein Einkommen war gerade hoch genug, ihnen allen eine gute Bildung zukommen zu lassen. Früher hatte er weite Reisen gemacht, jetzt verbrachte er den größten Teil des Jahres in dem verwohnten alten Haus, das er im Lauf der Zeit mit Bildern, Büchern und Möbeln nach seinem Geschmack ausgestattet hatte. Während des Krieges hatte er als Soldat mancherlei Strapazen und Gefahren wacker durchgestanden. Nach Kriegsende hatte er sich dann zurückgezogen. Die Pflichten des Dorf‌lebens, die man ihm hätte übertragen wollen, nahm er nur sehr oberflächlich wahr: Zwar spendete er angemessene Beträge für allerlei Veranstaltungen, aber er wollte keine führende Rolle einnehmen und hatte keinerlei Interesse an Sport oder Lokalpolitik. An Parlamentswahlen beteiligte er sich nie, weil er seine eigenen konservativen Ansichten hatte, die zu keiner der politischen Parteien seiner Zeit passten und die von seinen Nachbarn als fast ebenso bedrohlich empfunden wurden wie der Sozialismus.

Diese Nachbarschaft war typisch für das englische Landleben jener Zeit. Ein paar Großgrundbesitzer betrieben Landwirtschaft in größerem Stil; andere waren reiche Geschäftsleute, die nur zur Jagd herkamen. Die meisten aber {12}waren ältere Leute, die, als die Pinfolds sich in Lychpole niederließen, noch bequem mit Dienerschaft und Pferden lebten, jetzt aber mit bescheideneren Verhältnissen zurechtkommen mussten. Sie wohnten mittlerweile in kleineren Häusern und trafen sich beim Einkaufen im Fischladen. Die meisten waren miteinander verwandt und bildeten eine Art Clan. Colonel und Mrs Bagnold, Mr und Mrs Graves, Mrs Fawdle und ihre Tochter, Colonel Garbett und Miss Garbett, Lady Fawdle-Upton und Miss Clarissa Bagnold lebten alle innerhalb eines Umkreises von zehn Meilen rund um Lychpole. Alle hingen irgendwie zusammen. In den ersten Jahren ihrer Ehe waren Mr und Mrs Pinfold bei allen zum Dinner gewesen und hatten sie ihrerseits eingeladen. Seit dem Krieg jedoch waren diese Gelegenheiten infolge der allgemein verschlechterten Vermögenslage, die die Familie Pinfold weniger hart traf, seltener geworden. Die Pinfolds hatten eine Vorliebe für Spitznamen und hatten für jede dieser Familien eine eigene Bezeichnung, die nicht boshaft, aber doch ein wenig spöttisch war und auf irgendeinen halbvergessenen Vorfall in längst vergangener Zeit zurückzugehen pflegte. Ihr nächster Nachbar und der, den sie am häufigsten sahen, war Reginald Graves-Upton, ein Onkel der Graves-Uptons im zehn Meilen entfernten Upper Mewling, ein gutmütiger alter Junggeselle, der ein strohgedecktes Häuschen ganz in der Nähe bewohnte und Bienen züchtete. Sonntagmorgens nahm er seinen Weg zur Kirche quer über die Wiesen und brachte seinen Cairn-Terrier zu den Pinfolds, während er die Messe besuchte. Danach holte er ihn wieder ab und blieb dann gern ein Viertelstündchen, trank einen Sherry und ließ sich über das Radioprogramm {13}aus, das er in der vergangenen Woche gehört hatte. Diesen gebildeten, anspruchsvollen alten Herrn nannten sie unter sich »den Boxer«, manchmal auch, davon abgeleitet, »Mops«, »Bulldogge« oder »Alter Faustheld«, seit er sich vor einigen Jahren ein weiteres Hobby zugelegt hatte, bei dem sich alles um die »Box« drehte.

Diese Box war eine von vielen, die es in verschiedenen Teilen des Landes gab. Sie wurde unter dem kritischen Blick von Reginalds Neffen und der Nichte in Upper Mewling aufgestellt. Mrs Pinfold, die einmal mitgekommen war, um sie sich anzuschauen, fand, dass sie wie ein selbstgebastelter Radioapparat aussah. Nach Ansicht des Boxers und anderer Gutgläubiger verfügte die Box über außerordentliche diagnostische und therapeutische Kräfte. Man brauchte dazu nur irgendein Stückchen vom Körper eines kranken Menschen oder Tieres – ein Haar etwa oder ein Tröpfchen Blut. Damit wurde die Box auf die »Bio-Strahlung« des Patienten eingestellt und auf diese Weise die Art der Krankheit und gleichzeitig die beste Behandlungsmethode ermittelt.

Mr Pinfold war ebenso skeptisch wie die jungen Graves-Uptons, aber seine Frau meinte, es müsse doch etwas dran sein. Schließlich hatte man es an Lady Fawdle-Upton ohne ihr Wissen getestet, als sie an einem Nesselfieber litt, und unverzüglich hatte sich der Heilerfolg eingestellt.

»Alles nur Suggestion«, verkündete die junge Mrs Graves-Upton.

»Wenn sie nichts davon wusste, kann es keine Suggestion gewesen sein«, gab Mr Pinfold zu bedenken.

»Natürlich nicht. Man muss eben nur die Bio-Strahlung messen«, erwiderte Mrs Pinfold.

{14}»Ein sehr gefährliches Gerät, wenn es in falsche Hände gelangt.«

»Aber nein, das ist ja das Gute daran. Die Box kann keinen Schaden anrichten, sie gibt einfach nur Lebensenergie weiter. Fanny Graves hat es an ihrem Spaniel ausprobiert, wegen seiner Würmer. Aber durch diese Strahlung fingen die Würmer enorm zu wachsen an. Groß wie Schlangen, sagt Fanny.«

»Ich habe den Eindruck, diese Box hat etwas mit Zauberei und schwarzer Magie zu tun«, sagte Mr Pinfold zu seiner Frau, als sie allein waren. »Du solltest es bei der Beichte erwähnen.«

»Glaubst du das im Ernst?«

»Nein, nicht so ganz. Es ist wohl doch nur harmloser Unsinn.«

 

Da die Kirchengemeinden im geselligen Leben der Gegend eine große Rolle spielten, gab es zwischen den Pinfolds und ihren Nachbarn eine zwar nicht sehr hohe, jedoch spürbare Schranke. Die Pinfolds waren römisch-katholisch, Mrs Pinfold durch ihre Herkunft, Mr Pinfold durch spätere Entwicklungen. Er war als junger Mann von der Kirche aufgenommen worden – »Konvertierung« legt ein viel plötzlicheres und gefühlsgeladeneres Ereignis nahe, als es seine ruhige Übernahme der neuen Glaubenslehren war –, zu einer Zeit, als viele humanistisch erzogene junge Engländer sich dem Kommunismus in die Arme warfen. Anders als all diese blieb Mr Pinfold seiner Entscheidung treu. Aber man hielt ihn allgemein mehr für bigott als für fromm. Vom Beruf des Schriftstellers hat die Kirche ohnehin eine {15}schlechte Meinung, bestenfalls gilt er als oberflächlich, schlimmstenfalls sogar als lasterhaft. Nach damaligem Maßstab führte...