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Perry Rhodan 2822: Hinter der Zehrzone - Perry Rhodan-Zyklus 'Die Jenzeitigen Lande'

Michael Marcus Thurner

 

Verlag Perry Rhodan digital, 2015

ISBN 9783845328218 , 64 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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1,99 EUR


 

2.


Vogel Ziellos

 

Ich erwache von meinem eigenen Schnabelklappern. Wie so oft. Und ich habe wie üblich einen unbändigen Appetit auf rosafleischige Würmer. Er vergeht rasch wieder, und Ekel stellt sich ein. Ich hasse Würmer. Doch einer der vielen Erbteile in mir bewirkt diese sonderbare Lust, stets dann, wenn ich aus dem Schlaf gerissen werde.

Ein Singulären-Therapeut prophezeite mir vor einigen Monaten, dass diese sonderbaren Anwandlungen im Laufe der Pubertät nachlassen und voraussichtlich vollends vergehen werden. Als ich ihn fragte, ob seine Diagnose auf Erfahrungen mit anderen Vogelähnlichen beruhte, hielt er rasch den Rüssel, der alte Knacker.

Ja, den Rüssel. Ihm hing so ein runzliges Ding bis weit übers Kinn hinab, und ich fragte ihn, wie das denn so mit dem Küssen sei. Das nahm er noch mit einer gewissen Gelassenheit hin. Doch als ich wissen wollte, ob seine Frau besonderen Gefallen an seinem Gesichtsteil hätte, warf er mich hochkant aus dem Behandlungszimmer. Versteht keinen Spaß, dieser Doktor Rüssel.

»Und, hast du ausgeklappert? Steh endlich auf, Faulpelz!«, sagt eine wohlbekannte Stimme. Shukard, mein Bruder, der einen viel leichteren Schlaf als ich hat.

Ich öffne die Augen einen Spaltbreit und starre in ein blöde grinsendes Gesicht. Shukard steht über mich gebeugt, in der Hand eine abgefallene Flaumfeder, und kitzelt mich damit am Hals.

»Muss das sein? Lass mich in Ruhe, du Depp.« Ich schlage seinen Arm zur Seite und drehe mich weg von ihm. Ich bin schrecklich müde, wie so oft in letzter Zeit.

»Glaubst du, ich wecke dich bloß aus Jux und Tollerei?«

Ich höre, wie er um mich herumtrippelt und sich vor mir niederlässt. Ich halte die Augen geschlossen – und fühle dennoch, dass er da ist, ganz nahe, und mich anstarrt.

»Leck mich, Bruderherz!« Ich horche auf meine innere Uhr. Sie funktioniert ausgezeichnet. »Wir haben noch längst nicht Dienst, und wenn du mir von deinem Liebeskummer erzählen möchtest, warte gefälligst, bis ich ausgeschlafen bin.«

Ich bemühe mich, meinen Drillingsbruder zu ignorieren. Ich versenke mich in einen meiner Lieblingsträume. Er bringt das Gefühl unendlicher Weite mit sich. Ich denke an Land, das unter mir vorüberzieht, während ich dahinschwebe, Thermik spüre, Luftgerüche wahrnehme, Pollen fühle, die sich in meinem Federkleid verfangen, meinen Instinkten gehorche, nach Beute Ausschau halte.

»Du hast ihn nicht gehört?«, dringt ein weiteres Mal die ungemein störende Stimme dieses ungemein störenden Kerls in meine Traumwelt vor.

Ich schiebe den Gedanken ans Fliegen beiseite und ziehe einen anderen heran. Er handelt davon, wie ich Beute reiße und meinen Schnabel tief in ihrem Fleisch versenke, um an weißen, fahlen Eingeweiden zu zupfen. Oh ja – es tut gut, mit einem derartigen Gedanken im Kopf dem Bruder Guten Morgen zu sagen.

»Ich kenne den Blick«, sagt Shukard, »und ich weiß, was er bedeutet. Vergiss es. Ich drücke dich mit drei Fingern zu Boden, Schwächling.« Er grinst, wird aber gleich wieder ernst. »Ich wurde vom ANC geweckt. Es hat an mein Herz geklopft. Ich dachte, du hättest es ebenfalls gespürt?«

Das ANC. Das ... nun, das Schiffsgehirn der ATLANC. Steuermann, Hirte, Wächter, gute Seele. Es gibt Tausende Begriffe für dieses Gebilde, das für unser Wohlergehen an Bord des Schiffes sorgt – und das gleichzeitig das Schiff ist.

»Hat dir das ANC wehgetan?«, frage ich und richte mich nun doch auf. Dem Ast meines Schlafstammes weiche ich instinktiv aus, wie immer.

»Nein. Der Stupser an meinem Herz war sachte, aber bestimmt. Das ANC verlangt, dass ich in die Zentrale komme.«

»Ich begleite dich.« Ich strecke mich durch – und bereue die Bewegungen im nächsten Moment. Alles tut mir weh. So, als hätte ich einen Muskelkater, von den Fingern bis zu den Zehenspitzen.

»Es wird immer schlimmer, nicht wahr?« Shukard sieht mich besorgt an. Er tut nur so, als würde es ihm besser gehen als mir. Auch er leidet unter der Auszehrung.

»Es geht schon«¸ lüge ich, streife mein Schlafgewand ab und sehe zu, wie es in Kleinteile zerfällt, die gleich darauf von einer der vielen mobilen Saug- und Wiederverwertungseinheiten inhaliert werden.

Die Bordkombi liegt bereit, ich schlüpfe so rasch es geht hinein. Das Bücken, das Recken und das Strecken bescheren mir weitere Schmerzen, doch ich bemühe mich, so unbeeindruckt wie möglich zu wirken.

»Dein Pyzhurg sieht gut aus«, sagt Shukard und legt eine Hand leicht auf das Holz meines Schlafbaumes. »Du bist in den letzten Tagen ein schönes Stück weitergekommen.«

»Nein«, erwidere ich. Ich fühle Trockenheit im Schnabel, die alles Wasser an Bord nicht beseitigen könnte. »Ich muss immer wieder neu ansetzen. Nacharbeiten. Schleifen. Selbst Neuverholzungen waren notwendig, um falsch behauene Stellen aufzufüllen. Ohne progenitorische Wiederherstellung wäre der Schlafbaum längst abgeknickt.«

Der Schnabel tut mir gehörig weh von den Arbeiten, die ich seit dem Abschluss meiner Ausbildung zum Junggenifer ins Holz des Schlafbaums investiert habe. Ich lasse meine Finger über jenen unteren Teil des Pyzhurg gleiten, mit dem ich einigermaßen zufrieden bin. Die Rundungen fühlen sich gut an. Die kleinen, wie Intarsien in Rautenform gesetzten Wölbungen geben mir das Gefühl, gute Arbeit geleistet zu haben. Doch die oberen beiden Drittel des Pyzhurg verschließen sich mir nach wie vor. Ich bin mit ihnen noch lange nicht im Einklang.

»Ist er dir denn wirklich so wichtig?«

»Ja«, antworte ich. »Mein onryonischer Erbanteil macht sich in letzter Zeit wieder stärker bemerkbar.«

»Wollen wir hoffen, dass dir kein drittes Auge wächst. Du bist jetzt schon hässlich für drei ...« Shukard verstummt und blickt betreten zu Boden.

Wir vermeiden die Zahl Drei, so gut es geht. Wir waren Drillinge. Doch der Bruder ist vor etwa eineinhalb Jahren gestorben. Er geht uns immer noch schmerzhaft ab, und ich beginne allmählich zu glauben, dass sich diese Lücke in unseren Herzen niemals vollends schließen wird. Anassiou ... wie sehr ich ihn vermisse.

Manchmal meine ich, ihn zu spüren und ihn um mich zu wissen. Der Rüsselarzt hat von seelischem Phantomschmerz gesprochen und Shukard und mir weiterreichende therapeutische Behandlungseinheiten empfohlen. Weil wir unsere Trauerarbeit noch nicht abgeschlossen hätten. Weil wir immer noch an Anassiou hingen.

Was wusste der schon! Wir gehörten zusammen! Nur zu dritt waren wir ... ganz.

»Du denkst an ihn, nicht wahr?«

»So wie du, Shukard.«

»Er war ein aufgeblasener Wichtigtuer, aber ich habe ihn geliebt.«

»Du bist ja auch ein aufgeblasener Wichtigtuer.«

Er grinst, ich grinse. Doch diese Neckereien und Spiegelfechtereien hinterlassen stets einen schalen Beigeschmack. Wir leiden, und wir bemühen uns, dieses Leid hinter blöden Scherzen zu verstecken.

Ich hacke zweimal gegen den Schlafbaum, dort, wo ein Span hervorsteht. Dieser Teil des Pyzhurg soll einmal das Kernstück meiner Arbeit werden. Der Schnabel schmerzt. Ich darf ihn nicht zu oft einsetzen.

Schiffskommandant Atlan hat mir mal von Spachten erzählt – oder heißen sie Spechte? –, die wie ich Löcher in Baumstämme hacken, allerdings mit dem Ziel, tierische Nahrung unter der Rinde zu finden. Sie sind perfekt an diese Arbeit angepasst. Das Gehirn liegt oberhalb des Schnabels, Knochen und Schnabelmuskeln fungieren als Stoßdämpfer, mit Hilfe von Muskelanspannung absorbiert der Vogel einen Großteil der Energie, das Zerebrum liegt eng an der Schädeldecke und treibt nicht in vergleichbar viel Gehirnflüssigkeit wie beim Menschen.

Was für faszinierende Tiere diese Spachte sind! Die Aufprallgeschwindigkeit ihrer Schnäbel liegt bei 25 Stundenkilometer, und sie schließen bei jedem Hieb die Augen. Andernfalls würden sie ihnen aus den Höhlen fallen.

Ich bin ein Singulärer. Ich habe genetische Eigenschaften, die wie Speisezutaten in einen Kochtopf gemischt und verrührt wurden, ohne dass der Koch das Rezept kannte.

Vieles passt bei mir nicht zusammen. Ich bin auf meine Art einzigartig – und ich kann mich nicht fortpflanzen.

»Glaubst du wirklich, dass dich dieses Ding eines Tages im Schlaf beschützen wird?«

Ich zucke zusammen, als Shukard mich aus meinen Gedanken reißt. Auch diese übertriebene Sensibilität ist eine Folge der Auszehrung, an der wir leiden. »Es ist so überliefert«, antworte ich. »Die Onryonen hatten während ihrer Ruhephasen stets einen Pyzhurg bei sich.«

Warum fragt Shukard diese Dinge? Er weiß sie alle. Sie wurden über die Jahrhunderte hinweg an Bord der ATLANC tradiert.

Angeblich trage ich neben meinem vogelähnlichen Habitus auch die Gene von Onryonen in mir. Der Onryonen-Anteil umfasst vierzehn Prozent meines Genguts. Aber niemand konnte mir bislang verraten, worin dieser Erbanteil denn eigentlich im Detail besteht.

Mir fehlt das Emot. Meine Sinne ähneln weitgehend denen eines Terraners, meine Haut mutet ebenfalls wie die eines Menschen an. Abgesehen vom Federflaum ...

»Komm endlich!«, sagt Shukard. Seine Augen zucken nervös, er greift sich an die Brust.

»Macht sich das ANC schon wieder bemerkbar?«, frage ich besorgt. Mein Bruder zuckt mit den Achseln und verlässt vor mir die gemeinsame Wohneinheit. Der MENT-Genius unseres geräumigen Appartements wünscht uns einen »guten und sinnreichen Arbeitstag«. Ich schaue auf die Uhr. Ich hatte bloß vier Stunden Schlaf und fühle mich vom MENT-Genius verhöhnt.

»Der frühe Vogel fängt den Wurm«, murmelt Shukard und zieht seinen Kopf ein. Ich erwische ihn dennoch mit...