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Der Feldzug der Rache - Historischer Roman

J. Michael Schumacher, Peter Hein

 

Verlag Bergischer Verlag, 2015

ISBN 9783943886917 , 648 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz DRM

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11,99 EUR


 

2. Buch


In Köln, 14. November 1226

Noch immer hatte der Verurteilte keinen einzigen Laut von sich gegeben. Stattdessen johlte die Menschenmenge umso lauter, je näher sie der Hinrichtungsstätte kam. Längst hatte der rumpelnde Karren mit dem in Ketten gelegten Delinquenten darauf das Severinstor mit der trutzigen Vorburg passiert und hielt nun auf den Judenbüchel zu. Seit Jahrhunderten wurde der alte jüdische Friedhof auch als Hinrichtungsstätte genutzt. Die ins Jenseits beförderten Verurteilten hier, sozusagen in ungeweihter Erde, zu verscharren, sollte als zusätzliche Abschreckung dienen. Doch hatte diese gängige Praxis längst ihren Schrecken verloren, denn wer hier hingerichtet wurde, hatte meist nicht genug Mittel, um sich überhaupt ein Begräbnis leisten zu können. Für diese ärmsten unter den gerichteten Verbrechern stellte der Judenbüchel gewissermaßen ihre letzte Zufluchtsstätte dar. Und das war besser als nichts. Der Verurteilte auf dem Karren hätte sich ein Begräbnis leisten können, sogar ein deutlich besseres als alle anderen, die man hier jemals abgeurteilt hatte und wohl auch in Zukunft aburteilen würde. Zumindest hatte er das einmal gekonnt, als er noch als Graf mit Frau und Kindern auf seiner als uneinnehmbar geltenden Burg oberhalb der Ruhr gethront hatte. Gut, die Frau hatte einen Buckel gehabt, aber sie war einer der mächtigsten Familien des deutschen Adels entsprungen. Das hatte vieles wettgemacht. Aber auch damit war es nun vorbei. Wahrscheinlich wünschte er sich jetzt, er könnte noch einmal mit ihr das eheliche Lager in der zugigen Kemenate teilen. Aber daraus würde nichts werden, denn stattdessen hatte der einstige Graf nun eine Verabredung mit dem Henker. Doch statt zu wimmern oder um Gnade zu flehen, wie viele es taten, wenn sie einmal der Richtstätte ansichtig wurden, blieb der in Ketten gelegte Edelmann die Ruhe selbst. Und wieder fragte sich der unter seiner Kapuze unsichtbare Beobachter im Hintergrund, ob hier der wahre Mörder – denn um einen solchen sollte es sich handeln – seiner Hinrichtung entgegensah. Er fragte sich das auch noch, als das mit Blei überzogene Rad auf und ab sprang und begann, die Knochen des Verurteilten zu zermalmen. Der jedoch ließ noch immer keinen Schmerzenslaut über seine Lippen kommen.

In Norditalien, Frühjahr 1226

Mit schweren, schlurfenden Schritten schleppte sich eine letzte Pilgerschar an diesem Tag den windigen Gebirgspass hinauf, der den Übergang von der Alpennordseite ins südlich gelegene Italien ermöglichte. Da die Sonne schon tief hinter den westlichen Gipfeln stand, ebbte der Strom der Reisenden, die sich den ganzen Tag über zu Fuß, mit Eseln oder Saumpferden ihren Weg über die bereits arg zerfallene, uralte Straße bahnten, langsam ab. Die sechs Gestalten, die sich zum Schutz gegen den jetzt am Abend auffrischenden Wind in dunkle Umhänge gehüllt hatten, waren mit deutlich besseren Reittieren ausgerüstet, führten diese aber zumeist am Zügel, weil der Weg zu beschwerlich war, um im Sattel zu bleiben. Auch ohne Reiter hatten die Pferde reichlich Mühe, den starken Anstieg zu bewältigen und auf dem schmalen, steinigen Pfad Halt zu finden, der sich in Serpentinen den Berg hinaufwand. Früher hatte hier eine gut befestigte Römerstraße einen festen Tritt ermöglicht, doch unzählige, einst sauber verlegte Pflastersteine hatten sich über die Jahrhunderte unter den steten Schritten Abertausender von Pilgern, Händlern und Soldaten gelöst und waren talwärts gerollt. Nur an einigen wenigen Stellen vermittelten teilweise erhaltene Straßenabschnitte noch einen vagen Eindruck vom einstigen Glanz der Via Imperii, über die die Römer ihre Legionen nach Norden entsandt hatten. Mensch und Tier keuchten vor Anstrengung. Die wenigen Wortfetzen, die sich die Pilger zuwarfen, wurden vom böigen Wind hinfortgeweht, der immer eisiger wurde, obwohl es bereits Mitte April war. Ihr Anführer, Thomas Grimbergen, seit seinem Aufstieg in den Ritterstand auch Thomas von Leichlingen genannt, erinnerte sich an eine frühere Alpenüberquerung, zog seinen Umhang enger und war insgeheim froh, den Weg nicht im Winter angetreten zu haben. Kleine Kreuze am Rande des Pfades deuteten darauf hin, dass viele Menschen den Versuch mit dem Leben bezahlt hatten, auch wenn sie sich für den niedrigsten und vermeintlich einfachsten aller Alpenpässe entschieden hatten.

„Wie weit ist es denn noch zur Passhöhe? Mir friert gleich der Arsch ab!“, keuchte ein hünenhafter Kerl, der sich von einem unermüdlich ackernden Ungetüm von Hund, den er mit der Linken an einer langen Leine führte, schon seit geraumer Zeit den Berg hinaufziehen ließ. Thomas musste schmunzeln. „Wenn du Wulfila nicht die ganze Arbeit machen ließest, wäre es dir sicher ein wenig wärmer ums Herz“, kam es ihm über die vor Kälte steifen Lippen. „Aber wenn ich mich nicht täusche, sind wir gleich oben, dann wird uns ein nach Süden verlaufendes Hochtal auch vor dem eisigen Wind schützen. Das zumindest sagte der Zöllner an der Innbrücke!“ Gerhardt, der Hundeführer, verzog das Gesicht. „Mein Herz ist warm genug und schlägt mir bis zum Hals“, brummte er, „der Arsch und der Rücken könnten etwas Wärmendes vertragen, vielleicht einen Becher erhitzten Würzwein oder das warme Bett einer drallen Magd!“ Dabei schnalzte er mit der Zunge. „Wann und wo gedenkt Ihr eigentlich unser Lager aufzuschlagen, junger Herr, oder wollt Ihr uns die ganze Nacht lang so weiterschinden?“ Thomas spürte förmlich, dass diese Frage auch die anderen Männer hinter ihm interessierte. „Ich denke auch, dass es nicht gut wäre, die Passhöhe in der Dunkelheit zu nehmen“, mischte sich sein Freund William von Gloucester ein, den Thomas einst als Tempelritter kennen und schätzen gelernt hatte, „es sei denn, du möchtest unerkannt bleiben!“ Dabei hielt er sein Pferd an und stieg wieder auf. Eigentlich hatten sie in dem Marktflecken an der Innbrücke übernachten wollen, Innsprucke genannt. Aber die Zöllner dort hatten ihnen berichtet, dass ein regelrechtes Heer aus dem Norden im Anmarsch war. Der junge deutsche König Heinrich war in Begleitung zahlreicher Fürsten und Ritter auf dem Weg nach Italien, um sich auf dem zu Pfingsten in Cremona angesetzten Reichstag mit seinem Vater, dem Stauferkaiser Friedrich, zu treffen – und um ihm frische Truppen zuzuführen, mit denen dieser die aufständischen Städte der Lombardei in die Schranken zu weisen gedachte. Diesem königlichen Tross wollte Thomas unter keinen Umständen begegnen. Noch zu gut hatte er den Überfall des Grafen von der Mark auf sein Gut in Erinnerung. Sein Name stand auf einer Liste etwaiger Verräter, die mit der Ermordung des Erzbischofs von Köln in Verbindung gebracht wurden. Und der war für den jungen König Heinrich eine Art Ziehvater gewesen. Nein, dem wollte er nicht über den Weg laufen. Nicht bevor er selbst Licht in das Dunkel um die Mordtat gebracht hatte. Und dafür musste er so schnell wie möglich nach Rom. Denn dort vermutete er den wahren Mörder des Erzbischofs, zumindest galt er als solcher, und den vermutlich einzigen Mann, der ihn entlasten konnte – Friedrich von Isenberg. Den ganzen Winter über hatten sie sich an dessen Fersen geheftet, doch immer, wenn sie glaubten, ihm endlich nahe zu sein, hatten sie feststellen müssen, dass dieser bereits weitergezogen war. So auf der Burg des Grafen Otto von Tecklenburg, der dem Isenberger über Wochen Schutz geboten hatte. „Packt euch, ihr Hundsfotte!“, hatte der streitbare westfälische Landesfürst ihnen von seiner Mauer herab zugerufen, „der Isenberger hat nichts Unrechtes getan. Außerdem ist er ohnehin längst über alle Berge!“ Darauf hatte er vieldeutig gelacht und einen gewaltigen Speichelpfropf zu ihnen herab gespuckt, verbunden mit allerlei Verwünschungen. Bei der Erwähnung der Berge war Thomas eingefallen, dass man ihm schon vorher angedeutet hatte, Friedrich von Isenberg müsse sich früher oder später nach Rom begeben, wenn sein Leben noch etwas wert sein solle. Das ergab immer mehr Sinn. Der neue Erzbischof von Köln hatte die unfassbare Summe von zweitausend Mark Silber auf seinen Kopf ausgesetzt. König Heinrich hatte ihn geächtet, sein Vermögen eingezogen, seine Frau zur Witwe und seine Kinder zu Waisen erklärt. Darauf hatte Graf Adolf von der Mark, Vetter und Nachbar des Isenbergers, dessen Burgen geschleift und sich die vakanten Ländereien einverleibt. Nicht viel besser war es den Brüdern des Isenbergers ergangen, den Bischöfen von Münster und Osnabrück. Der päpstliche Legat hatte sie ihrer Ämter und Pfründe enthoben, ihnen aber die Gelegenheit gegeben, sich auf einem eigens anberaumten Konzil in Lüttich zu rechtfertigen. Dort aber hatten sich keine Männer von Rang, weder geistliche noch weltliche, gefunden, um für sie zu bürgen, wie es Brauch war – und notwendig gewesen wäre, um sich von der schweren Anklage der Mittäterschaft an einem Mord freizusprechen. Als Thomas und seine Männer nach einem Eilmarsch, abgehetzt und doch verspätet, in Lüttich eintrafen, hatten sie von den sich bereits zerstreuenden Klerikern erfahren, dass sich die Isenberger allesamt tatsächlich auf den Weg nach Rom gemacht hatten – ihrer letzten Chance auf Absolution entgegen. Und dieser Weg führte über die Alpen.

„Hier oben soll es ein Dorf geben, Mittenwald genannt“, ließ Thomas seine Männer wissen, „da sollten wir unterkommen können, entweder in einer Gaststube oder auf einem der Höfe. Gegen gutes Silber sollte es dort auch etwas zwischen die Zähne und einen guten Trunk geben!“ Dabei glaubte er das leise Klimpern der Münzen in seinem Beutel zu vernehmen, den er unter seinem Wams versteckt hielt, und er rief sich weitere Geschehnisse der letzten Wochen in Erinnerung....