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Anna Sewell, Black Beauty - Vollständige, ungekürzte Ausgabe

Anna Sewell

 

Verlag Anaconda Verlag, 2015

ISBN 9783730691007 , 256 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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2,99 EUR


 

KAPITEL SIEBEN


Ginger

Als Ginger und ich einmal zusammen im Schatten standen, führten wir eine lange Unterhaltung. Sie wollte alles darüber wissen, wie ich aufgezogen und eingeritten worden war, also erzählte ich es ihr.

»Wenn ich so aufgezogen worden wäre wie du«, sagte sie, »dann hätte ich vielleicht einen genauso feinen Charakter. Aber mittlerweile habe ich die Hoffnung aufgegeben.«

»Warum denn das?«, fragte ich.

»Weil bei mir alles so anders war«, antwortete sie. »Ich hatte nie jemanden, kein Pferd und auch keinen Menschen, der mich gut behandelt hätte oder dem ich gerne eine Freude gemacht hätte. Alles fing damit an, dass man mich von meiner Mutter trennte, kaum dass ich entwöhnt war, und in eine Gruppe mit vielen anderen jungen Fohlen steckte; keines davon interessierte sich für mich, und ich interessierte mich für keines von ihnen. Es gab dort auch keinen freundlichen Herrn wie deinen, der sich um mich gekümmert hätte, mit mir gesprochen oder mir leckere Sachen gebracht hätte.

Von dem Mann, dem wir anvertraut waren, habe ich nie in meinem Leben ein liebevolles Wort gehört. Ich will damit nicht sagen, dass er mich schlecht behandelte, aber er kümmerte sich einzig und allein darum, dass wir ausreichend zu fressen hatten und uns im Winter unterstellen konnten.

Über unsere Wiese verlief ein Pfad, und die jungen Burschen, die an uns vorbeigingen, bewarfen uns oft mit Steinen, um uns aufzuscheuchen. Ich bekam nie etwas ab, aber ein schönes junges Fohlen trug einmal eine böse Verletzung im Gesicht davon, und die Wunde ist ihm vermutlich ein Leben lang geblieben. Wir beachteten die Jungen nicht weiter, aber sie machten uns natürlich unruhig und wir waren davon überzeugt, dass Jungen unsere Feinde waren. Aber wir hatten auch großen Spaß auf den Weiden, wenn wir auf und ab galoppierten und einander im Kreis über die Wiese jagten oder wenn wir uns im Schatten der Bäume ausruhten.

Als es aber ans Einreiten ging, wurde es furchtbar für mich. Mehrere Männer kamen, um mich einzufangen. Als sie mich schließlich in eine Ecke der Weide gedrängt hatten, fasste mich einer am Stirnhaar und ein zweiter an der Nase, wobei er so fest zudrückte, dass ich kaum noch Luft bekam, und ein dritter packte mit festem Griff meinen Unterkiefer und sperrte mir das Maul auf; so zogen sie mir mit Gewalt das Halfter über und zwangen mir die Stange ins Maul.

Dann zerrte mich einer am Halfter hinter sich her, während ein anderer auf mich einpeitschte. So lernte ich zum ersten Mal die Liebe der Menschen kennen: nur rohe Gewalt. Ihr Tun ließ nicht im Geringsten erkennen, was sie von mir wollten. Ich hatte eine gute Erziehung genossen und besaß ein starkes Temperament, und ich war gewiss auch recht ungestüm und machte ihnen viel Mühe, aber es war einfach zu schrecklich für mich, jeden Tag eingesperrt in einer Box verbringen zu müssen, anstatt mich frei bewegen zu können. Ich grämte mich, war todtraurig und wollte einfach nur davonlaufen. Du weißt ja, selbst mit einem liebevollen Herrn und mit viel gutem Zureden ist es für uns schon schwer genug. Ich aber hatte nicht einmal das.

Es gab dort einen Mann – den alten Hausherrn, Mr. Ryder –, der es bestimmt geschafft hätte, mich zu beruhigen und dem ich auch gerne gehorcht hätte, aber er hatte alle mühseligen Arbeiten seinem Sohn und einem anderen erfahrenen Mann überlassen und kam nur noch gelegentlich, um nach dem Rechten zu sehen.

Sein Sohn war ein kräftiger, großer und draufgängerischer Kerl namens Samson, der gerne damit prahlte, dass ihn noch nie ein Pferd abgeworfen hätte. Er war überhaupt nicht liebevoll, so wie sein Vater, sondern einfach nur grob: Er hatte eine grobe Stimme, einen groben Blick und Hände, die grob zupackten. Von Anfang an spürte ich, dass es sein Ziel war, mir meinen Willen auszutreiben und aus mir ein schweigsames, ergebenes und gehorsames Stück Vieh zu machen. ›Ein Stück Vieh‹! Ja, das war alles, was er im Sinn hatte.« Und dabei stampfte Ginger mit den Füßen auf, als machte sie schon der bloße Gedanke daran wütend.

Dann erzählte sie weiter: »Wenn ich nicht genau das tat, was er wollte, wurde er zornig und ließ mich auf dem Paddock an der langen Leine im Kreis laufen, bis ich völlig erschöpft war. Ich glaube, er trank viel, und je mehr er getrunken hatte, so schien mir, desto schlimmer sprang er mit mir um.

Einmal hatte er mich einen ganzen Tag lang auf jede nur erdenkliche Weise geschunden, und als ich mich dann hinlegte, war ich erschöpft und wütend und fühlte mich elend; es schien alles so ausweglos. Am nächsten Morgen kam er in aller Frühe und ließ mich wieder lange Zeit laufen. Ich hatte mich danach keine Stunde erholen können, als er schon wieder vor mir stand, diesmal mit Sattel und Zaumzeug und einer Trense, wie ich sie noch nie gesehen hatte.

Was dann geschah, habe ich mir nie recht erklären können. Wir waren auf dem Paddock, und er war gerade erst aufgesessen, als ich etwas tat, was ihm nicht passte, woraufhin er mit einem Ruck an den Zügeln zog. Das neue Gebiss tat ziemlich weh und so bäumte ich mich jählings auf. Das verärgerte ihn noch mehr und er begann mich zu peitschen.

Ich spürte, wie sich alles in mir gegen ihn wehrte, und ich fing an auszuschlagen, zu bocken und mich aufzubäumen, wie ich es noch nie zuvor getan hatte; es war ein regelrechter Kampf. Er konnte sich lange im Sattel halten und setzte mir dabei brutal mit Peitsche und Sporen zu, doch ich war schon so in Rage, dass mir egal war, was er tat, solange es mir nur gelingen würde, ihn abzuschütteln.

Schließlich, nach einem fürchterlichen Kampf, schaffte ich es, ihn abzuwerfen. Ich hörte, wie er hinter mir dumpf auf die Erde aufschlug, und ohne mich umzusehen, galoppierte ich los ans andere Ende der Wiese. Dort drehte ich mich um und sah, wie mein Peiniger langsam vom Boden aufstand und in den Stall zurückging. Ich blieb unter einer Eiche stehen und blickte mich um, aber niemand kam, um mich einzufangen.

Einige Zeit verging; die Sonne brannte herab, Fliegen umschwärmten mich und ließen sich auf meinen blutigen Flanken nieder, dort, wo die Sporen sich eingegraben hatten. Ich war hungrig, denn ich hatte seit dem frühen Morgen nichts gefressen, aber das Gras auf der Wiese hätte nicht einmal für eine Gans gereicht. Ich wollte mich hinlegen und mich ausruhen, aber mit dem Sattel, den ich noch immer auf den Rücken geschnallt hatte, war das ziemlich unbequem, und noch dazu gab es nirgends einen Tropfen Wasser. Allmählich ging der Nachmittag zu Ende und die Sonne sank tiefer. Ich sah, wie die anderen Fohlen in den Stall gebracht wurden und wusste, dass sie dort reichlich Futter bekommen würden.

Gerade als die Sonne unterging, sah ich den alten Hausherrn mit einem Eimer in der Hand auf den Paddock herauskommen. Er war ein vornehmer alter Gentleman mit ganz weißem Haar, und an seiner Stimme hätte ich ihn unter tausenden erkannt. Sie war nicht hoch, aber auch nicht tief, sondern füllig, hell und liebevoll, und wenn er Anweisungen gab, tat er das so selbstsicher und deutlich, dass alle wussten, Pferde wie Menschen, dass er Gehorsam erwartete.

Langsam ging er auf mich zu, schüttelte dabei hin und wieder den Eimer, in dem er Hafer mitgebracht hatte, und redete ermutigend und sanft auf mich ein: ›Komm schon, Mädchen, komm, mein Mädchen, nun komm schon, komm.‹ Ich blieb ruhig stehen und ließ ihn auf mich zulaufen.

Er hielt mir den Hafer hin und ich fing ganz ohne Angst zu fressen an; seine Stimme hatte mir jede Furcht genommen. Er stand neben mir, streichelte und tätschelte mich, während ich fraß, und als er die Blutgerinnsel an meinen Flanken entdeckte, war er sehr bestürzt. ›Armes Mädchen! Das ist ja eine ganz, ganz böse Sache!‹ Dann ergriff er in aller Ruhe die Zügel und führte mich in den Stall.

Mitten in der Tür stand Samson. Ich legte meine Ohren zurück und schnappte nach ihm. ›Aus dem Weg‹, sagte mein Herr, ›und komm ihr nicht mehr in die Quere, du hast diesem Fohlen heute schon genug übel mitgespielt.‹ Samson grummelte etwas von einem verrohten Vieh. ›Jetzt hör mir mal zu‹, sagte sein Vater daraufhin, ›ein bösartiger Mensch wird nie ein gutartiges Pferd heranziehen. Und du hast dein Handwerk noch nicht gelernt, Samson.‹

Dann führte er mich in meine Box, nahm selbst den Sattel und das Zaumzeug ab und band mich fest. Er ließ warmes Wasser und einen Schwamm bringen, zog seinen Mantel aus, und während der Stallknecht ihm den Eimer hielt, säuberte er meine Flanken ausgiebig mit dem Schwamm, so feinfühlig, dass ich sicher war, er wusste, wie wund und verletzt sie waren. ›Ruhig, meine Kleine‹, sagte er immer wieder, ›ganz ruhig, ganz ruhig.‹ Allein schon seine Stimme tat mir gut, und auch gewaschen zu werden, war sehr wohltuend.

Die Haut um mein Maul herum war so aufgerissen, dass ich kein Heu fressen konnte,...