dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Mörder Anders und seine Freunde nebst dem einen oder anderen Feind - Roman

Jonas Jonasson

 

Verlag carl’s books, 2016

ISBN 9783641182328 , 368 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

1. KAPITEL

Er, dessen Leben schon bald voll sein sollte von Tod und Gewalttaten, von Dieben und Gangstern, stand an der Rezeption eines der traurigsten Hotels von ganz Schweden und träumte vor sich hin.

Pferdehändler Henrik Bergmans einziger Enkel führte die gesammelten Kränkungen seines Lebens wie immer auf seinen Großvater zurück. Der Kerl war in Südschweden der Beste seines Fachs gewesen und hatte nie unter siebentausend Tiere pro Jahr verkauft, und zwar nur erstklassige.

Doch ab Mitte der Fünfzigerjahre begannen die Bauern, diese Verräter, Großvaters Kalt- und Warmblüter gegen Traktoren auszutauschen, und das in einem Tempo, das dem alten Herrn einfach nicht in den Kopf gehen wollte. Aus siebentausend Verkäufen wurden erst siebenhundert, dann siebzig, dann sieben. Innerhalb von fünf Jahren war das Millionenvermögen der Familie in einer Dieselwolke verraucht. Der Vater des noch ungeborenen Enkels versuchte 1960 zu retten, was zu retten war, indem er die Bauern der Gegend abklapperte und ihnen predigte, dass die Technik ein Fluch ist. Es gingen ja so viele Gerüchte. Zum Beispiel, dass man vom Dieselbrennstoff Krebs bekam, wenn man damit in Berührung kam, was sich ja schlecht vermeiden ließ.

Und dann fügte Papa noch hinzu, dass Diesel wissenschaftlichen Studien zufolge Unfruchtbarkeit beim Mann hervorrufen könne, aber das hätte er besser bleiben lassen. Denn erstens stimmte es nicht, und zweitens klang das gar zu lieblich in den Ohren der geplagten, aber dennoch ralligen Bauern, die jeweils drei bis acht Kinder zu versorgen hatten. Der Kauf von Kondomen war ihnen peinlich, im Unterschied zum Erwerb eines Massey Ferguson oder John Deere.

Großvater starb völlig mittellos, obendrein von seinem besten Pferd zertrampelt. Sein trauernder pferdeloser Sohn sattelte um, besuchte irgendeinen Kurs und bekam danach eine Stelle bei Facit AB, einem der weltweit führenden Hersteller von Schreib- und Rechenmaschinen. So brachte er es fertig, innerhalb eines Menschenlebens nicht nur einmal, sondern gleich zweimal von der Zukunft überholt zu werden, denn plötzlich tauchten elektronische Rechner auf dem Markt auf. Wie um das ziegelsteinschwere Produkt von Facit zusätzlich zu verhöhnen, passte die japanische Variante auch noch in die Innentasche eines Jacketts.

Die Apparate des Facit-Konzerns schrumpften nicht (jedenfalls nicht schnell genug), doch der Konzern selbst schrumpfte sehr wohl, um zu guter Letzt zu einem Nichts zu verschrumpeln.

Der Pferdehändlerssohn nahm seinen Abschied. Um zu verdrängen, dass er gleich zweimal vom Schicksal hereingelegt worden war, griff er zur Flasche. Arbeitslos, verbittert, ewig ungeduscht und niemals nüchtern, verlor er binnen Kurzem alle Anziehungskraft auf seine zwanzig Jahre jüngere Frau, die es erst noch eine Weile bei ihm aushielt und dann noch eine Weile.

Bis sich die geduldige junge Frau schließlich dachte, dass sie den Fehler, den falschen Mann geheiratet zu haben, rückgängig machen konnte.

»Ich will die Scheidung«, sagte sie eines Vormittags zu ihrem Mann, während er in weißer Unterhose mit dunklen Flecken durch die Wohnung taperte und irgendetwas suchte.

»Hast du die Kognakflasche gesehen?«, sagte ihr Mann.

»Nein. Aber ich will die Scheidung.«

»Ich hab sie gestern Abend auf die Spüle gestellt, du musst sie weggeräumt haben.«

»Schon möglich, dass sie im Schnapsschrank gelandet ist, als ich die Küche aufgeräumt habe, ich weiß es nicht mehr. Aber ich versuche dir die ganze Zeit zu erklären, dass ich die Scheidung will.«

»Im Schnapsschrank? Natürlich, da hätte ich gleich suchen sollen. Wie dumm von mir. Ziehst du hier aus? Dann nimmst du den kleinen Hosenscheißer da auch mit, oder?«

Ja, sie nahm das Baby mit. Einen semmelblonden Jungen mit freundlichen blauen Augen. Der weit später Rezeptionist werden sollte.

Die Mutter hatte eine Laufbahn als Sprachlehrerin ins Auge gefasst, aber das Baby war damals eine Viertelstunde vor der Abschlussprüfung gekommen. Jetzt fuhr sie mit dem Kleinen und ihrem ganzen Sack und Pack nach Stockholm und unterschrieb die Scheidungspapiere. Dann nahm sie wieder ihren Mädchennamen an, Persson, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was das für den Jungen bedeutete, der bereits den Vornamen Per bekommen hatte (nicht, dass es unmöglich wäre, Per Persson zu heißen oder von mir aus auch Jonas Jonasson, aber es kann ein bisschen eintönig wirken).

In der Hauptstadt wartete eine Arbeit als Politesse auf sie. Da lief Per Perssons Mutter die Straßen auf und ab und musste sich mehr oder weniger täglich von männlichen Falschparkern pampig kommen lassen, vor allem von solchen, die sich das auferlegte Bußgeld problemlos leisten konnten. Der Lehrerinnentraum löste sich in Luft auf, der Traum, das Wissen zu verbreiten, nach welchen deutschen Präpositionen der Akkusativ steht und nach welchen der Dativ, und das Ganze an Schüler, denen das im Allgemeinen sicher herzlich egal war.

Aber als seine Mutter eine halbe Ewigkeit mit dem Job zugebracht hatte, der eigentlich nur vorübergehend sein sollte, ergab es sich, dass einer dieser ganzen pampigen Falschparker auf einmal in der Politessenuniform die Frau entdeckte. Eins kam zum anderen, und so saßen sie zum Essen in einem feinen Restaurant, in dem man den Strafzettel bei einem Kaffee mit Schuss fein säuberlich in der Mitte durchriss. Und als es dann wieder zum nächsten kam, hatte der Falschparker der Mutter von Per Persson auch schon einen Heiratsantrag gemacht.

Der Bräutigam war ein isländischer Banker auf dem Heimweg nach Reykjavik. Er versprach seiner zukünftigen Gattin das Blaue vom Himmel, wenn sie mit ihm mitkam. Den Sohn hätte er auch in Kauf genommen. Doch mittlerweile war schon so viel Zeit vergangen, dass der semmelblonde kleine Junge volljährig war und über sich selbst bestimmen konnte. Er rechnete sich in Schweden eine hellere Zukunft aus, und da niemand die folgenden Ereignisse mit dem vergleichen kann, was stattdessen hätte geschehen können, kann man nicht sagen, wie recht oder unrecht der Sohn mit dieser Rechnung hatte.

Per Persson hatte sich schon als Sechzehnjähriger neben dem Gymnasium, in das er sich nicht besonders reinkniete, einen Job besorgt. Er erzählte seiner Mutter nie detailliert, worin seine Arbeit bestand. Und er hatte seine Gründe.

»Wohin gehst du, mein Junge?«, konnte seine Mutter fragen.

»In die Arbeit, Mama.«

»So spät?«

»Ja, die haben fast immer offen.«

»Was machst du da denn eigentlich?«

»Das hab ich dir doch schon tausendmal erklärt. Ich bin Assistent in der … Unterhaltungsbranche. Zwischenmenschliche Begegnungen und all so was.«

»Wie – Assistent? Und was bedeutet …«

»Ich muss jetzt wirklich los, Mama. Wir können ja später weiterreden.«

Und wieder einmal hatte sich Per Persson erfolgreich herausgeredet. Natürlich erzählte er ungern Details, wie zum Beispiel, dass sein Arbeitgeber in einem großen, heruntergekommenen gelben Holzhaus in Huddinge, südlich von Stockholm, flüchtige Liebe portionierte und verkaufte. Oder dass sich dieses Etablissement Club Amore nannte. Oder dass seine Arbeit darin bestand, sich um die Logistik zu kümmern sowie den Anreißer und Kontrolleur zu geben. Jeder Besucher musste für den richtigen Zeitraum und die richtige Liebe das richtige Zimmer finden. Der Junge erstellte den Zeitplan, behielt die Zeit im Auge, horchte an den Türen (und ließ seiner Fantasie freien Lauf). Wenn er das Gefühl hatte, dass da was aus dem Ruder lief, schlug er Alarm.

Als seine Mutter auswanderte und Per Persson auch offiziell mit seiner Ausbildung fertig war, beschloss sein Arbeitgeber, die Branche zu wechseln. Aus Club Amore wurde Pension Sjöudden. Die lag zwar nicht an einem See, und auf einer Landzunge oder Udde auch nicht. Aber wie der Hotelbesitzer so schön sagte: »Irgendwie muss der Scheiß ja heißen.«

Vierzehn Zimmer. Zweihundertfünfundzwanzig Kronen pro Nacht. Gemeinschaftstoiletten und -duschen. Einmal die Woche neue Laken und Handtücher, aber auch nur dann, wenn die benutzten wirklich hinreichend benutzt aussahen. Der Besitzer hatte sich eigentlich nicht gewünscht, seinen Betrieb von Liebesnest auf drittklassiges Hotel umzustellen. Er hatte ordentlich Geld verdient, solange seine Gäste Gesellschaft im Bett hatten. Und wenn sich eine Lücke im Stundenplan der Mädchen auftat, konnte er selbst zu einer von ihnen unter die Decke schlüpfen.

Der einzige Vorteil an der Pension Sjöudden war der, dass sie nicht so illegal war. Der ehemalige Sexclubinhaber hatte acht Monate sitzen müssen, und seiner Meinung nach war das mehr als genug.

Per Persson, der sein logistisches Talent unter Beweis gestellt hatte, wurde die Stelle als Rezeptionist angeboten, und das war nicht das Schlechteste (von der miesen Bezahlung einmal abgesehen). Er musste das Ein- und Auschecken übernehmen, dafür sorgen, dass die Gäste bezahlten, die Reservierungen und Absagen im Auge behalten. Dabei durfte er es sich durchaus auch ein wenig gemütlich machen, solange es sich nicht negativ auf die Bilanz auswirkte.

Es war ein neues Unternehmen unter neuem Namen, und Per Perssons Auftrag war ein anderer und verantwortungsvollerer als zuvor. Das veranlasste ihn, seinen Chef aufzusuchen und ihm mit allem Respekt eine Gehaltsanpassung vorzuschlagen.

»Nach oben oder nach unten?«, fragte der Chef.

Per Persson antwortete, er würde eine Anpassung nach oben vorziehen. Das Gespräch hatte eine andere Wendung genommen als erhofft. Jetzt stand er da und hoffte, zumindest den Lohn zu behalten, den er schon...