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Stille Nacht, grausige Nacht - Ein frostiger Winterthriller

Friederike Schmöe

 

Verlag Gmeiner-Verlag, 2015

ISBN 9783839248669 , 245 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

2. Kapitel


Ron Faber. Der Stern am Himmel einer großen deutschen Volkspartei. Einer, dem man bisher nicht ans Bein pinkeln konnte. Er hat alles richtig gemacht: keine plagiierte Doktorarbeit im Lebenslauf, im Gegenteil, gar nicht promoviert. Ein Hüne mit blondem Haar, einer ebenso blonden Frau und drei blonden Kindern. Na ja, der Kleinste hat einen rötlichen Einschlag. Die Familie würde dem Merian-Schweden-Heft auf der Titelseite alle Ehre machen. Individuelle Freiheit im Internet, das ist momentan ein Thema, und Faber hat es zu seinem gemacht, mit markigen Worten, gegen den Willen von ein paar wichtigen Nasen in seiner Partei. Schließlich vor einem knappen Jahr der Sturz: Ron Faber hat Kinderpornos auf seinem Dienstrechner in seinem Leipziger Büro. Landtagsmandat: futsch. Karriere: im Eimer. Individuelle Freiheit: in Gefahr. Familie: zerrüttet. Im vergangenen Herbst wurde ihm der Prozess gemacht.

Ron Faber redete sich von Anfang an raus. Gab sich auf Pressekonferenzen als tapferer Soldat Schweijk: Er hat damit nichts zu tun! Jemand will ihm Übles! Die Politik ist ein Vipernnest, leuchtet doch ein! So ein Dienstrechner ist manipulierbar, oder? Steht der nicht oft genug unbeobachtet im Büro, und jeder, der vorbeigeht, kann ran?

Der Volvotyp und ich, wir sitzen in einem McCafé irgendwo in der Pampa. Weihnachtslieder blubbern aus Lautsprechern. Um uns versinkt Thüringen in Dunkelheit. Der 23.12. geht zu Ende. Wenige Kilometer weiter liegt die Autobahn unter Blech und Schnee in tiefer Stille. Ich bin heilfroh, von dort weg zu sein. Dann franze ich mich nachher eben durch die Bergstraßen nach Süden. Das habe ich schon öfter gemacht, immerhin ist die Strecke stauanfällig, zu allen Jahreszeiten, vor allem wegen der vielen Baustellen, zu Ferienzeiten insbesondere, und daher gibt es keine Ausfahrt an der A9, die ich nicht irgendwann zwangsweise ausprobiert habe. Und auf meinen Vater muss ich im Alter von 29 ja wohl nicht mehr hören. Vor lauter Erleichterung über die gelungene Flucht via Standspur erzähle ich dem Volvotypen alles über meine letzte Story.

Der wiegt den Kopf. »Ich habe einiges in der Presse über Ron Faber gelesen. Ich meine, das hat die Runde gemacht, aber hallo! Zumal er sich echt gewieft aus der Affäre gezogen hat. Glauben Sie an den Fensterputzer?«

Ich blicke auf seine Hände. Kein Ring.

»Faber machte geltend, dass er zu den Zeiten, als die Downloads stattfanden, gar nicht in seinem Dienstzimmer war. Mehrmals befand er sich auf einer Sitzung und wurde dort auch gesehen. Das konnte er beweisen. Somit wirkt es plausibel, dass ein anderer sich an dem Rechner zu schaffen gemacht hat. Gemacht haben könnte

»Schlechtes Alibi. Man kann einen Rechner so programmieren, dass er zu einer bestimmten Zeit Dateien runterlädt.«

»Aber ihm konnte nichts dergleichen nachgewiesen werden, und die haben seinen PC auf Herz und Nieren durchgecheckt.« Es ist müßig, sämtliche Details über Kreditkartenabrechnungen, Logprotokolle, Suchstichworte, die von Fabers Rechner ausgingen, und all den anderen Kram zu beschreiben. »Er ist davongekommen. Ein anderer musste sich vor Gericht verantworten.«

»Ein Fensterputzer! Da lache ich ja.«

»Sieht vorgeschoben aus, gebe ich zu. Glauben Sie mir, ich habe sämtliche Akten, Papiere, Gerüchte daraufhin überprüft, ob es auch nur den kleinsten Hinweis gibt, dass eine politische Intrige im Gange ist. Da war nichts. Aber Faber ist hiermit sowieso ausrangiert. Seine Politikerkarriere kann er vergessen.«

»Tut Ihnen das leid?« Der Volvotyp sieht mich an, den Kopf schief gelegt.

Ich muss lächeln, schaue schnell weg; zurzeit lächle ich nicht oft, wenn ein Mann in der Nähe ist. Der letzte, der mich zum Lächeln brachte, hieß Joker alias Gregor, und das Lächeln hielt nicht lange an. Ich gucke auf den angebissenen Donut auf meinem Teller. Auf die Kerze, die auf dem Tischchen brennt. »Nein. Tut es nicht. Faber ist tot.«

»Was?« Er fährt sich durchs Haar, das nun feucht ist vom geschmolzenen Schnee. Und eindeutig zu lang.

»Haben Sie das nicht mitgekriegt? Es ging durch alle Medien. Vor gut zwei Wochen! Er wurde umgebracht. In seiner eigenen Villa. Von seinem Parteifreund Eriksen. Der hat sich danach selbst gerichtet. Außerdem hat es Fabers Schwester erwischt und eine Kellnerin. Vier Tote!«

Mein Gesprächspartner schüttelt den Kopf. »Ein richtiges Blutbad! Wahnsinn. Ich habe echt nichts davon gehört. Ich bin vor genau drei Wochen nach Finnland zu einem Lehrgang geflogen.«

»Lehrgang? In … wo?«

»Ich will hier was aufziehen. Schlittenhunde für die Ferien. Im Thüringer Wald. Vielleicht gehe ich sogar in die Beskiden, nach Polen oder so …«

»Verstehe.« Deswegen sein athletischer Körperbau, die Muskeln, die sich unter seinem Langarmshirt abzeichnen. Selbstverständlich einem Multifunktionslangarmshirt.

»Ich bin eigentlich Sportlehrer. Englisch und Sport. Aber der Schulalltag hat mich geschafft. Deswegen bin ich ausgestiegen. Habe echt keine Lust mehr, die Schüler zu irgendwas zu zwingen; der Mensch ist frei geboren, oder? In den Weihnachtsferien, also ab übermorgen, gebe ich Skiunterricht in Oberhof. Deswegen wäre ich gern allmählich daheim – nur mal so zum Abhängen!«

Also auch einer, der das Handtuch geworfen hat!

»Ich habe den Fall Faber weitergereicht.« Ich sage das, weil es nicht mehr drauf ankommt. Ich kann ganz entspannt darüber reden. Außerdem werde ich diesen zugegeben gut aussehenden Mann nie mehr wiedersehen. Schade eigentlich. »Ich kam damit nicht zurecht. Es war mir zu viel. All die Akten und Unterlagen, tausend kleine Detailinformationen und danach diese grausige Hinrichtung – dafür reichte mein Ehrgeiz nicht mehr.« Meinem Vater habe ich es anders erklärt. Und Lusya wieder anders. Lusya hatte Verständnis. Ich war eben in den seit Jahren schmutzigsten Politskandal der Bundesrepublik geraten und suchte den Notausgang. Außerdem war ich krank. Diese Magen-Darm-Geschichte hat mich ausgeknockt.

»Ist dieser Parteifreund einfach so bei dem Politiker reinmarschiert und hat um sich geschossen?«

»Es ist auf einer Party passiert.« Ich massiere mir die Schläfen. Noch ein Kaffee und es zerreißt meine Hirnwindungen. »Faber hat kurz nach dem Freispruch eine Party geschmissen, um seine Rehabilitation als ehrbarer Bürger zu feiern. Sein Parteikollege kam mit Pistole und …« Ich schüttle den Kopf. Allein die Vorstellung, wie ein Mensch um sich schießt und Leute mit sich in den Tod reißt, die nichts mit der Sache zu tun haben, bringt mich um den Verstand. Ich drehe meine Tasse in den Händen hin und her.

Überhaupt habe ich diese Festivität nicht in bester Erinnerung.

Was werde ich als Nächstes tun? Bloggen – übers Kochen oder Mode oder Musik? Werden nicht alle wichtigen Medien und Magazine längst wissen, dass ich, Trisha Seling, ausgestiegen bin, eine Story hingeschmissen habe? Werden sie mich noch haben wollen? Besteht nicht immer die Gefahr, dass eine labile Figur wie ich aufs Neue klein beigibt? Für mich war all die Jahre, in denen ich unbedingt Journalistin werden wollte, die Politik das interessanteste Objekt. Kommilitonen, die in ihrer Freizeit Theaterkritiken zu Papier brachten, wurden freundlich grinsend verachtet. Soll ich selbst jetzt zur Kultur wechseln?

»Wie kann ein Politiker wie dieser Eriksen nur so durchdrehen?«, frage ich. Dieselbe Frage, die mich seit dem 4. Dezember beschäftigt. »Was hat ihn dazu getrieben? Die Medien sprechen über nichts anderes mehr, zusätzlich zu Terror und Kriegen und Lügen, die den Erdball wie ein Netz umspannen. Leblosigkeiten, das alles. Inszenierungen, auf die wir alle reinfallen. Wie auf Weihnachten. Irgendwie. Wahrheit oder Lüge – alles ist beides zugleich.«

Er nickt. »Wissen Sie, das werden Sie vielleicht nicht gern hören: Ich habe in den vergangenen drei Wochen kaum Nachrichten geschaut. Ab und zu die Worldnews auf CNN. Das war’s. Ansonsten nur Natur. Schnee, Schlitten, Huskys. Polarlicht. Dabei wird man seelisch richtig aufgebaut.«

Für Sekunden lächeln wir uns an.

»Tja. Ich muss los.« Er steht auf, greift nach seinem Parka. Streckt mir die Hand hin. »Verraten Sie mir Ihren Namen? Wenn ich mal was von Ihnen lese …« Die Worte wirbeln durch die Luft.

Die Vorstellung, dass jemand liest, was ich geschrieben habe, möbelt mich auf. Der Traum: sichtbar sein, gehört werden, einen Beitrag leisten.

Du willst gelesen werden?, hat Lusya mich vor Jahren angefahren. Dann schreib!

Klar. Für Lusya ist das Schreiben die einzige Möglichkeit gewesen, um wegzukommen von dort, wo sie nicht mehr sein wollte. Hatte sie mir mal erzählt. Diese Information über ihr Leben gehört zu den wenigen, die sie mir zugestand.

»Trisha Seling.«

»Ich bin Lars Hampstedt. Just in case.« Er kramt eine Visitenkarte aus der Tasche seines Parkas. Ich drehe sie hin und her. Sie ist ziemlich zerknautscht.

Ich will eben meine Karte aus der Handtasche ziehen, da ist er schon weg, mit einem fröhlichen Winken. Aus meinem Leben raus. Oder nie drin gewesen. Ich betrachte die zerknitterte Karte. Lars Hampstedt. Ski- und Snowboardunterricht. Schlittenhundexkursionen. In der linken unteren Ecke ist ein Husky zu sehen. Er sieht fast aus wie ein Wolf.

Seufzend schnappe ich mir mein Handy und rufe Lusya an.

»Ich bin raus aus dem Stau.«

»Oh! Warst du in dem Superstau?« Sie klingt gehetzt.

»Kannst...