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Mord vor dem Weihnachtsdinner

Georgette Heyer

 

Verlag beTHRILLED, 2016

ISBN 9783732531813 , 345 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR

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1


Joseph Herriard empfand es als eine ganz große Befriedigung, dass die Stechpalmen im vollen Schmuck ihrer Beeren standen; ja, ihm schien dies ein gutes Omen für die beabsichtigte Wiedervereinigung der Familie zu sein. Seit Tagen sammelte er eifrig die stacheligen kleinen Zweige und brachte sie ins Haus. Sein rosiges Gesicht strahlte dabei vor Freude, und sein weißes Haar, das er ziemlich lang trug, war von den Dezemberwinden zerzaust. „Sieh dir bloß die Beeren an!“, pflegte er zu sagen, indem er die Zweige zuerst Nathaniel unter die Nase hielt und sie dann auf Mauds Kartentisch legte.

„Sehr nett, mein Lieber“, meinte dann Maud gleichgültig, während Nathaniel knurrte: „Nimm das verdammte Zeug weg, ich hasse Stechpalmen.“

Aber weder die Gleichgültigkeit seiner Frau noch die Zurückweisung durch seinen älteren Bruder vermochte Josephs kindische Freude an der Weihnachtszeit zu dämpfen. Als der bleigraue Adventshimmel dann auch noch Schnee ankündigte, fing er an, über die alten Weihnachtsbräuche zu sprechen und Vergleiche zwischen Lexham Manor und Dingley Dell zu ziehen. Dabei bestand zwischen den beiden Häusern nicht mehr Ähnlichkeit als etwa zwischen Mr. Wardel und Nathaniel Herriard. Lexham war ein Herrensitz aus der Tudorzeit, eine der Sehenswürdigkeiten seiner Umgebung. Das Haus befand sich noch nicht lange im Besitz der Familie; Nathaniel — er war durch seine Importgeschäfte mit Ostindien zu Wohlstand gelangt — hatte es, einige Jahre bevor er sich von der aktiven Mitarbeit in seinem blühenden Unternehmen zurückzog, erworben. Seine Nichte, Paula Herriard, die das Haus nicht mochte, konnte sich nicht vorstellen, aus welchen Gründen sich ein alter Junggeselle mit einem solchen Besitz belastete, es sei denn, er beabsichtigte, es Stephen, ihrem Bruder, zu hinterlassen. Dann aber, meinte sie, war es ein Jammer, dass Stephen, der den Besitz liebte, sich so wenig bemühte, zu dem alten Herrn nett zu sein.

Obwohl Stephen seinen Onkel gewöhnlich ärgerte, betrachtete man ihn als Nathaniels Erben. Er war sein einziger Neffe, und wenn Nathaniel sein Vermögen nicht seinem einzigen Bruder Joseph zu vermachen gedachte, sah es ganz so aus, als würde der riesige Besitz dereinst diesem unwürdigen Stephen zufallen.

Erhärtet wurde diese Annahme noch dadurch, dass Nathaniel seinen Neffen anscheinend viel besser leiden konnte als irgendein anderes Mitglied seiner Familie. Aber sonst gab es wenige Leute, die Stephen besonders mochten. Der einzige Mensch, der beharrlich daran glaubte, dass hinter Stephens rauer Schale hervorragende Eigenschaften schlummerten, war Joseph.

„In Stephen steckt sehr viel Gutes. Denkt an meine Worte. Der liebe, alte Bär wird uns eines Tages alle überraschen“, pflegte Joseph treuherzig zu sagen, wenn Stephen sich wieder einmal von seiner unmöglichsten Seite gezeigt hatte.

„Die Beschäftigung mit unerwartet schwachen Verstandeskräften gehört nicht zu meinem Zeitvertreib“, war eine von Stephens Antworten, bei denen er sich nicht einmal die Mühe machte, die Pfeife aus dem Munde zu nehmen.

Wenn Joseph daraufhin tapfer lächelte, sah Paula sich veranlasst, ihn zu verteidigen, aber Stephen lachte bloß kurz auf und vergrub sich in sein Buch. Während Paula ihm freimütig erklärte, was sie von seinem Benehmen halte, hatte Joseph sich bereits wieder soweit gefasst, dass er Stephens bissige Bemerkung schalkhaft als die Folge eines Leberanfalls bezeichnen konnte.

Maud bemerkte dann mit tonloser Stimme, dass Salz vor dem Frühstück gut gegen eine träge Leberfunktion sei. Worauf Stephen „Ach Gott“ seufzte. „Nicht auszudenken, dass es in diesem Hause einmal erträglich war!“

Die Schlussfolgerung dieser beleidigenden Bemerkung war unmissverständlich, aber sobald Stephen den Raum verlassen hatte, versicherte Joseph seiner Nichte Paula: „Ich glaube nicht, dass Stephen uns die Gastfreundschaft Nats wirklich missgönnt.“

Joseph und Maud hatten nicht immer in Lexham Manor gewohnt. Joseph war bis vor wenigen Jahren so etwas wie ein Zugvogel gewesen. Er erzählte oft von seinen verfehlten Berufen und seinem Herumwandern in der Welt. Und damit Stephen nur ja nicht zornig wurde, pflegte er vergangene Triumphe im Rampenlicht nur mit einem Seufzer, einem Lächeln und einem „Eheu fugaces!“ zu erwähnen.

Denn Joseph hatte auf der Bühne gestanden. In seiner Jugend war er zwar zum Anwalt bestimmt gewesen, hatte aber diesen Beruf aufgegeben, weil er glaubte, dass er als Kaffeepflanzer in Ostafrika glänzendere Aussichten hätte. Seit jenen Tagen hatte er in jeden nur vorstellbaren Beruf hineingeschnuppert, war vom Goldsucher bis zum Schauspieler fast alles gewesen. Warum er die Schauspielerei aufgegeben hatte, konnte sich niemand erklären, denn er schien von Natur aus dazu prädestiniert, die Bretter, die die Welt bedeuten, zu zieren.

In dieser Zeit hatte er auch Maud kennengelernt und geheiratet. Obgleich es den jungen Herriards, die Maud nur als Fünfzigerin kannten, unvorstellbar schien, war sie dereinst eine passable Schauspielerin gewesen. Sie war mit den Jahren dick geworden, und heute waren in dem fetten Gesicht mit dem kleinen, zwischen tiefen Falten eingebetteten Mund, den rosigen Wangen und den hellblauen, fast starren Augen kaum noch Anzeichen von dem hübschen Mädchen von einst zu entdecken. Sie sprach selten von ihrer Jugend, und die wenigen Bemerkungen, die sie von Zeit zu Zeit fallen ließ, waren unzusammenhängend.

Für die jungen Herriards und Mathilda Clare, eine entfernte Cousine, waren Joseph und Maud nur legendäre Figuren gewesen, ehe sie das Meer vor zwei Jahren in Liverpool an die Ufer Englands spülte. Sie waren von Südamerika gekommen, zahlungsfähig zwar, aber ohne Aussichten. Es hatte sie nach Lexham Manor gezogen, und dort waren sie geblieben; keineswegs zu stolz, wie Joseph sagte, um Nathaniels Dauergäste zu sein.

Nathaniel hatte Bruder und Schwägerin mit einer überraschenden Bereitschaft aufgenommen. Vielleicht war er der Meinung gewesen, Lexham bedürfe einer Hausdame. Wenn dem wirklich so war, dann wurde er aber sehr enttäuscht, denn Maud zeigte keinerlei Neigung, die Zügel der Wirtschaftsführung in ihre kleinen Hände zu nehmen. Mauds Vorstellung von der menschlichen Glückseligkeit schien sich im Essen, Schlafen, in endlosen Patiencen und in der Lektüre von geschwätzigen Biografien königlicher Personen oder anderer Berühmtheiten zu erschöpfen.

Wenn Maud keinerlei Emotionen zeigte, so sprühte Joseph förmlich vor Energie. Beinahe alles an ihm war Güte. Aber zum Leidwesen Nathaniels, der nicht gesellig war, freute es ihn, große Gesellschaften zu arrangieren. Nichts bereitete ihm mehr Vergnügen, als das Haus voll mit jungen Leuten zu haben.

So war es denn auch Joseph, der die Idee gehabt hatte, jene Gesellschaft im Haus zu organisieren, die sich an diesem kalten Dezembertag zusammenfinden sollte. Joseph hatte so viele Jahre im Ausland verbracht, dass er sich nichts sehnlicher wünschte, als richtige englische Weihnachten zu erleben. Nathaniel, der seinem Treiben mit verächtlicher Miene zusah, meinte, nach seinen Erfahrungen bestünden richtige englische Weihnachten nur darin, dass sich Leute, die einander nicht ausstehen konnten, etliche Grobheiten sagten.

Es sprach sehr für Josephs Überredungskunst, dass Nathaniel „die jungen Leute“ schließlich doch einlud, Weihnachten auf Lexham Manor zu verbringen, zumal er erst einen Monat zuvor mit seinem Neffen Stephen Streit gehabt und es vor noch längerer Zeit ganz entschieden abgelehnt hatte, ein Theaterstück zu finanzieren, in welchem seine Nichte Paula auftreten wollte.

„Du weißt, Nat“, sagte Joseph, „alte, wunderliche Menschen wie du und ich können es sich nicht leisten, mit der jüngeren Generation herumzustreiten. Wo würden wir denn schließlich ohne sie sein? Trotz aller ihrer Fehler, segne ihre Herzen!“

„Ich kann es mir erlauben zu streiten, mit wem ich will“, erwiderte Nathaniel. „Ich sage ja nicht, dass Stephen und Paula nicht kommen dürfen, wenn sie es beide wünschen, aber ich möchte dieses Weibsstück Stephens nicht hier haben, das mit seinem ordinären Parfüm die Luft verpestet; und ich will nicht von Paula bedrängt werden, dass ich einem Stück auf die Beine helfe, das ein Bursche geschrieben hat, von dem ich niemals etwas gehört habe und von dem ich auch niemals etwas hören will.“

Nichtsdestoweniger ließ er sich nach einiger Zeit doch dazu überreden, Stephens „Weibsstück“ nach Lexham einzuladen. Zu guter Letzt kam eine ganz beträchtliche Anzahl von Gästen zusammen, die Weihnachten gemeinsam in Nathaniels Haus verbringen sollten, denn Paula brachte den unbekannten Dramatiker mit, der vom Hausherrn so sehr abgelehnt wurde; Mathilda Clare lud sich selbst ein, und Joseph überlegte im letzten Moment, dass es unhöflich wäre, mit der seit Jahren geübten Gepflogenheit zu brechen und Nathaniels Geschäftspartner, Edgar Mottisfont, nicht einzuladen.

Joseph verbrachte die letzten Tage vor Weihnachten damit, das Haus zu schmücken. Er kaufte Papierketten und hängte sie kreuzweise unter der Decke auf; und er holte ganze Büschel von Mistelzweigen herbei, um sie an allen strategisch wichtigen Punkten...