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Die Nightingale-Schwestern - Freundinnen fürs Leben. Roman

Donna Douglas

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2016

ISBN 9783732533978 , 587 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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KAPITEL EINS


»So, Miss Doyle, und nun sagen Sie mir bitte, warum Sie glauben, dass Sie hier jemals Krankenschwester werden könnten?«

Für die in den Slums von Bethnal Green herangewachsene Dora Doyle gab es kaum etwas, das ihr noch Angst einjagen konnte. Trotzdem kribbelte ihr Magen vor Aufregung an diesem warmen Septembernachmittag, als sie der Oberin des Nightingale Teaching Hospitals in ihrem Büro gegenübersaß. Eine imposante, ganz in Schwarz gekleidete Erscheinung, das Gesicht umrahmt von einer kunstvoll gefältelten weißen Haube, saß diese groß und aufrecht hinter einem massiven Mahagonischreibtisch und hielt ihre grauen Augen erwartungsvoll auf Dora gerichtet.

Dora wischte sich die feuchten Hände an ihrem Rock ab. Sie schwitzte in ihrem Mantel, wagte aber nicht, ihn auszuziehen, da die Oberin dann vielleicht die zerfransten Manschetten ihrer Bluse bemerken würde.

»Nun ja …«, begann sie und unterbrach sich gleich wieder. Die Frage der Oberin war berechtigt: Warum glaubte sie, dass sie jemals Krankenschwester werden könnte? Da sie auf der anderen Seite des dem Nightingale gegenüberliegenden Victoria Parks lebte, hatte sie immer wieder die jungen Frauen in ihren rotgefütterten Umhängen durch die Tore kommen und gehen sehen, und solange sie denken konnte, hatte sie davon geträumt, zu ihnen zu gehören.

Doch Träume wie dieser erfüllten sich nicht für Leute wie Dora Doyle. Wie jedem anderen Mädchen aus dem East End war ihr das Los beschieden, in den Ausbeuterbetrieben oder einer der Fabriken zu arbeiten, die das Ballungsgebiet am Ufer der Themse säumten.

Deshalb war sie mit vierzehn von der Schule abgegangen, um fortan bei Gold’s Garments ihren Lebensunterhalt zu verdienen und das Beste daraus zu machen. Aber ihr Traum war keineswegs erloschen, sondern mehr und mehr in ihr gewachsen, bis sie vier Jahre später all ihren Mut zusammengenommen und einen Bewerbungsbrief geschrieben hatte.

»Was hast du schon zu verlieren?«, hatte Mr. Golds Tochter Esther sie gefragt. »Du wirst es nie erfahren, wenn du es nicht versuchst, bubele.« Sie hatte Dora sogar ihre Glücksbringer-Halskette für das Vorstellungsgespräch geborgt. Auch jetzt konnte Dora das warme Metall unter ihrer Bluse spüren.

»Es ist eine Hamsa, die auch Hand der Fatima genannt wird«, hatte Esther ihr erklärt, als Dora die zierliche silberne Hand an ihrer feinen Kette bewunderte. »Mein Volk glaubt, dass sie Glück bringt.«

Dora hoffte, dass die Macht der Hamsa sich nicht bloß auf Juden erstreckte. Sie brauchte alle Hilfe, die sie nur bekommen konnte.

»Ich bin sehr tatkräftig und fleißig«, sagte sie schließlich zu der Oberin. »Und ich lerne schnell. Man braucht mir nichts zweimal zu sagen.«

»So steht es in Ihrem Empfehlungsschreiben.« Die Oberin blickte auf den Brief vor sich herab. »Diese Miss Gold hält offenbar sehr viel von Ihnen.«

Dora errötete bei dem Kompliment. Esther hatte einiges damit riskiert, hinter dem Rücken ihres Vaters diesen Brief zu schreiben; der alte Jacob würde an die Decke gehen, falls er herausfand, dass seine Tochter einer seiner Angestellten half, eine andere Beschäftigung zu finden. »Miss Esther ist der Meinung, dass ich eines ihrer besten Mädchen an den Nähmaschinen bin. Sie sagt, ich hätte sehr geschickte Hände.«

Die Oberin warf einen Blick auf Doras Hände, die sie schnell auf dem Schoß verschränkte, um ihre abgekauten Nägel und die Schwielen an den Fingern, die groß wie Mottenkugeln waren, zu verbergen. ›Die Hände eines Arbeitstiers‹ pflegte ihre Mutter sie zu nennen. Doch sie sahen nicht aus wie die richtige Art von Händen, um beruhigend über eine fieberheiße Stirn zu streichen.

»Ich zweifle nicht daran, dass Sie eine fleißige Arbeiterin sind, Miss Doyle«, sagte die Oberin. »Aber das ist auch jedes andere Mädchen, das hierherkommt. Und die meisten von ihnen sind viel besser qualifiziert als Sie.«

Dora schob das Kinn vor. »Ich habe meine Zeugnisse. Ich bin zur Abendschule gegangen, um sie zu erlangen.«

»Das sehe ich.« Die Stimme der Oberin war sanft, hatte aber einen sehr entschiedenen Unterton. »Wie Sie vermutlich jedoch wissen, ist das Nightingale eines der besten Lehrkrankenhäuser Londons. Wir haben Mädchen aus dem ganzen Land, die hier eine Ausbildung machen möchten.« Ruhig erwiderte sie über den Schreibtisch Doras Blick. »Warum sollten wir also Sie annehmen und nicht die anderen? Was macht Sie so besonders, Miss Doyle?«

Dora senkte ihren Blick auf das Fischgrätenmuster des glänzenden Parkettbodens unter ihren Füßen. Sie wollte dieser Frau erzählen, dass sie nicht nur ihre jüngeren Geschwister versorgte, sondern sogar geholfen hatte, Little Alfie, den Jüngsten, vor zwei Jahren zur Welt zu bringen. Sie wollte ihr beschreiben, wie sie Oma Winnie im letzten Winter während einer schweren Bronchitis gepflegt hatte, von der alle anderen angenommen hatten, dass sie ihr mit Sicherheit den Tod bringen würde.

Vor allem jedoch wollte sie über Maggie sprechen, ihre wunderschöne Schwester, die gestorben war, als Dora gerade mal zwölf Jahre alt gewesen war. Drei Tage lang hatte sie an Maggies Bett gesessen und zugesehen, wie sie für immer von ihnen ging. Mehr als alles andere war es Maggies Tod gewesen, der in ihr den Wunsch geweckt hatte, Krankenschwester zu werden und andere Familien davor zu bewahren, so zu leiden, wie ihre eigene gelitten hatte.

Aber Doras Mutter mochte es nicht, wenn sie mit anderen über private Dinge sprachen. Und wahrscheinlich war es ohnehin nicht die gescheite Antwort, die die Oberin erwartete.

»Nichts«, erwiderte sie bedrückt. »Ich bin nichts Besonderes.« Nur die unscheinbare, rotblonde Dora Doyle von der Griffin Street.

Nicht einmal in ihrer eigenen Familie war sie etwas Besonderes. Peter war der Älteste, Alfie der Jüngste, Josie die Hübscheste und Bea die Frechste. Und irgendwo in der Mitte war dann auch noch Dora.

»Verstehe.« Die Oberin schwieg einen Moment und wirkte schon fast enttäuscht auf Dora. »Wenn das so ist, glaube ich nicht, dass es noch sehr viel mehr zu sagen gibt.« Sie begann, ihre Notizen einzusammeln. »Wir werden Ihnen schreiben und Sie unsere Entscheidung zu gegebener Zeit wissen lassen. Vielen Dank, Miss Doyle …«

Dora wurde von Panik ergriffen. Sie hatte sich nicht bewährt. Sie fühlte ihre Chance und mit ihr all ihre Hoffnungen sinken. Sie würde nie den rot gefütterten Umhang tragen und stolz und erhobenen Hauptes durch die Krankenhaustore gehen wie diese anderen Mädchen. Für sie hieß es wieder zurück zu den Maschinen bei Gold’s Garments, bis ihre Sicht so schlecht würde oder ihre Finger so gekrümmt vom Rheumatismus, dass sie nicht mehr in der Lage wäre zu arbeiten.

Und dann kamen ihr wieder Esther Golds Worte in den Sinn. Was hast du zu verlieren?

»Geben Sie mir eine Chance!«, entfuhr es ihr.

Die Oberin sah sie befremdet an. »Wie bitte?«

Dora konnte spüren, dass sie bis unter die Haarwurzeln errötete, doch sie durfte nichts unversucht lassen. »Ich weiß, dass ich keine solch umfassende Schulbildung habe wie die anderen Mädchen, aber ich verspreche Ihnen, dass ich mir wirklich sehr viel Mühe geben werde.« Ihre Worte überschlugen sich beinahe bei dem Versuch, sie hervorzubringen, bevor sie ihren Mut verlor.

»Also wirklich, Miss Doyle, ich glaube kaum …«

»Sie werden es nicht bereuen, das schwöre ich. Ich werde die beste Krankenschwester sein, die dieser Ort hier je gesehen hat. Geben Sie mir einfach nur eine Chance. Bitte«, flehte sie.

Die Augenbrauen der Oberin schossen in die Höhe, bis sie fast den gestärkten Rand ihrer Haube berührten. »Und wenn ich es nicht tue?«

»Werde ich mich erneut bewerben, hier oder woanders. Und ich werde mich so lange bewerben, bis irgendjemand Ja sagt«, erklärte Dora trotzig. »Eines Tages werde ich Krankenschwester sein. Und eine gute noch dazu.«

Die Oberin starrte sie so durchdringend an, dass Dora zu spüren glaubte, wie ihr das Herz bis in die geliehenen Schuhe sank.

»Danke, Miss Doyle«, sagte die Oberin. »Ich glaube, ich habe genug gehört.«

Oberin Kathleen Fox beobachtete durch das Fenster, wie Dora Doyle mit gesenktem Kopf und die Hände in den Manteltaschen über den Hof auf das Tor zueilte. Das arme Mädchen konnte scheinbar gar nicht schnell genug die Flucht ergreifen.

»Und?«, wandte sie sich an Miss Hanley. »Was denken Sie?«

»Ich glaube nicht, dass es mir zusteht, mich dazu zu äußern, Schwester Oberin.«

Kathleen lächelte im Stillen. Der Mund ihrer Stellvertreterin und Assistentin verkrampfte sich schon von der Anstrengung, ihre Meinung für sich zu behalten. Veronica Hanley war eine große, breitschultrige Frau mit markanten Zügen, kurzgeschnittenem, ergrauendem Haar, großen Händen und einer tiefen, dröhnenden Stimme. Kathleen hatte mitbekommen, dass einige der jüngeren Schwestern sie »Manley Hanley«, die »männliche Hanley«, nannten. Sie war gerade fünfzig geworden, also gut zehn Jahre älter als Kathleen selbst, und arbeitete schon seit dem Abschluss ihrer Ausbildung im Nightingale. Sie verbreitete Schrecken in den Herzen aller Schwestern, einschließlich der Oberschwestern. Selbst Kathleen musste sich bisweilen in Erinnerung rufen, wer das Sagen hatte.

»Trotzdem würde ich gerne Ihre Meinung hören«, sagte sie.

»Ihre Schuhe waren abgetragen, sie hatte ein Loch in ihrem Strumpf und einen losen Knopf an...