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Winterglücksmomente - Roman

Karen Swan

 

Verlag Goldmann, 2016

ISBN 9783641198763 , 480 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

1. Kapitel

Dezember, heute

Ich bin ein Riesenkaninchen! Ein blaues Plüsch-Riesenkaninchen!«, stöhnte Nettie. Ihre Stimme kam gedämpft unter dem übergroßen Kaninchenschädel hervor. Als ob das nicht genug wäre, hing ihr ein Riesenohr hartnäckig ins Gesicht, sodass ihr ohnehin schon eingeschränktes Sehfeld noch mehr beeinträchtigt wurde.

»Dafür hast du aber einen richtig süßen Arsch«, feixte Jules und schnipste Netties buschigen weißen Bommelschwanz an.

»Echt?« Nettie verrenkte sich fast den Hals, um im Spiegel einen Blick auf ihre Kehrseite zu erhaschen, aber das verflixte Ohr war im Weg.

»Oh ja!«, grinste Jules. Ihre hellbraunen Augen funkelten diebisch. »Da hat Alex was zum Grabschen, wenn ihr euch wieder versöh…«

»Ausgeschlossen!« Nettie fuhr herum und stampfte wütend mit den Fuß auf – besser gesagt mit der blauen Hinterpfote. »Mit dem ist’s vorbei, ein für alle Mal! Was glaubst du denn … was ist?«

Jules war gegen die Wand gesackt, sie konnte sich kaum halten vor Lachen. »Mach das noch mal.«

»Was?«

»Na, mit dem Fuß aufstampfen.«

»Meinst du so?« Nettie stampfte noch mal mit der XXL-Hinterpfote auf den Boden.

Jules gackerte wie ein Huhn. »Das erinnert mich an meine Kindheit! Weißt du, wie du aussiehst, wenn du das machst? Genau wie Klopfer aus Bambi

»Na, Hauptsache du hast deinen Spaß …« Nettie wischte sich mit der Pfote unwirsch den langen Lauscher aus dem Gesicht. »Du siehst umwerfend aus, während ich mal wieder den Schwarzen Peter gezogen habe.«

»Das Blaue Kaninchen«, verbesserte Jules kichernd. »Aber mach dir nichts draus – sieht sowieso keiner, wer drinsteckt.« Jules versuchte nun ebenfalls das störrische blaue Hasenohr nach hinten zu streichen. »Außerdem ist es für eine gute Sache.«

»Aber warum muss ausgerechnet ich das Riesenkaninchen spielen! Das ist schließlich kein Kindergeburtstag. Wer wird mir hier was in die Sammelbüchse stecken? Du dagegen – schau dich an! Dein Kostüm ist cool und sexy. Die werden alle warten, bis du mit der Büchse rumkommst.« Tatsächlich waren es keine Sammelbüchsen, mit denen sie später die Runde machen wollten, sondern gelbe Plastikeimerchen. Neidisch musterte Nettie Jules’ Minidirndl. In dem engen Mieder wurden ihre Brüste hochgedrückt und lagen nun in dem Trachtenblüschen wie zwei reife Pfirsiche, die herauszuspringen drohten. Ihr würde so ein Dirndl auch gut stehen, das wusste sie. Na ja, vielleicht nicht ganz so gut wie ihren glamourösen Kolleginnen mit ihren endlos langen Beinen und den straffen Bäuchen. Aber ihre weichen Kurven und die mandelförmigen braunen Augen – gekrönt von einer glänzenden nussbraunen Mähne, die ihr lang über den Rücken fiel – waren auch nicht zu verachten. Sie hatte etwas Besseres verdient, als im Kostüm eines blauen Plüschkaninchens zu verschwinden.

»Mag sein, aber es war Räumungsverkauf, und die hatten nur noch drei Dirndl«, meinte Jules und zupfte ihre Bluse noch ein bisschen herunter. »Das einzige andere Kostüm, das sie noch dahatten, war eine Riesenbanane. Ich glaube, Mike denkt, dass er dir mit dem Bunny einen Gefallen getan hat.«

»Er täte mir wirklich einen Gefallen, wenn er mir zeigen würde, wo in meinem Arbeitsvertrag steht, dass ich irgendwelche blöden Kostüme anziehen muss. Menschenskind, wir sind Profis, keine Witzfiguren.«

Jules zuckte ratlos mit den Schultern. »Aber etwas Positives hat die Sache: Du bist wenigstens warm eingemummelt. Es ist eisig hier oben.«

»Ich tausche gern mit dir«, erbot sich Nettie hastig.

»Ach nö, nicht nötig. Lieb von dir.« Jules zwinkerte ihrer Freundin zu. In ihren hellbraunen Augen tanzte der Schalk. »Ich steh auf diesen kanadischen Skater – wie heißt er noch mal?«

»Cameron Stanley?«

»Ja, genau. Ich schätze, diese Aufmachung wird meiner eigenen guten Sache nützen.« Sie zupfte erneut an ihrem Dekolleté und schob ein paar Haarsträhnen hinters Ohr, die sich aus ihren kurzen dicken Zöpfchen gelöst hatten. Jules hatte lockiges dunkles Haar, das ihr allerdings nur bis zum Kinn reichte. Es war gar nicht leicht gewesen, damit zwei Zöpfe zu flechten. »Glaubst du, er hat eine Freundin?«

»Keine Ahnung«, brummte Nettie missmutig. Es stank ihr, dass sie in ihrem Kostüm keine Chance auf einen Fang hatte. Nicht, dass sie was mit einem von den Typen hier hätte anfangen wollen. Die waren alle wahnsinnig. Übergeschnappt. Nur ein Irrer würde in Schlittschuhen eine steile Eisrampe runterrasen, geschweige denn sich auf einem solchen Parcours ein Hindernisrennen liefern.

Jenseits der Absperrung, hinter der sie standen, leuchtete die Eisbahn in unterschiedlichen Farben auf: rot, pink, blau und grün. Der DJ peitschte die Menge zu immer größerer Begeisterung auf. Das Ganze hatte mehr Ähnlichkeit mit einem Rockkonzert als mit einem Sportwettbewerb. Aber ihr Starklient, White Tiger, mit dem ihre Agentur den größten Umsatz machte, hatte sich nun mal auf diesen Nischenmarkt spezialisiert: das Veranstalten von Extremsport-Wettbewerben, Hardcore-Events, die sich über normale Sportvereine gar nicht mehr realisieren ließen, weil sie viel zu gefährlich waren, ein unkalkulierbares Risiko, vor dem jede Versicherung zurückschreckte. Diese Veranstaltungen zogen von Jahr zu Jahr mehr Zuschauer an, eingefleischte Fans, Adrenalinjunkies.

Und da war sie nun, mitten im Getümmel, verkleidet als blaues Riesenkaninchen. Nettie nahm ihren Sammeleimer in die Pfote. Die ersten Einzelrennen waren vorbei, die zweite Runde würde in Kürze beginnen; danach würden sie rumgehen und Spenden für Tested sammeln, die Hodenkrebs-Stiftung, für die sich White Tiger im Rahmen ihrer CSR engagierte, der Corporate Social Responsibilty, so etwas wie das »soziale Gewissen« einer Firma.

»Was brauchen die so lange?«, beschwerte sich Jules und rieb sich die nackten Arme. Sie spähte über die mit dem White-Tiger-Logo beklebte Bande zum Start. »Wenn das nicht bald losgeht, erfriere ich noch.«

Nettie stellte sich hinter ihre Freundin und schlang ihre dicken blauen Plüscharme um sie. Normalerweise war sie mit ihren gut eins sechzig fast zehn Zentimeter kleiner als Jules, aber heute war sie dank ihres gigantischen Kaninchenkopfs fast einen halben Meter größer. »Sag nicht, ich würde nie was für dich tun.«

»Aah, schon besser«, stöhnte Jules und kuschelte sich genüsslich in die blauen Riesenarme. Sie beobachtete zwei Techniker, die mit ratlosen Mienen an der Startrampe standen und in ihre Headsets sprachen. Dabei rüttelten sie gelegentlich an der Startschranke. »Hm, sieht nicht gut aus.«

Aber Nettie war mit den Gedanken woanders. Sie litt unter Höhenangst, und der Blick von der Startrampe die Eisrutsche hinunter verursachte bei ihr leichte Übelkeit. Der Parcours war auf einer Art Achterbahngerüst errichtet worden, das stellenweise bis zu sechzig Meter hoch war und sich in steilen Windungen nach unten erstreckte. Flankiert wurde die Bahn von Zuschauertribünen, auf denen sich die Menschen drängten, vor allem langhaarige Männer, zumeist mit trendigem Kinnbart. Die Menge wurde allmählich ungeduldig und begann mit den behandschuhten Fäusten rhythmisch auf die Bande zu schlagen. Den Rennteilnehmern ging es ähnlich. In Helm und dicker Schutzkleidung drängten sie zur Schranke und hieben immer wieder mit der Faust in die Hand, um den Adrenalinspiegel hochzuhalten. »Ice Cross Downhill«-Rennen waren kein Sport für Weicheier – Eishockey, eine der härtesten Massensportarten, war ein Witz dagegen. Der Titel der Veranstaltung machte es deutlich: Ice Crush. Ein gebrochenes Handgelenk und eine ausgerenkte Schulter waren das bisherige Resultat, und dabei standen noch sechs Runden an.

Ein Techniker kam an ihnen vorbei. Nach seiner Miene zu schließen, wurde er gerade über Kopfhörer zur Schnecke gemacht.

Jules sprach ihn an. »He, was ist denn da los?«

Der Mann blieb bereitwillig stehen, da er auf diese Weise Jules’ Dekolleté noch ein wenig länger bewundern konnte. Das Mikro mit der Hand abgedeckt, sagte er: »Ein technisches Problem. Der Startmechanismus klemmt.«

Jules verzog das Gesicht. »Ach Mann! Ich friere mir hier einen ab. Je eher ich mit meinem Eimer die Runde mache, desto schneller komme ich aus diesen Klamotten raus und kann mir was Wärmeres anziehen.«

Den Techniker schien diese Vorstellung nicht gerade anzuspornen.

Nettie warf einen Blick auf die Rennteilnehmer, die unruhig mit den Hufen scharrten. »Wie lang wird es dauern, bis das repariert ist? Die sehen aus, als wollten sie jeden Moment übereinander herfallen.«

»Vielleicht noch Stunden. Wir müssten zuerst mal an die Schaltung rankommen, aber irgendein Idiot hat die Rampe über der Zugangsklappe verlegt. Wenn wir keine andere Möglichkeit finden, an die Elektronik ranzukommen, werden wir das Rennen wohl abblasen müssen.«

»Auch das noch«, stöhnte Nettie, »dann sind wir ganz umsonst nach Lausanne gekommen.«

»Nicht ganz umsonst. Wir können später trotzdem noch die Bars und Clubs unsicher machen«, grinste Jules und kuschelte sich tiefer in die Umarmung des Riesenkarnickels.

»Mike wird uns aufs Dach steigen, wenn wir nicht mehr vorzuweisen haben als das hier.« Nettie schüttelte die paar erbärmlichen Münzen in ihrem Sammeleimer.

»War eh eine blöde Idee«, fand Jules, »ich habe...