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Katharina II. - Russische Hofgeschichten

Leopold von Sacher-Masoch

 

Verlag Nexx, 2016

ISBN 9783958705456

Format ePUB

Kopierschutz frei

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0,99 EUR


 

III.


 

Der Herbst hatte den Hof der nordischen Semiramis früher als sonst aus Zarskoje Selo vertrieben, auch Tomasi war nach Petersburg übergesiedelt, wo er in Gesellschaft seines Freundes Boschi den Hintertrakt des Palastes Protasow bewohnte und die schöne Gebieterin desselben in allen möglichen Stellungen und Toiletten zeichnete und malte. Der ganze Olymp wurde entvölkert, um ihren Palast zu schmücken; hier stieg die Geliebte als Anadiomene aus dem Meeresschaum, dort verwandelte sie, von ihren Nymphen umgeben, Tomasi-Acteon in einen Hirsch, während sie in dem nächsten Saale als Götterkönigin, den Pfau zur Seite, neben Jupiter-Boschi thronte.

 

Der Winter verging den Liebenden in Gesellschaft der Musen und des kleinen schalkhaften Liebesgottes ganz vortrefflich. Die Kaiserin hatte in dem bacchantischen Strudel ihrer verschwenderischen Hofhaltung, ihrer Bälle, Assembleen, Schlittagen und winterlichen Volksfest den schönen italienischen Maler samt seinen Blattern vergessen.

 

Und wieder war es Frühling geworden und wieder Sommer, und Katharina II. residierte neuerdings in dem reizenden Landsitz der russischen Zaren. Ein Zufall wollte, dass sie eines Abends mit der Prinzessin Mentschikoff promenierend an jenem Gebüsche vorbeikam, in welchem sie Tomasi damals zeichnend überrascht hatte.

 

Mit einem Mal stand, durch eine leicht erklärliche Ideen-Assoziation hervorgezaubert, das Bild des schönen Italieners in voller Farbenfrische wieder vor ihrer Seele.

 

»Apropos!« begann sie, »haben Sie nie mehr etwas von jenem italienischen Maler gehört, Prinzessin, welcher mich im vorigen Jahr malen sollte, jedoch durch einen merkwürdigen Zufall am selben Tag, an dem er zu beginnen hatte, an den Blattern erkrankt ist?«

 

»Wie hieß er, Majestät?« erwiderte die Prinzessin. »Ich habe nie etwas von ihm gehört.«

 

»Sein Name ist mir entfallen,« sprach Katharina II., »aber seine jugendlich schlanke Gestalt steht deutlich vor mir.«

 

»Ein italienischer Maler?« sann die Prinzessin nach. »Doch nicht jener am Ende, den Frau von Protasow diesen Winter geheimnisvoll in ihrem Palast beherbergt hat, der die Plafonds und Wände ihrer Säle mit den prächtigsten Bildern aus der Mythologie geschmückt?«

 

»Unmöglich!« rief die Zarin, »aber nein, doch nicht unmöglich, Prinzessin. Wenn diese Protasow, wenn sie mich hintergangen hat, Sie sollen dann einmal sehen, wie ich strafen kann.« Ihre Augen rollten unheimlich, und die ganze Fettmasse, Katharina II. genannt, begann gleich einer Gallerte zu zittern.

 

Kaum war die zentnerschwere Despotin in den Palast zurückgekehrt, befahl sie Frau von Protasow in ihr Arbeitskabinett, in dem sie, an eine zornige Ente mahnend, mühsam auf- und abwackelte.

 

»Bon soir, meine Teure!« begann sie. »Sagen Sie mir doch, was aus dem italienischen Maler geworden ist, den vorigen Sommer die Blattern verhindert haben, mich zu malen.«

 

»Er hat – er ist – er wird –«, stammelte die Vertraute in unbeschreiblicher Verwirrung.

 

»Man beschuldigt Sie, ma chère, ihn in Ihrem Hause in St. Petersburg gefangen zu halten«, inquirierte die Monarchin, mit den Fingern ungeduldig auf der Fensterscheibe trommelnd.

 

»Zu welchem Zweck?« entgegnete die Protasow mit einem erzwungenen Lächeln.

 

Katharina trat auf sie zu und heftete ihre durchdringenden blauen Augen forschend auf ihr Antlitz. »Soll ich es Ihnen sagen?«

 

»Ich kann beim besten Willen nicht erraten,« sagte die Vertraute, welche ihre Ruhe so ziemlich wiedergewonnen hatte.

 

»Man erzählt, dass er Ihren Palast mit Gemälden geschmückt hat,« fuhr die Zarin fort.

 

»Allerdings,« hauchte die Protasow.

 

»Sie kennen also seinen Aufenthalt?«

 

»Ja.«

 

»Sehr gut. Ich gebe Ihnen also drei Tage Zeit, um diesen – wie heißt er doch – diesen Maler aufzutreiben. Ich will mich von ihm malen lassen, es ist einmal eine Laune von mir, und ich wünsche nicht, dass Sie in irgend einer Weise sich nachlässig zeigen oder meine Absicht durchkreuzen. Bon soir!« Damit wurde die am ganzen Leibe bebende Vertraute von der auf das Höchste gereizten Kaiserin entlassen. Sie bestieg sofort ihre Portechaise und ließ sich nach dem Höfchen des alten Freibauern tragen, bei dem sie, wie im vorigen Jahre, Tomasi und seinen Freund Boschi einquartiert hatte.

 

»Ich bin die unglücklichste Frau der Welt«, rief sie in dem Augenblick, wo sie die Schwelle der Isba überschritt, in der die beiden Maler hausten.

 

»Was ist geschehen?« fragte Tomasi erregt.

 

»Die Kaiserin – ich weiß nicht, wie sie sich Ihrer wieder erinnert hat – genug, sie will sich von Ihnen um jeden Preis malen lassen«, berichtete die geängstigte Schöne; »sie hat mir befohlen, Sie längstens binnen drei Tagen zu ihr zu bringen. Mir droht Ungnade, Entlassung, ja, vielleicht noch weit mehr.«

 

»Nun, so lassen Sie mich denn in Gottesnamen das Monstrum malen,« fiel Tomasi ein.

 

»Aber die Blattern, sie wird die Spuren derselben vergebens suchen und erraten, dass wir sie getäuscht haben. Oh! sie ist furchtbar in ihrem Zorne, grausam, unerbittlich,« seufzte die schöne Frau.

 

»Verdammt!« murmelte Tomasi.

 

»Ich habe einen glücklichen Einfall«, rief plötzlich Boschi, der indes vor sich hingebrütet hatte. »Sehen Sie einmal meine Visage an, wie die von den Blattern zerrissen ist, ja, sie haben mir sogar das linke Auge zerstört. Ich habe so ziemlich Tomasis Gestalt, ich werde bei der Zarin seine Rolle spielen, und uns allen ist geholfen. Ihre Idylle erfährt keine Unterbrechung, und ich mache noch mein Glück an diesem kuriosen Hofe, so wahr ich Adriano Malefuzzi Boschi heiße.«

 

»Boschi, Du bist ein Prachtkerl«, schrie Tomasi auf, »ein wahres Genie, ich habe es immer gesagt.«

 

»Wir sind gerettet,« jauchzte Frau von Protasow. »Morgen Abend schon will ich Sie der Zarin vorstellen, versuchen Sie, was Ihr Mutterwitz und die Kühnheit, an der es Ihnen ebenso wenig fehlt, über die launenhafte Herrscherin von Gottes Gnaden vermögen.«

 

Während die Liebenden sich am nächsten Tag gleich mutwilligen Kindern in dem Obstgarten, welcher die Isba des Freibauern umgab, sorglos umhertrieben, schien Boschi mit einem Mal ganz verwandelt; er, auf dessen Zunge sonst stets irgend eine Bosheit oder ein Witz saß, ließ den Kopf hängen und machte die trübseligste Miene von der Welt. Seine Mappe in der Hand, schlenderte er in der Gegend hin und her und hielt allerhand tragikomische Monologe.

 

»Oh, warum bin ich nicht schön!« sagte er immer wieder zu sich selbst, »ich könnte jetzt der Günstling der mächtigsten Monarchin der Erde werden. Sie ist zwar rund wie ein Heringsfass, und riecht auch wie ein solches, aber sie kommandiert ein großes Reich, unermessliche Schätze stehen ihr zur Verfügung.«

 

Er blieb vor einem Bache stehen, welcher murmelnd über die Steine sprang und ihn zu verspotten schien.

 

»Bin ich denn wirklich so hässlich?« fragte er und beugte sich über das Wasser, aus dessen bewegtem Spiegel ihn sein verzerrtes Gesicht angrinste. »In der Tat ein abscheulicher Kerl, aber dieser Bach hier ist ein mutwilliger Geselle, der seinen Scherz mit mir treibt. Ich will einen redlicheren fragen!«

 

Einige hundert Schritte weiter lag ein kleiner Teich. Boschi lief zu demselben hin und betrachtete sich neugierig in demselben. »Nun sehe ich viel besser aus«, seufzte er, »aber zum Verlieben doch nicht. Verflucht sei die Stunde meiner Geburt!«

 

Er befand sich jetzt auf einer großen, frisch gemähten Wiese, welche mit zahlreichen Heuschobern bedeckt war; in einiger Entfernung lag ein hübscher Landsitz, dessen weißgetünchte Mauern von dem frischen Grün der sie umgebenden Baumgruppen wirksam abstachen. Das Ganze gab ein freundliches ländliches Bild, so verschieden von den Landschaften seiner toskanischen Heimat, dass Boschi von demselben gefesselt sich in den nächsten Heuschober setzte und zu zeichnen begann.

 

Plötzlich war es ihm, als ob der Heuschober seufze.

 

»Seltsam«, brummte er, »ein Heuschober, der ebenso unglücklich zu sein scheint wie ich, am Ende ist er verliebt. He! Wer ist da?«

 

Keine Antwort.

 

»Also doch der Heuschober.«

 

Nach einiger Zeit ertönte hinter ihm ein deutliches Schnarchen.

 

»Nicht übel«, lachte Boschi, »nun schläft er gar. Hier in diesem von Menschenhand noch ziemlich unentweihten Land scheint die Natur beseelt zu sein wie zu Aesops Zeiten in Griechenland. Aber wir wollen doch sehen.«

 

Boschi erhob sich und umschritt langsam den Heuschober, da lag plötzlich ein Jüngling von außerordentlicher Schönheit vor ihm im Heu auf dem Rücken und schlief. Rasch holte er sich seine Mappe und begann den herrlichen Fremden, der weit mehr als das Seufzen des Heuschobers an Hellas mahnte, zu zeichnen. Boschi war mit seiner Skizze beinahe fertig, als der schöne Schläfer seine jungen Glieder zu strecken begann und zugleich die vollen roten Lippen zu einem lauten Gähnen öffnete.

 

»Rühren Sie sich nicht, mein Herr, Sie verderben mir mein Bild!« schrie der Maler.

 

Der Fremde war jetzt vollkommen wach geworden, setzte sich auf und sah ihn erstaunt an.

 

»Legen Sie sich nur noch für wenige Minuten auf den...