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Hauptstadt der Spione - Geheimdienste in Berlin im Kalten Krieg

Bernd von Kostka, Sven Felix Kellerhoff

 

Verlag Berlin Story Verlag, 2016

ISBN 9783957237057 , 324 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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12,99 EUR


 

VORWORT ZUR NEUAUSGABE


Abb. 1. Auf dem Dach der britischen Botschaft an der Wilhelmstraße steht eine rätselhafte weiße Verkleidung. Was sich darunter befindet, soll geheim bleiben.

 

SAG’ NIEMALS NIE


Wenn jemand es wissen muss, dann Hans-Georg Maaßen. »Berlin ist die europäische Hauptstadt der Agenten«, sagt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das nicht nur für nachrichtendienstliche Aufklärung innerhalb der Bundesrepublik zuständig ist, sondern auch für Spionageabwehr. Allerdings spricht Maaßen nicht über die Vergangenheit, über die Zeit der deutschen Teilung, als quer durch Berlin die heißeste Front im Kalten Krieg verlief. Er spricht über die Gegenwart, über das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Auch gegenwärtig gelte: »In keiner anderer Stadt gibt es mehr Spione.«1 Dabei hatten die Berliner doch gedacht, den Ruf ihrer Heimat als »Hauptstadt der Spione« nach dem Fall der Mauer, der Wiedervereinigung und dem Abzug der Westalliierten sowie der russischen Truppen ablegen zu können. Sie hatten gehofft, dieses Kapitel ihrer Geschichte hinter sich gelassen zu haben. Doch wie heißt ein 007-Thriller so treffend: »Never say never again« – »Sag’ niemals nie«.

Vielleicht haben es die heutigen Spione sogar leichter als ihre Vorgänger während der Blockkonfrontation. Jeder Tourist kennt die Abhörzentralen im Regierungsviertel; neben ihren Portalen hängen Bronzeschilder und an Masten stolz die Flaggen. Mindestens sechs Botschaften in der Innenstadt dienen mit größter Wahrscheinlichkeit als Horchposten: die US-Vertretung sowie die britische und die französische Botschaft am Pariser Platz, der spätstalinistische Palast Russlands Unter den Linden, außerdem der Plattenbau der nordkoreanischen Vertretung am Wilhelmplatz und Chinas diplomatischer Standort an der Jannowitzbrücke. Auf den Dächern all dieser Gebäude lassen sich ungewöhnliche Objekte erkennen, manchmal in Form einer weißen Tonne, manchmal aber auch eingebaut in Penthouseähnliche Aufbauten. Das mutmaßliche Ziel aller dieser Anlagen: der Mobilfunk der Bundesregierung, vor allem die Handys der Kanzlerin. Denn von Angela Merkel ist bekannt, dass sie am liebsten per SMS regiert. Noch bis vor kurzem benutzte sie dafür oft ein unverschlüsseltes, altertümliches Nokia-Modell mit ganz normalem Vodafone-Vertrag. Dieses Mobiltelefon hätte sogar ein Funkamateur ohne größere Probleme abhören können. Zwar hat die Kanzlerin auch ein besonders gesichertes, mutmaßlich abhörsicheres Telefon. Doch wenn sie damit jemanden erreichen will, braucht derjenige ein identisches Gerät. Jedenfalls für den Alltag als Parteichefin benutzte sie deshalb häufig ein Gerät, das weit unter dem Sicherheitsstandard aktueller Smartphones lag. Zeitweise belastete die »Handygate«-Affäre die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA massiv; von einem tiefgehenden Vertrauensverlust war die Rede. Ob die amerikanische National Security Agency, der Geheimdienst für elektronische Aufklärung, die Überwachung von Merkels Kommunikation tatsächlich eingestellt hat, wie Präsident Barack Obama versprochen hat, ist offen. Verlassen sollte man sich darauf nicht, denn Geheimdienste pflegen sich nicht an öffentliche politische Zusagen zu halten – täten sie es, bräuchte man sie nicht.

»Es gibt in Berlins Mitte Tausende Gesprächsverbindungen«, sagt Marcel Dickow, Experte für Cybersicherheit bei der Stiftung Politik und Wissenschaft in Berlin. »Wenn man die richtigen Nummern kennt, kann man auch viel abschöpfen. Was genau passiert, weiß aber niemand.« Ein zuverlässiger Schutz vor solchen Abhörmaßnahmen ist fast unmöglich. Die einzige Möglichkeit lebte vor Jahrzehnten, in der Zeit seiner Kanzlerschaft, Helmut Kohl vor. Weil die Autotelefone der 1980er- und 1990er-Jahre noch unsicherer waren als die heutigen Geräte, hatte sein Fahrer Eckhard Seeber stets genügend Münzen dabei, um seinem Chef bei spontanen Stopps an irgendwelchen öffentlichen Fernsprechern mit Kleingeld zu versorgen. »Man muss sich den Kanzler der Einheit stehend in einer einsamen Telefonzelle irgendwo im Regen vorstellen«, schreiben die Fachredakteure für Innere Sicherheit der Mediengruppe WELTN24 in einem Artikel zur »Handygate«-Affäre: »Sicher, zur hektischen Krisenpolitik des 21. Jahrhunderts will das nicht so recht passen. Aber eine Bundeskanzlerin muss vorsichtig sein. Denn wenn sie telefoniert, geht es schließlich nicht um Kochrezepte, sondern sehr oft ums Land.«2

Berlin ist auch in der Gegenwart ein Zentrum der internationalen Spionage. Diese Erkenntnis lädt ein zu einem Blick zurück in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Agenten und Nachrichtendienste die ehemalige Reichshauptstadt als liebstes Spielfeld entdeckten; davon handelt dieses Buch. Es ist erstmals im Sommer 2009 erschienen und hat seither zwei weitere Auflagen erlebt. Nach sieben Jahren erschien es uns angemessen, das gesamte Buch durchzusehen, zu aktualisieren und auf den neuesten Stand zu bringen. Denn auch wenn das Ende des Kalten Krieges mehr als ein Vierteljahrhundert zurückliegt, nimmt unser Wissen über das unsichtbare Ringen der Nachrichtendienste weiter zu. Neue Akten werden erschlossen; Zeitzeugen brechen ihr Schweigen; manchmal sind es reine Zufallsfunde, die unser Wissen über die Aktionen der Nachrichtendienste wesentlich erweitern.

In der Neuausgabe sind mehrere Kapitel hinzugekommen, andere konnten wesentlich erweitert werden. Der Todesschütze von Benno Ohnesorg, der West-Berliner Polizist und Stasispitzel Karl-Heinz Kurras, war erst im Frühjahr 2009 enttarnt worden. Gegenüber der Erstausgabe konnten mehr als 30 seinerzeit nicht verfügbare Aktenordner der Stasi eingearbeitet werden. Dagegen erfüllte sich die Hoffnung nicht, er könnte noch selbst Stellung beziehen: Kurras ist Ende 2014 gestorben, ohne noch irgendwelche sachdienlichen Angaben gemacht zu haben. Ein anderes Beispiel: Schon 1997 hatten die Mitarbeiter des AlliiertenMuseums die ersten Originalteile des amerikanisch-britischen Abhörtunnels in Berlin-Rudow ausgraben lassen. Unerwartet tauchten 2012 in einem Waldstück bei Pasewalk (Mecklenburg-Vorpommern) zwei weitere Segmente auf. DDR-Pioniereinheiten hatten sie ausgegraben, 140 Kilometer nach Norden transportiert und als Kommando-Unterstände weiterverwendet. Oder Jeff Carney, ein US-Soldat, der jahrelang für die Stasi in der US-Abhörstation Berlin-Marienfelde als Spion tätig war. 1991 wurde er, längst in Ost-Berlin untergetaucht und in die DDR eingebürgert, von CIA-Agenten aufgespürt und entführt. Nach knapp zwölf Jahren Haft in den USA freigekommen, legte er 2013 seine Memoiren vor. Diese und weitere neue Erkenntnisse sind in diese Neuausgabe eingeflossen.

Ohnehin ist Spionage in Berlin aktueller denn je. Ende 2015 hat im Herzen der Stadt das Spy Museum Berlin am Leipziger Platz seine Pforten geöffnet. In diesem Museum wird die Geschichte der Spionage, von den Anfängen bis zur Gegenwart, erzählt. Auch der Neubau der BND-Zentrale an der Chausseestraße ist ein deutliches Zeichen für die Zukunft Berlins als Hauptstadt der Spione. Der künftige Hauptsitz des deutschen Auslandsnachrichtendienstes in Mitte wird rund 4000 Mitarbeitern einen Arbeitsplatz bieten. 2017 soll der Bau bezugsfertig sein. Nur technische Abteilungen sollen am bisherigen Standort in Pullach bei München bleiben.

Doch nicht nur städtebaulich wird das Spionage-Image der Stadt gerade gestärkt. Die Filmindustrie hat das Thema Kalter Krieg und Spionage gerade neu für sich entdeckt. »Deutschland 83« hieß eine Serie, in der 2015 acht Folgen lang ein DDR-Spion, der als rechte Hand eines Bundeswehr-Generals diente, NATO-Geheimnisse ausspionierte. Die deutsche Produktion wurde sogar vor der Ausstrahlung hierzulande in die USA verkauft, wo sie mit passablem Erfolg lief. Da sie auch von der Kritik hochgelobt wurde, denken die Produzenten über eine Fortsetzung der Serie nach. Ebenso entstand die fünfte Staffel der US-Erfolgsserie »Homeland« im vergangenen Jahr in Berlin. Für 2017 plant das ZDF den Dreiteiler »Der geteilte Himmel«, der im Agentenmilieu der 1970er-Jahre spielt. Regisseur Oliver Hirschbiegel setzt dieses Spionagethema filmisch um – und in welcher Stadt kann solch eine Handlung wohl spielen? Natürlich in Berlin. Um bei diesem Spionage-Wettlauf mitzumischen, bereitet auch die ARD eine mehrteilige Serie über die frühe Zeit der westdeutschen Nachrichtendienste in den 1950er-Jahren vor. Die Serie »Bonn« kommt voraussichtlich 2018 auf dem Bildschirm. Trotz des Titels wird die Viersektorenstadt sicher auch hier eine Rolle spielen. Und nicht nur die deutschen Fernsehanstalten haben das Thema Spionage für sich entdeckt, sondern auch Hollywood. Mit »Bridge of Spies« kam 2015 ein Thriller in die Kinos, dessen...