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Lieber heiß geküsst als kaltgestellt

Kristan Higgins

 

Verlag MIRA Taschenbuch, 2016

ISBN 9783956499418 , 400 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz DRM

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7,99 EUR


 

2. KAPITEL


Zwanzig Jahre vor dem Heiratsantrag

Connor Michael O’Rourke war zwölf Jahre alt, als er sich in Jessica Dunn verliebte.

Es beruhte nicht auf Gegenseitigkeit, aber das konnte er ihr nicht verübeln. Schließlich hatte er ihren Hund umgebracht.

Also nicht direkt umgebracht, doch es fühlte sich so an.

Der schicksalhafte, schreckliche Tag war ein Freitagnachmittag im April, als er und Colleen von der Schule nach Hause geradelt waren, eine vollkommen neue Freiheit, die ihre Eltern ihnen auch nur zugestanden, solange sie zusammenblieben, was wiederum den Nervenkitzel erheblich minderte. Es ist ein Fluch, eine Zwillingsschwester zu haben, dachte Connor oft. Wie viel cooler wäre es, wenn er allein durch den Ort radeln dürfte – er würde dann vielleicht in Mrs. Stoakes’ Laden ein paar Süßigkeiten kaufen oder am Seeufer eine Schlange entdecken, die er mitnehmen und in Colls Bett legen könnte.

Stattdessen waren sie zusammen. Colleen redete die ganze Zeit, fast ausschließlich über Dinge, die ihn nicht besonders interessierten – welche ihrer Freundinnen schon ihre Tage bekommen hatten, wer beim Mathetest durchgefallen war, wer in wen auch immer verliebt war. Das war praktisch der Normalzustand – Coll plapperte, er hörte halb hin, und ab und zu kam es zu gelinden Gewaltausbrüchen unter Geschwistern, die für eine gesunde Kindheit so wichtig sind.

Auch wenn sie ihm meist auf die Nerven ging, mit diesem Gerede über ihre magische Zwillingsverbindung, die sie – ja okay, zugegeben – tatsächlich hatten, und wegen ihrer Angewohnheit, ihm ständig überallhin zu folgen, konnte er es sich andererseits nicht anders vorstellen. Außerdem musste er auf sie aufpassen; sie war seine kleine Schwester, wenn auch nur drei Minuten jünger.

Connor und Colleens Leben war so normal, wie es nur sein konnte. Sie wohnten in einem hübschen Haus, machten fast jedes Jahr zwei Wochen lang irgendwo Urlaub, und vor Kurzem war Connor klar geworden, dass seine Eltern ziemlich betucht waren, was man als kleines Kind ja nicht so richtig mitkriegte. Sein Vater fuhr teure Autos, und wenn Connor die neuesten Nike-Turnschuhe haben wollte, wies seine Mutter ihn nie darauf hin, dass er sich doch auch für ein günstigeres Paar entscheiden könnte. Er war Mamas Liebling. Sein Vater hingegen … Nun ja, sein Vater war irgendwie schwierig. Angespannt und – wie sagte man doch gleich? – wichtigtuerisch, ja, das war er. Eingebildet und aufgeblasen. Nur zufrieden, wenn er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand und bewundert wurde, und selbst das machte ihn immer nur für ein paar Minuten glücklich.

Während Connor also Moms Lieblingskind war, schien Colleen die gesamte Anerkennung abzubekommen, die Dad zu geben hatte. Vor allem in letzter Zeit kam es Connor immer so vor, als ob er entweder etwas falsch machte oder total unsichtbar war; nur als Colls Beschützer war er offenbar für seinen Vater zu gebrauchen. „Pass auf deine Schwester auf“, hatte Dad gerade heute Morgen erst wieder gesagt, während er Colleen umarmte. Für Connor gab es keine Umarmung. Was ja okay war, eigentlich. Er war schließlich ein Junge, ein großer Junge sogar. Und große Jungs wollten nicht mehr in den Arm genommen werden.

Überhaupt war heute ein guter Tag! Die Apfelblüten hatten sich geöffnet, und endlich wehte wieder ein laues Lüftchen. Sie hatten drei Tests zurückbekommen, und sehr zu Colleens Verdruss hatte Connor jeweils eine Eins plus; dabei lernte er nie. Den ganzen Tag hatte er sich schon auf die Heimfahrt mit dem Fahrrad gefreut. Freitagnachmittag bedeutete, dass sie sich Zeit lassen konnten, vielleicht bei Tompkin’s Gorge anhalten und ganz hinaufklettern, um dem Rauschen des Wasserfalls zu lauschen und kleine Glimmer- und Quarzstücke zu sammeln.

Colleen knallte gegen sein Hinterrad. „Ups, sorry, Streber“, sagte sie kein bisschen bedauernd.

„Kein Problem, Doofi.“

„Hast du heute Mittag Pizza gegessen?“ Sie schloss zu ihm auf. „Die war widerlich. Ich meine, die hat getropft vor Öl, total nass und eklig. Du solltest denen mal zeigen, wie das geht, Con. Deine Pizza ist die beste.“

Er musste ein Lächeln unterdrücken. Wenn seine Eltern ausgingen, kochte er immer für Colleen. Letztes Wochenende hatte es Pizza gegeben, den Teig hatte er selbst gemacht. Jeder von ihnen hatte eine komplette Pizza vertilgt, so gut war sie gewesen.

Er hörte ein Auto hinter sich und fuhr vor seine Schwester. Die Räder zischten auf dem feuchten Asphalt, er spürte den Wind in seinem Gesicht. Sie hatten den langen Heimweg gewählt, um ihre Freiheit besser ausnutzen zu können. Wenn man den historischen Ortskern hinter sich gelassen hatte, gab es nicht mehr viel außer Bäumen und Feldern. Nur Wests Wohnwagensiedlung lag noch vor ihnen, und danach gut eine Meile Natur. Sie würden um den Hügel herumfahren, an dem all die Weinberge lagen, und dann den gewundenen Weg nach Hause hinaufradeln.

Nach den langen kalten Monaten fühlte es sich gut an, im Freien zu sein. Er trat fester in die Pedale und vergrößerte den Abstand zwischen sich und Coll. Über den Winter hatte er einen Wachstumsschub gehabt, daher fiel es ihm leicht, seine Schwester abzuhängen. Er spürte das befriedigende Brennen seiner Muskeln und folgte ihrem Ruf nach noch mehr Geschwindigkeit. Auf Coll würde er oben warten. Sie war schließlich ziemlich faul.

Und dann hörte er ein Geräusch, das er nicht einordnen konnte. Musste Colleen husten? War es ein Motor? Nein, das war kein …

Etwas Braunes raste auf ihn zu, und er lag schon am Boden, das Fahrrad über sich, bevor er überhaupt kapierte, dass sie zusammengestoßen waren. Nicht Colleen hatte dieses Geräusch gemacht, sondern ein Hund. Das braune Ding war ein Hund, und der war rasend vor Wut.

Er hatte keine Zeit zu reagieren, keine Zeit, auch nur Angst zu empfinden; da war nur der harte Asphalt unter seinen Schultern und Hüften, und da waren seine Hände, mit denen er versuchte, den Hund von seiner Kehle fernzuhalten. Die Welt war voller Lärm – wütendes lautes Knurren und Colleens Schreie. War sie okay? Wo war sie?

Alles, was Connor sehen konnte, war das Hundemaul, riesig, klaffend und schnappend, der dicke, starke Hals, und dann zog sich das Maul weit, weit nach hinten zurück wie eine Schlange, und er wusste, sobald diese Zähne sich in ihm vergruben, wäre er tot. Der Hund versuchte, ihn zu töten, begriff Connor benommen. Womöglich war das hier die Art und Weise, wie er sterben würde. Nicht vor Colleens Augen. Bitte.

Bevor er den Gedanken zu Ende denken konnte, fuhren die Zähne in Connors Arm, der Hund schüttelte den Kopf … und Himmel, hatte er eine Kraft, Connor war nur ein Lumpen, den der Hund herumschleuderte, und er konnte nicht schreien und auch nicht kämpfen; verglichen mit diesem muskulösen Hund war er ein Nichts. Colleen schrie, der Hund knurrte, Connor war ganz still, während er versuchte, seinen Arm festzuhalten, damit er ihm nicht abgerissen wurde.

Dann begann Colleen, mit ihrem Rucksack auf den Hund einzuschlagen und ihn zu treten, nirgendwo waren Autos zu sehen. Es wäre wirklich gut, wenn jemand anhalten und helfen würde; in diesem Moment wünschte er sich so sehnlich einen Erwachsenen herbei. Sein Arm brannte wie Feuer, da war auch Blut, und der Hund zerrte und schüttelte noch immer, als ob Colleen gar nicht da wäre.

Irgendwann ließ der Hund seinen Arm los und drehte sich zu Colleen um, die ihm voll ins Gesicht trat. Gott, sie war wirklich mutig, aber was, wenn er jetzt sie anfiel? Und schon schien er genau das zu tun, doch Connor trat ihm ans Bein, und sofort wandte er sich wieder ihm zu – gut, besser er als Colleen –, und dann fiel er schon ein zweites Mal über ihn her.

Diesmal hatte er es auf seinen Kopf abgesehen  – und das war’s, er würde sterben. Das riesige Maul klappte zu, und seine ganze linke Gesichtshälfte begann heftig zu brennen. Der Hund ließ nicht locker. Colleen war jetzt vollkommen hysterisch, trat immer wieder nach dem Tier, und Connor sah ihre Augen, so weit aufgerissen, dass er den kompletten grauen Kreis ihrer Iris sehen konnte.

Hau ab, Collie. Renn weg.

Er würde gleich ohnmächtig werden, Colleens Schreie schienen sich immer weiter zu entfernen.

Dann ein Kläffen, und der Hund war verschwunden. Instinktiv hob er die Hand an seine Wange, sie pochte und war heiß und viel zu nass.

„Oh mein Gott, oh mein Gott“, schluchzte Colleen und fiel neben ihm auf die Knie, um ihn zu umarmen. „Hilfe!“, schrie sie jemandem zu.

„Bist du okay?“, fragte Connor, seine Stimme klang seltsam und schwach. War sein Gesicht noch da? „Coll?“

Sie löste sich zitternd von ihm. „Du blutest. Ganz schön schlimm.“

Sie waren direkt vor dem Trailer Park, wo die armen Kinder in Wohnwagen lebten. Tiffy Ames und Levi Cooper und Jessica Dunn.

Und da war Jess auch schon, hielt den Hund an seinem Halsband fest und versuchte, ihn hochzuziehen. Ihr Bruder, mit dem irgendwas nicht stimmte, hatte sich auf den Hund gestürzt, schluchzend, und sagte wieder und wieder ein Wort. Cheeto oder so was. „Ist sie okay?“, fragte Connor, aber seine Stimme war zu leise, um gehört zu werden. „Ist ihr Bruder okay?“

„Ruft einen Krankenwagen“, kreischte Colleen, ihre Stimme war hoch und zittrig.

„Bist du okay, Collie?“, fragte er. Wieder war das gesamte Grau ihrer Augen zu erkennen.

„Mir geht’s gut. Aber du … bist verletzt.“

„Wie...