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Bilder aus der deutschen Vergangenheit - Aus den Kreuzzügen, Der Dreißigjährige Krieg, Das Rittertum, Aus dem Klosterleben, Besiedlung des Ostens, Krieg und Fehde, Deutscher Landadel im 16. Jahrhundert, Aus dem Leben des niedern Adels...

Gustav Freytag

 

Verlag e-artnow, 2015

ISBN 9788026849063 , 799 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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1,99 EUR


 

II
Aus dem Volke


Um 1100


Sinnigkeit des deutschen Gemütes. Liebe zu den Tieren. – Höflichkeit. – Traditionelle Ordnung und Mangel an geschriebenem Gesetz. – Der Deutsche im Staate. – Aussehen der Landschaft um 1100. – Alte und neue Städte. – Die Stadtbürger. – Schnelles Wachstum der Städte. – Bericht des Marquard, Abt des Klosters Fulda von 1150 bis 1165, über seine Bauten und seinen Kampf mit habgierigen Laien

Es erfreut, die bunten Striche zu betrachten, durch welche der fleißige Mönch in der Sachsen- und Frankenzeit die Anfangsbuchstaben seiner Kapitel umrankt. Denn man sieht, wie groß sein Behagen war, als er die Linien schwang und die Zwischenräume mit bunter Farbe und sauberen kleinen Mustern ausfüllte. Dasselbe Behagen erwies der Deutsche bei jeder rühmlichen Arbeit, wenn er grüßte und sprach, wenn er festsetzte, was Recht sein sollte, wenn er träumte und dichtete. Für schwere Kämpfe, die das Volk um sein Leben zu bestehen hatte, und für große Wandlungen, die unter bitteren Schmerzen ihm zuteil wurden, war ihm von der Macht, die seines Schicksals waltete, überreich eine Gabe zugeteilt worden, was ihn umgab, beschäftigte, bewegte, nach dem Bedürfnis seines Herzens einzubilden und umzuformen. Bei allem, was der Deutsche wahrnahm, fragte er, was es bedeute, hinter jeder Erscheinung fand er ein geistiges Leben, alles, was sich lebend regte, suchte er sich vertraulich zu machen, indem er ihm etwas von dem eigenen Gemüt andichtete. Es ist wahr, jedes junge Volk übt diese Poesie, durch welche es sich die reale Wirklichkeit verständlich macht und die ungeheure Arbeit der Naturgewalten in das menschlich Erträgliche umformt; es ist wahr, kein Volk kann das Leben ertragen, wenn es diese Kunst nicht zu üben versteht, denn Glaube und Sitte, alles Selbstgefühl des Wissens und Könnens beruhen im letzten Grunde nur darauf. Aber kein Geschlecht der Menschen, von dem uns Kenntnis geblieben ist, hat diese Poesie des Deutens und Umbildens so warmherzig, so emsig und dabei so kindlich geübt als die Deutschen. Wenn die Sonne warm schien, war sie unseren Ahnen froh, das Brot hieß das liebe Brot, und es tat ihnen weh, wenn ein Stückchen davon in den Schmutz fiel; sogar beim Apfelbrechen ließen sie einen Apfel am Baum zurück, damit der Baum die Ernte nicht übelnehme. Wenn der Landmann die Blumen betrachtete, welche durch die Mönche auch in seinen Garten gesetzt waren, so empfand er in ihnen ein geheimnisvolles Leben, welches er mit dem des Weibes verglich, und er begrüßte sie bewundernd »Frau Rose« und »Frau Lilie«. Vollends wo ihm leicht wurde, ein menschenähnliches Leben anzunehmen, behandelt er dies fremde Dasein achtungsvoll; auch der Ameise weigerte er nicht den Ehrentitel Frau, und wenn er von einem Wettlauf zwischen zwei Tieren erzählte, so nannten die Fremden einander »Herr Krebs« und »Herr Fuchs«. Er hatte die Tiere herzlich lieb, schon in der Heidenzeit gab man den gestorbenen Helden auf den Scheiterhaufen mit, was ihnen auf Erden am vertrautesten gewesen war, Roß, Hund, Habicht; wenn in der Römerzeit ein Rheinländer, der gute Rosse zog, sein Besitztum unter die Kinder teilte, vermachte er seine Zuchtpferde nicht den Hauserben, sondern dem kriegstüchtigsten Sohn. Als der Angle Caedmon seinem Volke die Geschichten der Bibel poetisch bearbeitete, ließ er von der Sündflut den Herrn sagen, Noah solle seine Tiere in der Arche hübsch reichlich füttern, bis er, der Herr, wieder selbst für sie sorgen könne. Vor anderen wert waren dem Volk die Vögel, zur Winterzeit wurden ihnen Halme aufs Feld gelegt oder bei der Ernte eine Garbe für sie zurückgelassen. Als die verwitwete Königin Mathilde, die Mutter Kaiser Ottos I., auf ihrem Witwensitz durch gute Werke die Gunst des Himmels für ihren toten Gemahl suchte und die Armen speiste und kleidete, da ließ sie dem Gatten zu Ehren auch die Vögel im Felde füttern. Den höchsten Beifall hatte aber damals von heimischen Vögeln keineswegs die Nachtigall oder unser Bauernliebling, der Fink, sondern der Star, weil er so klug war, daß er Menschenworte sprechen lernte. Er war Günstling in den Häusern, und wenn er gut sprach, eine wertvolle Gabe, die auch ein König aus dargebotenem Kriegsgut wählte, um sie seiner Tochter zu schenken. Andere Vögel, der Storch, der Kuckuck, der Specht hatten großes Ansehen, weil sie im alten Glauben den Göttern heilig gewesen waren; die Taube wurde als christlicher Vogel von Klöstern und später von Stadtgemeinden uneigennützig erhalten, und dem Raben vermochte selbst die Abneigung des Christentums sein Ansehen nicht zu rauben, obgleich er einst der Bote Wodans gewesen war. Wenn einem kleinen armen Spielmann jener Zeit in seinen Versen kein anderer Ausdruck warmer Empfindung gelingt, weiß er wenigstens die Neigung zu einem vertrauten Tier treuherzig darzustellen. Der Held sendet in märchenhafter Legende einen Raben als Boten an die Geliebte, er vergoldet ihm den Schnabel, setzt ihm ein goldenes Krönchen auf, streichelt ihm sein Gefieder und drückt ihn an sein Herz. Ja, der Vogel wird dem Dichter unter der Hand die Hauptperson, er nimmt ganz das Wesen eines treuen Spielmanns an, der um gute Behandlung dient. Er hat seinem Herrn die Liebe einer heidnischen Prinzessin gewonnen, der Held setzt sich mit seinen Mannen zu Schiff, sie abzuholen und vergißt seinen Raben. Nach dem Aufbruch rief er: »Hat keiner von euch den Raben, ihr Herren?« – »Nein«, sprachen alle. Da sagte er: »Säumt euch nicht, zieht euer vier oder achte zurück und bringt ihn mir eilig her.« Die Herren fuhren zurück, da fanden sie den Raben einhergehen wie einen armen Mann, der schnöde behandelt worden. Sie sagten zu ihm: »Du sollst mit uns ins ferne Land.« Der Rabe antwortete gekränkt: »Ich will daheim bleiben. Mein Herr hat mich vergessen; mit den Säuen mußte ich essen, sie haben mir mein Gefieder zerstoßen, ich bin nackt und ruppig. Will mich mein Herr haben, so soll er selber nach mir kommen.« Und es half nichts, der Held mußte selbst seinen Vogel erbitten. Diese achtungsvolle Laune, mit welcher der Deutsche das Tierleben betrachtete, machte ihm auch wilde Tiere wert, zumal wenn sie ein wenig gezähmt waren; der Tanzbär erfreute im Mittelalter große Könige und Würdenträger der Kirche. Auf die Abrichtung wurde viel Mühe gewandt. Meister Braun hatte die Kunst gelernt, mit Spielweibern zusammen zu tanzen, und es steht zu besorgen, daß diese Tänze den Forderungen geistlicher Kritik nicht entsprachen, denn die Kirche zürnte ihnen und verbot ihren Angehörigen das Zusehen. Auch den wilden Tieren des deutschen Landes erfand das Volk Charakter und Schicksal, auch von ihnen wußte der Sänger zu erzählen. Wahrscheinlich hatte der Germane schon von seiner ältesten Wanderung aus Asien Tiersagen mitgebracht, während aber bei den Griechen die Anekdoten, in welchen Tiere mit menschlicher Sprache reden und ihrer Natur gemäß handeln, nur benutzt wurden, um eine gute Lehre daran zu knüpfen, stellte der Deutsche das Waldleben seiner geheimnisvollen Nachbarn durch behagliche Geschichten dar, in denen Bär, Wolf, Fuchs, Kater und andere wohlbekannte Charaktere gesellt werden, diese Sagen waren den Mönchen so reizvoll, daß sie dieselben in größere lateinische Gedichte umformten, deren Inhalt seit dem zwölften Jahrhundert zu umfangreichen deutschen Dichtungen erweitert wurde.

Mit derselben Herzlichkeit betrachtete der Deutsche sein Verhältnis zu anderen Menschen. Er war von je in ruhigem Zustande ein höflicher Mann gewesen und sehr empfindlich gegen Kränkung seines Selbstgefühls. Sich würdig darzustellen, jedem seine Ehre zu erweisen, das Gebührende zu geben und zu empfangen, war ihm eine wichtige Sache. Ein hübsches Beispiel dafür, wie leicht auch geistliche Herren gekränkt wurden, ist uns überliefert. Als um 885 Petrus, Bischof von Verona (?), bei der Heimkehr vom Königsschloß unvermutet in das Kloster St. Gallen kam, nahmen ihn die Brüder gastfrei auf und gaben ihm als Gastgeschenk, was sie Gutes hatten, nämlich ein Evangelienbuch. Er aber hielt sich für verachtet, weil der Ruf des Klosters sehr groß war, und grollte, weil das Buch nicht schön genug gemalt und gebunden sei. Als er die Messe feierte, wurde ihm ein silberner Kelch aufgestellt, der für ein gutes Stück des Kirchenschatzes galt. Er beging die Messe und ärgerte sich auch über den Kelch. Man rüstete ihm ein reiches Mahl, und als er vom Tisch der Brüder aufstand, verlangte er, sie anzureden. Sie wurden versammelt – der Abt war abwesend –, und er sprach: »Gut habt ihr mich in Abwesenheit eures Abtes, meines Herrn, aufgenommen, aber daß ihr mir in dem Evangelium und Kelch so Gewöhnliches dargeboten habt, kränkt mich etwas. Denn obgleich ich selbst gering und unwert bin, so bin ich doch Bischof an einem gar nicht geringen Orte.« Erst als die Mönche ihm angelegentlich vorstellten, daß der heilige Gallus bessere Stücke nicht besitze, legte sich der Eifer des Mannes.

In dem Bedürfnis, sich zu seiner Umgebung vertraulich zu stellen, hob der Deutsche gern auch entfernte verwandtschaftliche Beziehungen hervor, der ältere Edle nannte den jüngern Neffen, wie später die Rittersleute einander Schwager, und Nachbar, guter Freund; Vater, Mutter waren unter Bekannten und Fremden gewöhnliche Anreden; vornehme Geistliche nannten jüngere Kleriker und Laien, auch wenn diese von königlichem Stamm waren, Söhne und Töchter. Bis zur Gegenwart ist die deutsche Rede reich geblieben an vertraulichen Benennungen bei der Ansprache. Schön und verbindlich sind die Grüße bei Ankunft und Abschied; dem Deutschen war nicht genug, einmal zu grüßen, er tat das tausendmal, wie im Jahre 1020 Froumund, Mönch von Tegernsee, Verfasser des lateinischen Epos Ruotlieb,...