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Sturmhöhe

Emily Brontë

 

Verlag Re-Image Publishing, 2016

ISBN 9783958495760 , 361 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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0,99 EUR


 

Erstes Kapitel


 

1801. Ich bin gerade von einem Besuch bei meinem Gutsherrn zurückgekehrt — diesem einsamen Nachbarn, der mir zu schaffen machen wird.
Was für eine schöne Gegend! Ich glaube nicht, dass ich in ganz England meinen Wohnsitz an einer anderen Stelle hätte aufschlagen können, die so vollkommen abseits vom Getriebe der Welt liegt. Ein echtes Paradies für Menschenfeinde; und Mr. Heathcliff und ich sind das richtige Paar, um diese Einsamkeit miteinander zu teilen. Ein famoser Bursche! Er ahnte wohl kaum, wie mein Herz ihm entgegenschlug, als ich sah, wie seine schwarzen Augen sich bei meinem Näherreiten so abweisend unter den Brauen verbargen und wie seine Hände sich in entschiedenem Misstrauen tiefer in sein Wams vergruben, während ich meinen Namen nannte.
»Mr. Heathcliff?« fragte ich.
Ein Nicken war die Antwort.
»Mr. Lockwood, Ihr neuer Pächter. Ich erlaube mir, nach meiner Ankunft sobald wie möglich vorzusprechen, und hoffe, dass Ihnen die Beharrlichkeit, mit der ich mich um Thrushcross Grange beworben habe, nicht lästig geworden ist. Ich hörte gestern, Sie hätten die Absicht gehabt…«
»Thrushcross Grange gehört mir«, unterbrach er mich auffahrend. »Ich erlaube niemand, mich zu belästigen, wenn ich es verhindern kann. — Kommen Sie herein!«
Das ›Kommen Sie herein‹ wurde zwischen den Zähnen hervorgestoßen und hiess soviel wie: Geh zum Teufel. Selbst die Gattertür, über die er sich lehnte, machte keine freundliche Bewegung zu seinen Worten. Ich glaube, nur ein Umstand bewog mich, die Einladung anzunehmen: mich fesselte ein Mann, der in noch stärkerem Maße als ich zurückhaltend ist. Als er sah, dass mein Pferd die Brust gegen das Gatter drängte, streckte er die Hand aus, um die Kette zu lösen, und ging dann mürrisch den Dammweg voraus. Beim Betreten des Hofraumes rief er: »Joseph, nimm Mr. Lockwood das Pferd ab, und bring Wein herauf!«
›Dies wird wohl das ganze Gesinde sein‹, überlegte ich, als ich diesen zusammenfassenden Befehl vernahm. ›Kein Wunder, dass Gras zwischen dem Pflaster wächst und die Hecken nur von den Rindern gestutzt werden.‹
Joseph war ein ältlicher, nein, ein alter Mann; vielleicht war er sogar sehr alt, obwohl gesund und sehnig.
»Gott behüte!« sagte er grämlich und missvergnügt vor sich hin, während er mir mein Pferd abnahm, und blickte mir dabei so verdriesslich ins Gesicht, dass ich den mitleidigen Schluss zog, er bedürfe wohl göttlicher Hilfe, um sein Mittagessen zu verdauen, und sein frommer Stoßseufzer könne sich nicht auf meine unerwartete Ankunft beziehen.
›Wuthering Heights‹, Sturmhöhe, heisst Mr. Heathcliffs Besitztum. ›Wuthering‹ ist ein trefflicher mundartlicher Ausdruck, um den Aufruhr der Lüfte zu beschreiben, dem dieser Ort bei stürmischem Wetter ausgesetzt ist. Die Leute dort oben müssen zu allen Zeiten kräftig durchgeblasen werden. Man kann sich die Gewalt des Sturmes, der um die Ecke bläst, recht vorstellen, wenn man die paar schiefgewehten dürftigen Kiefern am Ende des Hauses betrachtet und eine Reihe dürrer Dornbüsche sieht, die alle ihre Arme nach einer Seite strecken, als wollten sie die Sonne um ein Almosen bitten. Zum Glück hatte der Baumeister ein festes Haus hingesetzt: die schmalen Fenster sind tief in die Mauer eingelassen und die Ecken durch große vorstehende Steine gesichert.
Bevor ich über die Schwelle schritt, verhielt ich, um eine Menge grotesker Schnitzereien zu bewundern, die verschwenderisch an der Vorderseite und besonders am Haupteingang angebracht waren. Über diesem entdeckte ich mitten in einem Wirrwarr von zerbröckelnden Greifen und nackten kleinen Putten die Jahreszahl 1500 und den Namen Hareton Earnshaw. Ich hätte gern ein paar Bemerkungen gemacht und den mürrischen Eigentümer um eine kurze Geschichte des Hauses gebeten, aber seine Haltung an der Tür schien meinen schleunigen Eintritt oder mein endgültiges Verschwinden zu fordern, und ich hatte keine Lust, seine Ungeduld zu steigern, bevor ich das Allerheiligste besichtigt hatte.
Eine Stufe führte ohne irgendwelchen Vorraum oder Durchgang in den Wohnraum der Familie, hierzulande ›das Haus‹ genannt. Es ist gewöhnlich Küche und Empfangszimmer in einem, doch glaube ich, dass in Wuthering Heights die Küche in einen anderen Teil des Hauses verbannt war; jedenfalls vernahm ich Geplapper von Stimmen und Geklapper von Küchengeräten weiter innen im Hause. Auch bemerkte ich weder Anzeichen von Braten, Kochen oder Backen in der Nähe der riesigen Feuerstätte noch den Schimmer von kupfernen Bratpfannen und Zinndurchschlägen an der Wand. Von einem Ende allerdings wurde der starke Glanz des Lichtes und der Glut zurückgeworfen, und zwar von Reihen riesiger Zinnschüsseln, die sich zusammen mit silbernen Krügen und Kannen auf einer gewaltigen Eichenanrichte reihenweise fast bis zum Dach auftürmten. Dieses war nie unterzimmert worden; unverhüllt zeigte sich sein ganzes Gerippe dem forschenden Blick, bis auf die Stelle, wo es von einem hölzernen Gerüst verborgen wurde, das mit Haferkuchen und Bergen von Rinds-, Hammel- und Schweinskeulen beladen war. Über dem Kamin hingen mehrere alte Räuberflinten und ein Paar Reiterpistolen, und auf dem Sims standen, wohl als Schmuck, drei mit grellen Farben bemalte Blechbüchsen. Der Fußboden war aus glattem weissem Stein; die hochlehnigen Stühle, schlicht in der Form, waren grün gestrichen; ein oder zwei schwarze Lehnstühle standen im Schatten. Unter der Anrichte lag eine riesige fahlbraune Hühnerhündin, umgeben von einem Gewimmel quiekender Welpen, und in anderen Winkeln lagen noch mehr Hunde.
Das Zimmer und die Einrichtung hätten zu einem schlichten Landwirt des Nordens gepasst, zu einem Mann mit sturem Gesichtsausdruck, dessen kräftige Glieder sich in Kniehosen und Gamaschen gut ausnehmen. Männer dieser Art, im Lehnstuhl sitzend, den schäumenden Bierkrug vor sich auf dem runden Tisch, kann man im Umkreis von fünf oder sechs Meilen überall in diesen Bergen antreffen, wenn man sie zur richtigen Zeit nach dem Mittagbrot aufsucht. Aber Mr. Heathcliff bildet einen merkwürdigen Gegensatz zu seiner Behausung und seinem Lebensstil. Seinem Aussehen nach ist er ein dunkelhäutiger Zigeuner, der Kleidung und dem Gehaben nach ein vornehmer Mann, das heisst in der Art vornehm, wie viele Landjunker es sind: vielleicht etwas schlampig, doch trotz der Vernachlässigung nicht übel aussehend, weil er ebenmäßig und gut gewachsen ist — und etwas mürrisch. Es ist möglich, dass er bei manchen Menschen im Verdacht eines ungebildeten Hochmuts steht; ich fühle in mir eine verwandte Saite klingen, die mir sagt, dass dem nicht so ist. Mein Gefühl sagt mir: seine Zurückhaltung entspringt einer Abneigung gegen Gefühlsäusserungen und Freundlichkeitsbekundungen. Er wird gleicherweise im verborgenen lieben und hassen und wird es als eine Art von Unverschämtheit erachten, wiedergeliebt oder -gehasst zu werden. Aber halt, ich lasse mir zu sehr die Zügel schiessen, ich statte ihn zu verschwenderisch mit meinen eigenen Charakterzügen aus. Vielleicht hat Mr. Heathcliff ganz andere Gründe dafür, seine Hand zu verstecken, wenn er einen trifft, der seine Bekanntschaft sucht, als die, die mich bewegen. Ich will hoffen, dass ich mit meiner Veranlagung einzeln dastehe. Meine liebe Mutter pflegte zu sagen, ich würde niemals ein gemütliches Heim haben, und erst im letzten Sommer habe ich mich als unwürdig erwiesen, eines zu gründen.
Während ich einen Monat schönen Wetters an der See verlebte, geriet ich in die Gesellschaft eines bezaubernden Geschöpfes, einer wahren Göttin in meinen Augen, solange sie mir keine Aufmerksamkeit schenkte. Ich gab meiner Liebe nie mit Worten Ausdruck; doch wenn Blicke sprechen können, hätte auch der ärgste Dummkopf erraten, dass ich bis über beide Ohren verliebt war. Sie verstand mich schließlich und erwiderte meine Augensprache mit dem süssesten Blick, den man sich vorstellen kann. Und was tat ich? Ich gestehe es voller Scham: ich zog mich, zu Eis erstarrt, in mich selbst zurück wie eine Schnecke, zog mich bei jedem Blick abgekühlter und weiter zurück, bis die arme Unschuld schließlich anfing, ihren eigenen Sinnen zu misstrauen und, niedergeschlagen und verwirrt, ihre Mutter überredete, die Zelte abzubrechen. Durch diese merkwürdige Veranlagung bin ich in den Ruf vorsätzlicher Herzenskälte gekommen, wie unverdient, kann nur ich allein ermessen.
Mein Wirt ging auf den Herdsitz zu, ich nahm am entgegengesetzten Ende Platz und füllte eine Pause des Schweigens mit dem Versuch, die Hündin zu streicheln, die ihre Kinderstube verlassen hatte, wie ein Wolf von hinten an meine Beine herangeschlichen war und ihre weissen Zähne zum Zuschnappen bleckte. Mein Streicheln veranlasste ein langgezogenes tiefes Knurren.
Auch Mr. Heathcliff knurrte. »Sie sollten den Hund lieber in Ruhe lassen!« Er unterdrückte gröbere Gefühlsäusserungen durch ein Aufstampfen mit dem Fuß. »Sie ist nicht gewöhnt, gestreichelt zu werden; sie ist kein Spielhund.« Dann, zu einer Seitentür tretend, rief er wieder: »Joseph!«
Joseph brummelte undeutlich in der Tiefe des Kellers, gab aber nicht zu verstehen, dass er heraufkommen wolle; darum stieg sein Herr zu ihm hinab und ließ mich allein mit der wilden Hündin und einem Paar grimmig zottiger Schäferhunde, die sich mit ihr in die argwöhnische Bewachung jeder meiner Bewegungen teilten. Da ich nicht darauf brannte, mit ihren Fängen in Berührung zu...