dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Helmut Kohl - Ein deutsches Drama - Ein SPIEGEL E-Book

René Pfister

 

Verlag SPIEGEL-Verlag, 2017

ISBN 9783877631157 , 400 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

2,99 EUR


 

SPIEGEL 41/2014

„Das Wort Verräter muss rein“


Über 600 Stunden lang hat Helmut Kohl mit dem Journalisten Heribert Schwan über sein Lebenswerk gesprochen. In den bislang geheimen Protokollen ging der Exkanzler schonungslos mit Parteifreunden wie Merkel, Wulff und Weizsäcker ins Gericht. Von René Pfister
Einmal, am Ende einer langen Wanderung in den bayerischen Alpen, musste Helmut Kohl den schweren Mann huckepack nehmen. Um Strauß' Kondition war es nicht zum Besten bestellt. Wenn sich der Bayer zusammen mit Helmut Kohl zu einer Wanderung aufmachte, steckte ihm seine Frau Marianne neben einer ordentlichen Brotzeit immer auch ein Bündel Taschentücher in den Rucksack. Strauß schwitzte stark. 
Irgendwo auf der Tour kam ein Gewitter auf, die Steine wurden glatt, der Weg verengte sich. Am Ende traute Strauß seinen Beinen nicht mehr.
„Da habe ich ihn die letzten fünfzig Meter auf dem Buckel durchgeschleppt. Erst später ist mir der Gedanke gekommen, was eigentlich passiert wäre, wenn er mir runtergefallen wäre. Das hätte mir kein Mensch geglaubt. Die hätten alle geschrieben: Der hat ihn runtergeschmissen.“
Um Helmut Kohl und Franz Josef Strauß ranken sich viele Erzählungen, die Rivalität der beiden Politiker gehört zum Fundus der jüngeren deutschen Geschichte. Unvergessen ist Strauß' Rede im Münchner Tagungszentrum der Hähnchenkette Wienerwald im November 1976, in der er dem jungen designierten Fraktionschef Kohl alle Eignungen zum Kanzler absprach: „Er ist total unfähig, ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles.“
Später, in den Achtzigerjahren, als Kohl die Kanzlermacht in den Händen hielt, weidete er sich am schwindenden Einfluss des CSU-Chefs im fernen München. „Wenn der bayerische Löwe brüllt, dann verbreitet er nur noch Mundgeruch“, lästerte Kohl damals. Die beiden haben sich nichts geschenkt.
Dass es auch eine ganz andere, fast zärtliche Seite dieser politischen Männerfreundschaft gab, erzählte Kohl dem WDR-Journalisten Heribert Schwan. Strauß stammte wie Kohl aus kleinen Verhältnissen: Kohl war Sohn eines Finanzbeamten, Strauß kam aus einer Metzgerfamilie. Das verband die beiden. Kohl bewunderte die Sprachgewalt des Bayern und seinen Mut im politischen Nahkampf. „Er war ein origineller Denker. Er war keine Reproduktionsnatur, sondern stand auf eigenen Füßen, mit eigener Statur“, sagte der Altkanzler während einer Interviewsitzung mit Schwan im Hobbykeller des kohlschen Bungalows in Oggersheim.
Schwan hat mehr als 600 Stunden Gespräche mit dem Altkanzler aufgezeichnet, zwischen dem 12. März 2001 und dem 27. Oktober 2002 trafen sich die beiden insgesamt zu 105 Sitzungen. Kohl hatte schon zu seinen Amtszeiten darüber sinniert, welchen Platz er einmal in den Geschichtsbüchern einnehmen würde. Er sieht sich dort in einer Reihe mit Bismarck, Adenauer und Brandt. Wahrscheinlich nicht zu Unrecht.
In den Gesprächen mit Schwan wollte er seine Sicht auf die Ära Kohl festhalten. Die Aufzeichnungen sind ein wertvoller Schatz für alle, die sich mit der jüngeren deutschen Geschichte beschäftigen. Die Interviews enthalten, zumindest in Teilen, „das historische Vermächtnis“ Kohls, urteilte im Dezember 2013 das Landgericht Köln, das über den Verbleib der Tonbänder zu entscheiden hatte.
Das Bild Kohls enthält durch die Schwan-Bänder neue Facetten. Er tritt dort als ein Mann auf, der nicht nur auf seine Gegner, sondern auch auf die Welt durch die Brille des kühlen Machtpolitikers blickt.
Die Einheit ist das Werk, mit dem sich Kohl in die Ewigkeit einschreiben will. In seinen öffentlichen Reden hatte Kohl immer sehr warmherzig über die Revolutionäre auf den Straßen von Berlin und Leipzig gesprochen. Bei Schwan äußert sich der Kanzler deutlich pragmatischer: Er machte klar, dass wirtschaftliche Schwäche den Ostblock zum Einsturz gebracht hat und es nicht die Chöre der Bürgerbewegung waren. „Es ist ganz falsch, so zu tun, als wäre da plötzlich der heilige Geist über die Plätze in Leipzig gekommen und hat die Welt verändert“, sagte Kohl. Die Vorstellung, die Revolutionäre im Osten hätten in erster Linie den Zusammenbruch des Regimes erkämpft, sei dem „Volkshochschulhirn von Thierse“ entsprungen. Am ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse arbeitete sich Kohl eifrig ab, was auch daran lag, dass dieser ihn in der Spendenaffäre mit besonderer Schärfe kritisiert hatte.
Für Kohl war die Wende in der DDR eine Folge der Schwäche Moskaus: „Gorbatschow ging über die Bücher und musste erkennen, dass er am Arsch des Propheten war und das Regime nicht halten konnte“, sagte Kohl. „Und wenn er den Kommunismus erhalten wollte, musste er ihn reformieren, so kam ja die Idee mit der Perestroika.“
Kohl hat häufig die Verdienste des damaligen sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow um die deutsche Einheit gelobt. Hätte dieser nicht bei jenem berühmten Kaukasustreffen im Juli 1990 eingelenkt, wäre es nicht zur Wiedervereinigung gekommen. Aber im Rückblick urteilte Kohl erstaunlich nüchtern über den Mann, den er so oft als Freund betitelt hatte.
„Von Gorbatschow bleibt übrig, dass er den Kommunismus abgelöst hat, zum Teil wider Willen, aber de facto hat er ihn abgelöst. Ohne Gewalt. Ohne Blutvergießen. Sehr viel mehr, was wirklich bleibt, fällt mir nicht ein.“ Nun könnte man der Ansicht sein, dass die Abwicklung eines ganzen Imperiums keine so schlechte Lebensbilanz ist, schon gar nicht in den Augen eines Christdemokraten wie Kohl, der doch eigentlich immer gegen den Kommunismus gekämpft hatte. Aber Kohl sah die Sache so: Gorbatschow sei „gescheitert“.

Kohl redete in den Gesprächen mit Schwan völlig unverstellt, nie zuvor und danach hat er sich einem Journalisten so geöffnet. Kohl kann sehr nachtragend sein, so viel ist bekannt. Aber in den Gesprächen wird klar, dass er keine Demütigung und keine Verächtlichmachung vergessen hat, die ihm im Laufe seiner langen Karriere widerfahren ist. Er redet voller Ingrimm über die Weggefährten und Zöglinge, von denen er sich verraten fühlt.
Als die Rede auf seine Nachfolgerin Angela Merkel kommt, kann er seinen Zorn kaum zügeln. „Frau Merkel konnte ja nicht richtig mit Messer und Gabel essen. Sie lungerte sich bei den Staatsessen herum, sodass ich sie mehrfach zur Ordnung rufen musste.“ In den Augen Kohls ist Merkel eine Frau, die er erst aus dem Meer der namenlosen Nachwuchspolitiker fischen musste und die sich dann zum Dank in den dunklen Stunden der Spendenaffäre von ihm abwandte. Man könne sich „nur bekreuzigen“ angesichts der Dummheit im Umgang mit der Spendenaffäre. Vor allem ihre Europapolitik sah er kritisch, und er nahm dabei den damaligen Unionsfraktionschef Friedrich Merz nicht aus: „Die Merkel hat keine Ahnung, und der Fraktionsvorsitzende ist ein politisches Kleinkind.“
Die Gespräche mit Schwan sind für Kohl Lebensbilanz und Therapiesitzung zugleich. Kohl war nie ein Mann des geschriebenen Wortes, das unterscheidet ihn von Helmut Schmidt und Willy Brandt. Die Gespräche waren als Basis für die Memoiren des Altkanzlers gedacht, die Schwan als Ghostwriter verfassen sollte. Andererseits fanden die Gespräche genau zu jener Zeit statt, als sich Kohl von seinen Feinden an den Rand des Abgrunds gedrängt sah. Im März 2001 war er nicht mehr der gefeierte Kanzler der Einheit, sondern er war der Gesetzesbrecher, der von anonymen Spendern zwei Millionen Mark angenommen hatte.
In Berlin tagte beinahe wöchentlich ein Untersuchungsausschuss, in dem die SPD und die Grünen das Wort führten und den Kohl als Instrument zur Schmähung seines politischen Lebenswerks sah. Und wenige Monate nachdem die Interviewsitzungen begonnen hatten, nahm sich Hannelore Kohl das Leben. Der Altkanzler hat den Suizid am 5. Juli 2001 immer auch als verzweifelten Schritt seiner Frau gesehen, die die Verächtlichmachung des Namens Kohl in der Öffentlichkeit nicht mehr ertragen konnte.
Insofern ist es verständlich, dass Kohl in dieser düsteren Phase seines Lebens mit besonderer Verachtung von jenen Menschen sprach, die ihm die Treue aufgekündigt hatten. Einmal traf es den früheren saarländischen CDU-Chef Peter Müller, der von Kohl „Signale tätiger Reue“ vermisst hatte:
„Er hat sich schäbig verhalten“, schimpfte Kohl. „Mein Gott, der weiß doch, was die bei den Spendengeschichten für einen Vorteil hatten. Der war zwar nicht der Vorsitzende, das war der jetzt in den afrikanischen Höhlen lungernde Töpfer“, sagte Kohl. Erst durch Klaus Töpfer, der von 1990 bis 1995 saarländischer Landesvorsitzender war und später für die Uno nach Kenia ging, habe er Dieter Holzer kennengelernt - eine der zentralen Figuren der CDU-Spendenaffäre. Töpfer und Holzer seien wie „Kopf und Arsch“ gewesen, sagte Kohl.
Der Altkanzler sprach mit Schwan auch deshalb so ungeschminkt, weil er glaubte, dass die Bänder zu seinen Lebzeiten nicht das Licht der Öffentlichkeit erblicken würden. Schwan hatte im November 1999 mit dem Droemer Verlag, bei dem die Kohl-Memoiren erscheinen sollten, einen Autorenvertrag geschlossen. Dieser wies Kohl nicht nur das Recht zu, jederzeit seinen Ghostwriter auszutauschen. Kohl hatte auch die alleinige Befugnis über das, was am Ende in den Memoiren stehen dürfe.
Schwan akzeptiert das zunächst. Nach den Interviews machte er sich daran, die Erinnerungen des Altkanzlers zu schreiben. Schwan brachte insgesamt fast 3000 Buchseiten...