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Schneewalzer - Ein Weihnachtskrimi

Birgit Ebbert

 

Verlag Gmeiner-Verlag, 2015

ISBN 9783839247389 , 320 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

Kapitel 2


Saubere, ordentliche und nicht zu moderne Kleidung ist Pflicht.

Kurz vor der Öffnung ihrer Krimibuchhandlung klebte Anja Henke das Suchplakat für Hanna in das Fenster zur Bushaltestelle hin.

»Da sehen es die meisten Leute«, murmelte sie und überflog den Text, der unter der Fotografie stand. »Hanna wurde zuletzt in der Innenstadt gesehen. Sie stand mit einer Geige an der Ecke Hohenzollernstraße und Kampstraße, ganz in der Nähe der Feuerzangenbowle.«

Sie setzte sich an ihren Laptop, ein stationärer Computer hätte zu viel Platz weggenommen in dem kleinen Laden. Irgendwo mussten die Fotos von ihrer Weihnachtsmarkt-Runde sein. Seit ihrem Umzug nach Hagen ging sie an jedem ersten Adventssonntag um 11 Uhr mit ihrer Kamera über den Markt. Dann war er noch nicht so überlaufen und sie konnte in Ruhe alle Stände fotografieren. Vermutlich konnte sie sich mit ihrem Archiv um einen Eintrag ins Buch der Rekorde bewerben. Sicher gab es niemanden, der außer ihr so verrückt war, ein solches Projekt durchzuziehen. Aber sie liebte nun einmal das Fotografieren und den Hagener Weihnachtsmarkt.

Als sie hierher gezogen war, hatte sie gehofft, wie in Oldenburg als selbstständige Fotografin zu arbeiten. Aber in einer neuen Stadt war das schwerer, als sie gedacht hatte. Ihr Mann Oliver besaß als Geschäftsführer einer Stiftung gute Kontakte, aber eines wollte sie ganz gewiss nicht, von den Beziehungen ihres Mannes profitieren. Stattdessen hatte sie nach der Geburt ihrer Tochter Ida, die kurz nach ihrem Umzug auf die Welt gekommen war, eine Online-Buchhandlung für Krimis gegründet.

Eher zufällig hatte sie vor einigen Monaten dieses Ladenlokal entdeckt und sich gleich in den kleinen Pavillon am Ende der Fußgängerzone in Sichtweite des Volksparks verliebt. Hier verkaufte sie nun ihre Krimis und dank der Krimireisen, die sie bereits seit Gründung des Internetshops für Kriminalistisches aller Art anbot, konnte sie mit einer kleinen Stammkundschaft beginnen. Das war hier in Hagen wichtig, wo sich viele trotz der Größe der Stadt kannten.

Ihre Krimireisen würde sie auch neben dem Buchladen weiterführen. Bisher war sie einmal im Jahr mit 15 Krimifans und ihren Kameras losgezogen, um Schauplätze von Kriminalromanen zu erkunden. So waren sie auf den Spuren von Commissario Brunetti durch Venedig gegondelt, hatten sich in London auf die Wege von Sherlock Holmes gemacht und fotografiert, wo Irene Huss in Göteborg ermittelte. Sogar eine Kreuzfahrt auf dem Nil im Gedenken an Hercule Poirot war in einem Jahr zustande gekommen.

Anja räumte die Bücher ein, die die Besucher der Ausstellung am Samstagabend betrachtet und nicht gekauft hatten.

Ihre Fotografien zu »Hagen früher und heute« lagen bereits im Keller. Für eine Dauerausstellung war kein Platz in dem Lädchen; lediglich ein Bildpaar stand im Schaufenster, umgeben von Büchern. Es zeigte das Krematorium in Delstern Mitte des letzten Jahrhunderts und heute. Anja war stolz darauf, dass sie es geschafft hatte, exakt den gleichen Bildausschnitt zu fotografieren wie ihr Kollege vor mehr als einem halben Jahrhundert.

Anja zuckte zusammen, als sie die Klänge des »Kriminaltangos« hörte, die erschollen, wenn die Ladentür geöffnet wurde. Diese Idee hatte Anja von Lena Lensing übernommen, einer Kollegin, die in der Nähe der holländischen Grenze eine Krimibuchhandlung betrieb. Anfangs war die Melodie erklungen, sobald die Tür sich bewegte. Keine gute Idee in einem stürmischen Winter bei einer Tür, die aus den 50er-Jahren stammte.

Anja legte einige Bücher beiseite, um sich der alten Dame zu widmen, die durch die Tür trat.

»Was kann ich für Sie tun?«, erkundigte sich Anja bei der Frau, die so ganz anders aussah als ihre sonstigen Kundinnen. Sie trug einen dunkelgrünen Mantel, der gut und gerne so alt sein mochte wie der Reisepavillon, der 1954 erbaut worden war und unter Denkmalschutz stand. Anja erinnerte der Mantel an die Mode aus den 50er-Jahren. Unter dem Pelzkragen schaute ein gestrickter Schal hervor und auf dem Kopf trug die Frau einen jener Filzhüte, die aussahen, als hätte jemand einen Kochtopf mit Filz bezogen.

»Ich habe das Plakat gesehen«, begann die Frau und setzte vorsichtig mit beiden Händen ihren Hut ab. »Warm ist es hier«, kommentierte sie die Bewegung und sah sich nach einer Fläche um, auf der sie den Hut ablegen konnte.

Ehe Anja ihn der Frau abnehmen konnte, platzierte diese ihre altertümliche Kopfbedeckung neben der Kasse. Zu gerne hätte Anja den Hut angehoben, um zu überprüfen, ob ein Topf unter dem Filz verborgen war. Doch sie hielt sich zurück und fragte: »Haben Sie das Mädchen gesehen?«

Die alte Frau schaute sich suchend um. »Kann ich mich hinsetzen?«, lautete ihre Gegenfrage.

Rasch nahm Anja die Abbildungen einiger Krimicover vom Sitzwürfel, den sie von einem Verlag zur Eröffnung ihrer Buchhandlung bekommen hatte.

Die Frau setzte sich umständlich und mit einem wichtigen Gesicht hin. »Ich kenne das Mädchen«, sagte sie bestimmt, und Anja fragte sich kurz, ob die Frau Lehrerin gewesen war. Sie klang genau wie ihre Grundschullehrerin und sah so ähnlich aus.

»Ich bin jeden Tag in der Stadt, wissen Sie?« Die Frau beugte sich zu Anja vor, die neben dem Sitzwürfel in die Hocke gegangen war.

Anja seufzte innerlich, wenn das in diesem Tempo weiterging, konnte sie den Vormittag vergessen.

»Und ich mache jeden Tag eine Runde über den Weihnachtsmarkt. Ich finde ihn zwar schrecklich, aber da komme ich wenigstens unter Leute.«

Wie schön für dich, dachte Anja, setzte jedoch ein interessiertes Lächeln auf. Ihre Gedanken waren bei der elfjährigen Hanna, die vielleicht irgendwo lag und sich nicht helfen konnte. Wenn das ihre Tochter wäre, würde sie sich über jede Hilfe freuen.

»Und da haben Sie Hanna gesehen?« Anja versuchte, den Bericht der Frau zu beschleunigen.

Erleichtert sah sie, wie die Frau nickte und anhob: »Ja. Jeden Tag. Aber erst am Nachmittag. Vormittags war sie ja in der Schule.« Anscheinend kannte die Frau das verschwundene Mädchen nicht nur vom Sehen.

»Ich habe sie gefragt, warum sie in der Kälte steht und Geige spielt«, fuhr die Frau fort und öffnete die Knöpfe ihres Mantels. Darunter kamen ein bordeauxfarbener Pullover mit Rüschen über der Brust und ein dunkelgrüner Rock zum Vorschein. Auf jeden Fall war die Frau in dem Alter, in dem Frauen selten Hosen trugen.

Anja ging in Gedanken die Frauen in ihrem Umfeld durch. Selbst ihre Mutter und ihre Schwiegermutter trugen Hosen. Vor allem bei der Kälte, die sie in diesem Winter gefangen hielt.

»Wissen Sie?«

Anja staunte darüber, wie gut die Frau Kunstpausen beherrschte, und war sich nun sicher, dass sie früher Lehrerin war. Diese rhetorischen Fragen klangen danach.

»Die Kleine hat immer den ›Schneewalzer‹ gespielt.« Die Frau lehnte sich zurück und starrte an die Decke. Dabei lächelte sie und wiegte sich im Walzertakt, als sähe sie sich selbst im Tanz. »Mein Lieblingslied. Darauf haben wir bei unserer Hochzeit getanzt, mein Egon, Gott hab ihn selig, und ich.«

Anja spürte, wie ihre Geduld langsam schwand. Zum Glück fand die Frau von allein zurück aus ihrer Erinnerung.

»Sie stand immer an der Ecke, wo die Kampstraße in den Friedrich-Ebert-Platz mündet. Bei dem kleinen Schmuckladen, in der Nähe des Blumengeschäfts.«

Anja erhob sich enttäuscht. Sie streckte ihre Beine aus und schüttelte sie. Dieser ganze Zinnober für eine Information, die nicht neu war. Wenn sie weiter solche Gespräche führte, würde das Weihnachtsgeschäft darunter leiden.

»Vielen Dank, das ist wirklich eine wichtige Information. Haben Sie das schon der Polizei gesagt?« Anja gab sich viel Mühe, ihre Enttäuschung zu verbergen und war froh, als der »Kriminaltango« neue Kunden ankündigte, die hoffentlich etwas kauften. »Guten Tag, kann ich Ihnen helfen?«, wandte sie sich an ein Paar, das den Laden betrat. Eine hochgewachsene Mittfünfzigerin im langen Nerzmantel und ein kleinerer Mann, der mit seiner beschlagenen Brille kämpfte.

»Wir suchen Weihnachtsgeschenke«, erklärte die Frau und sorgte dafür, dass Anjas Stimmungsbarometer in die Höhe schnellte. Weihnachtsgeschenke, das war eindeutig Plural und bedeutete einen größeren Umsatz.

»Haben Sie bestimmte Vorstellungen?«, erkundigte Anja sich und nahm erfreut den Zettel zur Kenntnis, den die Frau aus der Tasche mit dem auffälligen Markenlabel holte.

»Wir verreisen in diesem Jahr und müssen alle Geschenke verschicken«, leitete die Frau ihren Wunsch ein.

»Da sind Bücher ja bestens geeignet«, stimmte Anja ihr zu und war ihrem Chef in Oldenburg dankbar, dass er sie nach der Fotografen-Ausbildung auf einen Verkaufslehrgang geschickt hatte. Sie hörte den Trainer noch: ›Loben Sie Ihre Kunden. Positiv gestimmt kaufen sie mehr. Schaffen Sie eine gemeinsame Basis.‹

»Wir dachten, wir schenken unseren Freunden Krimis, die in ihrem Wohnort oder in ihrer Heimatstadt spielen.« Die Frau reichte Anja mit wohlmanikürten Händen den Zettel. Da standen mindestens 15 Namen mit Orten versehen, in denen die Krimis spielen sollten. Bereits beim Überfliegen der Liste war klar, dass sie von Sylt bis Garmisch-Partenkirchen für jeden das Passende hatte und selbst für jenen Paul Kollenkamp, der derzeit in Paris lebte, hatte sie einen Geheimtipp: Nestor Burma, der im Auftrag von Leo Malet im Paris der 30er- und 40er-Jahre ermittelte.

»Möchten Sie die Krimis sofort mitnehmen oder soll ich Sie Ihnen...