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Old School - Roman

John Niven

 

Verlag Heyne, 2015

ISBN 9783641158477 , 400 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

EINS

So viel Blut, dachte Susan Frobisher. So viel Blut.

Sie stand vor der Küchenzeile, von oben bis unten mit Blut besudelt. Blutspritzer überzogen die Arbeitsfläche, ihre Schürze und ihr Gesicht. Die große Schüssel vor ihr war voll davon. Der Horrorfilm-Aspekt der Szene wurde vom strahlenden Weiß der Küche noch verstärkt. Sie hatten sie erst letztes Jahr neu einbauen lassen. Klassischer Landhausstil. Mit allem, was dazugehört: ausziehbare Kühlschubfächer auf Kniehöhe, ein Abfallzerkleinerer, einer dieser flexiblen Wasserhähne mit Spiralfederschlauch, wie man sie aus Kochsendungen kennt, und sogar ein eingebauter Weinhumidor. Nicht dass Barry und sie noch sonderlich viel tranken, aber es sah einfach schick aus. All die reifbeschlagenen Flaschen, aufgereiht wie Bomben im Abwurfschacht. Die Küche war von Emperor Kitchens auf der Havering Road. Barry hatte einen sehr guten Preis bei ihnen ausgehandelt, wie er es immer tat. Er liebte es zu handeln.

Susan betrachtete sich in der spiegelnden Rauchglastür des Weinkühlers und war – von den Blutspritzern mal abgesehen – zufrieden mit dem, was sie sah. Obwohl sie auf die sechzig zuging, hatte sie noch immer einen jugendlich frischen Teint, wache Augen und eine straffe Figur. Ihr Haar war schon seit fast zehn Jahren grau. Trotzdem hing ihr Julie ständig damit in den Ohren, es färben zu lassen, wenngleich die Tage, in denen Julie dieses »Vergnügen« gehabt hätte, lange vorüber waren …

Durch die doppelt verglasten Fenster ging ihr Blick in den Garten, wo der Tau in der Morgensonne verdunstete. Zumindest in der Hälfte, die so früh im Mai schon in der Sonne lag. Endlich hatte der Frühling es bis nach Dorset geschafft. Susan steckte den kleinen Finger in die Schüssel mit Blut und schleckte ihn ab. Mmmh. Was die Konsistenz anging, war sie sich noch nicht sicher. Denn die musste auf den Punkt genau stimmen.

War das der Fall, sagte ihr großer Held Tom Savini, der Meister der Spezialeffekte, »lassen sich Trugbilder erzeugen, die so realitätsnah sind, dass sie dem Zuschauer vorgaukeln, er habe Dinge gesehen, die er gar nicht gesehen hat«. Horrorfilme waren Susans kleine Schwäche. Barry hielt überhaupt nichts davon, eigentlich von Filmen ganz allgemein. »Nichts als Blödsinn«, spottete er. »Alles an den Haaren herbeigezogen!« Er stand auf Dokumentationen. Bevorzugt Kriegsdokumentationen. Susan hatte alles von Savini gesehen – Freitag der 13., Brennende Rache, Zombie. Wenn Barry lange arbeiten musste, machte sie es sich bei einer Tasse Tee mit einer DVD gemütlich.

Wie aufs Stichwort trat Barry Frobisher in die Küche. An seiner Krawatte nestelnd, musterte er das blutige Gemetzel. »Was zum Teufel …«

»Die Konsistenz stimmt noch nicht ganz«, erklärte Susan. »Zu dünn.«

»Sieh dir diese Sauerei an!«

»Das kann leider nicht warten. Ich muss noch zum Einkaufen, heute Nachmittag zu Julies Geburtstagsessen und heute Abend zur Generalprobe.«

»Herrje! Kannst du dieses Blutzeug nicht einfach kaufen?«

»Dafür haben wir kein Budget, Schatz.«

Die halb geknotete Krawatte noch immer lose um den Hals hängend, ging Barry zur Kaffeekanne und nahm sich unterwegs eine Tasse vom Frühstückstisch, den sie stets am Vorabend deckten, bevor sie zu Bett gingen. »Ich weiß nicht, was du daran findest, Susan. Ich weiß es wirklich nicht.«

Er nahm eine Scheibe kalten Toast aus dem Ständer und beschmierte sie dick mit Butter. Frühstücksflocken wären die bessere Wahl, dachte Susan. Barrys Taille schob sich allmählich über den Hosenbund. Als sie zuletzt bei Marks & Spencer waren, um was zum Anziehen zu finden, musste sie ihm eine Hose mit Bundweite 56 kaufen. Sie wollte erst gar nicht wissen, wie sich dieses Essverhalten auf seine Arterien auswirkte. Neuerdings hörte Susan ihn morgens vor Anstrengung leise stöhnen, wenn er sich aus seinem Bett hievte. Aus seinem Bett. Vor ein paar Jahren war es schließlich so weit gewesen: Sie hatten sich für Einzelbetten entschieden, seines an der einen, ihres an der anderen Wand des Schlafzimmers. Sie bevorzugten ohnehin unterschiedliche Matratzen. Der gesunde Schlaf ging vor. Er habe nun einmal Rückenprobleme, hatte Barry argumentiert, und es sei ja auch nicht so, als wären sie frisch verheiratet. Womit er auf einen Aspekt des Ehelebens abhob, der inzwischen nur noch äußerst selten zum Tragen kam. Wann eigentlich zuletzt? Susan konnte sich beim besten Willen nicht erinnern. Um die Weihnachtsfeiertage herum? Vielleicht sogar davor?

»Es macht mir Spaß«, beantwortete Susan seine Frage.

Barry schnaubte verächtlich: die Wroxham Players – Susans kreative Spielwiese.

Seine Frau war keine Schauspielerin. Nicht dass sonst jemand in der Truppe diese Bezeichnung verdient hätte. Angefangen hatte es damit, dass sie in der Garderobe aushalf, inzwischen war sie seit drei Jahren für die Kostüme und Requisiten verantwortlich. Barry erinnerte sich mit Grausen, dass sie bei den ersten Vorstellungen sogar auf seine Anwesenheit bestanden hatte: Ein Haufen Rentner und blauäugiger Teenager stolperten über ihre Texte und in den Kulissen umher. Dennoch, schaden konnte es wohl kaum, nahm er an. Immerhin war sie beschäftigt und kam nicht auf dumme Gedanken. Er goss sich Kaffee ein, während Susan im Hintergrund der Kunstblutmixtur mehr Maissirup beifügte. »Was steht dieses Jahr auf dem Programm?«, fragte Barry über die Schulter hinweg.

»König Lear

Er überlegte einen Moment. »Ist das von … Shakespeare?«

»Ja«, sagte Susan. Nicht gerade eine Leseratte, ihr Barry. Aber ein guter Ernährer. Ein Wirtschaftsprüfer. Ein beeideter Wirtschaftsprüfer, hörte sich Susan gelegentlich voller Stolz sagen.

»Worum geht’s denn da, in dem Stück?«, fragte er und schlürfte seinen Kaffee.

»Oh, um die Entwürdigung durch das Alter, könnte man sagen«, erwiderte Susan, starrte in die Mixtur und fragte sich, ob die Menge wohl reichen würde. Sie befürchtete, dass sich Frank, der Regisseur, bei der Szene, in der dem Grafen von Gloucester die Augen ausgestochen werden, einen Tick zu sehr von Peckinpah inspirieren lassen könnte. Sie war sich nicht sicher, ob sich das mit dem Feingefühl des hiesigen Publikums vertragen würde.

»Klingt ja spaßig«, sagte Barry, schlug die Daily Mail auf und hörte schon nur noch mit halbem Ohr zu. Sieh sich das einer an – diese verdammten Osteuropäer. Die machen sich wirklich überall breit.

Das Alter.

Sie würden dieses Jahr beide sechzig werden. Und ihren fünfunddreißigsten Hochzeitstag feiern. Was war das für einer?, überlegte Susan. Jade? Topas oder so was? War ihre Silberhochzeit wirklich schon zehn Jahre her? Was für eine schöne kleine Feier Tom und Clare für sie im Saal der alten Wassermühle geschmissen hatten. Leider bekamen sie Tom und Clare viel zu selten zu Gesicht. Inzwischen Anfang dreißig, hatten ihr Sohn und seine Frau beruflich einfach viel zu viel um die Ohren. Dennoch fand Susan es irgendwie nicht normal, dass sie seit über zehn Jahren ein Paar waren und ihr immer noch keinen Enkel geschenkt hatten. Aber heutzutage lief das offenbar so. Sie selbst war fast dreißig gewesen, als sie Tom bekommen hatte. Damals, 1983. Als »späte Mutter« hatte sie besondere Fürsorge genossen. Wer heutzutage mit dreißig Kinder bekam, galt als jung. Wie alt war Clare jetzt? Zweiunddreißig? Dreiunddreißig? Egal … so wie Susan das sah, war es an der Zeit, dass die beiden endlich zu Potte kamen.

Sie rührte die Wasser-Maissirup-Ketchup-Mischung ein letztes Mal durch, war endlich zufrieden mit der Konsistenz und suchte in der Schublade unter der Spüle nach wiederverschließbaren Gefrierbeuteln.

Wie frage ich ihn wohl am besten?, überlegte sie.

Sie wusste, dass sie sich mit ihrer Bitte auf vermintes Terrain begeben würde. Julie und Barry waren sich noch nie sonderlich grün gewesen. Julie, so vermutete sie, hielt Barry für langweilig. Barry, das wusste sie genau, hielt Julie für total verrückt. Einen schlechten Einfluss. Julie war immer schon wilder gewesen als Susan, früher sogar sehr viel wilder, aber verrückt war sie nicht. Sie hatte ein verdammt aufregendes Leben geführt. Vielleicht sollte Susan an Barrys Überlegenheitsgefühl appellieren. »Ach, Schatz?«

»Mmm?« Achthundert Pfund die Woche an Sozialleistungen? Diese faulen Schmarotzer.

»Könntest du mir diesen Monat vielleicht dreihundert zusätzlich überweisen?«

»Was? Wofür denn?«

»Na ja, ich habe ein bisschen mehr als geplant für Julies Geburtstagsgeschenk ausgegeben.«

»Ach, verdammt, Susan …«

»Es ist ihr sechzigster, Barry! Und sie hat es in den letzten Jahren weiß Gott nicht einfach gehabt. Erst verliert sie ihr Geschäft, weil dieser Arsch sich mit all ihrem Geld aus dem Staub macht. Und jetzt diese Wohnung, in der sie lebt. Ihr grauenhafter Job. Ich wollte ihr was Nettes besorgen.«

»Nun, du kennst ja meine Meinung.«

»Ich weiß, aber …«

»Sie hat doch bisher alles in den Sand gesetzt. Diese blöde Hamburger-Bude genauso wie ihre sogenannte ›Boutique‹. Diese Frau könnte nicht mal ein Besäufnis in einer Brauerei organisieren.«

»Sie hatte Pech.«

»Du musst lernen, dein Geld zusammenzuhalten, Susan.«

»Das mach ich doch!«

»Jeden Monat brauchst du ein paar Hundert für dies, ein paar Hundert für das.« Er stand auf. Stellte...