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Mörderbescherung - Ein Weihnachtskrimi aus Neapel

Eva Gründel

 

Verlag Haymon, 2016

ISBN 9783709937297 , 360 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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12,99 EUR


 

1. Kapitel


Die Neapolitaner wollen Blut sehen – aber für sie soll das Opfer bluten, nicht der Mörder. Zuvor aber wird der Delinquent unter lautem Jubel durch die Straßen getragen, und es wäre nicht Neapel, würde man nicht Wetten darauf abschließen, in welcher Reihenfolge ihn seine treuesten Anhängerinnen begleiten dürfen.

Es ist keineswegs selbstverständlich, wem die Ehre gebührt, dem Heiligen Januarius auf seinem Geburtstagsausflug zu folgen. Diesmal war es die Heilige Teresa, die von den Gläubigen vor ihre himmlischen Kolleginnen Patricia, Agata, Lucia, Maddalena und viele andere mehr gereiht worden war. Dem Applaus nach zu schließen könnte jedoch das nächste Mal durchaus Santa Lucia das Rennen machen. Die Begeisterung für die Heilige aus Syrakus war jedenfalls unüberhörbar am größten.

Elena Martell erhaschte gerade noch einen Blick auf die hoch über den Köpfen schaukelnde Silberbüste des über alles geliebten Stadtpatrons, bevor sie sich in das elegante Kaffeehaus in der Via del Duomo flüchtete. Man musste schon in Neapel geboren sein, um sich freiwillig in dieses Getümmel zu stürzen. Oder ein Tourist, der sich das alljährlich am 19. September und dann nochmals Anfang Mai stattfindende Spektakel rund um das Blutwunder des San Gennaro nicht entgehen lassen wollte. So wie ihre kleine Schar, die sie als Reiseleiterin nun bereits eine Woche lang durch Kampanien geführt hatte.

Nur noch zwei Tage, dachte Elena, während sie den letzten Rest des Milchschaums aus ihrer Cappuccino-Schale löffelte. Eigentlich schade, dass die Reise bald zu Ende geht, denn diesmal waren ihre Gäste besonders nett. Mit einer Ausnahme, aber das wunderte sie schon längst nicht mehr. Ein Ekel war laut ihrer höchstpersönlichen Statistik immer dabei, egal, wie groß oder klein die Gruppe auch sein mochte. Die Statistik irrte nie, denn selbst wenn eine Tour ausnahmsweise einmal ekelfrei sein sollte, dann waren bei der nächsten gleich zwei dabei.

Ob ich dem Raffenseder erzählen soll, was dem „statistischen Ekel“ bei meiner letzten Sizilientour im Mai widerfahren ist? Besser nicht, ein Typ wie der würde das glatt als Morddrohung auffassen! Unwillig runzelte Elena die Stirn. Schon seltsam, dass man sich mit den unangenehmsten Menschen oft am intensivsten befasst! Diesmal würde es keinen toten Teilnehmer in ihrer Gruppe geben, das wäre wohl gegen jegliche statistische Wahrscheinlichkeit! Oder doch nicht?

„Neapel sehen und sterben! Jetzt bekomme ich langsam eine Vorstellung davon, wie das möglicherweise gemeint ist!“ Als könnte sie Gedanken lesen, platzte Adele Bernhardt, die atemlos und mit zerzauster Frisur plötzlich vor ihr stand, mit genau den Worten heraus, die Elena eben durch den Kopf gegangen waren. Mit ihren 75 Jahren war die ehemalige Lehrerin zwar das älteste, aber auch das unternehmungslustigste Mitglied der neunköpfigen Schar.

„Nein, Adele, keine Leichen mehr. Eine im Jahr ist doch wohl genug! Aber was machen Sie schon hier? Sie sollten im Dom sein, denn dort geht es nach der Prozession mit dem Wunder erst so richtig los“, antwortete Elena, während sie mit einer einladenden Geste auf den Platz an ihrem Marmortischchen wies. „Aber vielleicht wollen Sie einen Espresso trinken, bevor Sie sich erneut ins Geschehen stürzen?“

„Leichen? Welche Leichen? Ach so, Sie denken an den seligen Oberstudienrat, der das Zitat falsch interpretiert und Sizilien zum Sterben schön gefunden hatte“, antwortete Adele, bevor sie der Einladung folgte und sich auf dem zierlichen Thonet-Stuhl niederließ. „Nein, ich meine die Vampire vor dem Dom. Es ist unglaublich, was sich dort abspielt. In die Kirche bin ich gar nicht hineingekommen. Vor dem Hauptportal stauen sich die Menschenmassen, dort bewegt sich nichts mehr. Außer den Vampiren, aber denen bin ich gerade noch entkommen!“

„Vampire?“ Verblüfft sah Elena ihr Gegenüber an.

„Blutsauger schlimmster Sorte treiben sich draußen herum. Weibliche und männliche und alle tragen sie rot-weiße Overalls. Jeden, den sie erwischen, schnappen sie sich und schleppen ihn in ihre Höhle.“

„Ach, Sie meinen wohl den Blutspende-Wagen vom Roten Kreuz?“, lachte Elena. „Die sind jedes Mal pünktlich zur Stelle.“

„Blut spenden, damit San Gennaro blutet? Wie passend! Das gibt es auch nur in Neapel“, erwiderte die alte Dame, bevor sie sich bewundernd umsah. Wie kleine Scheinwerfer brachen sich die schräg durch die hohen Fensterscheiben fallenden Sonnenstrahlen an den verspiegelten Wänden, bevor sie die Kristall-Lüster, von denen gleich ein halbes Dutzend von der vergoldeten Kassettendecke hing, zum Funkeln brachten. Belle Epoque vom Feinsten, konstatierte Adele bei sich, nur das Fernsehgerät hinter der Theke ist ein schlimmer Stilbruch. Auch wenn es wie im Moment ohne Ton lief und nur stumme Bilder lieferte.

„Gefällt Ihnen das Café Partenope? Es ist zwar nicht ganz so berühmt wie das Café Gambrinus, aber es ist fast ebenso schön und die Bedienung ist besser.“ Als wollte er ihre Worte unterstreichen, eilte ein distinguiert aussehender Kellner auf Elenas Wink herbei.

„Wenn Sie erschöpft sind, wird Sie ein caffe freddo am schnellsten wieder auf die Beine bringen. Das ist ein eiskalter Espresso, nur leicht gesüßt, dafür aber mörderisch stark“, schlug Elena vor. „Wer Kaffee liebt und kein Problem mit dem Blutdruck hat, ist in Neapel im Paradies.“

„Einverstanden. Und zu Ihrer Frage: Ja, das Kaffeehaus gefällt mir außerordentlich gut. Aber der Fernsehapparat gleich neben der eleganten Glasvitrine und den vergoldeten Akanthusblättern ist eine wahre Schande!“

„Der steht nur ausnahmsweise dort. Weil die lokalen Sender das Blutwunder und alles was sich davor und danach abspielt, live übertragen. Sehen Sie nur, die Prozession ist vorbei und im Dom hat eben die Messe begonnen. Da wird sich vorerst aber nichts tun, denn der gute Januarius macht es gerne spannend. Deswegen sehen Sie jetzt Szenen vor dem Hauptportal. Hier sind auch schon Ihre Vampire, dort hinten links“, erklärte Elena.

„Kann man den Ton nicht einschalten lassen?“, erkundigte sich Adele, die plötzlich ganz und gar nichts mehr gegen das Fernsehgerät einzuwenden hatte. „Von hier aus sehe ich das ganze Spektakel doch zehnmal besser als wenn ich zwischen schwitzenden Leibern stecke!“

In einer Stadt, die sich wie keine andere auf die Jahrtausende alte Zeichensprache versteht, genügte eine dezente Handbewegung Elenas und schon war der Kommentar deutlich zu vernehmen. Seltsamerweise aber war das wimmernde Folgetonhorn des auf der Via del Duomo steckengebliebene Rettungswagens, der sich mit rotierendem Blaulicht mühsam seinen Weg bahnen wollte, stereo zu hören. Ein Blick nach draußen erklärte das Phänomen: Die Ambulanz war just vor dem Café Partenope von Fußgängern, Mopeds und Autos eingekeilt worden.

„Da muss etwas Schlimmes passiert sein“, meinte Elena. „Denn für die üblichen Ohnmachtsanfälle stehen genügend Ambulanzen vor der Kirche bereit. Die sind auch für Herzinfarkte und ähnlich schwere Fälle gut gerüstet.“

Wie zur Bestätigung spekulierte auch der TV-Kommentator, was um alles in der Welt bloß passiert sein könnte, dass gleich drei Polizeifahrzeuge ebenfalls versuchten, mit Blaulicht und Sirenengeheul zum Dom vorzudringen.

„Blut. Überall Blut. Und ein Toter!“ Bleich wie ein Leichentuch tauchte plötzlich Ludwig Jakubowski vor den beiden Frauen auf. „Ich stand fast daneben. Der Mann hat aufgeschrieen und ist dann an die Schulter des Vordermanns gesunken. Umfallen hat er ja nicht können, dazu waren wir alle viel zu dicht aneinander gedrängt. Aber dann gab es auf einmal eine Lücke und da hat man auch schon das Messer in seinem Rücken gesehen. Besser gesagt den Messergriff. Alle Umstehenden haben so lange gebrüllt, bis endlich einer von den Sanitätern zur Stelle war. Da ich ohnedies nichts tun konnte, habe ich geschaut, dass ich weg kam. Was nicht leicht war, wie Ihr Euch vorstellen könnt.“

„Setz Dich erst einmal nieder und trink einen Cognac“, erklärte Adele resolut. „Du siehst ja furchtbar aus.“ Doch noch bevor sie die Bestellung aufgeben konnte, war bereits der Kellner mit einer Flasche Courvoisier und dem dazu passenden Schwenker aus schwerem Bleikristall zur Stelle. „Ich habe mitbekommen, dass es dem Herrn nicht gut geht“, wandte er sich auf Italienisch an Elena. „Darf es für Sie oder die andere Dame auch etwas sein?“

„Das war sehr aufmerksam, danke vielmals. Nein, wir möchten vorerst nichts. Aber bitte drehen sie doch den Ton noch etwas lauter. Ich weiß noch immer nicht, was wirklich geschehen ist“, antwortete Elena.

Auch dem Kommentator fehlte noch immer der Überblick. Dafür spekulierten die wenigen anderen Gäste, die sich an diesem speziellen Samstag im Partenope eingefunden hatten, bereits umso lauter. Kontinuierlich nahm das Stimmengemurmel an Intensität zu, bis es an einen aufgeregten Hornissenschwarm erinnerte, dem man sein Nest vergiftete. Dazu trugen auch all jene bei, die von der Straße hinein in das bisher so friedlich vor sich hinträumende Lokal drängten.

„Mord. Es hat einen Mord gegeben. Vor der Kathedrale“, rief einer der Kellner, der wenige Minuten zuvor hinausgestürmt war. Nach seinen Worten stieg der Geräuschpegel im Lokal um eine weitere Phonzahl an, doch schlagartig wurde es still. Der Fernsehkommentator war endlich an Informationen aus erster Hand gekommen und alle Anwesenden lauschte gespannt.

„Nach neuesten Informationen hat sich vor dem Dom von Neapel ein spektakuläres Verbrechen ereignet. Im dichte...