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Winter eines Lebens - Die Clifton Saga 7 - Roman

Jeffrey Archer

 

Verlag Heyne, 2017

ISBN 9783641204457 , 608 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

PROLOG

1978

Immer wenn Emma auffiel, dass die kanadische Flagge vom Heck eines Schiffes wehte, sah sie noch einmal hin. Und erst wenn sie dann den Namen am Rumpf des Schiffes gelesen hatte, schlug ihr Herz wieder normal.

Als sie diesmal hinsah, verdoppelte sich ihr Herzschlag beinahe, und fast wären ihr die Beine weggesackt. Sie überprüfte erneut, was ihr aufgefallen war: ein Name, den sie wohl niemals vergessen würde. Sie blieb stehen und beobachtete, wie zwei kleine Schlepper, aus deren Schornsteinen schwarzer Rauch stieg, das rostige alte Frachtschiff die Flussmündung hinauf zu seinem letzten Bestimmungsort lotsten.

Obwohl sie eigentlich nicht in diese Richtung hatte gehen wollen, drehte sie sich um, und als sie sich dem Abwrackplatz näherte, musste sie unwillkürlich an die Folgen denken, die es haben konnte, wenn sie versuchen würde, nach all den Jahren die Wahrheit herauszufinden. Zweifellos wäre es vernünftiger gewesen, zurück ins Büro zu gehen, als in der Vergangenheit herumzugraben … der fernen Vergangenheit.

Doch Emma ging nicht zurück, und als sie den Abwrackplatz erreicht hatte, begab sie sich direkt zum Büro des Vorarbeiters, als befinde sie sich auf einer ihrer üblichen Morgenrunden. Sie betrat den Eisenbahnwaggon und bemerkte erleichtert, dass Frank nicht hier war, sondern nur eine Sekretärin an ihrer Maschine tippte. Die Frau stand sofort auf, als sie die Vorstandsvorsitzende sah.

»Ich fürchte, Mr. Gibson ist nicht da, Mrs. Clifton. Soll ich ihn holen?«

»Nein, das wird nicht nötig sein«, sagte Emma. Sie warf einen Blick auf den großen Arbeitsplan an der Wand und fand ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Es war vorgesehen, dass das Abwracken der SS Maple Leaf am Dienstag in einer Woche beginnen sollte. Das verschaffte ihr wenigstens etwas Zeit, um zu entscheiden, ob sie Harry Bescheid geben oder, wie Admiral Nelson, nicht so genau hinsehen sollte. Sollte Harry jedoch herausfinden, dass die Maple Leaf an ihre letzte Ruhestätte zurückgekehrt war, und sie fragen, was sie darüber wusste, würde sie es nicht über sich bringen, ihn anzulügen.

»Ich bin sicher, dass Mr. Gibson in ein paar Minuten zurück sein wird, Mrs. Clifton.«

»Machen Sie sich keine Sorgen, es ist nicht so wichtig. Aber würden Sie ihn bitten, bei mir vorbeizuschauen, wenn er das nächste Mal etwas mit jemandem aus der Geschäftsleitung zu besprechen hat?«

»Soll ich ihm sagen, worum es geht?«

»Er wird Bescheid wissen.«

Karin sah aus dem Fenster auf die vorbeihuschende Landschaft, während der Zug seinem Weg nach Truro folgte. Doch ihre Gedanken waren anderswo, denn sie versuchte, den Tod der Baronin zu verarbeiten.

Seit mehreren Monaten hatte sie keinen Kontakt mehr zu Cynthia gehabt, und der MI6 hatte keinen Versuch unternommen, Karin einen anderen Führungsoffizier zuzuteilen. Hatten sie das Interesse an ihr verloren? Cynthia hatte ihr schon seit einiger Zeit nichts Bedeutendes mehr gegeben, das sie an Pengelly hätte weiterleiten können, und ihre Treffen im Tea Room waren immer seltener geworden.

Pengelly hatte angedeutet, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis man ihn in Moskau zurückerwartete. Für sie konnte seine Abberufung nicht schnell genug gehen. Es machte sie krank, Giles, den einzigen Mann, den sie jemals geliebt hatte, immer weiter zu täuschen, und sie hatte es satt, unter dem Vorwand, ihren Vater zu besuchen, nach Cornwall zu fahren. Pengelly war nicht ihr Vater, sondern ihr Stiefvater. Er widerte sie an, und sie hatte von Anfang an nur die Absicht gehabt, ihn dazu zu benutzen, vor einem Regime zu fliehen, das sie verachtete, damit sie mit dem Mann, in den sie sich verliebt hatte, zusammenleben konnte. Jenem Mann, der zunächst ihr Liebhaber und dann ihr Ehemann und bester Freund geworden war.

Karin hatte es gehasst, Giles den wahren Grund, warum sie sich mit der Baronin so oft im Oberhaus zum Tee traf, nicht verraten zu können. Jetzt, da Cynthia tot war, würde sie nicht länger eine Lüge leben müssen. Doch würde Giles, wenn er die Wahrheit erfuhr, ihr glauben, dass sie nur deshalb aus dem von Tyrannei geprägten Leben in Ost-Berlin geflohen war, weil sie mit ihm zusammen sein wollte? Oder hatte sie einmal zu oft gelogen?

Als der Zug in den Bahnhof von Truro rollte, betete sie, dass es für sie das letzte Mal sein würde.

»Wie viele Jahre arbeiten Sie schon für das Unternehmen, Frank?«, fragte Emma.

»Fast vierzig, Ma’am. Ich habe Ihrem Vater gedient und davor Ihrem Großvater.«

»Dann haben Sie doch sicher von der Geschichte der Maple Leaf gehört?«

»Das war vor meiner Zeit, Ma’am, aber die kennt jeder auf der Werft, obwohl nur wenige jemals darüber sprechen.«

»Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten, Frank. Könnten Sie eine kleine Truppe aus vertrauenswürdigen Arbeitern zusammenstellen?«

»Ich habe zwei Brüder und einen Cousin, die nie für irgendjemand anderen als für Barrington’s gearbeitet haben.«

»Sie müssen an einem Sonntag kommen, wenn die Werft geschlossen ist. Ich werde Ihnen und Ihren Leuten den doppelten Stundenlohn bezahlen, in bar. Und als zusätzlichen Anreiz wird es in zwölf Monaten einen Bonus in gleicher Höhe geben, aber nur, wenn ich bis dahin nichts von der Arbeit gehört habe, die Sie für mich erledigen sollen.«

»Das ist sehr großzügig von Ihnen, Ma’am«, sagte Frank und führte die Hand an seine Mütze.

»Wann können Sie anfangen?«

»Nächsten Sonntagnachmittag. Die Werft wird bis Dienstag geschlossen sein, weil Montag ein Bankfeiertag ist.«

»Ist Ihnen klar, dass Sie mich gar nicht gefragt haben, was Sie für mich tun sollen?«

»Das ist nicht nötig, Ma’am. Und wenn wir im doppelwandigen Rumpf finden, was Sie suchen – was dann?«

»Ich möchte nichts weiter, als dass die sterblichen Überreste von Arthur Clifton ein christliches Begräbnis bekommen.«

»Und wenn wir nichts finden?«

»Dann wird das ein Geheimnis bleiben, das wir fünf mit ins Grab nehmen.«

Karins Stiefvater öffnete die Eingangstür und begrüßte sie mit dem üblichen warmherzigen Lächeln.

»Ich habe einige gute Nachrichten für dich«, sagte er, als sie ins Haus kam. »Aber das wird bis später warten müssen.«

Konnte es tatsächlich sein, dachte Karin, dass dieser Albtraum ein Ende finden würde? Dann sah sie ein Exemplar der Times auf dem Küchentisch liegen, deren Seite mit den Nachrufen aufgeschlagen war. Sie starrte auf das vertraute Bild der Baronin Forbes-Watson und fragte sich, ob das nur ein Zufall war oder ob Pengelly die Zeitung offen hatte liegen lassen, um sie zu provozieren.

Beim Kaffee sprach er ausschließlich über belanglose Dinge, doch Karin konnte wohl kaum die drei Koffer übersehen, die neben der Tür standen und eine unmittelbar bevorstehende Abreise anzukündigen schienen. Zudem wurde sie immer besorgter, denn Pengelly blieb viel zu entspannt und viel zu freundlich für ihren Geschmack. Wie lautete der alte Militärausdruck dafür – »eine glückliche Demobilisierung«?

»Es wird Zeit, dass wir uns über ernstere Dinge unterhalten«, sagte er und legte einen Finger an die Lippen. Er ging in den Flur und nahm seinen schweren Mantel von einem Haken neben der Tür. Karin dachte kurz darüber nach davonzulaufen, doch wenn sie es tat und er eigentlich nur vorhatte, ihr von seiner Rückkehr nach Moskau zu berichten, würde ihre Tarnung auffliegen. Er half ihr mit ihrem Mantel und begleitete sie nach draußen.

Karin war überrascht, als er sie fest am Arm packte und sie fast die verlassene Straße entlangzerrte. Üblicherweise hakte sie sich bei ihm ein, damit jeder vorbeikommende Fremde annehmen musste, sie wären Vater und Tochter, die einen Spaziergang machten. Doch heute nicht. Sollten sie jemandem begegnen, so beschloss Karin, würde sie stehen bleiben und mit dem Betreffenden sprechen, selbst wenn es sich um den alten Colonel handelte, denn sie wusste, dass Pengelly es nicht riskieren würde, dass sie beide in Anwesenheit eines Zeugen enttarnt würden.

Pengelly setzte sein joviales Geplauder fort. Es passte so wenig zu ihm, dass Karin sogar noch besorgter wurde. Ihre Blicke huschten in alle Richtungen, doch an diesem trüben, grauen Tag schien niemand einen Spaziergang zu machen.

Als sie den Waldrand erreicht hatten, wandte sich Pengelly wie üblich um, weil er sehen wollte, ob sie verfolgt wurden. Wenn das früher der Fall gewesen war, waren die beiden immer zum Cottage zurückgegangen. Doch an diesem Nachmittag war niemand da.

Obwohl es erst vier Uhr war, begann das Licht bereits schwächer zu werden, und es wurde von Minute zu Minute dunkler. Als sie die Straße verließen und den Weg betraten, der in den Wald führte, packte er ihren Arm noch fester. Seine Stimme änderte sich; jetzt passte sie zu der kalten Luft.

»Ich weiß, du wirst dich sicher darüber freuen, Karin« – er hatte sie noch nie zuvor im Zusammenhang mit einer offiziellen Operation bei ihrem Vornamen genannt –, »dass ich befördert wurde und schon bald nach Moskau zurückkehren werde.«

»Herzlichen Glückwunsch, Genosse. Das hast du dir verdient.«

Er lockerte seinen Griff nicht. »Weshalb das heute unser letztes Treffen sein wird«, fuhr er fort. Durfte sie wirklich darauf hoffen, dass .… »Aber Marschall Koschewoi hat mir einen letzten Auftrag erteilt.« Pengelly erläuterte das nicht weiter; es war fast, als wolle er ihr Zeit geben, um darüber nachzudenken. Als...