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Rostmond - Kriminalroman. Ein Inspector-Challis-Roman (5)

Garry Disher

 

Verlag Unionsverlag, 2015

ISBN 9783293303577 , 352 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

3 


Challis und Destry nahmen zwei Autos. Das ergab zwar wirtschaftlich und ökologisch keinen Sinn, aber sie wussten, dass sie durch die Arbeit im Laufe des Tages getrennte Wege gehen würden. Ellen fuhr als Erste in ihrem neuen Corolla davon, strahlend blau, aber zugestaubt und schlammverschmiert wie die Wagen aller Nachbarn. Challis folgte ihr in seinem unzuverlässigen Triumph. Der Wagen hatte seine Geheimnisse jahrelang eisern für sich behalten, doch nun zeigten sie sich alle zugleich: Rostflecken unten an den Türen und im Fußraum, Öllachen, Korrosion, ein defektes Tachokabel, eine schleifende Kupplung, ein jaulendes Differenzial. Auch die Stoßdämpfer waren hinüber. Challis erwischte in seiner Einfahrt ein Schlagloch und spürte den heftigen Stoß durchs Lenkrad.

Als Challis die Einfahrt hinter sich ließ, sah er zu seinem Haus hinüber. Hübsch, kalifornischer Bungalowstil, aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Mit den drei Morgen Rasen, den Obstbäumen und Sträuchern hier und da passte es gut in die Umgebung. Die einzigen Nachbarn waren ein Obstbauer und ein Winzer. Challis mochte die Abgeschiedenheit, sie entsprach seinem Naturell. Aber kam Ellen damit klar? Bis zu ihrer Trennung und der Scheidung von Alan Destry hatte Ellen in Penzance Beach gelebt, in einem kleinen Vororthäuschen in einer ganzen Reihe mit ähnlichen Häusern, neben Leuten, die ihren Rasen mähten, im Hinterhof grillten, an die Tür klopften und um eine Tasse Zucker baten, manchmal zu laut Musik hörten.

Vielleicht sollte er besser fragen, ob sie die Abgeschiedenheit nach einer Weile stören würde? Sie waren ja erst seit drei Wochen zusammen. Challis hatte Ellen gebeten, auf sein Haus aufzupassen, als er sich vom Dienst beurlauben ließ, um bei seinem Vater zu sein, der im Sterben lag. In den paar Stunden nach seiner Rückkehr waren sie ein Liebespaar geworden. Das hatte sie beide überrascht – irgendwie. Ellen hatte, wenn auch nur halbherzig, gemurmelt, sie wolle sich eine eigene Bleibe suchen, aber Challis hatte sie dazu bewegt, zu bleiben.

Nun versuchte er zu ergründen, warum. Natürlich spielte die körperliche Anziehung die größte Rolle, Verlangen, Zuneigung, auch wenn er ihr gegenüber nichts davon gesagt hatte. Sie waren beide nicht sonderlich gut darin, Gefühle zu äußern. »Ich liebe dich«, hatten sie bisher noch nicht gesagt. Wie es schien, dachten wohl beide, dass Zärtlichkeiten und Erklärungen nur allzu schnell schal wurden.

Außerdem konnte Challis nicht von der Hand weisen, dass er sich ein wenig verloren und verletzlich gefühlt hatte, nachdem er von der Beerdigung seines Vaters auf die Peninsula zurückgekehrt war. Er schlief nicht gut, die Arbeit brachte noch mehr menschliches Leid und eintönige Tage, und der Tod seines Vaters war noch frisch. Als seine Mutter starb, hatte er zu Beginn alle paar Minuten an sie gedacht, dann alle paar Wochen, später Monate, und irgendwann war sein Kummer hinter glücklichen Erinnerungen verblasst, doch als sein Vater im Sterben lag, war die Trauer wieder in ihm aufgeflammt. Doppelte Trauer. Jetzt hörte er die Stimmen seiner Eltern, wenn er am wenigsten damit rechnete und es häufig noch weniger wollte, er sah ihre Gesichter und erinnerte sich mit erschreckender Klarheit an die Vergangenheit.

Challis hatte eigentlich nie Halt gebraucht, aber er konnte nicht abstreiten, dass Ellen Destry Balsam für seine Seele war, abgesehen von allem anderen. Himmel, wie sehr er es hassen würde, wenn irgendetwas ihren Versuch, glücklich zu werden, torpedieren würde.

Aber arbeiteten sie andererseits nicht zu eng zusammen, an zu komplizierten Dingen, als dass es mit der Liebe klappen könnte? Mal ganz abgesehen davon, dass ihnen früher oder später irgendein Polizeibürokrat irgendeine Vorschrift unter die Nase reiben würde.

Challis erreichte das Ende der Schotterstraße und hielt an. Er hatte das alte Autoradio durch eines mit CD-Spieler ersetzt und war gerade in der Stimmung für Chris Smither. Als Drive You Home Again losdröhnte, bog er auf die asphaltierte Straße in Richtung Waterloo ein. Schon bald kam er an einem pseudofranzösischen Chalet und einer toskanischen Villa vorbei, die sich nicht in die Landschaft einfügten, sondern die höheren Lagen des immer weiter schrumpfenden Farmlandes dominierten. Manchmal schien es, dass er nur blinzelte, und schon war über Nacht ein neues Anwesen aus dem Boden geschossen.

Auch die Städte auf der Peninsula änderten sich. Die neuen Wohngebiete, die junge Familien anlockten, welche dann all ihre Ersparnisse und ihr Einkommen in Häuser und Grundstücke steckten, die sie sich nicht leisten konnten, waren weit über die angestammten Stadtgrenzen hinausgewachsen. Das Ergebnis war einerseits die immer tiefer werdende soziale Kluft zwischen den Benachteiligten und den wohlhabenden Rentnern und sich ständig auf dem Sprung befindlichen Topjobbern, andererseits überlastete öffentliche Dienste wie Schulen, Krankenhäuser, Sozialämter oder Polizei.

Challis kam an die Kreuzung mit der Coolart Road und hielt an, um einen Schulbus passieren zu lassen. Der neokoloniale Palisadenzaun zu seiner Rechten hielt eine Herde Alpakas in Schach. Vor zehn Jahren hatte es noch keine Alpakas auf der Peninsula gegeben. Heute sah man sie überall, sie wirkten wie Spielzeug, künstliche Geschöpfe. Dann war der Bus, auf dessen breitem Heck »The Landseer School« geschrieben stand, vorbei. Challis seufzte. Eine der exklusivsten Schulen des Landes, Schulgebühren von fast 20 000 Dollar im Jahr, ein Ort, mit dem er normalerweise nichts zu tun hatte – doch nun musste er einen seiner Leute hinschicken, um festzustellen, ob der Angriff irgendwie mit der Schule in Verbindung stand.

Challis folgte der Straße, vorbei an Weinreben und noch mehr Alpakas, bis er zu den Gartencentern, Installateuren und Sägewerken am Rande von Waterloo kam. Die Stadt, eine der größten Ansiedlungen auf der Peninsula, war vor einer Weile noch ziemlich heruntergekommen gewesen, erlebte aber gerade eine Renaissance: ein K-Mart, neue Häuser, ein Delikatessengeschäft, das importierte Köstlichkeiten anbot. Die winzigen alten Secondhandläden waren niedergewalzt worden, um Platz zu schaffen für kleine Arkaden mit Rauchglasscheiben. Das alles verlieh dem Ort einen gewissen Stolz.

Challis umfuhr die Südseite der Stadt und kam zur Trevally Street, einer langen Straße, die parallel zur Küste verlief. Auf der einen Seite lagen Wohngebiete, auf der anderen gab es Grünanlagen, das städtische Freibad, Skateboardrampen, Wanderwege und einen Jachtklub. Abgesehen von einer dichten Ansammlung von knallbunten Zelten auf einem brachliegenden Grundstück neben den Tennisplätzen, war Challis dies alles vertraut.

Die Zelte. Das erste war am Freitagnachmittag aufgetaucht, Dutzende weitere am Wochenende, aufgebaut von Achtzehn- und Neunzehnjährigen, die den Abschluss der zwölften Klasse feiern wollten, ein Phänomen mit dem Namen »Schoolies Week«. Zwar waren die Haupttreffpunkte der Schulabgänger die Gold Coast in Queensland, gefolgt von den viktorianischen Städtchen Loren und Sorrento, doch hatten die Kosten, die Entfernung und die Nervosität der Eltern einige junge Leute dazu gebracht, nach billigen Alternativen wie Waterloo Ausschau zu halten. Letztes Jahr waren hundert Schulabgänger in der Stadt aufgetaucht, die unter dem Ansturm ein wenig gelitten hatte. Dieses Jahr wurden erheblich mehr erwartet, dafür waren die Ortsansässigen aber besser vorbereitet. Motels und Pensionen boten Sonderpreise an, offenes Gelände wurde zum Campen freigegeben, und die Präsenz von Polizei und freiwilligen Helfern war verstärkt worden, um mit den Betrunkenen, dem Drogenmissbrauch und den Tränen fertig zu werden.

Das alles hatte allerdings den sexuellen Übergriff samstagnachts nicht verhindern können. Das Opfer, eine Achtzehnjährige aus einer Mädchenschule in der Stadt, hatte den Angreifer nicht gekannt, ihn nicht gesehen, ihn auch nicht wiedererkannt, und zu seiner Identifizierung nichts anderes vorzuweisen, als einen spätnachts in den Dünen erduldeten Samenerguss auf T-Shirt und Shorts. Und man konnte darauf wetten, dass es im Computer keine passende DNA-Probe gab.

Challis fuhr langsamer, als er Scobie Suttons Volvo Kombi außerhalb der Siedlung Villanova Gardens sah. Der Volvo war zwanzig Jahre alt, aber immer noch bestens in Schuss, ein Wagen, der niemals die Geschwindigkeit übertreten hatte – was nicht heißen sollte, dass der Wagen ordentlich gefahren worden war, denn Scobie Sutton war ein berüchtigt schlechter Fahrer. Neben dem Volvo standen ein Streifenwagen und ein schwarzer Astra mit Stoffverdeck.

Villanova Gardens war nach einem italienischen Seemann benannt worden, der vor hundert Jahren, als Waterloo noch eine Ansiedlung von windschiefen Fischerhütten und Zelten war, von einem Schiff geflüchtet war. Challis hielt an, stieg aus, sah in beide Richtungen die Straße entlang und entdeckte Pam Murphy und einen uniformierten Constable, die die Häuser abklapperten. Challis fiel auf, dass es in diesem Teil der Stadt nur wenige Straßenlaternen gab. Er besah sich die Apartmenthäuser. Zweigeschossig, zehn in einer Reihe, jedes mit einer kleinen, angebauten Garage, Hecken, um Privatsphäre zu schaffen, und Balkon im oberen Stockwerk, der, so schätzte er, einen Blick über den Jachthafen und die Western Port Bay hinaus zu den in der Entfernung liegenden Kaminen der Raffinerie auf der anderen Seite der Bucht bot. Kein besonders toller Blick, aber man konnte es zu Recht als Aussicht...