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Historische Hochspannung - Bernhard Wucherer

Bernhard Wucherer

 

Verlag Gmeiner-Verlag, 2015

ISBN 9783734993404 , 2876 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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14,99 EUR


 

Kapitel 1


»Du Schweinepriester hast mich doch nicht auf einen Humpen Bier eingeladen, weil ich so ein netter Kerl bin«, lachte der vergantete Medicus und stieß mit dem großzügigen Spender an. Wie alle Staufner wusste auch Heinrich Schwartz, dass der Ortsvorsteher Ruland Berging geizig und nicht der Typ war, etwas ohne Hintergedanken zu tun. Aber dies war dem Arzt egal; Hauptsache, er hatte etwas zu saufen und, noch wichtiger, es kostete ihn keinen Heller.

»Natürlich nicht, mein Freund«, bestätigte der bärtige Geselle, der ihm im Wirtshaus ›Zur Krone‹ an einem kleinen Tisch gegenübersaß, an den sich ehrbare Männer nur setzen würden, wenn sie durch die Folter desjenigen, für den dieses Tischlein reserviert war, dazu gezwungen würden. Dass der Ortsvorsteher Ruland Berging ausgerechnet den Henkerstisch ausgewählt hatte, war – wie alles, was er tat – kein Zufall. Abgesehen davon, dass die beiden am Stammtisch ohnehin nicht gelitten waren, hatte dieser kleine herunterklappbare Tisch den Vorteil, dass er allseits gemieden wurde, weswegen er – so voll das beliebte Wirtshaus auch sein mochte – immer frei war. Zudem konnte man sich dort ungestört unterhalten.

Ruland Bergings Blicke suchten die des Arztes zu durchdringen, was durch den wässrigen Schleier in dessen Augen nur schwerlich gelang.

»Wir beide haben schließlich etwas zu feiern. Du deine bevorstehende Ernennung zum Dorfmedicus und ich …«, bevor er weitersprach, grinste er vielsagend, »meine baldige Absetzung als Ortsvorsteher!«

»Was feiern wir? Meine Ernennung?« Der Medicus lachte hämisch und schüttelte ungläubig den Kopf. »Und deine Absetzung? … Ich verstehe nicht«, wunderte er sich. »Was gibt’s denn da zu feiern, wenn man rausgeschmissen wird? Du hast das Amt des Ortsvorstehers doch erst seit ein paar Wochen inne. Und was mich angeht, so mag ich zwar ein ortsbekannter Säufer sein, bin aber immer noch ein Doctori Medizinale, auch wenn ich momentan nicht offiziell bestallt bin und nichts in Aussicht ist.« Als er dies sagte, senkte er verschämt den Blick. Offensichtlich schien es ihm doch etwas unangenehm zu sein. Aber er fasste sich schnell wieder und blaffte sein Gegenüber an: »Von was für einer Ernennung sprichst du also?«

»Ich erkläre dir alles später«, blockte der unbeliebte Ortsvorsteher ab und hob seinen Becher zum Anstoßen. »Allseitige Gesundheit!«, rief er, obwohl er es nicht so meinte. Da dies der Medicus nicht wissen konnte, nuschelte er ebenfalls ein »Xundheit« und leerte den Becher in einem Zug.

Nach einer Pause sagte Ruland Berging trocken: »Ich habe große Pläne mit dir. Es gibt bald viel zu verdienen.«

»Wie viel?«, wollte Heinrich Schwartz, dessen Augen bei diesen Zauberworten sofort zu glänzen begannen, wissen.

»Gemach, gemach«, bremste der Ortsvorsteher den neugierig gewordenen Medicus und begann, sein Netz auszuwerfen. »So wie ich die Sache sehe, haben wir beide unrühmliche Vergangenheiten. Stimmt’s?«

»Was geht dich meine Vergangenheit an? Immerhin bin ich ein ordentlicher Arzt, der sicherlich bald wieder offiziell bestallt werden wird, und kein Ortsvorsteher, den man hinausschmeißt«, lästerte der versoffene Medicus hämisch.

»Ja, du bist Arzt. Aber ordentlich? Na ja! Jedenfalls hast du keine Arbeit. Mach hier also keinen auf fein«, rügte der Ortsvorsteher sein Gegenüber und fuhr fort: »Deswegen weiß ich noch nicht, ob ich dir auch vertrauen kann. Bevor ich dies tun werde, muss ich mehr von dir erfahren.«

»Machst du Witze? Du willst mehr von mir erfahren, bevor du mir vertraust? Und ich? Was weiß denn ich von dir? Kann ich dir überhaupt vertrauen?«, konterte der arbeitslose Arzt und leerte in seinem Zorn den nächsten Becher in einem Zug.

Es folgte ein Moment des Schweigens. Die frostige Stimmung nutzte Ruland Berging, um zu überlegen, wie er den Medicus dazu bringen konnte, ihm blind zu vertrauen und ihn als Komplizen zu gewinnen. Deswegen schlug er eine andere Taktik ein als geplant. »Du hast recht, Heinrich. Da wir beide zu wenig voneinander wissen und ich – wie gesagt – Großes mit dir plane, schlage ich vor, dass wir uns gegenseitig in aller Offenheit unser bisheriges Leben erzählen.«

»Aber nur in Kurzform!«, schlug der Medicus, der lieber soff als redete, vor.

»Gut! Wer fängt an? Sollen wir toppeln?«

»Quatsch. Ich habe heute keine Lust auf ein Würfelspiel. Wenn meine Stimmbänder nicht so trocken wären, würde ich dir aus freien Stücken von mir erzählen«, beendete der schräge Vogel den Disput.

Er konnte es nicht erwarten, von Ruland Berging mehr darüber zu erfahren, wie er an Geld kommen konnte.

»Matheiß! Bringst du uns noch zwei Humpen?«, rief der Ortsvorsteher so laut durch die beiden Gaststuben zum Wirt in den Schankraum, dass sich ihm alle Köpfe entgegenreckten. »Ich warte!«, drängte er den Medicus, nachdem die Schankmagd das Bier gebracht und sie ihren Stimmbändern hinreichend Flüssigkeit zugeführt hatten.

»Also gut«, sagte der dreiundvierzigjährige Arzt und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum vom Mund, bevor er zu erzählen begann.

Obwohl er ein paar schwarze Flecken in seiner biografischen Landkarte weggelassen hatte, war es für den Ortsvorsteher hochinteressant gewesen. Genau so habe ich mir das vorgestellt. Dich krieg’ ich, dachte er und hob abermals den Becher zum Anstoßen.

Auch sein Gegenüber nahm wieder einen großen Schluck, rülpste und sagte: »Jetzt bist du dran!«

Da Ruland Berging über die Offenheit des Arztes erstaunt war, wollte er sich jetzt auch nicht lumpen lassen und begann ebenfalls zu erzählen: »An meine Kindheit kann ich mich nur noch schwach erinnern. Eines dieser armen Bergdörfer … und meine Mutter ständig mit einem anderen Balg auf dem Arm.« Er verdrehte die Augen. »Ich weiß noch, wie sie mich entgeistert angesehen hat, als ich so ein kleines Bündel auf den Boden geworfen habe. Danach hat sie mich nicht mehr zu Hause behalten wollen. Wie ich die Sache noch im Kopf habe, waren Vater und Mutter mit meiner Erziehung überfordert.« Er lachte trocken und gehässig auf.

»Ich muss so um die sechs Jahre alt gewesen sein, als mein Vater immer wieder gesagt hat, ein Esser weniger würde meinen Geschwistern helfen zu überleben. Jedenfalls haben sie mich irgendwann zu den Franziskanern nach Lenzfried gebracht und …«

»Zu den Pfaffen?«, fiel ihm der Medicus ins Wort.

»Nicht zu den Pfaffen, du gottloser Säufer. Zu den Patres des 1210 durch Franz von Assisi gegründeten Bettelordens – das ist ein Unterschied!«, belehrte Berging den Medicus und erzählte unbeirrt weiter: »Die Franziskaner sind in dieser Allgäuer Gemeinde auch heute noch eine richtige Bastion. Nachdem meine Eltern mich dorthin gebracht hatten, war dem Feigling von einem gottverdammten Vater nichts anderes eingefallen, als mich wie ein Stück Vieh direkt neben der Klosterpforte anzubinden. Von da an habe ich ihn und meine Mutter nie mehr gesehen.« Als er dies erzählte, stieg Wut in ihm hoch, und seine Hände verkrampften sich zu Fäusten. »Irgendwann ist ein Pater gekommen, hat mich losgebunden, mich mit
hineingenommen und mir etwas zu essen gegeben.«

»Und dann?«, wollte sein interessierter Zuhörer wissen.

»Dann haben sie mich nach den Regeln des heiligen Franziskus aufgezogen.«

»Was nichts genützt hat«, lästerte der Medicus.

»Aber ich habe Lesen und Schreiben gelernt. Sie haben mich sogar zum Bibliothekar ausgebildet.« Ruland Bering musste lachen. »Es ist ihnen aber nicht gelungen, einen dieser schleimigen Glaubensbrüder aus mir zu machen.«

»Wenn du kein Franziskanerpater werden wolltest, haben sie dich dann nicht rausgeworfen?«

»Irgendwann schon: Als ich zum Mann herangereift war, wollte auch der Leiter des Klosters nichts mehr mit mir zu tun haben.« Ruland Berging versuchte, die sanfte Stimme des Guardians nachzuäffen: »Mein Sohn, du hast dich trotz deines Lebens hinter Klostermauern nicht wunschgemäß entwickelt. Wir haben kläglich versagt.«

»War das alles?«, fragte der Medicus.

»Natürlich nicht. Er hat mir zu Ehren sogar mehrere Messen lesen lassen, bevor er mich weggeschickt hat. Wenigstens haben mich ein paar dieser sauberen Brüder nach Ravensburg gefahren, wo ich aufgrund guter Beziehungen des Klosterleiters zum dortigen Oberamtmann Arbeit in der gräflichen Kanzlei bekommen habe.« Aus Sicherheitsgründen verschwieg er, dass es nicht Ravensburg, sondern das Oberamt im nahe gelegenen Immenstadt war.

Als der Ortsvorsteher eine Pause machte, um zu trinken, fragte der Medicus, wie es weitergegangen war.

»Na ja, ich habe meine Arbeit gemacht und zwischendurch …«, Berging räusperte sich, »etwas Geld dazuverdient. Dass dies dem Oberamtmann über kurz oder lang nicht gefallen hat, war klar.«

»Was? Du hast geklaut und dich dabei erwischen lassen?«, mutmaßte der Medicus.

»Ja!«, antwortete Ruland Berging, der über den Arzt auch so einiges erfahren hatte, ehrlich. »Aber das beste Geschäft habe ich mit dem Fälschen von Urkunden und anderen Schriftstücken gemacht«, gab der ehemalige Bibliothekar zu. »Ich war verdammt geschickt, und es war nur Zufall, dass sie mir auf die Schliche gekommen sind. So habe ich nicht nur meine dortige Arbeit verloren, sondern wäre auch um ein Haar in den Kerker gewandert. Natürlich haben sie mich nicht erwischt. Als ich gemerkt habe, dass man mich...