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TannenPannen - Lustige Weihnachtsgeschichten

Wolfgang Schierlitz

 

Verlag Rosenheimer Verlagshaus, 2016

ISBN 9783475546044 , 144 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

13,99 EUR


 

Albtraum im Advent

So ein Supermarkt muss ja ständig auf dem neuesten Level sein. Vor allem wenn der Umsatz sang- und klanglos etwas einbricht, müssen umgehend größere Überlegungen angestellt werden. Noch dazu weil wieder einmal der Advent als besonderer Einkaufsmagnet unausweichlich herannaht. Gleich ist es wieder so weit. Da steht man dann als Kunde vor dem umfangreichen Laden und, vielleicht sogar verzweifelt, vor dem Hinweis: »Geschlossen. Wir bauen für Sie um.«

Das musste ein guter Bekannter, ein Frühpensionär, kürzlich an seinem eigenen Leib erfahren. Als ehemaliger Ministerialrat heimste er monatlich und pünktlich eine erkleckliche Auszahlung ein. Trotzdem fand sich, erwerbsmäßig gesehen, immer nur das Billigste in seinem Einkaufswagen. Kurz und knapp gesagt: Er war von Haus aus ziemlich geizig. Täglich prüfte er intensiv die Werbezettel, die aus seinem Postkasten unzählig hervorquollen. Diese nehmen ja an Umfang und Zahl lange schon vor den hohen Festtagen gewaltig zu.

Doch vorläufig leider vergeblich. Erst an einem Nachmittag Ende November sollte laut Ankündigung der Eröffnungsevent stattfinden.

Etwa zwei Stunden vor dem großen Ereignis traf ich ihn, den Privatier, auf einer Parkbank lauernd, in allernächster Nähe der Einkaufsquelle. Er machte einen ziemlich fertigen, blassen Eindruck. Hatte er schlecht geschlafen, und das selbst als ehemaliger höherer Staatsdiener? Ich fragte ihn unumwunden nach dem Grund.

Das hätte ich lieber bleiben lassen sollen. Wie immer als gelernter Beamter, holte er nicht nur sehr weit aus, sondern verzettelte sich mit seinen Erläuterungen vom Hundertsten bis ins Tausendste.

Umständlich versuchte er am Anfang zu beginnen, fand ihn aber nur sehr schwer: »Also, die Sache ist die: Gestern um sieben Uhr, nein, es war doch schon sieben Uhr und zehn Minuten, also 19.10 Uhr am Abend. Ich wollte eigentlich Spaghetti mit Tomatensoße kochen. Doch da stellte ich fest, dass ich gar keine Spaghetti mehr zu Hause hatte.«

Ich unterbrach ihn noch nicht, weil ich genau wusste: Wenn er dadurch völlig aus seinem Konzept herauskäme, würde ich morgen noch dasitzen.

Er fuhr auch ziemlich bald wieder fort: »Also, keine Spaghetti. Da isst man dann notgedrungen das, was man noch so da hat. Oder das von gestern. Ich habe dann anschließend noch den Teller und die Gabel, also auch ein Messer, abgespült. Sowie eine benutzte Tasse.«

Gleich dachte ich wieder daran, dass er ja von Jugendbeinen an ein eingefleischter Junggeselle war. Er musste solche schwerwiegenden Dinge immer alle selbst machen. Da ist man ständig ganz auf sich allein gestellt.

Und schon nach gar nicht langer Zeit setzte er fort: »Als ich dann den Fernseher eingeschaltet hatte, so gegen acht Uhr, und fünfzehn Minuten später nach den Tagesnachrichten noch der Wetterbericht durchgegeben wurde, sagte der Wetterfrosch ungerührt: ›Schon wieder Föhn.‹ Dadurch bin ich umgehend recht müde geworden. Das war schon den ganzen Tag, weil ich noch dazu den Föhn überhaupt nicht vertrage. Vor den Nachrichten ist ja immer Werbung. Aber nicht lange. Ich bin dann glatt eingeschlafen. Und kaum später, also das muss nur ganz kurz danach gewesen sein, so gegen neun Uhr, ging es los.«

Schon beinahe nur noch mit Mühe gefasst, aber zunehmend ungeduldiger, unterbrach ich das Gelaber: »Was war denn nun endlich? Sag es mir doch bitte heute noch!«

Ernst und sichtlich beleidigt sammelte er sich: »Ganz schwerer Traum. Böser Horror. Ich musste in den Supermarkt. Nichts mehr daheim. Noch dazu bald Weihnachten.« An dieser Stelle versuchte er sämtliche Dinge aufzuzählen, welche er einkaufen wollte.

Es ging nicht mehr anders. Ich musste ihn erneut abrupt unterbrechen: »Bitte, was war denn los, dass du so fertig bist? Sag es mir doch endlich! Das ist ja eine regelrechte Folter, was du mit mir machst!«

Seelenruhig wartete er etwas. Er besann sich zunächst, wie er das wahrscheinlich auch früher auf seinem Beamtensessel tat. Dann brach es langsam aus ihm heraus: »Du kannst dir wahrscheinlich gar nicht vorstellen, wie sehr so ein Albtraum zuschlagen kann. Ich bin immer noch fix und fertig. Und das kam so: Ich werfe einen Euro ein. Ich will mir wie immer einen Einkaufswagen ordern. Und siehe da, so ein Gerät ist dreimal so groß wie früher. Sozusagen ein überdimensionales Fahrzeug. Der Wagen ist mit drehbaren Schalt- und Gasgriffen versehen. Dass die Bremse fehlt, fällt mir zunächst nicht auf. Auch eine richtige, große Gummihupe wie ganz früher bei den Motorrädern ist vorhanden. Und jetzt sehe ich: Da ist ja sogar ein Motor zwischen den Rädern aufgehängt. Ich drehe vorsichtig am Gas. Schon rattert das Ding ziemlich schnell los, und ich muss wie mit daran gefesselten Händen mitsausen. Ich glaube, da war ein richtiger, starker Menschenmagnet dran, der dich nicht mehr freigibt. Wir brettern durch zwei Schwingtürflügel, die wie in einer Wildwestbar hinter mir hin und her schlagen.«

Er musste eine Pause einschalten. Das verstand ich. Allmählich konnte er mühsam weitererzählen.

»Aber jetzt kam erst so richtig Angst in mir auf. Während ja der Einkaufswagen dreimal voluminöser als früher war, hatte man die Gassen so verengt, dass eine Kollision mit den Waren rechts und links fast nicht verhindert werden konnte. Und schon flogen die Konserven und die Käseschachteln durch die Gegend, ebenso auch eine große Plastiktube Mayonnaise, die aufplatzte und sich von oben bis unten über mich ergoss. Die Regale türmten sich noch dazu wolkenkratzermäßig in die Höhe und verjüngten sich nach oben. Dabei schwankten sie so bedenklich, als ob sie jederzeit über mir zusammenstürzen wollten.

Doch nun sollte es erst richtig beginnen mit den Albdrücken. Immer mehr Kunden waren durch die Schwingtürflügel eingedrungen. Alle in rasantem Tempo. Und wie es nicht anders sein konnte, um den Horror noch zu beflügeln: Es kam Gegenverkehr! Kalter Schweiß durchbrach mein Hemd. Der Zusammenstoß mit höherer Geschwindigkeit schien nicht mehr abwendbar. Ich hupte wie ein Verrückter. Doch ganz kurz vor der Kollision bog der Kontrahent plötzlich links in eine andere Gasse ab.

Kaum war diese Gefahr glimpflich vorüber, raste erneut ein völlig überfüllter Wagen auf mich zu. Der Fahrer blieb hinter den aufgehäuften Sachen unsichtbar. Wahrscheinlich ein Rambo. Gerade überlegte ich, in welchem Krankenhaus ich wohl aufwachen würde. Doch, erstaunlich: Wie von Geisterhand gestoppt, standen beide Wagen plötzlich wie angewurzelt auf der Stelle. Das Unangenehme an der Sache war nur, dass durch die entstandene Fliehkraft ungefähr so etwa hundert Gegenstände wie Klopapier, Bananen, Zigarettenschachteln, eine große Packung Waschpulver und vieles mehr auf mich herabprasselten. Ab sofort wollte ich nur noch hinaus.

Doch was stellte sich heraus? Der gesamte Supermarkt hatte sich in einen furchtbaren Irrgarten verwandelt. Unentrinnbar! Ich hupte ununterbrochen und schrie so laut wie möglich um Hilfe. Wie in einer Geisterbahn durchsauste ich dabei immer neue Gassen, und zahlreiche Beinahe-Kollisionen zermürbten mich durch und durch. Die Hupe heulte klagend. Ich selbst konnte nur noch heiser krächzen. Der absolute Zusammenbruch war greifbar.

Aber wie durch ein Wunder war ich durch meinen anhaltenden Lärm glücklicherweise plötzlich wieder erwacht. Nach Atem ringend lag ich am Boden vor dem Fernseher. Der Wetterbericht war längst vorüber, und ein Horrorfilm lief gerade auf den Höhepunkt zu. In einem menschenleeren Supermarkt sauste, nach vorn gebeugt auf einem herrenlosen Einkaufswagen sitzend, eine übel zugerichtete Leiche durch die dunklen Gassen. Die rechte Hand hatte sie mahnend und geisterhaft erhoben. Dabei sang die untote Leiche ein schauriges Lied, betreffend Doktor Frankenstein. Ich sammelte meine ganzen Kräfte. Mit einem Hausschuh traf ich die Austaste vom Fernseher. Jetzt sitzt mir noch heute das eiskalte Grauen in den Gliedern.«

Inzwischen spielte drüben vor dem Supermarkteingang eine flotte Blasmusik in echt oberbayerischer Trachtenverkleidung, und eine Schwadron Luftballone wurde in Richtung Himmel entlassen. Ein Kinderchor sang frisch. Gutscheine und Flyer wurden verteilt. Es war zwar erst November, aber schon agierte ein rauschebärtiger Nikolaus mit goldenem Bischofsstab und hoher, heiliger Mütze zwischen den Leuten und rief ungefragt ungefähr alle zwei Minuten aus tiefer Brust sein dreifaches »Ho, ho, ho«. Mehr fiel ihm so lange vor seinem tatsächlichen Auftrittstermin noch nicht ein.

Mein lieber Exbeamter war wie von einer Tarantel gestochen aufgesprungen. Er holte einen Einkaufszettel aus der Hosentasche und eilte hinüber. Die Sonderangebote verfolgten ihn wahrscheinlich schon länger.

Ich kam etwas später nach, ohne Eile. Der Unterstand, wo sonst die Shopping-Trolleys waagerecht gestapelt sein mussten, zeigte sich leer. Ungefähr ein paar Hundert Leute, oder noch mehr, mussten den Eingang gestürmt haben. Als ich endlich, ohne das obligate Fahrzeug, auch eingedrungen war, machte ich eine Feststellung, die mich unangenehm an den soeben gehörten Horror-Albtraum erinnerte. Die Gassen waren tatsächlich enger geworden, die Angebote beträchtlich mehr, und die pausenlos ein- und ausfahrenden Einkaufswägen erschienen mir mindestens doppelt so groß wie früher. Selbst der gewaltige Verkehr in den Gassen zeigte sich schneller und gefährlicher als vor der Modernisierung. Platzangst breitete sich in mir aus.

Und da schepperte es bereits durchdringend. Mein lieber Beamtenfreund war mit seinem hoch aufgeladenen Wagen wie mit einem Rennauto viel zu schnell um eine unübersichtliche Ecke gebogen. Zwar gab...