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Japanische Märchen

Anaconda Verlag

 

Verlag Anaconda Verlag, 2016

ISBN 9783730691403 , 256 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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2,99 EUR


 

Die Bergtaubenbrüder


Die kleinen Tauben sagten zu ihrer Mutter: »Mutter, ab jetzt wird wieder der kalte Wind blasen und es wird einsam sein. Und der weiße Schnee wird die Felder völlig bedecken, es wird nichts mehr geben, was unseren Augen Freude macht, nicht wahr? Warum willst du an so einem einsamen Ort leben?« Die Berge, die bis jetzt geleuchtet hatten, und auch die Felder zeigten schon ihre winterliche Ödnis und der kalte Nordwind blies immer noch durch die Federn der Tauben, die auf Zweigen saßen. »So einen guten Platz gibt es wahrscheinlich nirgends sonst. Weil wir hier leben, sind wir in Sicherheit. Natürlich, wenn man auf die Felder in der Nähe der Dörfer geht, gibt es viel Nahrung, Blumen, die euch Freude machen würden, und Gewässer. Aber dort muss man immer auf der Hut sein. Hier sind wir schon lange und haben solche Sorgen nicht. Außerdem tragen die Bäume in den Bergen rote, reife Früchte. Wenn wir über einen Berg fliegen, gibt es Reisfelder, wo genug Nahrung für uns bereitliegt. So einen guten Platz gibt es nirgends … Ihr solltet niemals daran denken, woandershin zu fliegen.« So ermahnte die Mutter ihre kleinen Tauben. Am Anfang glaubten sie ihrer Mutter und befolgten ihren Rat. Aber nachdem sie allmählich größer und stärker geworden waren, bekamen sie Lust, ein Wagnis einzugehen. An einem sehr sonnigen Tag wollten sie mit Erlaubnis ihrer Mutter einen Berg überwinden und zu den Reisfeldern fliegen. Bisher hatte die Mutter sie immer begleitet, aber da sie dort selten Menschen gesehen hatte, ließ sie ihre Kinder ohne Bedenken dorthin fliegen. Die kleinen Tauben verließen in der Morgensonne ihr Nest und flogen munter hoch in den Himmel. Als sie im Himmel verschwunden waren, seufzte die Mutter. »Ich habe mit Freude darauf gewartet, dass sie aufwachsen, aber wenn sie einmal groß genug sind, werden sie mich verlassen …« Die Taubenmutter fühlte sich einsam, sie flog allein um das Nest herum und wartete auf die Rückkehr ihrer Kinder. Die beiden Taubenkinder dachten nicht an die Gefühle ihrer Mutter. »Großer Bruder, fliegen wir noch weiter irgendwohin? Wenn wir nicht in Richtung des Dorfes fliegen, wäre es in Ordnung …«, sagte der kleine Bruder. »Ah ja, fliegen wir zum Meer … Wenn wir nicht zu spät nach Hause kommen, wird die Mutter wohl nicht mit uns schimpfen«, stimmte der große Bruder zu. Die beiden kleinen Tauben waren sich überhaupt nicht bewusst, etwas Schlechtes zu tun. Sie flogen gleich durch den blauen Himmel in Richtung Meer. Als sie endlich das glänzende Meer lächeln sahen, war die rufende Stimme einer Taube zu hören. Der kleine Bruder blickte zu seinem großen Bruder zurück und sagte: »Großer Bruder, von irgendwoher ruft uns einer unserer Kameraden.« – »Wirklich … wo ist er?«, antwortete der große Bruder. Die Brüder fanden schnell heraus, dass ihr Kamerad auf einem Hügel an der Küste gurrte. Deshalb flogen sie dorthin. Die Taube, die auf dem Hügel gurrte, war viel schöner als die Taubenbrüder. Die Brüder bemerkten, dass sie nicht eine in den Bergen aufgewachsene Taube war. Anders als die beiden lebte sie in einer Stadt. Die schöne Taube fragte: »Gibt es in den Bergen etwas Seltenes und Interessantes?« Der große Bruder vom Berg antwortete: »Jetzt gibt es rote, reife Früchte und auf den Feldern sind sicher noch einige Bohnen übrig geblieben …« – »Woher kommen Sie? Leider habe ich Sie noch nie gesehen«, fragte der kleine Bruder die Taube aus der Stadt. Sie antwortete: »Ich komme sehr selten hierher. Da das Wetter heute ungewöhnlich schön ist, bin ich gekommen, um das Meer zu sehen.« Dann spielten die drei Tauben fröhlich miteinander. Als sie über den Hügel flogen, gab es da auch ein abgeerntetes Feld, auf dem noch viele Bohnen zu sehen waren. Die Taubenbrüder sagten zur Stadttaube: »Da, so viele Bohnen sind noch auf dem Feld. Bitte bedienen Sie sich.« Aber die Stadttaube sagte stolz, ohne sie aufzulesen: »Wir sind schon satt von Bohnen und Kartoffeln. Wenn Sie mit mir in die Stadt kommen, werden Sie vermutlich erstaunt sein …« Die kleinen Bergtauben wunderten sich und fragten: »Warum? Gibt es so viele Bohnen und Kartoffeln in der Stadt?« – »Die Menschen geben uns alles.« – »Die Menschen?« Die Taubenbrüder wunderten sich immer mehr und dachten: »Wir haben doch geglaubt, die Menschen seien fürchterlich. Es sind die Menschen, die ein Gewehr abfeuern und uns töten. Wurden unsere Kameraden bisher nicht immer von Menschen getötet?« Weil die beiden Bergtauben dieser Meinung waren, überraschte sie die Geschichte der Stadttaube sehr. Die Stadttaube sagte zu den beiden: »Die Menschen haben uns lieb und die Kinder spielen immer mit uns. Wenn Rücksichtslose Steine nach uns werfen oder uns fangen, werden sie wahrscheinlich von den anderen bestraft. Es ist sicherer, lebhafter und unterhaltsamer, wenn Sie in der Stadt leben. Wenn Sie mit mir in die Stadt kommen wollen, nehme ich Sie gerne mit«, sagte die Stadttaube zu den Brüdern. Der kleine Bruder wollte gleich mitgehen, aber der große Bruder dachte, die Mutter würde sich Sorgen machen. Da schlugen weiße Wellen an das Meeresufer und beobachteten die Szene. Aber als sie die nachdenklichen Gesichter der Bergtauben sahen, fanden sie es anscheinend plötzlich komisch und sie riefen lachend: »Gut überlegen. Gut überlegen …« Die Bergtauben sagten: »Heute wollen wir nach Hause in die Berge fliegen. Morgen wollen wir wiederkommen und wenn Sie uns morgen in die Stadt mitnehmen könnten, würden wir uns sehr freuen.« Die Stadttaube war eine freundliche, gute Taube. »Wenn es so steht, klären Sie es zu Hause gut ab, morgen werde ich wieder hierherkommen«, sagte die Stadttaube. Für diesen Tag verabschiedeten sie sich voneinander und kehrten in die Berge und in die Stadt zurück.

Die beiden Taubenbrüder flogen über den Hügel und beeilten sich, in die Berge zu kommen. Dort auf einem Zweig des Baumes wartete die besorgte Mutter im wehenden Wind auf die Rückkehr der Kinder. Nachdem die beiden kleinen Tauben zurückgekommen waren, erzählten sie der Mutter von der Taube, die sie getroffen hatten, und dem Gespräch mit ihr. »Mutter, warum ziehen wir nicht auch in die Stadt?«, fragten die beiden Brüder. Sie antwortete: »Nein, hier ist der beste Platz. Wenn ihr erst einmal in der Stadt seid, könnt ihr nicht einen einzigen Tag ohne Sorgen leben.« – »Aber, Mutter, die Menschen in der Stadt sollen freundlich sein und niemanden fangen oder töten«, sagte der große Bruder. »Und wenn jemand in der Stadt auf uns schießt, soll er von den anderen bestraft werden. Das hat die Stadttaube gesagt«, sagte der kleine Bruder. Die Mutter blieb still und hörte den beiden zu, aber sagte: »Mit einem solchen Kimono könnt ihr nicht in die Stadt fliegen. Sonst wird es sofort klar, dass ihr Bergtauben seid. Und Bergtauben dürfen die Stadtmenschen töten.« Die beiden kleinen Tauben erinnerten sich, dass ihr Kimono im Vergleich zu dem der Stadttaube nicht schön war. Aber sie glaubten nicht, dass das Töten oder Nicht-Töten grundsätzlich von der Schönheit des Kimonos abhing. Daher konnten sie auch einfach nicht glauben, was die Mutter ihnen gesagt hatte. Und am nächsten Tag erinnerten sie sich an die Abmachung mit der Stadttaube. Die beiden flogen wieder in Richtung Meer, nachdem sie ihrer Mutter gesagt hatten, sie würden gleich zurückkommen. Die Stadttaube war schon längst da und wartete auf die Bergtaubenbrüder. An diesem Tag beobachteten die Wellen besorgt die drei Tauben, die bald darauf zu dritt in den Himmel und Richtung Stadt flogen.

Danach tauchten die beiden kleinen Tauben nicht mehr auf. Sie waren in die Stadt geflogen, vermutlich fanden die Stadttauben sie interessant und die beiden erzählten stolz von den Ereignissen in den Bergen … Man wusste nicht, wie es den beiden erging. In den Bergen war der einsame, düstere Schrei der Mutter, die ihre Kinder rief, fast jeden Tag zu hören.

Erst einen halben Monat später, am Morgen nach einem Sturm, erblickten die Wellen jene beiden Tauben wieder, die sich vollkommen erschöpft auf die Sandfläche niedergelassen hatten. Vermutlich waren sie mit heiler Haut aus der Stadt zurückgekommen. »Was ist los, so früh am Morgen?«, fragten die Wellen die beiden erschöpften Brüder. Da sagte der große Bruder keuchend, während er seine ziemlich zerzausten Federn mit dem Schnabel ordnete: »Der Himmel über der Stadt ist ganz rot. Die Taube, die damals hierhergekommen ist, und der Tempel, in dem wir gewohnt haben, alles ist verbrannt. Wir sind mit knapper Not davongekommen.« Die Wellen erschraken, als sie das hörten, und sprangen in die Höhe, um den Himmel in der Ferne sehen zu können. Unterdessen flogen die beiden Tauben zurück in Richtung der Berge.

Mimei...