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Mozartkugelkomplott - Kriminalroman

Manfred Baumann

 

Verlag Gmeiner-Verlag, 2015

ISBN 9783839248089 , 376 Seiten

6. Auflage

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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15,99 EUR


 

1. Tag


Allegro più mosso (schnell, ziemlich bewegt)


»Vivat Bacchus! Bacchus lebe! Bacchus war ein braver Mann!«

Lauter Gesang schwappte aus heiseren Männerkehlen, etwas holprig, aber dennoch mit geschmetterter Wucht. Darüber legte sich, tapfer an Höhe gewinnend, ein hell vibrierender Mädchensopran.

»Vivat Bacchus! Bacchus lebe …«

Die drei grölenden Stimmen trafen auf die Rokokofassade des Alten Rathauses, gellten hoch bis zur Schwertspitze der steinernen Justitia, die über dem Eingang thronte, und rauschten als Echo zurück bis in die Mitte der im rechten Winkel einmündenden Sigmund Haffnergasse.

»Pschscht! Leise!«

Zwei heftig zischende Mezzosopranstimmen aus Richtung Alter Markt versuchten, sich energisch gegen den plärrenden Gesang durchzusetzen.

»Seid still, ihr Verrückten! Schluss mit dem Gejaule! Es ist zwei Uhr morgens!«

Die drei Angesprochenen wandten kurz die Köpfe nach rechts, lachten und stapften unbeirrt weiter in Richtung Getreidegasse. Nicoletta Bartenstein und Heidemarie Laudenbrunn stöckelten in einigem Abstand dahinter über das Pflaster. Das Geklapper ihrer Absätze hallte durch die nächtliche Salzburger Altstadt. Die beiden Frauen gaben sich große Mühe, die voraustorkelnde, immer noch singende Dreiergruppe einzuholen. Auch die Damen kämpften mit dem Gleichgewicht. Doch das lag mehr an den hohen Absätzen ihrer Schuhe und dem unebenen Boden unter ihren Füßen, weniger an der Champagnermenge, die in den vergangenen drei Stunden durch die Kehlen der fünf Feiernden geflossen war. Die Jüngste der Gruppe, die 16-jährige Leonie, hatte sich bei ihren Begleitern untergehakt und trieb die zwei Männer zu schnellerer Gangart an. Sie wollte jetzt keinesfalls von ihrer Mutter und ihrer Tante eingeholt werden. Sie wollte singen! Immerhin war heute ihr 16. Geburtstag. Und den feierte sie hier in Salzburg. Bei den Salzburger Festspielen! Das war ihr Wunsch gewesen. Sie hatte eben im Kreis ihrer Familie ein fünfgängiges Luxusmenü im nahe gelegenen K+K Restaurant genossen und dazu teuren Champagner geschlürft. Davor hatte sie ausgelassen in den frenetischen Jubel eingestimmt, der das Aufführungsende der Oper ›Die Entführung aus dem Serail‹ im Haus für Mozart begleitet hatte. Und jetzt tänzelte sie durch die berühmtesten 500 Laufmeter der Salzburger Altstadt, durch die mittelalterliche Getreidegasse. Die Beleuchtung war schwach. Die meisten Hausfassaden lagen im Dunkeln. Aber das Streulicht aus der Umgebung und das der Sterne vom wolkenlosen Nachthimmel reichten aus, der Gasse einen magischen Glanz zu verleihen. Die großen schmiedeeisernen Zunftzeichen, die von den Fassaden über den Geschäften bis weit in die Gasse hingen, glänzten im matten Widerschein. Die alten Schilder und die hohen schmalen Häuserreihen mit den vielen Verkaufsläden gaben der Gasse eine nahezu märchenhafte Aura. Leonie kam es vor, als spaziere sie durch ein altes enges Städtchen aus einem der Geschichtenbücher ihrer Kindheit. Morgen, bei Tageslicht, würde sie hier shoppen gehen und sich von Onkel Gunnar und Tante Heidemarie in einem der Läden ein schickes Kleid schenken lassen. Aber jetzt wollte sie singen! Egal, wie spät es war. Schließlich wird man nur einmal 16!

»Also, Papa. Noch einmal!« Sie fasste ihren Vater am Arm, den im gesamten Landkreis ihrer Heimatstadt allseits geschätzten Tierarzt Dr. Aigulf Bartenstein, und zog ihn weiter durch die Gasse. An der anderen Hand hatte sie ihren Onkel im Schlepptau, Gunnar Laudenbrunn, erfolgreicher Immobilienmakler und Fraktionsführer im Stadtrat von Bad Kreuznach.

»Komm schon, Onkel Gunnar. Lass deinen Tenor …!« Erschallen wollte sie sagen, aber der Schluckauf kam ihr zuvor. Aus ihrer Mädchenkehle kullerte ein dreimaliges Kieksen. Säuerlicher Geschmack füllte ihren Mund, brannte in der Kehle. Das fühlte sich übel an. Egal! Sie schluckte einmal kräftig und holte tief Luft. Sie wollte jetzt unbedingt dieses lustige Lied weiter trällern, mit dem der schlaue Pedrillo in der Mozartoper den doofen Osmin in die Alko-Falle gelockt hatte. Ein besoffener Haremswächter erhöht die Chance der Helden, die gefangenen Frauen zu entführen.

Sie räusperte sich und legte los. »Das schmeckt trefflich! Das schmeckt herrlich!« Ihre Stimme hörte sich zwar im Augenblick eher an wie eine quietschende Kellertür, aber sie traf dennoch jeden Ton. Acht Jahre Klavierunterricht und vier Jahre Gesangsausbildung machten sich eben bezahlt. Die Melodie dieses Duetts würde sie allerorts und jederzeit punktgenau und stilsicher herausbringen, selbst im Champagnerdusel um zwei Uhr morgens mitten in der Salzburger Altstadt mit zwei besoffenen alten Herren an der Seite.

»Leonie, Schatz! Bleib stehen. Sei wenigstens du vernünftig.« Die Stimme ihrer Mutter wurde lauter. Die beiden Ladies im Abendkleid hatten ein wenig aufgeholt. Es galt, die Strategie zu ändern. Leonie löste rasch eine Hand vom Arm ihres Onkels, griff nach unten und zog sich die Schuhe aus.

»Aber Leonie, Schnuckelchen! Du kannst doch nicht ohne Schuhe laufen!« Und ob sie das konnte! Barfuß würde sie besser vorankommen. Und sie hatte ihrer Mutter gefühlte tausend Mal eingebläut, sie nicht Schnuckelchen zu nennen. Sie war keine Fünf mehr, sondern auf den Tag genau 16 Jahre alt. Das Pflaster fühlte sich angenehmer an, als sie erwartet hatte. Keineswegs kalt. Ihre Fußballen klatschten über den Boden. Energisch zog sie die beiden Herren im Smoking mit sich fort, die nächtliche Gasse entlang. Dem Tierarzt war der Elan seiner Tochter etwas zu heftig, er kam ins Straucheln, stützte sich an einem der verschlossenen Hauseingänge ab. »Na so was!«, lallte er. »Schon wieder Mozart!« Er war gegen die kantige Eingangsmauer des Café Mozart getaumelt. Wie auf Kommando schauten alle drei nach oben zum kunstvoll geschmiedeten Auslegearm, der hoch über dem Eingang des Kaffeehauses aus der Wand ragte und das ovale Schild mit dem Lokalnamen trug.

»Sssselbstverständlich!« Der Immobilienmakler bemühte sich, seine vom Alkohol schwere Zunge in den Griff zu bekommen. »Café Mozart gibt es hier schon seit 1923. Getreidegasse 22. Von den Brüdern Crozzoli eröffnet! So was weiß man, mein Lieber.«

»Keinen Vortrag über Kulturgeschichte, Onkel Gunnar! Jetzt wird gesungen!«, befahl das Geburtstagskind und stapfte weiter. Die beiden Männer folgten. Erneut schallte grölender Gesang zwischen den Häusern.

»Es leben die Mädchen, die blonden, die braunen …«

»Halt!« Gunnar Laudenbrunn blieb abrupt stehen. »Und die pinken!«, lallte er.

Das passte zwar nicht zum Duett der Mozartoper, aber zum coolen Haarlook seiner Nichte. Dann versuchte der Fraktionsvorsitzende aus Bad Kreuznach eine galante Verbeugung, was ihn fast zu Sturz brachte. Leonie grinste und drückte ihm schmatzend einen Kuss auf die Wange. Sie waren inzwischen auf Höhe eines asiatischen Restaurants angekommen, von dessen Eingang ein goldener Fisch mit dem Kopf nach unten über dem Pflaster baumelte. Noch etwa 300 Meter, dann würden sie ihr Ziel erreicht haben, das Hotel Goldener Hirsch.

»Meine Herren, weiter im Lied, bevor uns Mama und Tante Heidemarie einholen!«, kommandierte die 16-Jährige. Papa Bartenstein, erster Bariton im Bad Kreuznacher Männergesangsverein, warf sich in Positur, legte allen Schmelz, zu dem er noch fähig war, in seine Stimme. »Ah! Das heiß ich Göttertrank!«

Tochter und Schwager setzten ein. »Vivat Bacchus! Bacchus lebe! Bacchus, der den Wein erfand!« Ihre Schritte stampften im Takt des Liedes über das Pflaster.

»Aigulf, du alter Esel. Bleib stehen! Und hört endlich mit dem Geplärre auf.«

Nicoletta Bartenstein klang plötzlich ganz nahe. Wie hatten die beiden Frauen so schnell aufgeholt? Leonie drehte sich erstaunt um. Mutter und Tante standen unmittelbar hinter ihnen, zeigten grinsend ihre italienischen Designerschuhe, die sie, Leonies Beispiel folgend, ebenfalls ausgezogen hatten.

»Genialer Einfall, Mama! Könnte glatt von mir sein.«

»Wisst ihr was?«, kicherte Gunnar Laudenbrunn lauthals. »Wir sind an einer Schlüsselstelle!« Er deutete nach oben. Sie standen genau unter einem riesigen schwarz-goldenen Schlüssel, der im Schnabel eines Vogels hing, das Zunftzeichen der Schlosserei Wieber. In der nächsten Sekunde prusteten alle fünf gleichzeitig los. Das Gelächter aus hellen und tiefen Stimmen hallte durch die mittelalterliche Gasse. Lachtränen schossen aus geschminkten Augen, zogen kleine silbrige Spuren über von Wangenrouge getönte Backen.

Plötzlich mischt sich in den heiteren Lärm eine weitere Stimme. Ein Schrei. Aus der Ferne. Hoch und schrill. Übertönt das Gelächter, schneidet in die Gehörgänge der Feiernden. Der Schrei klingt nach Verzweiflung. Abrupt halten die fünf inne, wenden sich um. Etwas Schemenhaftes hetzt aus der Dunkelheit auf sie zu, vorbei an den geschlossenen Läden der Geschäfte. Eine helle Gestalt mit langen Haaren. Das spärliche Licht wirft silbrige Fetzen auf den zierlichen Körper, der die Gasse durchpflügt. Es ist eine junge Frau, die heraneilt. Leonie kann nicht glauben, was sie sieht. Die Frau ist nackt, bekleidet nur mit einem Slip. Und sie schreit.

»Er stirbt!«

Die fünf stehen wie gebannt. Kein Lachen mehr. Nur Fassungslosigkeit ob der unerwarteten gespenstischen Erscheinung.

»Bitte helfen Sie!« Die junge Frau bremst abrupt ab. Unwillkürlich weichen die fünf einen Schritt zurück. Das Gesicht der Frau...