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Pantheon - Geschichte der antiken Religionen

Jörg Rüpke

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2016

ISBN 9783406696428 , 560 Seiten

Format PDF, ePUB

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26,99 EUR

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I

Eine Religions-Geschichte


1
Was heißt mediterrane Religionsgeschichte?


Dieses Buch will eine Geschichte erzählen. Die Geschichte eines epochalen Umbruchs, der eine Welt, die für die meisten von uns jenseits aller Vorstellung liegt, unserer Welt in einem bestimmten Punkt ziemlich ähnlich gemacht hat. Ganz kurz gesagt: Aus einer Welt, in der man religiöse Rituale praktizierte, wurde eine Welt, in der man Religionen angehören konnte. Diese Geschichte ist keine einfache Geschichte. Die Veränderungen, von denen erzählt werden soll, waren nicht zwangsläufig, niemand hätte sie vorhersagen können. Sie waren auch nicht unumkehrbar, ganz im Gegenteil. Auch wenn die Rede von Religionen ganz selbstverständlich geworden zu sein scheint, auch wenn es zahlreiche Türen öffnet, falls man sich als «Religion» organisiert – in Verwaltungen, Steuerbehörden, Massenmedien, mancherorts auch in Gefängnissen –, auch wenn «Religion» zu einem nicht mehr wegzudenkenden Begriff der Beschreibung gegenwärtiger wie historischer Gesellschaften geworden ist, finden doch immer häufiger Entwicklungen Aufmerksamkeit, die mit diesem Begriff gerade nicht zu erfassen sind. «New Age» war ein solches Phänomen, «Spiritualität» erscheint zunehmend als solches und «Mystik» ist es wohl seit Langem. Auch wenn zahllose Muslims und Hindus ganz selbstverständlich von sich als Person sprechen, die einer von mehreren Religionen angehört, so darf man doch mit guten Gründen fragen, ob nicht in vielen Fällen eher von Kultur und kulturellen Unterschieden denn von der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Religionen geredet werden muss.

Dass ein Begriff Unterschiedliches bezeichnet, öffnet Türen des Vergleichs über Räume und Zeiten hinweg und macht in vielen Fällen erst ein sinnvolles Gespräch miteinander möglich. Auch das Erzählen einer Geschichte funktioniert nur, wenn die Anzahl der verwendeten Begriffe begrenzt ist, wenn Wiedererkennbarkeit trotz kleiner Unterschiede gewährleistet wird – ansonsten bleibt eine unzusammenhängende Vielzahl von Geschichten. Das kann unterhaltsam sein (man denke an Tausendundeine Nacht), auch überaus belehrend und erhellend (man denke an die tausend Alltagsgeschichten der «Mikrohistorie»), aber es findet kein Ende, keine «Moral». Das gilt umso mehr in einer langen Geschichte, wie sie hier versucht wird, in der die Akteure immer wieder wechseln, oft schneller als die Grundlinien religiöser Praktiken und Vorstellungen.

Aber natürlich macht eine begriffliche Vereinheitlichung die Sache schwierig, wenn über alle Kontinuitäten hinweg gerade Veränderungen sichtbar werden sollen. Dann gilt es, die Begriffe zu verfeinern. Dann besteht die Welt, von der die Rede ist, aus vielen geographischen Räumen mit unterschiedlichen Entwicklungen; die behauptete Veränderung mag auch andernorts stattgefunden haben, sie muss aber nicht überall die gleichen Folgen gehabt haben. In diesem Sinne ist eine «antike» Religionsgeschichte nicht einmal eine «mediterrane» Geschichte, muss sie doch einen Blick auch auf andere Räume werfen, muss fragen, was dort passierte, muss fragen, wo Ideen, Gegenstände und Personen jene Mauern durchdrangen, die die Metapher des Raumes in unserer Vorstellung aufrichtet.

Das Erzählen meiner Geschichte wird von der Vermutung begleitet, dass vergleichbare Transformationen mit ähnlichen Ergebnissen, sprich: Religionen – Zusammenhänge von Praktiken, Vorstellungen und Symbolen, die sich als abgegrenzt von anderen verstehen –, auch in anderen Räumen und Epochen, zuvorderst in West-, Süd- und Ostasien stattgefunden haben. Und doch stellte sich Religion im vergangenen halben Jahrtausend in diesen Räumen sehr unterschiedlich dar. Die für die europäische Neuzeit charakteristische Institutionalisierung und konfessionelle und konfliktreiche Zuspitzung des Phänomens Religion in der Form von «Religionen» oder «Konfessionen», in denen man – und zwar gleichzeitig immer nur in einer – Mitglied sein kann, beruht – so behaupte ich – auf den besonderen Konstellationen von Religion und Macht in der Antike und deren rechtlichen Kodifizierungen in der Spätantike. Die islamische Expansion, vor allem aber die spezifisch europäischen Entwicklungen der Reformationszeit und die Ausbildung von Nationalstaaten haben den Bekenntnischarakter und die institutionelle Verfestigung auch überregionaler religiöser Netzwerke verstärkt. Im kolonialen Ausgriff und vielfach im Gestus prinzipieller Überlegenheit wurde dies in viele, wenn auch bei weitem nicht alle Teile der Welt exportiert.[1]

Es ist gerade die nachantike zirkummediterrane und mehr und mehr euro-mediterrane Geschichte, die den Blick auf Rom lenkt. Will man Ursprungsgeschichten erzählen, ist diese Wahl abseitig. Der antike Polytheismus und seine Erzählwelten wurden nicht hier, sondern im Nahen Osten, in Ägypten und im Zweistromland entwickelt. Die monotheistischen Traditionen von Judentum, Christentum und Islam verbinden sich mit Jerusalem, nicht mit der Stadt am Tiber. Die polemische Trennung von Philosophie und Religion, fast ein Alleinstellungsmerkmal westlicher Religionsbegriffe, verdankt sich Athen, nicht den Sieben Hügeln. Und selbst jene lateinischsprachigen Rechtskodifizierungen im Corpus iuris civilis, die vielfach moderne Rechtssysteme geprägt haben, sind in Konstantinopel, im Rom des byzantinischen Reiches, entstanden, nicht in dessen italischem Vorbild. Sicher, das Wort religio hatte dort seinen Ursprung. Aber das ist für den Wandel, von dem hier erzählt werden soll, nur von geringer Bedeutung.

Ursprung ist indes nicht alles. Lange am Rand der griechischen Welt, wurden stadtrömische Vorstellungen von Religion seit dem Ende des ersten Jahrtausends v. Chr.[2] in den Mittelmeerraum exportiert, wurde römische Machtpolitik durch die Zerstörung Jerusalems zu einem zentralen Faktor der Geschichte verschiedener religiöser Identitäten. Die Ausbildung eines Reiches als multikultureller Großraum und eine neue Schichtung von Macht, der darin beschleunigte Austausch von Ideen, Gütern und Personen, die Attraktivität seines Zentrums für Propheten nicht minder als für Philosophen – das alles macht für die erste Hälfte des ersten Jahrtausends n. Chr. den Blick auf Rom unausweichlich. Für die vorangehenden Jahrhunderte stellt Rom jedoch eher ein Beispiel für mediterrane Entwicklungen dar, das seine eigene Geschichte und Zeitleiste hat und ständig daraufhin zu befragen ist, was als typisch, was als untypisch für andere Regionen gelten kann. Der rote Faden, den Rom für die Erzählung bilden soll, wird sich so erst langsam aus italischen, ja mediterranen Anfängen herausschälen.

Der Blick wird dadurch frei für religiöse Vorstellungen, Symbole, Handlungen, ja für kulturelle Praktiken insgesamt, die von den altorientalischen Hochkulturen bis in die Spätantike (und darüber hinaus) eine Vielzahl von Facetten gemeinsam haben und zugleich erhebliche Entwicklungen durchliefen. In einer langfristigen und globalen Perspektive kommt hier der Entwicklung bestimmter architektonischer und medialer Formen eine große Bedeutung zu: Manche Formen der Bilderwelt des aus Indien stammenden Buddhismus verdanken sich zu einem gerüttelten Maße den griechischen Modifikationen von ägyptischen Bildtypen. Aus dem westasiatisch-altorientalischen Raum wiederum stammen Vorstellungen eines «Pantheons» miteinander handelnder Gottheiten und deren Hierarchie, die für die Gestalt, die Personenwerdung griechischer und römischer Gottesvorstellungen und deren Aufnahme im Christentum eine wichtige Rolle gespielt haben. Mit der Entstehung des Judentums, der Erfindung des Christentums darin und der Ausbreitung seiner römisch geprägten Form über Rom wie Konstantinopel im Zentrum der mediterranen Welt sowie mit der Schaffung des Islam am südöstlichen Rande dieser Welt und seiner vielfach das Ende der Antike markierenden Ausbreitung über den südlichen und zunehmend östlichen, ja nordöstlichen Teil dieses Raumes hat die Religionsgeschichte der Antike, die in diesem Buch nur bis in die Mitte des vierten Jahrhunderts...