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Ungelöst - Mysteriöse Kriminalfälle, literarisch neu aufgerollt

Christian Jaschinski, Robert C. Marley

 

Verlag KBV Verlags- & Medien GmbH, 2016

ISBN 9783954413324 , 350 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Vorwort


[Un]gelöst: Unvergessliche Kriminalfälle - endlich aufgeklärt.


Oder: Auf der Spur des Bösen …

Seit gut fünfzehn Jahren berate ich namhafte Autoren und Fernsehredaktionen bei Kriminalromanen und Tatortproduktionen. Meine Aufgabe besteht im Wesentlichen darin, Fantasie und Realität zusammenzubringen. Oder, um es anders auszudrücken, ich bin dazu da, dass sich meine fiktiven Kollegen keine bösen Ermittlungspannen erlauben. Daher bin ich von Anfang an, also ab dem Exposé, mit in die Entwicklung eines Plots eingebunden.

Ich erinnere mich noch sehr gut an »mein« erstes Manuskript: Der schwarze Troll. Das Tatort-Debüt von Krimiautorin Thea Dorn. Die Geschichte handelte von einer Giftmörderin, die nicht einmal davor zurückschreckte, ihre eigenen Kinder langsam zu vergiften. Dahinter steckte ihr geradezu krankhaftes Verlangen, als vermeintlich selbstlose und aufopferungsvolle Mutter anerkannt zu werden.

Nächtelang saß ich voller Spannung über den gut einhundertdreißig Seiten Papier. Ich brachte mein Ermittlerwissen auf Vordermann und notierte alles feinsäuberlich, um Autorin und Redaktion jede mögliche kriminalistische Nuance und Finesse meiner Arbeit als Leiter der Mordkommission zu vermitteln. Wie stirbt ein Mensch? Welche Spuren gibt es am Tatort? Wie kann ich ein Motiv erkennen? Was muss ich bei einer Vernehmung beachten? Und so entstand nach vielen, vielen Stunden eine kriminalistische »Ermittlerfibel für Autoren«, von deren totaler Umsetzbarkeit ich vollkommen überzeugt war; denn wie sollte ein spannender Plot anders funktionieren, als sich ausschließlich an der Praxis zu orientieren?

Gespannt wartete ich auf die Antwort der Redaktion. Bei der Besprechung offenbarte sich für mich jedoch eine völlig andere Sichtweise: Zwar waren einige meiner kriminalistischen Empfehlungen in das Drehbuch eingeflossen, doch die detailgetreue Abbildung der Polizeiarbeit und der kriminellen Realität fehlte. Nur warum? Ich verstand erst nach und nach, dass der »Mord am Sonntag« kein Lehrfilm für meine Kriminalistikstudenten an der Hochschule ist. Zudem soll das reale Verbrechen nur bedingt abgebildet werden. Aus gutem Grund, denn die klassische Arbeit in der Mordkommission ist häufig nicht sehr spektakulär; sie ist oft eine wochen- oder gar monatelange Fleißarbeit, bei der die einzelnen Ermittlungsergebnisse vom Tatort, der Obduktion, den Vernehmungen und den Ergebnissen der kriminaltechnischen Untersuchungen ineinander zu einem Abbild der Tat verwoben werden. Meistens auch mit gutem Erfolg: In rund neunzig Prozent der Fälle kann ein Täter überführt werden; insbesondere dann, wenn es um Beziehungstaten geht.

Mit dieser hohen Aufklärungsquote liegen wir als reale Mordermittler aber immer noch weit hinter den fiktiven Kommissaren und ihrem Anspruch, jeden Täter zu fassen. Gleichgültig, wie diffizil und monströs der Fall auch ist. Und das auch noch in einer atemberaubend kurzen Zeit: Gerade einmal zwei, drei Lesetage oder gar nur neunzig Fernseh-Minuten benötigen sie in der Regel für ihre Suche nach dem Mörder; ein Tempo, um das Profis, wie ich, sie beneiden. Und das alles, obwohl die Kommissare bei ihrer Jagd nach dem Täter – wie auch wir realen Ermittler – zusätzlich noch mit eigenen Schwächen, intoleranten Vorgesetzten, schwierigen Partnern oder massiven gesundheitlichen Problemen zu kämpfen haben. Auf der anderen Seite kann so ein Plot entstehen, der neben dem Mord auch sehr persönliche Momente behandelt. Zwar kämpfen echte Kriminalisten bei ihrer Arbeit natürlich auch mit diesen Problemen, allerdings hilft hier häufig das Team von vertrauten Kollegen, um diese Schwächen auszugleichen.

Aber gerade weil die fiktiven Kommissare jenseits ihrer beneidenswerten Aufklärungserfolge Mensch bleiben und Schwächen offenbaren, bekommen fiktive Handlungen einen besonderen Flair, dem sich der Zuschauer nur schwer entziehen kann. Ganz ähnlich wie in erfolgreichen Kriminalromanen mit der Figur des Kurt Wallander von Henning Mankell, um nur ein Beispiel zu nennen. Aus meiner Sicht gilt für beide Genre: Helden müssen Stärken und Schwächen zeigen, aber auch polarisieren – im Guten wie auch im Bösen –, damit sie geliebt oder gehasst werden.

Allerdings sind eine kapriziöse Kommissarin oder ein grantelnder Mordermittler natürlich noch kein Garant für einen erfolgreichen Krimi. Dazu gehört mehr: das Mitraten, das »Whodunnit«, das gedankliche Analysieren, der Geistesblitz. Aber in der Handlung müssen auch die Ursachen und Hintergründe der Tat beleuchtet und erklärt werden: Wie konnte es überhaupt dazu kommen? Warum hat niemand das Verbrechen verhindert? Wie wird es sanktioniert? Gibt es neben der weltlichen Schuld nicht auch Erklärungen für das Tun? Damit der Plot endgültig zur spannenden Unterhaltung wird, gehören für mich neben den branchenüblichen Thrillerelementen weitere Zutaten dazu; zum Beispiel der Anspruch, ein möglichst detailgetreues Abbild der sozialen Wirklichkeit zu liefern.

Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass sich Tötungsdelikte durch alle gesellschaftlichen Schichten, Milieus und Kulturkreise ziehen, auch wenn es so zu sein scheint, dass sich die meisten Taten in den unteren Schichten der Gesellschaft ereignen und häufig in Kombination mit Alkoholproblemen daherkommen. Gerade diese Vielfalt ist auch immer der Reiz für mich gewesen, als Mordermittler und Profiler zu arbeiten. Wir werden ständig mit neuen Menschen und Sachverhalten konfrontiert. Und weil nicht nur ich als Ermittler neugierig und manchmal auch eine Spur voyeuristisch bin, glaube ich, dass der Leser und Zuschauer auch ebendiesen Anspruch haben und sich fragen: Was gibt es außerhalb meines eigenen, privaten und beruflich begrenzten Mikrokosmos noch an weiteren Lebensformen?

Nun komme ich zu einem Aspekt, der den Leser ganz persönlich betrifft: Es geht um das Töten und das sogenannte Böse.

Für mich ist das Töten dem Menschen immanent, das heißt, es ist Teil unseres Lebens, unseres Seins. Und eng verwurzelt damit ist die Frage nach dem Bösen. Und weil dies so ist, übt das Böse auch im Krimigenre seinen Reiz auf den Zuschauer aus. Allerdings glaube ich nicht, dass ausschließlich das Böse angeboren oder vererbt ist. Sondern ich denke, dass der Mensch sowohl Anteile des Bösen wie des Guten in sich trägt, er also stets dem Wechselspiel beider Komponenten ausgesetzt ist und die Tat häufig einen traurigen Höhepunkt seiner Biografie darstellt.

Doch warum wird der eine zum Verbrecher, während der andere sich lediglich gerne Verbrechen in Krimis anschaut? Ist es nur die Frage von Sozialisation oder vielmehr fehlender Sozialisation? Wie und warum schaffen es die meisten Menschen, andere zu achten und anzuerkennen und Gefühle wie Wut, Hass, Ärger, Enttäuschung und Verzweiflung nicht überhandnehmen zu lassen, sodass sie ihr Tun in einem Moment völlig bestimmen?

So beschäftigt mich als Ermittler oft die Frage, wie und warum sich manche Menschen in bedrängenden Situationen beherrschen können und ihren spontanen Gefühlen eben keinen freien Lauf lassen. Und warum sie sich entscheiden, etwas anderes zu tun als das, was sie eigentlich fühlen, und damit nicht dem Bösen erliegen.

Aber zurück zum Krimi-Genre: Lassen wir darin möglicherweise andere für uns stellvertretend agieren, um in gewisser Weise trotzdem dem Bösen nah zu sein? Ich vermute, dass darin der Erfolg von Psychothrillern und Krimis begründet ist, die uns sehr nah, ungeschminkt und manchmal auch heroisierend das Böse und die Abgründe menschlichen Verhaltens vor Augen führen. Vielleicht ist es aber auch die Frage des Zuschauers an sich selber: Wie viel Brutalität und Gewalt halte ich aus? Bei welchen Szenen muss ich weggucken? Und empfinden wir dabei nicht auch die Beruhigung, dass doch alles nur Fiktion und nicht Realität ist und dass ein moralischer Saubermacher – der Kommissar – uns dabei begleitet und dem Bösen damit keine Chance lässt?

Während ich diese Zeilen schreibe, wird mir bewusst, dass ich mich in meinem Beruf ähnlich verhalte: Natürlich will ich alles über die Tat erfahren, möchte verstehen, warum und wie ein Mensch getötet wurde. Auch möchte ich erfahren, wer das Opfer gewesen ist, wie es gelebt hat, mit wem es befreundet war. Doch ab einem bestimmten Punkt hört mein berufliches Interesse auf, nämlich dann, wenn es um Gefühle geht: Ich möchte nie hinterfragen, was der Mensch in dem Moment empfand, als er merkte, dass er sterben wird.

Und ganz zum Schluss möchte ich noch ein Lob verteilen: Wie bei jedem neuen Manuskript bin ich auch von der Fantasie der (Un)gelöst-Autorinnen und Autoren ehrlich beeindruckt und gratuliere zu ihren – wenn auch späten – famosen Aufklärungserfolgen.

Chapeau.

Allerdings beruhigt es mich sehr, dass sich diese Einbildungskraft nicht mit krimineller Energie verbindet. Ansonsten würden sie meinen...