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Nur die Liebe bleibt

Stefanie Zweig

 

Verlag LangenMüller, 2006

ISBN 9783784481197 , 314 Seiten

Format PDF

Kopierschutz DRM

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7,95 EUR


 

5 Jambo, Kenia (S. 150-152)

Mombasa–Nairobi, 30. Juli 1938

»Kwenda«, knurrte Abraham Silverstone. Er machte eine abwehrende Bewegung und bedrohte eine bettelnde Frau von etwa vierzig Jahren mit der Faust. Sie hatte ihren in weißen Kattun gehüllten Körper so dicht an den abfahrbereiten Zug herangeschoben wie sonst nur Reisende.

Auf ihrem kahl geschorenen Schädel hockten fette Fliegen. Die oberen Schneidezähne fehlten. Trotzdem lachte sie in regelmäßigen Abständen, wenn auch nicht vergnügt. Kennern wäre klar gewesen, dass die ausgemergelte Bettlerin weder die angewiderte Geste des jungen Mannes deuten konnte noch Suaheli verstand. Bis sie ihr Mann aus der Hütte und dann die Not nach Mombasa getrieben hatten, wo es allgemein hieß, die Menschen wären freigebiger als in Nairobi, hatte der Bettlerin die eigene Sprache gereicht.

Sie erlebte erst den dritten Vollmond an der Küste. Zwar war die Zeit lang genug, um sich die Gepflogenheiten der Besitzlosen anzueignen, doch waren drei Monate zu kurz, um sich mit Mimik und Gesten der Europäer vertraut zu machen. Als die Bettlerin die geballte Faust des Bwana erblickte, stieß sie also nur das lang gezogene »Eh« hervor, das den Menschen vom Stamm der Kikuyu in jeder Situation als die geeignete Form der Kommunikation er- scheint, und streckte dem nun heftig fluchenden Mann weiter ihre geöffnete Hand entgegen. Der Umhang um ihre Schultern geriet ins Rutschen. Nur die rechte Brust war noch bedeckt, auf der nackten linken glänzte eine rote Narbe.

»Kwenda!«, schimpfte Silverstone abermals.

»Sie hat keine Haare«, flüsterte Regina und beugte sich tief über den Rahmen des geöffneten Zugfensters.

»Und ihre Brust wackelt. Wie Pudding. Ich hab noch nie schwarzen Pudding gegessen.«

»Sei still. So etwas sagt man nicht.«

»Warum?«, beharrte Regina.

»Wenn sie mich nicht versteht, kann ich doch sagen, was ich will. Warum hat sie denn keine Haare, Mama? Und keinen Büstenhalter?«

»Vorsicht«, warnte Silverstone. »Beuge dich bloß nicht so tief hinunter. Das fehlt mir noch, dass du kleines Biest aus dem Zug fliegst und die verdammten Scherereien mit euch beiden wieder von vorn anfangen.«

Regina und Jettel standen auf der gleichen sprachlichen Stufe wie die Bettlerin. Sie verstanden kein Wort, doch sie lächelten, denn der Instinkt, der entwurzelte Menschen durch die Wirrnisse des Lebens zu geleiten verspricht, empfiehlt Freundlichkeit. Regina lächelte in der schüchternen Art von Kindern, denen bereits das Ungewohnte Bedrohung ist. Ihre Mutter lächelte mit einem Anflug von Trotz. In ihren Mädchentagen hatte solch charmanter Mutwillen viel versprechende junge Männer zu verwegenen Gedanken und unvergessenen Beteuerungen gebracht. Noch mochte Jettel nicht hinnehmen, dass es im fremden Land so viel schwerer war, erotische Botschaften zu versenden. Sie zerknüllte ihr Taschentuch und nahm sich vor, nicht zu schniefen. Silverstone ver- hielt sich neutral. Er nahm ebenso wenig Kenntnis vom Lächeln eines Kindes aus Deutschland wie vom Lachen einer Bettlerin aus dem Stamm der Kikuyu. Und da er Erfahrungen mit Neueinwanderern hatte, machte es ihm auch keine Mühe, die feuchten Augen und zitternden Lippen der Mutter des verschüchterten Kindes zu übersehen.