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Saukerl - Kommissar Alois Schöns 1. Fall

Ulrich Radermacher

 

Verlag Gmeiner-Verlag, 2016

ISBN 9783839249345 , 246 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

1. Kapitel


Im Schweinestall herrschte tierischer Lärm. Es war heiß und es stank fürchterlich. Offensichtlich war die Lüftung des landwirtschaftlichen Gebäudes an diesem Sommertag mit den Ausdünstungen und Exkrementen seiner Bewohner überfordert. Hunderte zukünftige Schnitzel, Koteletts, Haxen und Eisbeine scharten sich um Bauer Huber. Ferkel und Muttertiere, Schweine jeder Generation und Größe suchten neugierig die Nähe des Hofbesitzers. Nur der alte Eber schaute sich das Treiben aus der Ferne an. Ruhig stand er in seiner verschlossenen Box.

Eine besonders vorwitzige Sau machte sich daran, den Rücken des Landwirts zu erklimmen. Denn Anton Huber regte sich nicht mehr. Er lag tot in der Mitte des Stalls. Blut rann aus seinem Hinterkopf. Es floss über seine unrasierte Backe über den geöffneten Hemdkragen entlang zum Betonboden, wo es sich mit dem Urin der Borstentiere vermengte. Zwei Spanferkel leckten den roten Saft vom Hals des Verstorbenen. Ob sich die Aufnahme des Menschenblutes durch die Tiere auf den Geschmack der späteren Wurst auswirken würde, interessierte sie nicht. Warum auch? Schweine machen sich keine Gedanken über ihr Leben nach dem Tod. Ob sie als Ganzes oder in Einzelteilen verkauft werden. Und ob sie an der Theke eines heimischen Metzgers oder einer bundesweit agierenden Supermarktkette ihr Lebenswerk vollenden.

Die Tür zum Stall wurde streng bewacht. Alfred Mayerhofer, ein Beamter der örtlichen Polizeiwache, achtete mit Argusaugen darauf, dass niemand den Tatort betreten konnte, bevor die Spurensicherung eintraf. Außer den Schweinen natürlich. Gegen deren Übermacht hatte der Polizeiobermeister nicht die geringste Chance. Zwar hatte man ihn darüber informiert, dass der Huber-Bauer regungslos im Schweinestall liegt. Aber das war noch lange kein Grund, sofort mit einer Hundertschaft anzurücken. Denn von einer blutenden Kopfwunde hatte die Frau, die den Vorfall meldete, kein Wort erwähnt. Ein Herzinfarkt oder ein Schwächeanfall war doch bei diesem Wetter viel wahrscheinlicher. Deshalb hatte Mayerhofer einen Rettungswagen angefordert, ehe er die kurze Strecke von der Wache zum Hof zu Fuß antrat.

Dem erfahrenen Polizeibeamten reichte ein flüchtiger Blick, um festzustellen, dass der Krankenwagen nicht mehr benötigt wurde. Stattdessen verständigte er die Spurensicherung sowie Hauptkommissar Schön in der Hansastraße. »Bringen Sie am besten Ihre Gummistiefel mit«, hatte er dem Leiter der Mordkommission geraten. Zwar hatten die Schweine der Exekutivgewalt umgehend Platz gemacht, jedoch wurde jeder Quadratzentimeter, den der Polizist bei seinem Rückzug wieder freigab, sogleich von einem der Ringelschwänze besetzt. Mayerhofer blieb daher nichts anderes übrig, als auf Verstärkung zu warten. Er entschloss sich, bis zum Eintreffen der Kollegen die Eingangstür zu bewachen und die bisher einzige Zeugin zu befragen. Wobei der Begriff ›lockere Unterhaltung‹ besser gepasst hätte. Denn bei der Frau, die das Verbrechen gemeldet hatte, handelte es sich um eine allseits bekannte Lehrerin der örtlichen Grundschule. Martina Scharf hatte schon die Kinder des Polizeiobermeisters unterrichtet. Man kannte sich also. Von Elternabenden und Sportfesten genauso wie vom Verkehrsunterricht für die 4. Klasse.

Der Polizist musterte die Zeugin von oben bis unten, obwohl er sie schon zigmal gesehen hatte. Eine zierliche, drahtige Person. Von Kopf bis Fuß kein Gramm Fett. Für seinen Geschmack war die Frau zu mager und ihre Arme zu muskulös. Doch für den, der sportliche Damen mag, überaus attraktiv. Blaugrüne Augen, blonder Pagenkopf, nur wenige Falten. Ein hübsches Dekolleté, klein und fest. Ein Nachbarsjunge hatte einmal erzählt, dass seine Lehrerin ihrem Namen alle Ehre machen würde. Sie sei die schärfste Lehrerin an der ganzen Schule. Etwas frühreif für einen Drittklässler, jedoch durchaus zutreffend. Mayerhofer erinnerte sich, dass Frau Scharf einmal erzählt hatte, dass sie in den Osterferien in eineinhalb Tagen von München an den Gardasee gefahren war. Mit dem Fahrrad wohlgemerkt, nicht mit dem Auto. Sie hatte ihm sogar die Anzahl der bewältigten Höhenmeter mitgeteilt, allerdings hatte er diese vergessen.

Mit dem Rennrad war Martina Scharf auch heute auf Achse. Sie hatte es an die Außenwand des Schweinestalls gelehnt.

»Ist das eine Maßanfertigung?«, bewunderte Mayerhofer das gute Stück.

»Kein Unikat, aber natürlich passend auf meine Größe zusammengebaut.«

»Wie lange sind Sie schon unterwegs?«

»Knapp zehn Minuten. Als ich am Anwesen der Hubers vorbeifuhr, hörte ich ein lautes Quieken. Nicht von einem Schwein, sondern der Lärm einer ganzen Horde. Ich fuhr zum Stall und sah den Toni da liegen.«

»Haben Sie den Stall betreten?«

»Nein, die obere Hälfte der Stalltür stand offen. Das reichte, um zu sehen, dass der Toni in Schwierigkeiten war. Bedauerlicherweise hatte ich mein Handy nicht dabei. Also habe ich mich sofort wieder aufs Rad gesetzt und bin zu Ihnen gefahren.«

»Das haben Sie gut gemacht! Haben Sie sonst jemanden auf dem Hof gesehen? Frau Huber vielleicht?«

»Keine Menschenseele.« Martina Scharf hatte bereits eine Hand am Lenker: »Kann ich jetzt weiterfahren?«

»Tut mir leid. Die Mordkommission hat bestimmt noch einige Fragen an Sie.«

»Bitte was?« Die Lehrerin runzelte die Stirn.

»Ich denke, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass Anton Huber erschossen wurde. Hauptkommissar Schön wird gleich hier sein.«

»Das ist ja furchtbar!« Martina Scharf ließ ihr Fahrrad los, um sich mit beiden Händen an der Stallwand abzustützen. Entgeistert starrte sie auf den Boden.

Inzwischen waren ein Gerichtsmediziner sowie die Herren von der Beweissicherung am Tatort eingetroffen. Auf den in München üblichen Leichenbeschauer hatte man verzichtet. Denn eine Schusswunde am Kopf ist kein natürlicher Sterbegrund und ebenso wenig ein Indiz für einen Unfall. Mit vereinten Kräften und vier Kollegen von der örtlichen Wache gelang es, alle Schweine in ihre Boxen zurückzutreiben. Mögliche Ferkel-Schlupflöcher wurden mit Brettern verbarrikadiert. Danach war die Todesursache schnell geklärt. Die Kugel steckte noch im Schädel des Toten. Weitere Details wie Einschusswinkel und genaues Modell der Tatwaffe würden die Experten bei der Obduktion herausfinden. Gottlob war die Leiche von Anton Huber bis auf minimale Bissspuren an Hemd und Hose sowie leichte Abdrücke der Paarhufer unversehrt.

Die Beamten der kriminaltechnischen Untersuchung standen dagegen vor einer ungleich schwierigeren Aufgabe. Der alte Schweinestall und sein Betonboden waren eine echte Herausforderung für die Spezialisten. Zweifelsohne war es ein Leichtes, tierisches von menschlichem Blut zu unterscheiden. Aber brauchbare Spuren zwischen Stroh, Gülle und Futterresten zu finden, war weitaus komplizierter. Außerdem stand zu befürchten, dass die Schweine mit ihrer Schleckerei viele Indizien weggelutscht hatten. Zumal niemand wusste, wie lange der Huber-Bauer bereits in seiner aktuellen Position lag.

Abgesehen davon war nicht ausgeschlossen, dass der Mörder aus sicherer Entfernung geschossen hatte. Wenn der Täter ein guter Schütze war, hätte er den Stall nicht einmal betreten müssen. Und durch die Verwendung eines Schalldämpfers hätte schon das Öffnen einer Sektflasche mehr Krach als dieses abscheuliche Verbrechen verursacht. Wobei mögliche Passanten bei einem derartigen Geräusch auf einem Bauernhof wohl eher von der Fehlzündung eines Traktors als von einem Mord ausgehen würden. Schließlich befindet sich der Huber-Hof in Bayern, wo die Welt und die Kriminalstatistik noch in Ordnung sind.

Alois Schön wollte die Arbeit der Kollegen im Stall nicht stören. Ein kurzer Blick auf die Leiche genügte ihm. Sogar Julia Neubauer, die ältere der beiden Kommissaranwärter, die derzeit in seinem Team ihr Hauptpraktikum absolvierten, war deshalb aufgefordert worden, vor der Stalltür zu warten. Der Leiter der Mordkommission hatte die 23-Jährige gebeten, ihn zum Tatort zu begleiten: »Die meisten Zeugen fühlen sich wohler, wenn ein Mann und eine Frau als Ermittler auftreten. Außerdem sehen vier Augen mehr als zwei.« Denn Kommissarin Natascha Frey befand sich noch im Urlaub.

Als er wieder ins Freie trat, wurde er von Martina Scharf bereits ungeduldig erwartet: »Kann ich jetzt gehen? Meine Kinder warten!« Unruhig schob die Lehrerin ihr Fahrrad hin und her.

»Wir benötigen noch Ihre Aussage.« Alois Schön trat an die Zeugin heran. Mit einem Taschentuch fuhr er sich über seine dunkelblonden Stoppelhaare, um die wenigen Schweißperlen, die sich während seines kurzen Aufenthalts im Stall gebildet hatten, zu trocknen.

Julia blieb dagegen stehen.

»Schon erledigt«, mischte sich Alfred Mayerhofer ein.

»Genau! Also brauchen Sie mich nicht mehr!«

»Kennen Sie den Toten?« Alois Schön sah die Zeugin freundlich an.

»Natürlich. Den Huber Toni kennt doch jeder!«

»Stimmt! Und die Zeugin ebenfalls. Sie ist Lehrerin an unserer Grundschule.«

Der Leiter der Mordkommission hob missbilligend die Augenbrauen, bevor er sich vom Polizisten wegdrehte. Er atmete tief durch, wodurch sich sein trainierter Brustkorb sichtbar weitete. »Konnten Sie erkennen, ob Herr Huber noch lebt?«

»Nein. Ich war ja nicht im Stall. Ich sah den Toni dort liegen und bin daraufhin sofort zur Wache gefahren!«

»Warum sind Sie nicht zu ihm gerannt, um zu helfen? Das können Sie doch sicherlich!«

»Ich dachte, es wäre wichtiger, den Rettungswagen zu verständigen.« Mit...