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Im Takt des Todes/Bis zum letzten Atemzug - Zwei Thriller in einem Band

David Baldacci

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2016

ISBN 9783732528639 , 1099 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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14,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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8. Kapitel


Michelle betrachtete den Türknauf des Zimmers, in dem sie sich befand. Sie wartete darauf, dass er sich drehte und wieder jemand hereinkam, um ihr Fragen zu stellen. Hier war jeder Tag gleich: Frühstück, Termin beim Psychiater, Mittagessen, Fitnesstraining, dann wieder Psychogeplapper, eine Stunde für sich und schließlich noch mehr Seelenklempnerei, damit sie ihre Gefühle wieder in den Griff bekam und die Gewalt in ihrem Innern im Zaum hielt, um sich nicht selbst zu vernichten. Dann kamen das Abendessen und ein paar Pillen, wenn sie wollte, was für gewöhnlich nicht der Fall war. Zu guter Letzt ging sie ins Bett, wo sie vom nächsten Tag in dieser Hölle träumen konnte.

Als der Türknauf sich nicht drehte, erhob Michelle sich langsam vom Stuhl und ließ den Blick über die vier fensterlosen, hell gestrichenen Wände schweifen. Sie schaukelte auf den Fersen vor und zurück und atmete tief durch, um festzustellen, wie weit ihre Rippen bereits verheilt waren.

Sie hatte nicht viel über jene Nacht in der Bar nachgedacht. Sie war dorthin gegangen, um zu trinken und zu vergessen. Und als sie betrunken war, hatte sie ihr Bestes gegeben, einen Mann umzubringen. Nein, nicht ihr Bestes. Irgendwo tief in ihrem Innern hatte sie den Wunsch gehabt, selbst verletzt zu werden. Vielleicht sogar getötet …? Falls das wirklich ihre Absicht gewesen war, konnte sie sich nicht einmal mehr selbst umbringen.

Kann man ein solches Unvermögen in Worte fassen?

Michelle fuhr herum, als die Tür sich öffnete. Horatio Barnes kam herein. Er trug sein gewohntes Outfit: ausgewaschene Jeans, Sneakers, schwarzes T-Shirt mit aufgedrucktem Bild von einem Joint rauchenden Jimi Hendrix. Seit Michelle hierhergekommen war, hatte sie Barnes schon mehrmals gesehen, doch ihre Gespräche waren stets allgemeiner Natur gewesen. Inzwischen war Michelle zu der Überzeugung gelangt, dass der Mann entweder nicht allzu klug war oder dass ihm nichts daran lag, ob ihr Zustand sich besserte oder nicht.

Kümmert mich das denn?

Barnes hatte ein Bandgerät mitgebracht und bat Michelle, sich zu setzen, was sie auch tat. Sie tat immer, was man von ihr verlangte. Was blieb ihr anderes übrig?

Barnes setzte sich ihr gegenüber und hob das Aufnahmegerät. »Macht Ihnen das etwas aus? Ich fürchte, ich werde vergesslich auf meine alten Tage. Ich bin schon froh, dass ich mir merken kann, wo meine Haustür ist, sonst würde ich in der eigenen Wohnung verhungern.«

Michelle zuckte mit den Schultern. »Mir egal. Nehmen Sie ruhig alles auf.«

Barnes schaltete den Rekorder ein und stellte ihn neben Michelle auf den Tisch. »Und, wie geht es uns heute?«

»Uns geht es super. Wie geht es Ihnen, Dr. Barnes?« Michelle ahmte die Stimme des Psychiaters perfekt nach.

Barnes lächelte. »Sagen Sie einfach Horatio. Dr. Barnes war mein alter Herr.«

»Was für ein Doktor war er denn?«

»Chef der Humanmedizin an der Harvard Medical School. Dr. Stephen Cawley Barnes. Deshalb hat es ihn immer so aufgeregt, wenn ich ihn Stevie nannte.«

»Wie kommt es, dass Sie nicht auch Arzt geworden sind?«

»Mein Vater wollte tatsächlich, dass ich in seine Fußstapfen trete. Er hatte mein ganzes Leben für mich verplant. Er hat mich Horatio genannt, nach irgendeinem Vorfahren aus der Gründerzeit, in der Hoffnung, das würde meinem Leben historisches Gewicht verleihen. Können Sie sich das vorstellen? Wissen Sie, was für einen Mist ich mir wegen dieses Namens habe anhören müssen? Und das nur, weil mein Alter so ein elitärer Snob war. Deshalb bin ich nach Yale gegangen und Seelenklempner geworden.«

»Sie waren wohl ein ziemlicher Rebell.«

»Entweder macht man etwas richtig oder gar nicht. Hm, ich sehe auf Ihrem Krankenblatt, dass Sie keine ruhige Nacht hatten.«

Michelle ließ sich auf diesen plötzlichen Themenwechsel ein. »Ich war nicht müde.«

»Offenbar hatten Sie Albträume«, sagte Horatio. »Die mussten Sie ja irgendwann wecken.«

»Ich erinnere mich nicht.«

»Deshalb bin ich hier. Um Ihnen zu helfen, sich zu erinnern.«

»Warum sollte ich mich an einen Albtraum erinnern wollen?«

»Weil er mir viel darüber verraten könnte, was Ihnen zu schaffen macht.«

»Und wenn ich es gar nicht wissen will? Bedeutet das auch irgendetwas?«

»Sicher. Wollen Sie es wissen?«

»Lieber nicht.«

»Prima. Damit wäre das ›Bloß-keine-Albträume‹-Kästchen abgehakt. Wie ich sehe, haben Sie auch Dr. Reynolds gefragt, ob er zu Hause genügend Sex bekommt. Macht es Ihnen etwas aus, mir zu sagen, warum Sie das getan haben?«

»Weil er jedes Mal versucht hat, mir unter den Kittel zu gucken, wenn ich die Beine übereinandergeschlagen habe. Wie Ihnen vielleicht aufgefallen ist, trage ich jetzt ein Höschen.«

»Da habe ich ja Glück gehabt. Okay … lassen Sie uns darüber reden, warum Sie in diese Kneipe gegangen sind.«

»Haben wir das nicht schon besprochen?«

»Lassen Sie mir doch die Freude. Irgendwie muss ich mein üppiges Gehalt doch rechtfertigen.«

»Ich wollte einen Drink. Warum gehen Sie in eine Kneipe?«

»Sagen wir mal so … In elf verschiedenen Staaten gibt es Barhocker, die mir zu Ehren in den Ruhestand gegangen sind.«

»Nun ja«, sagte Michelle, »ich wollte nur einen Drink.«

»Und dann?«

»Und dann bin ich in eine Kneipenschlägerei geraten und hab eins aufs Maul gekriegt. Reicht Ihnen das?«

»Waren Sie vorher schon mal in dieser Bar?«

»Nein. Ich brauche öfter mal was Neues. Außerdem bin ich ein Mensch, den Sie wohl ›kühn‹ nennen würden.«

»Kühn bin ich auch. Aber eine Bar ausgerechnet in dem Viertel von D. C. aufzusuchen, das die höchste Verbrechensrate hat? Um halb zwölf nachts? Halten Sie das für klug?«

Michelle lächelte und entgegnete höflich: »Wie sich herausgestellt hat, war es das nicht.«

»Haben Sie diesen Fleischklops gekannt, mit dem Sie die Prügelei angefangen haben?«

»Nein. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mal, wie das alles gekommen ist.«

»Genau das will ich erfahren, Michelle. Fangen Sie mit der Wahrheit an. Ich glaube, das können Sie.«

»Was soll das denn heißen?«

»Im Polizeibericht sind Sie sämtlichen Zeugen zufolge zu dem größten Kerl in der Kneipe gegangen, haben ihm auf die Schulter getippt und ihm ins Gesicht getreten.«

»Zeugenaussagen sind bekannt für ihre Unzuverlässigkeit.«

»Sean hat mit dem Mann geredet, den Sie angegriffen haben.«

Michelle zuckte unwillkürlich zusammen. »Wirklich? Warum?«

Horatio biss nicht an. Stattdessen sagte er: »Der Kerl hat Sean etwas Interessantes erzählt. Würden Sie es gerne wissen?«

»Da Sie förmlich platzen, es mir zu sagen – nur zu.«

»Er sagte, dass Sie es beinahe zugelassen hätten, dass der Kerl Sie umbringt. Als hätten Sie es darauf angelegt.«

»Da hat er sich geirrt. Ich hab’s vermasselt, dem Kerl den Rest zu geben, sodass er seine Chance bekam, und die hat er genutzt. Ende der Geschichte.«

»Die Schwestern haben gesagt, letzte Nacht hätten Sie im Schlaf immer wieder ›Leb wohl, Sean‹ gerufen. Erinnern Sie sich?«

Michelle schüttelte den Kopf.

»Haben Sie daran gedacht, Ihre Partnerschaft mit Sean aufzukündigen? Falls ja, sollten Sie es ihm dann nicht sagen? Oder soll ich das für Sie erledigen?«

Rasch sagte Michelle: »Nein, ich …« Sie hielt inne. Das war eine Falle; sie fühlte es. »Woher soll ich wissen, was ich gemeint habe? Ich habe geschlafen.«

»Ich bin ein ziemlich guter Traumdeuter und würde Ihnen gratis einen Albtraum interpretieren. Das ist diese Woche ein Sonderangebot, weil die Geschäfte so lausig gehen.«

Michelle verdrehte die Augen.

Horatio fragte: »Sie vertrauen Sean, nicht wahr?«

»So sehr, wie ich jedem vertraue«, erwiderte Michelle gereizt, »und das ist heutzutage nicht viel.«

»Heutzutage? Dann hat sich etwas für Sie verändert?«

»Hören Sie, wenn Sie sich auf jedes meiner Worte stürzen, sag ich überhaupt nichts mehr, kapiert?«

»In Ordnung. Wie mir zu Ohren kam, wissen Ihre Eltern nicht, dass Sie hier sind. Sollen wir sie verständigen?«

»Nein. Man ruft seine Eltern an, wenn man befördert wird oder einen neuen Job bekommt, aber nicht, wenn man sich selbst in eine Anstalt eingewiesen hat.«

»Und warum haben Sie sich selbst eingewiesen?«

»Weil Sean gesagt hat, das müsse sein, um nicht ins Gefängnis zu wandern.« Trotz schlich sich in ihre Stimme.

»Ist das der einzige Grund? Gibt es nicht noch etwas anderes?«

Michelle lehnte sich auf dem Stuhl zurück und zog die langen Beine an.

Zwanzig Minuten später hatte sie ihr Schweigen noch immer nicht gebrochen. Schließlich stellte der Psychiater das Aufnahmegerät ab und stand auf. »Ich komme morgen wieder. Sollten Sie mich brauchen, können Sie mich telefonisch jederzeit erreichen. Falls ich nicht drangehe, bin ich in meiner Stammkneipe oder kümmere mich um einen anderen Irren wie Sie.«

»Ich nehme an, diese Sitzung war ein ziemlicher Miss-erfolg«, sagte Michelle und fügte spöttisch hinzu: »Tut mir echt leid. Aber ich nehme an, Sie werden so oder so bezahlt, oder?«

»Darauf können Sie wetten. Aber ich fand unsere Sitzung richtig klasse.«

Michelle blickte ihn verwirrt an. »Wieso das denn?«

»Weil Sie da gesessen und...