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Die Wege der Macht - Die Clifton Saga 5 - Roman

Jeffrey Archer

 

Verlag Heyne, 2017

ISBN 9783641198213 , 592 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

PROLOG

OKTOBER 1964

Brendan klopfte nicht an, sondern drehte nur den Türknauf und trat ein, wobei er gleichzeitig einen Blick zurückwarf, um sicher zu sein, dass ihm niemand gefolgt war. Er wollte niemandem erklären müssen, was ein junger Mann aus der zweiten Klasse um diese Zeit in der Nacht in der Kabine eines älteren Peers zu suchen hatte. Obwohl natürlich niemand einen solchen Vorfall kommentiert hätte.

»Müssen wir mit irgendwelchen Störungen rechnen?«, fragte Brendan, nachdem er die Tür geschlossen hatte.

»Niemand wird uns vor sieben Uhr morgen früh behelligen, und dann wird nicht mehr viel übrig sein, das man noch irgendwie stören könnte.«

»Gut«, sagte Brendan. Er ließ sich auf die Knie sinken, schloss den großen Koffer auf, klappte den Deckel zurück und musterte die komplexe Maschinerie, deren Konstruktion ihn mehr als einen Monat gekostet hatte. Während der nächsten halben Stunde stellte er sicher, dass es nirgendwo lose Drähte gab, jedes Ziffernblatt sich an der vorgesehenen Stelle befand und die Uhr sich mit dem einfachen Umlegen eines Schalters starten ließ. Erst nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass alles perfekt funktionieren würde, erhob er sich wieder.

»Es ist alles bereit«, sagte er. »Wann soll das Gerät aktiviert werden?«

»Um drei Uhr nachts. Ich brauche dreißig Minuten, um das alles hier loszuwerden«, fügte der ältere Peer hinzu und berührte sein Doppelkinn. »Und dann muss ich immer noch genügend Zeit haben, um in meine andere Kabine zu gelangen.«

Brendan wandte sich erneut dem großen Koffer zu und stellte den Timer auf drei Uhr ein. »Kurz bevor du gehst, musst du nichts weiter tun, als diesen Schalter umzulegen und dich zu versichern, dass sich der Sekundenzeiger bewegt. Dann hast du noch dreißig Minuten.«

»Was kann schiefgehen?«

»Nichts, wenn sich die Lilien noch immer in Mrs. Cliftons Kabine befinden. Niemand auf diesem Flur wird überleben, wahrscheinlich sogar niemand auf dem Deck darunter. In der Erde unter den Blumen befinden sich sechs Pfund Dynamit, viel mehr, als wir eigentlich bräuchten, aber so kann niemand irgendwelche Zweifel daran hegen, dass wir unser Geld bekommen werden.«

»Hast du meinen Schlüssel?«

»Ja«, sagte Brendan. »Kabine 706. Dein neuer Pass und deine Bordkarte liegen unter dem Kopfkissen.«

»Gibt es sonst noch etwas, worüber ich mir Sorgen machen müsste?«

»Nein. Du musst dich nur davon überzeugen, dass sich der Sekundenzeiger bewegt, bevor du gehst.«

Doherty lächelte. »Wir sehen uns zu Hause in Belfast.«

Harry schloss die Kabinentür auf und trat beiseite, um seiner Frau den Vortritt zu lassen.

Emma beugte sich vor, um an den Lilien zu riechen, die ihr die Königinmutter anlässlich der Jungfernfahrt der MV Buckingham geschickt hatte. »Ich bin völlig erschöpft«, sagte sie, als sie sich wieder aufrichtete. »Ich weiß nicht, wie die Königinmutter das tagein, tagaus schafft.«

»Genau das ist ihre Aufgabe, solange sie auf dieser Erde weilt, und sie ist wirklich gut darin. Aber ich wette, sie wäre völlig erledigt, wenn sie versuchen würde, ein paar Tage lang die Vorstandsvorsitzende von Barrington’s zu sein.«

Ein weiteres Mal las Harry die Karte Ihrer königlichen Hoheit, der Königinmutter. Eine so persönliche Botschaft. Emma hatte bereits beschlossen, die Vase in ihrem Büro zu platzieren, wenn sie wieder in Bristol wären, und jeden Montagmorgen Lilien hineinzustellen. Harry lächelte. Warum auch nicht?

Als Emma aus dem Bad kam, tauschte Harry den Platz mit ihr und zog die Tür hinter sich zu. Sie streifte ihren Morgenmantel ab und ging zu Bett. Sie war viel zu müde, um auch nur darüber nachzudenken, ob sie noch ein paar Seiten in Der Spion, der aus der Kälte kam lesen könnte, obwohl das Buch von einem neuen Autor stammte, den Harry ihr empfohlen hatte. Sie schaltete das Licht auf ihrer Seite des Bettes aus und sagte: »Gute Nacht, Liebling«, obwohl sie wusste, dass Harry sie nicht hören konnte.

Als Harry aus dem Bad kam, schlief sie bereits tief und fest. Er wickelte sie in ihre Decke, als sei sie ein Kind, küsste sie auf die Stirn und flüsterte: »Gute Nacht, mein Liebling.« Dann ging er ebenfalls zu Bett und lauschte amüsiert auf ihr sanftes Schnurren. Er hätte nie anzudeuten gewagt, dass sie schnarchen könnte.

Er war so stolz auf sie, als er wach im Bett lag. Der Beginn der Reise hätte nicht besser gelingen können. Er drehte sich auf seine Seite und nahm an, dass der Schlaf innerhalb weniger Minuten kommen würde, doch obwohl seine Lider bleischwer waren und er sich völlig erschöpft fühlte, konnte er nicht einschlafen. Etwas stimmte nicht.

Auch ein anderer Mann, der inzwischen ohne auf Probleme zu stoßen seine Kabine in der Touristenklasse aufgesucht hatte, war in diesem Augenblick hellwach. Obwohl es drei Uhr nachts und seine Arbeit erledigt war, versuchte er erst gar nicht zu schlafen.

Immer hatte man dieselben Befürchtungen, wenn man warten musste. Hatte man irgendwelche Spuren hinterlassen, die direkt zu einem führen würden? Waren einem Fehler unterlaufen, die die ganze Operation zum Scheitern brachten und einen daheim zur lächerlichen Figur machen würden? Er würde sich erst entspannen, wenn er in einem Rettungsboot saß, oder besser noch in einem anderen Schiff, das einen anderen Hafen anlief.

Fünf Minuten und vierzehn Sekunden …

Er wusste, dass seine Landsleute, die als Soldaten für dieselbe Sache kämpften, genauso nervös waren wie er.

Das Warten war immer der schlimmste Teil einer Aktion. Man hatte keine Kontrolle mehr, und es gab nichts, das man noch hätte tun können.

Vier Minuten und elf Sekunden …

Schlimmer als ein Fußballspiel, bei dem man 1:0 führt und weiß, dass die andere Seite stärker ist und es schaffen könnte, noch in der Nachspielzeit ein Tor zu machen. Er rief sich die Anweisungen seines Gebietskommandeurs ins Gedächtnis: Achtet darauf, dass ihr zu den Ersten an Deck gehört, wenn Alarm gegeben wird, und dass ihr unter den Ersten seid, die in einem der Rettungsboote sitzen, denn morgen um diese Zeit werden sie nach jedem suchen, der jünger als fünfunddreißig ist und einen irischen Akzent hat. Also immer schön die Klappe halten, Jungs.

Drei Minuten und vierzig Sekunden … neununddreißig …

Er starrte die Kabinentür an und stellte sich das Schlimmste vor, was passieren konnte. Die Bombe würde nicht hochgehen, man würde die Tür aufbrechen, und ein Dutzend Polizeischläger, möglicherweise sogar noch mehr, würden in die Kabine stürmen, ihre Schlagstöcke würden in alle Richtungen wirbeln, und niemand würde sich darum kümmern, wie oft er getroffen wurde. Doch er hörte nur das rhythmische Stampfen der Motoren, während die Buckingham auf ihrem Weg nach New York weiter durch die ruhige See glitt. Auf eine Stadt zu, die sie nie erreichen würde.

Zwei Minuten und vierunddreißig Sekunden … dreiunddreißig …

Er stellte sich vor, wie es sich anfühlen musste, wieder in der Falls Road zu sein. Kleine Jungen in kurzen Hosen würden voller Ehrfurcht zu ihm aufblicken, wenn er auf der Straße an ihnen vorbeikam, und ihr einziges Ziel würde darin bestehen, so zu sein wie er, wenn sie älter wären. Der Held, der die Buckingham nur wenige Wochen nach ihrer Taufe durch die Königinmutter in die Luft gejagt hatte. Dass dabei Unschuldige ihr Leben verloren, zählte nicht. Es gab keine Unschuldigen, wenn man an die Sache glaubte. Genau genommen hatte er keinen einzigen Passagier aus den Kabinen auf den oberen Decks getroffen. Morgen würde er alles über sie in der Zeitung lesen, und wenn er die Operation korrekt durchgeführt hatte, würde sein Name in den Berichten nicht erwähnt werden.

Eine Minute und zweiundzwanzig Sekunden … einundzwanzig …

Was konnte jetzt noch schiefgehen? Konnte der Apparat, der in einem der oberen Schlafzimmer des Guts von Dungannon konstruiert worden war, ihn im letzten Augenblick im Stich lassen? Würde er die Stille ertragen müssen, die ein Versagen bedeutete?

Sechzig Sekunden …

Er begann, jede Zahl zu flüstern.

»Neunundfünfzig, achtundfünfzig, siebenundfünfzig, sechsundfünfzig …«

Hatte der Betrunkene im Sessel in der Lounge in Wahrheit die ganze Zeit über auf ihn gewartet? Waren sie bereits auf dem Weg zu seiner Kabine?

»Neunundvierzig, achtundvierzig, siebenundvierzig, sechsundvierzig … »

Waren die Lilien aus der Vase genommen und ersetzt oder einfach weggeworfen worden? Vielleicht war Mrs. Clifton ja allergisch gegen die Pollen?

Hatten sie die Kabine Seiner Lordschaft geöffnet und den unverschlossenen Koffer gefunden?

»Neunundzwanzig, achtundzwanzig, siebenundzwanzig, sechsundzwanzig …«

Durchsuchten sie das Schiff bereits nach dem Mann, der verstohlen die Toilette in der Lounge der ersten Klasse verlassen hatte?

»Neunzehn, achtzehn, siebzehn, sechzehn …«

Hatten sie … er hielt sich am Rand der Koje fest, schloss die Augen und begann, laut zu zählen.

»Neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins …«

Er hörte auf zu zählen und öffnete die Augen. Nichts. Nur die unheimliche Stille, die auf das Versagen folgt. Er senkte den Kopf und betete zu einem Gott, an den er nicht glaubte, und genau in diesem Augenblick gab es eine Explosion von so ungeheurer Wucht, dass er wie ein Blatt im Sturm gegen die Kabinenwand geschleudert wurde. Stolpernd erhob er sich und...