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Eisige Glut - Thriller

Sandra Brown

 

Verlag Blanvalet, 2015

ISBN 9783641174750 , 512 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Prolog

Golden Branch, Oregon, 1976

Zum ersten Mal wurden sie gleich nach Tagesanbruch um sechs Uhr siebenundfünfzig unter Beschuss genommen.

Eröffnet wurde das Feuer vom Haus aus, als Reaktion auf die Kapitulationsaufforderung, die das Team von Gesetzeshütern aus verschiedenen Polizeiorganisationen vorgebracht hatte.

Es war ein düsterer Morgen. Am Himmel hingen dunkle Wolken, und über dem Boden lag dichter Nebel. Trotz der schlechten Sichtverhältnisse erschoss einer der Gesuchten im Haus mehr oder minder zufällig einen Deputy US Marshal, der von allen nur Turk genannt worden war.

Gary Headly hatte den Marshal erst am Vortag kennengelernt, kurz nachdem das Team aus ATF- und FBI-Agenten, Deputy Sheriffs und US Marshals erstmals zusammengetroffen war, um seine Vorgehensweise abzustimmen. Sie hatten sich um eine Karte des als Golden Branch bekannten Gebietes versammelt und durchgesprochen, auf welche Hindernisse sie treffen könnten. In seiner Erinnerung hörte Headly noch einen anderen Marshal sagen: »Hey, Turk, bring mir eine Cola mit, wenn du rübergehst, okay?«

Turks wirklichen Namen sollte Headly erst später, viel später erfahren, als sie schon mit den Aufräumarbeiten beschäftigt waren. Die Kugel erwischte ihn einen Zentimeter oberhalb seiner Kevlarweste und zerfetzte ihm die Kehle. Er sank ohne einen Laut zu Boden und war schon tot, als er in den feuchten Laubhaufen zu seinen Füßen sackte. Headly konnte nichts mehr für ihn tun, außer ein kurzes Gebet zum Himmel zu schicken und in Deckung zu bleiben. Mit jeder Bewegung hätte er sich den Tod oder eine schwere Verwundung zuziehen können, denn seit das Feuer eröffnet worden war, ging aus den offenen Fenstern des Hauses ein unerbittlicher Kugelhagel auf sie nieder.

Die Rangers of Righteousness verfügten über ein unerschöpfliches Waffenarsenal. Jedenfalls erschien es so an diesem trübseligen, nassen Morgen. Das zweite Todesopfer war ein rothaariger vierundzwanzigjähriger Deputy Sheriff. Eine in der kalten Luft aufsteigende Atemwolke hatte seine Position verraten. Sechs Schüsse wurden auf ihn abgegeben. Fünf davon fanden ihr Ziel. Und von diesen wären drei jeder für sich tödlich gewesen.

Das Team hatte vorgehabt, die Gruppe zu überrumpeln, die Haftbefehle für eine lange Liste von Verbrechen zu vollstrecken und alle Mitglieder in Gewahrsam zu nehmen, wobei nur im äußersten Notfall geschossen werden sollte. Allerdings ließ die Vehemenz, mit der die Gesetzeshüter unter Feuer genommen wurden, darauf schließen, dass sich die Kriminellen auf einen Kampf auf Leben und Tod eingestellt hatten.

Schließlich hatten sie nichts zu verlieren als ihr Leben. Eine Festnahme hätte für jedes einzelne der sieben Mitglieder der einheimischen Terrorgruppe lebenslange Haft oder die Todesstrafe bedeutet. Insgesamt hatten die sechs Männer und eine Frau in der Gruppe zwölf Morde begangen und Schäden in Millionenhöhe angerichtet, größtenteils in Regierungsgebäuden oder militärischen Einrichtungen. Trotz ihres religiös klingenden Gruppennamens »Hüter der Rechtschaffenheit« waren die sieben keine radikalen Glaubensfanatiker, sondern Menschen ohne Gewissen und Hemmungen. Im relativ kurzen Zeitraum von zwei Jahren hatten sie traurige Berühmtheit erlangt und sich zur Geißel von regionalen wie nationalen Polizeibehörden entwickelt.

Andere, ähnliche Gruppen versuchten inzwischen den Rangers nachzueifern, aber keine davon hatte es zu vergleichbarer Skrupellosigkeit gebracht. In der kriminellen Unterwelt wurden sie für ihre Dreistigkeit und ihre konkurrenzlose Brutalität verehrt. Für viele heimliche Gegner des Regierungssystems waren sie zu Volkshelden geworden. Man bot ihnen Unterschlupf und versorgte sie mit Waffen und Munition, aber auch mit durchgesickerten Amtsgeheimnissen. Diese Unterstützung aus dem Untergrund ermöglichte es der Gruppe, schnell und brutal zuzuschlagen und anschließend abzutauchen und unsichtbar zu bleiben, bis der nächste Anschlag geplant war. In ihren an Zeitungen und Fernsehsender geschickten Kassibern hatten sie geschworen, sich niemals lebend zu ergeben.

Nur durch einen glücklichen Zufall hatte das Gesetz sie in Golden Branch aufgestöbert.

Im Zuge eines illegalen Waffendeals, der nichts mit den Rangers of Righteousness zu tun hatte, hatte man einen ihrer Waffenlieferanten, aufgrund seiner Vorstrafen ein alter Bekannter bei den Behörden, beschatten lassen. Im Verlauf von drei Wochen hatte er exakt drei Ausflüge zu einem verlassenen Haus in Golden Branch gemacht. Durch ein Teleobjektiv war er dabei beobachtet worden, wie er mit einem Mann sprach, der später als Carl Wingert, Anführer der Rangers, identifiziert wurde.

Als das an das FBI, das Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives und an den US Marshals Service gemeldet wurde, schickten alle drei Behörden ihre Leute los, um den Waffendealer weiterhin zu überwachen. Gleich nachdem er von einem Abstecher nach Golden Branch zurückkehrte, wurde er verhaftet.

Es brauchte volle drei Tage an Überzeugungsarbeit, aber dann schloss er auf Anraten seines Anwalts einen Deal mit den Behörden und verriet ihnen alles, was er über die Menschen wusste, die sich in dem verlassenen Haus verkrochen hatten. Getroffen hatte er sich immer nur mit Carl Wingert. Wer sich sonst noch im Haus verschanzt hatte oder wie lange sie dort zu überwintern gedachten, konnte – oder wollte – er nicht sagen.

Weil sie befürchteten, es könnte ihnen ein Verbrecher von der Most-Wanted-Liste des FBI durch die Lappen gehen, wenn sie nicht sofort zuschlugen, erbaten die Federal Agents die Unterstützung der lokalen Polizeibehörden, die ebenfalls Haftbefehle gegen einzelne Mitglieder der Gruppe ausstehen hatten. Das Team wurde zusammengestellt und die Operation geplant.

Doch Wingerts Bande hatte es todernst gemeint mit ihrer Behauptung, lieber zu sterben, als sich zu ergeben, das wurde allen im Team vom ersten Augenblick an bewusst. Die Rangers of Righteousness wollten sich ihren Platz in der Geschichte sichern. Sie würden ganz bestimmt nicht die Waffen niederlegen und mit erhobenen Händen kapitulieren.

Die Vertreter des Gesetzes saßen hinter Bäumen oder Fahrzeugen fest, und jeder von ihnen schwebte in Lebensgefahr. Bei der kleinsten Bewegung wurden sie unter Feuer genommen, und die Mitglieder der Rangers hatten schon unter Beweis gestellt, dass sie exzellente Schützen waren.

Der Einsatzleiter, Agent Emerson, rief über Funk die Zentrale und bat um einen Hubschrauber zur Luftunterstützung, aber diese Idee wurde aufgrund des schlechten Wetters verworfen.

Spezialeinheiten von örtlichen, überregionalen und landesweiten Polizeibehörden waren bereits mobilisiert, aber sie alle mussten erst mit ihren Fahrzeugen nach Golden Branch gelangen, und die Straßen waren selbst bei gutem Wetter nicht ideal. Das Team bekam den Befehl, auf seiner Position auszuharren und nur zur Selbstverteidigung zu feuern, während in sicheren, warmen Büros darüber debattiert wurde, wie man die Regeln des Einsatzes abändern könnte, damit notfalls auch tödliche Gewalt angewendet werden konnte.

»Die spielen ›Backe, backe Kuchen‹, weil auch eine Frau im Haus ist«, beschwerte sich Emerson bei Headly. »Und Gott bewahre, dass wir die Bürgerrechte dieser Mörder verletzen könnten. Niemand bewundert oder respektiert uns noch, das ist dir doch klar?«

Headly, der Jüngste im Team, behielt seine Meinung wohlweislich für sich.

»Wir sind der Bundesregierung unterstellt, und Regierung war schon vor Watergate ein Schimpfwort. Das ganze verdammte Land fliegt in tausend Stücke, während wir uns hier draußen die Eier abfrieren und abwarten müssen, bis irgendein Schreibtischhengst uns erklärt, dass wir diese Mörderschweine in die tiefste Hölle befördern dürfen.«

Emerson war beim Militär gewesen und in seinen Ansichten eindeutig ein Hardliner, aber niemand, und schon gar nicht er, wünschte sich an diesem Morgen ein Blutbad.

Ihre Wünsche wurden nicht erhört.

Während ihre Verstärkung noch unterwegs war, verstärkten die Rangers ihrerseits den Beschuss. Ein Agent vom ATF wurde von einer Kugel im Bein getroffen, und so wie die Wunde blutete, stand zu befürchten, dass die Oberschenkelarterie getroffen war, und zwar auf lebensbedrohliche Weise, auch wenn das wahre Ausmaß der Verletzung unklar war.

Emerson erstattete Meldung und ließ einen Schwall obszöner Kommentare folgen, dass sie einer nach dem anderen abgeknallt würden, wenn nicht verflucht noch mal …

Er bekam grünes Licht für einen Einsatz. Mit ihren Sturmgewehren und einer Maschinenpistole gingen sie in die Offensive. Das Sperrfeuer hielt sieben Minuten an.

Erst nahmen die Salven aus dem Haus spürbar ab, dann wurde nur noch sporadisch geschossen. Emerson befahl, das Feuer einzustellen. Sie warteten ab.

Plötzlich stürmte aus der Haustür ein Mann, der aus mehreren Wunden sowie einer Kopfwunde blutete und aus seiner Maschinenpistole um sich feuerte, wobei er wüste Beleidigungen krakeelte. Es war ein selbstmörderischer Akt, wie ihm klar sein musste. Schon bald sollte offenbar werden, was ihn dazu bewegt hatte.

Als die Agenten das Feuer einstellten und das Klingeln in ihren Ohren nachgelassen hatte, begriffen sie, dass es, abgesehen von einem Fensterladen, der ab und zu im Wind gegen die Außenwand schlug, gespenstisch still im Haus geworden war.

Nach nervenzerreißenden sechzig Sekunden sagte Emerson: »Ich gehe rein.« Er erhob sich in die Hocke und wechselte sein...