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Das Buch der Freude

Dalai Lama, Desmond Tutu, Douglas Abrams

 

Verlag Lotos, 2016

ISBN 9783641191917 , 384 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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12,99 EUR


 

EINLEITUNG

VON DOUGLAS ABRAMS

Als wir auf dem kleinen Flugplatz vor der imposanten Kulisse der schneebedeckten Ausläufer des Himalajas unter dem Heulen der Triebwerke die Maschine verlassen hatten, fielen sich zwei alte Freunde in die Arme. Der Erzbischof berührte zärtlich die Lippen des Dalai Lama, und dieser spitzte den Mund, als würde er dem Erzbischof einen Kuss zuwerfen. Es war ein Augenblick voller Zuneigung und Freundschaft. Während der etwa ein Jahr dauernden Vorbereitungen war uns die Bedeutung dieses Treffens für die Welt durchaus bewusst gewesen, aber wir hatten nicht damit gerechnet, was die gemeinsame Woche für die beiden bedeuten würde.

Mit dem Privileg, den bemerkenswerten Austausch während dieser Woche als Gäste im Exil des Dalai Lama im indischen Dharamsala zu vermitteln, ging eine mindestens ebenso große Verantwortung einher. Ich hoffe, in diesem Buch dem vertraulichen Dialog der beiden mit dem scheinbar endlosen Lachen und den vielen rührenden, liebevollen und bisweilen auch traurigen Augenblicken gerecht zu werden.

Im Verlauf von etwa einem Dutzend vorangegangener Begegnungen hatten Erzbischof Tutu und der Dalai Lama eine enge Verbindung geknüpft, die weit über diese kurzen Treffen hinausging, und jeder betrachtete den anderen als seinen »schelmischen Bruder im Geiste«. Die Gelegenheit, ihre Freundschaft so intensiv zu genießen, würde sich künftig wohl kein weiteres Mal bieten, das war beiden klar.

In allen unseren Gesprächen klangen die pochenden Schritte der menschlichen Vergänglichkeit mit. Zweimal mussten die Reisepläne geändert werden, damit der Erzbischof bei Begräbnissen von Freunden zugegen sein konnte. Die aktuelle Weltpolitik und die Gesundheit haben Begegnungen der beiden zu oft verhindert, als dass man auf ein weiteres derartiges Treffen hoffen dürfte.

So saßen wir eine Woche lang zusammen und wurden dabei von fünf Videokameras gefilmt – in sorgsam gedämpftem Licht, um die empfindlichen Augen des Dalai Lama zu schonen. Die Suche nach dem Ursprung der Freude führte uns zu den tiefgreifendsten Fragen des Lebens. Es ging dabei um die wahre, nicht von den Wechselfällen der äußeren Umstände abhängende Freude, und wir mussten uns dabei auch den Hindernissen widmen, die den Weg zur Freude erschweren. Während des Dialogs erörterten die beiden acht tragende Säulen der Freude – vier Säulen des Geistes und vier Säulen des Herzens. Trotz aufschlussreicher Meinungsverschiedenheiten waren sich die zwei großen Vordenker bei den Grundprinzipien einig und erarbeiteten Möglichkeiten, wie jeder Einzelne von uns in dieser sich ständig wandelnden und häufig schmerzlich erlebten Welt dauerhaft Glück finden kann.

Täglich genossen wir köstlichen Darjeeling und teilten das Brot – typisches tibetisches Fladenbrot. Bei diesen Pausen zur Mittags- und zur Teezeit war immer das ganze Filmteam mit eingeladen. An einem Morgen ließ der Dalai Lama den Erzbischof in seinen Privatgemächern an seinen morgendlichen Meditationsübungen teilhaben, und Tutu erteilte seinem Freund die Kommunion – ein Sakrament, das sonst Christen vorbehalten bleibt.

Am Ende der Woche feierten wir dann den Geburtstag des Dalai Lama im tibetischen Kinderdorf, einem der ehemals in Tibet beheimateten Internate, wo die chinesische Regierung eine Erziehung auf Grundlage der tibetischen Kultur nicht mehr zulässt. Noch heute werden Kinder von dort mit Führern über die Gebirgspässe zu den Schulen des Dalai Lama geschickt – häufig schon im Alter von fünf Jahren. Das Leid dieser Eltern und Kinder, die sich, wenn überhaupt, dann vielleicht erst ein Dutzend Jahre später wiedersehen, ist kaum vorstellbar.

Gerade vor diesem traumatischen Hintergrund lässt sich vielleicht die Begeisterung der Schüler und ihrer Lehrer ermessen, als ihr spirituelles Oberhaupt – dem als buddhistischem Mönch das Tanzen eigentlich versagt ist – angespornt durch Desmond Tutus unwiderstehlichen Boogie ebenfalls schüchtern zu wippen begann.

Der Dalai Lama und der Erzbischof zählen nicht nur zu den großen spirituellen, sondern auch zu den moralischen Orientierungspersönlichkeiten unserer Zeit. Sie gehen beide weit über ihre eigenen Traditionen hinaus und bewahren den Blick auf die Menschheit als Ganzes. Mit ihrem Mut, ihrer zähen Widerstandskraft und ihrer unerschütterlichen Hoffnung sind sie für Millionen ein leuchtendes Vorbild, denn sie stellen sich der überall wachsenden Verzweiflung und dem grassierenden Zynismus entschlossen entgegen. Ihre Freude und ihre Zuversicht sind ganz klar nichts Einfältiges oder Oberflächliches, sondern geschmiedet mit dem Feuer des Widerstands, der Unterdrückung und des Kampfs. Der Dalai Lama und Erzbischof Tutu erinnern uns daran, dass Lebensfreude unser Geburtsrecht und sogar noch fundamentaler ist als Glück.

»Freude«, erklärte der Erzbischof im Verlauf der Woche, »ist sehr viel umfassender als Glück, das doch häufig von äußeren Umständen abhängt, im Gegensatz zur Freude.«

Dies ist intellektuell wie gefühlsmäßig sehr nah an der Überzeugung des Dalai Lama wie des Erzbischofs darüber, was unser Leben beseelt und ihm letztlich Bedeutung und Erfüllung gibt.

In den Dialogen ging es um das, was der Dalai Lama den eigentlichen »Sinn des Lebens« genannt hat – das Ziel, Leiden zu vermeiden und dauerhaftes Glück zu finden. Beide teilten einander und uns ihre Erfahrungen mit, wie es sich angesichts der unvermeidlichen Bekümmernisse des Lebens in Freude leben lässt. Gemeinsam erkundeten sie, wie wir die Freude von einem vorübergehenden Zustand in ein beständiges Merkmal unseres Daseins umwandeln können, von einem flüchtigen Gefühl zu einer dauerhaften Daseinsform.

Dieses Buch war gleich von Anfang an als eine Art dreischichtige Geburtstagstorte gedacht.

Die erste Schicht bilden die Lehren des Dalai Lama und des Erzbischofs über die Freude: Ist es wirklich möglich, Freude zu empfinden trotz der Schwierigkeiten des Alltags – vom Ärger über den morgendlichen Berufsverkehr bis zu existenziellen Ängsten über die Versorgung unserer Familie, von der Wut über erlittenes Unrecht bis zur Trauer über den Verlust naher Angehöriger, von den Prüfungen durch Krankheit bis zum Abgrund des Todes? Wie können wir die Realität unseres Daseins akzeptieren, ohne sie zu leugnen, und Schmerz und Leid überwinden, denen wir nicht entgehen können? Und selbst wenn wir ein gutes Leben haben – wie können wir Freude empfinden, wenn so viele andere leiden; wenn ihnen bittere Armut jede Zukunft raubt, wenn in den Straßen Gewalt und Terror herrschen und wenn die Verwüstung der Umwelt die Lebensgrundlagen auf diesem Planeten zerstört? Dieses Buch ist der Versuch, solche und viele andere Fragen zu beantworten.

Die zweite Schicht bilden die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Freude und alle anderen Umstände, die beide für dauerhaftes Glück als unerlässlich erachten. Neue Erkenntnisse der Gehirnforschung und der experimentellen Psychologie geben uns tiefe Einblicke in die Art und Weise, wie menschliches Leben gedeihen kann.

Zwei Monate vor der Reise traf ich mich zum Mittagessen mit dem Neurowissenschaftler Richard Davidson, einem der Pioniere auf dem Gebiet der Erforschung des Glücks. Wir saßen im Außenbereich eines vietnamesischen Restaurants in San Francisco, und der allgegenwärtige Wind fuhr in die grauschwarzen Locken seines jugendlichen Haarschnitts. Wir waren gerade bei den Frühlingsrollen, als Professor Davidson mir erzählte, was der Dalai Lama ihm verraten habe: Ihn inspiriere die wissenschaftliche Bestätigung, dass Meditation dem Gehirn guttut, sehr – vor allem dabei, aus dem Bett zu kommen und sich hinzusetzen. Wenn schon dem Dalai Lama die Wissenschaft dabei hilft, sich für seine geistigen Übungen zu motivieren, dann hilft sie uns wahrscheinlich noch viel mehr.

Nur allzu oft sehen wir Spiritualität und Wissenschaft als antagonistische Kräfte, die einander an die Kehle wollen. Doch Erzbischof Tutu ist überzeugt von der Bedeutung einer von ihm so genannten »sich selbst bestätigenden Wahrheit«: Auf vielen Wissensgebieten gibt es Erkenntnisse, die zu denselben Schlüssen führen. Und auch der Dalai Lama wollte unmissverständlich klarstellen, dass dies kein buddhistisches oder christliches, vielmehr ein universelles Buch ist, das nicht nur auf persönlichen Ansichten und Traditionen beruht, sondern ebenso auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. (Offen gesagt: Ich bin jüdischen Glaubens, sehe mich aber auch als säkular – das Projekt mag also ein wenig nach einem Witz der Art »Treffen sich ein Buddhist, ein Christ und ein Jude …« klingen.)

Die dritte Schicht der Geburtstagstorte bilden die Schilderungen der mit dem Dalai Lama und Erzbischof Tutu in Dharamsala verbrachten Woche. In diesen sehr persönlichen Kapiteln laden wir den Leser zu unserer Reise mit ein, und zwar von der ersten Umarmung bis zum Abschied.

Am Ende des Buchs haben wir eine Auswahl von Übungen zur Freude angeführt. Beide Lehrer ließen uns an den täglichen Übungen teilhaben, die ihrem emotionalen und spirituellen Leben Halt geben. Sie sind nicht so sehr als etwas wie ein »Rezept für ein Leben in Freude« gedacht, sollen aber einige Methoden und Überlieferungen vorstellen, die dem Dalai Lama, dem Erzbischof und vielen anderen seit Jahrtausenden nützlich sind. Wir hoffen, diese Übungen werden den Lesern dabei helfen, die Lehren, die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Schilderungen in ihr eigenes Leben zu tragen.

Es ist mir eine...