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Winterzauber in Manhattan - Roman

Mandy Baggot

 

Verlag Goldmann, 2016

ISBN 9783641197278 , 576 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

KAPITEL
EINS

McDonald’s, Winchester Street, Salisbury, Wiltshire, Großbritannien

Hayley Walker hatte gekündigt. Einfach ihren Job hingeschmissen. Was hatte sie sich dabei nur gedacht? Ihr war nur ein Gedanke durch den Kopf gegangen: Flucht. Sie wollte weg von dem verschwitzten Greg und seinen verzweifelten Versuchen, sie anstatt der Wäsche in der chemischen Reinigung zu packen und in die Mangel zu nehmen. Aber jetzt, eine Stunde später, begann sie zu begreifen, dass sie weniger an Flucht und mehr ans Geld hätte denken sollen. Oder vielmehr an Geldmangel. Und daran, was sie nach Weihnachten tun sollte. Sie hatte viel zu spontan reagiert und das Handtuch geworfen. Eine Verzweiflungstat. Würde sie es bereuen? Ein Halbtagsjob als Eventplanerin reichte nicht aus, um Frühstücksspeck und das teure Müsli mit den Gutscheinen für Bücher zu kaufen.

»Gibt’s dort Yorkshire Pudding?«

Hayley hob den Blick von ihrem Telefon und schaute ihre Tochter an, das neunjährige Mädchen, das so gern die teuren Frühstücksflocken aus der Packung mit den Büchergutscheinen aß. Angel hing ein halber Cheeseburger aus dem Mund, was sie jedoch nicht davon abhielt, auch noch den Strohhalm ihrer Diät-Cola hineinstecken zu wollen. Hayley hatte nicht genau gehört, was sie gesagt hatte. Irgendetwas mit Pudding. Sie war zu sehr damit beschäftigt, sich zu überlegen, ob die Zeit vor ihrer Abreise reichen würde, um die Stellenanzeigen im Lokalblatt zu studieren. Gleichzeitig ging sie in Gedanken die Reiseplanung noch einmal durch. Neue Kleidung für sie beide war natürlich jetzt nicht mehr drin. Was würde in diesem Winter wohl im Trend liegen? An eine Tweed-Phase glaubte sie eher nicht. Vielleicht konnte sie nachts weniger schlafen und das, was sie im Schrank hatten, umändern. Rasch verdrängte sie die Gedanken daran und richtete ihre Aufmerksamkeit auf Angel.

»Angel, wir sind in einem Restaurant, also benimm dich entsprechend.«

Sie beobachtete, wie Angel die Augen verdrehte und dann den Blick langsam durch das McDonald’s wandern ließ. Was auch immer ihre Tochter damit ausdrücken wollte, es war ein Restaurant. Es lagen Servietten auf dem Tisch, und außerdem war es das einzige Restaurant, das Hayley sich im Augenblick leisten konnte. Vor allem nach dem heutigen Tag. Sie seufzte. Dieses McDonald’s war ihr Lokal. Hier aßen Mutter und Tochter gemeinsam Burger. Ein vertrauter Vorgang und tröstlich, besonders jetzt, da sie kurz davor stand, mit ihrer Tochter um die halbe Welt zu reisen.

»Und? Du hast meine Frage nicht beantwortet.« Angel betonte jedes Wort auf übertriebene Weise. »Gibt. Es. Dort. Yorkshire. Pudding. In. New. York?«

Hayley legte ihr Telefon auf den Tisch. Sie hatte keine Ahnung, aber anscheinend war es für Angel sehr wichtig. Wichtiger als die Tatsache, dass sie noch nie geflogen war, im Flugzeug acht Stunden lang still sitzen musste und ein völlig neues Land entdecken würde. Wer hätte gedacht, dass Yorkshire Pudding eine so entscheidende Rolle spielen würde?

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Hayley. »Aber ich kann nachfragen.« Sie lächelte ihre Tochter an.

»Schau doch bei Google nach.«

»Was? Jetzt?«

»Bei McDonald’s gibt’s kostenloses WLAN. Das sagst du doch immer.«

Angel saugte an ihrem Strohhalm und schaute sie aus ihren runden, an Murmeln erinnernde Augen an.

Kostenlos war im Augenblick entscheidend. In Hayley stieg plötzlich Stolz auf. Sie beobachtete, wie Angel mit ihren perfekten Zähnen in den Strohhalm biss. Ihre Wangen waren leicht gerötet, und ihr hellbraunes Haar war mit glitzernden Haargummis zu zwei Zöpfen geflochten. Angel war das Beste, was sie jemals zustande gebracht hatte. Ihre einzige befriedigende Leistung, und sie hatte sie fast ganz allein vollbracht. Vor Rührung zog sich ihr plötzlich die Kehle zusammen, und sie trank rasch einen Schluck.

»Ich kann es kaum erwarten, Onkel Deans neuen Freund kennenzulernen«, erklärte Angel.

Hayley hätte sich beinahe verschluckt und zog rasch den Strohhalm aus dem Mund. Ihr Telefon rutschte ihr aus der Hand und fiel auf die Pappschale mit den Pommes Frites, die sie noch nicht angerührt hatte. »Was?«

»Wir haben letzte Woche geskypt, während du stundenlang im Internet auf diese Formulare gestarrt hast.«

Angel hatte recht. In den letzten Wochen war Hayley pausenlos damit beschäftigt gewesen, Formulare auszufüllen. Sie hatte geglaubt, ein Besuchervisum beantragen zu müssen, und die Anforderungen dafür waren sehr hoch. Es schien leichter zu sein, eine Blutprobe eines Einhorns zu besorgen, oder das Ende der nächsten Folge von Game of Thrones verraten zu können. Warum hatte ihr niemand etwas über ESTA gesagt, bevor ihr Kopf beinahe explodiert wäre? New York – Weihnachtsferien für Angel und eine wichtige Mission für Hayley. In den letzten zwei Monaten hatte sie bei ihren Internetrecherchen oft so lange auf den Bildschirm gestarrt, bis ihr die Augen brannten. Und nun würde sie ihre Suche bald vor Ort persönlich fortsetzen können.

Hayley richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Angel.

»Er heißt Vernon. Abgekürzt Vern. Sie haben sich bei einer richtig coolen Party kennengelernt, zu der Onkel Dean eingeladen war.« Angel warf einen ihrer Zöpfe nach hinten. »Werden wir auch auf richtig coole Partys gehen?«

Hayleys Gedanken überschlugen sich. Ihr Bruder hatte einen neuen Freund, den er ihr gegenüber noch nicht erwähnt hatte. Gab es Yorkshire Pudding in Amerika? Musste sie noch ein Einhorn auftreiben? Eine Gepäckwaage – sie brauchte dringend eine Waage, um das Gepäck zu wiegen. Sie hatte keine Ganztagsbeschäftigung mehr!

»Das weiß ich nicht, Angel. Wir werden dort einiges zu tun haben, und …«

»Isst du den Burger noch auf?«

»Isst du deine Pommes nicht?« Angel drückte ihre Zungenspitze im Mund nach unten, schob sie gegen die Unterlippe und senkte das Kinn.

»Wenn du in Amerika eine solche Grimasse ziehst, ist das genauso schlimm wie fluchen«, warnte Hayley sie.

Angel hörte sofort damit auf, obwohl sie das nicht so recht zu glauben schien.

Hayley deutete mit dem Finger auf sie. »Reingelegt!«

»Das ist nicht fair!«, kreischte Angel. Sie griff über den Tisch, schnappte sich eine Fritte von Hayleys Schale und steckte sie sich rasch in den Mund.

Hayley lächelte, nahm sich selbst eine Fritte und tunkte sie in Ketchup. Wenn nur alles so einfach wäre wie Pommes Frites zu essen.

Sie warf einen Blick aus dem Fenster auf die Straße. Es war bereits dunkel, und die grauen Wolken am blauschwarzen Himmel schienen beinahe die Skyline der Stadt zu berühren. Die Leute hatten sich in Wollmäntel gehüllt und hasteten nach Hause oder eilten noch rasch zum Einkaufen, ihr Atem in der eisigen Luft deutlich sichtbar. In wenigen Tagen würden sie und Angel das alles hinter sich lassen und Tausende Kilometer über den Ozean fliegen, um Weihnachten im Big Apple zu verbringen. Bei Minustemperaturen im zweistelligen Bereich, mit vielen Weihnachtsmännern auf den Straßen, Musik von Michael Bublé und Zuckerstangen.

Hayley beobachtete eine Frau, die die Eingangstür aufschob, und streckte ihre Hand über den Tisch, um Angel auf den Arm zu tippen.

»Modealarm auf drei Uhr.« Hayley verstärkte ihren Druck auf Angels Arm. »Angel Walker, sag mir, wie du das Aussehen dieser Frau verbessern würdest, wenn du nur einen Schal und eine Haarklammer zur Verfügung hättest.«

»Oh, Mum …« Angel beobachtete die Frau, wie sie zur Theke hinüberging. »Ich finde, sie sieht gut aus.«

»Ich bitte dich! Cremefarbene Stiefel zu diesem grauen Mantel?«

Angel seufzte. »Welche Farbe hat der Schal, den wir uns vorstellen?«

Hayley grinste. »Welche Farbe sollte er deiner Meinung nach haben?«

»Rot?«

Hayley schüttelte den Kopf und verzog missbilligend das Gesicht.

»Braun?«

»Nein. Ein letzter Versuch?« Sie beobachtete ihre Tochter, wie sie die Frau von oben bis unten musterte.

»Punkte!«, rief Angel.

Hayley klatschte in die Hände. »Ja! Ich denke an ein Tuch im Dalmatiner-Druck, das sie sich um die Schultern schlingen könnte. Sie würde sich in einer Sekunde von einer Modebanausin in einen Modefreak verwandeln.«

»Sollen wir ihr das sagen?«, fragte Angel.

Hayley schüttelte lachend den Kopf. »Nein.«

Im Augenblick war das nur ein Spiel. Etwas, um den Bereich in ihrem Gehirn zu beschäftigen, der sich mit Modedesign befasste. Das war es, was sie immer hatte machen wollen. Mode für den Laufsteg kreieren, beobachten, wie Kleider zum Leben erwachten, ihre Modelle an exklusive Modegeschäfte auf der ganzen Welt liefern. Sie schluckte, als ihr Blick wieder auf Angel fiel. Das schien schon eine Ewigkeit her zu sein. Ihr Leben hatte sich seitdem grundlegend verändert. Anstatt ihre Nächte mit dem Zuschneiden von Stoffen zu verbringen und viel Spaß mit ihren Freunden bei ein paar Gläsern Lambrini zu haben, musste sie plötzlich Windeln wechseln und ihr Kind füttern. Und ihre Modeleidenschaft konnte sie nur noch bei der Kleidung für ihre kleine Tochter ausleben, wobei sie sich einreden musste, dass Spuckflecken en vogue seien. Sie hatte sich dazu entschieden, Mutter zu werden, und Mütter mussten eben Opfer bringen. Mehr gab es dazu nicht zu sagen.

»Vernon hat einen Hund namens Randy«, platzte Angel heraus und riss sie aus ihren Gedanken.

Hayley verschluckte sich an einer Fritte und hustete....