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Conny Cöll - San Franzisko 1906

Konrad Kölbl

 

Verlag Medienedition Welsch, 2016

ISBN 9783874116084 , 270 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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2,99 EUR

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Der „Traurige“


Samuel Brady sah aus wie ein Gelehrter. Er war von hoher, schmächtiger Gestalt und seine leicht ergrauten Schläfen gaben ihm in Verbindung mit der großen Hornbrille, die er ständig zu tragen pflegte, das Aussehen eines Mannes, der über hohe geistige Qualitäten verfügen musste.

Vom südlichen Texas bis herauf in die Gegend der Wichita-Mountains im Staate Oklahoma konnte sich niemand, der Samuel Brady kannte, erinnern, ihn schon jemals anders als in seiner langen, schwarzen Hose, seinem pechschwarzen, langärmeligen Wollhemd und seinem schwarzen, breitkrempigen Filzhut gesehen zu haben. In den kalten Monaten trug er eine pelzgefütterte Lederweste, die ebenfalls so schwarz gefärbt war wie die bequemen, weichen Schuhe, die er an den Füßen hatte.

Alles an ihm war schwarz und traurig. Über den vollen Lippen wuchs ein schmaler Schnurrbart, dessen spitze Enden lange und würdevoll an den Mundwinkeln vorbei nach unten hingen.

Samuel Brady hatte große, melancholische Augen. Wenn seine pechschwarzen Pupillen zwischen den langen, dunklen Wimpern groß und nachdenklich in die Welt schauten, dann lag etwas von jener Traurigkeit in ihnen, die so charakteristisch für seine ganze äußere Erscheinung war.

Samuel Brady war ein Träumer – so hatte es wenigstens den Anschein. Und eigentlich traute man ihm nicht zu, einer männlichen Regung fähig zu sein. Das einzig Männliche an seiner ständig leicht nach vorne gebeugten Gestalt war der breite, patronengespickte Waffengürtel, den zwei solide Fünfundvierziger Colts zierten. Niemand aber, der Samuel Brady sah, der ihm irgendwo in den Mittelweststaaten zufällig begegnete, glaubte im Ernst daran, dass diese traurige Erscheinung schon jemals einen brauchbaren Schuss daraus abgegeben haben konnte.

Nur wenige Menschen wussten um das große Geheimnis, das diesen Mann umgab. Er besaß einen großen Namen – einen berühmten Westnamen, den man nie und nimmer hinter diesem Mann, der wie ein ewig grübelnder Gelehrter aussah, vermutet hätte ...

Der „Traurige“! – so lautete er.

Wenn an irgendeiner Tischrunde, an der Theke einer Kneipe, am Lagerfeuer einsamer Weidereiter oder sonst an einem Platz, an dem redefreudige Cowboys, Trapper oder Goldgräber zusammenkamen, von einem Samuel Brady die Rede gewesen war, so hatte dieser Name nur uninteressiertes Kopfschütteln hervorgerufen, da er vollkommen unbekannt war. Wurde aber die Rede auf den „Traurigen“ gebracht, dann begannen sofort die Augen der Boys zu leuchten und plötzlich erinnerte man sich der zahlreichen Stories, die über diesen seltsamen Mann im Umlauf waren.

Einmal war Samuel Brady mitten unter einer Schar erzählungsfreudiger Weidereiter gesessen. Der Abend war wunderschön gewesen. Er hatte es sich am wärmenden Lagerfeuer bequem gemacht und mehrere Stunden lang den begeisterten Reden gelauscht, die dem G-Mann Nummer 6 der berühmten Gruppe des Obersten Sinclar gewidmet waren. Samuel Brady hatte die begeisterten Berichte der jungen Menschen nicht ein einziges Mal unterbrochen. Es hätte da Verschiedenes zu berichtigen gegeben. Mit Staunen hatte damals der andächtig Lauschende von Taten erfahren müssen, von denen er wirklich keine Ahnung hatte. Der „Traurige“ sollte sie in Mexiko erlebt haben! Samuel Brady konnte aber mit Sicherheit behaupten, dass dieser erfolgreiche G-Mann Nummer „Sechs“ der’ Sinclar-Gruppe noch nie in seinem Leben in Mexiko gewesen war. Samuel Brady wusste das ganz genau. Er wusste das so genau, dass er hätte ruhigen Gewissens tausend Eide darauf schwören können, und zwar deswegen, weil er nämlich selber dieser „Traurige“ war, der sich unter diesem Namen solch großer Popularität in allen Mittelweststaaten erfreute.

Damals hatte er einige Zweifel an der Echtheit der erzählten Stories aufkommen lassen und damit eine Situation heraufbeschworen, die für seine Person fast verhängnisvoll geworden wäre. Der „Traurige“ gehörte einmal zu den wenigen Nationalhelden, an dessen tollkühnen Taten sich die leicht entflammbare, begeisterungsfähige Jugend berauschte. Alles, was über ihn erzählt wurde, war so absolut wahr und unantastbar, dass jegliche abfällige Bemerkung unweigerlich eine fürchterliche Tracht Prügel für den verwegenen Zweifler nach sich gezogen hätte. Und die Story, die der „Traurige“ dort unten in Mexiko erlebt haben sollte, war so unvorstellbar tollkühn, dass sie nur mehr mit jenen Vorkommnissen verglichen werden konnte, die sich vor einigen Monaten im Panama-Gebiet, kurz vor Vollendung der Arbeiten an dem gewaltigen Kanalprojekt zugetragen hatten.

„Boys!“, hatte Samuel Brady der Schar erklärt, „der ,Traurige’ war in Panama nicht mit dabei gewesen! Es handelte sich um die ,Unzertrennlichen’! Der ,Traurige’ hatte sich noch nie in Mexiko oder gar noch südlicher befunden ...

Es waren böse Augen und angriffslustige Gesichter gewesen, in die Samuel Brady hatte blicken müssen. Das hätte er nämlich nicht sagen dürfen! Das war gegen die guten Sitten gewesen! An den Taten eines Mannes, der mit zu den acht Nationalhelden des Landes gehörte, konnte nicht gezweifelt werden und wenn der lang aufgeschossene rothaarige Boy, der diese Story erzählte, behauptete, dass der „Traurige“ Seite an Seite neben ihm gestanden, gefochten und gekämpft hatte – so lange, bis der glorreiche Sieg an die Fahne der Gerechtigkeit geheftet werden konnte – dann war dies in der Tat auch der Fall! Verdammt nochmal! Daran gab es nichts zu deuteln! Das war ein Evangelium, genauso wahr und unantastbar wie jenes, das der Pfarrer jeden Sonntag im nahen Gotteshaus verkündete.

Samuel Brady hatte noch einmal versucht, diese Story richtigzustellen, und da wäre er beinahe gelyncht worden. Bei jenen großen Ereignissen in Panama war der „Traurige“ dabei gewesen – an ganz hervorragender Stelle, gleich neben der Nummer „Eins“ der Sinclar-Gruppe – und damit – basta ...

Samuel Brady hatte damals bestürzt geschwiegen. Es wäre nun gefährlich gewesen, noch ein weiteres Wort zu riskieren. Er wollte den braven Boys, die soeben so begeistert von ihm geschwärmt hatten, nicht wehe tun. Und so hatte er sich schweigend darauf beschränkt, sich darüber zu freuen, dass man eine solche hohe Meinung von ihm hatte, dass man sogar in Texas sein Loblied in solch hohen Tönen sang.

Er wusste über die Story von Panama ganz genau Bescheid, hütete sich aber, nochmals darauf zurückzukommen. Das wäre bestimmt nicht gut ausgegangen ...

Damals aber hatte er den eifrigen Boys eine große Gefälligkeit erweisen können. Während sie sich nämlich am wärmenden Lagerfeuer so vortrefflich unterhielten, wurde, kaum eine halbe Meile von ihnen entfernt, eine Herde kostbarer Zuchtpferde, die ihrer Aufsicht anvertraut gewesen war, gestohlen. Es war Samuel Brady gelungen, in verhältnismäßig kurzer Zeit die Diebe einzuholen und gefangen zu setzen, während die bestürzten und vollkommen kopflos gewordenen Cowboys in alle möglichen und unmöglichen Richtungen davongaloppiert waren. Als die prachtvollen Mustangs wieder brav und vollzählig in ihren Pferchen standen – sie hatten den aufregenden Zwischenfall als willkommene Unterbrechung ihres langweiligen Daseins betrachtet – war Samuel Brady von allen Seiten als der Retter aus einer unheilvollen Lage gefeiert worden und ganz am Schluss,’ als er sich schon von den braven Boys verabschiedet hatte, musste er noch die Worte jenes lang aufgeschossenen, rothaarigen Bengels vernehmen, der vorhin diese außergewöhnliche Story erzählt hatte – die Story von Panama ...

„Ihr seid ein famoser Gent, Fremder“, lauteten sie, „und wir haben Euch eine Menge zu verdanken! Darum geben wir Euch den guten Rat, nie wieder daran zu zweifeln, wenn von ihnen die Rede ist ...“

„Von ihnen?“

„Jawohl – von ihnen! Von den ,Unzertrennlichen’, von Hal Steve, Neff Cilimm, Ed Springs und vor allem von ihm, von dem größten dieser G-Männer, von Trixi ...“

„Habe ich das getan?“ Fast erschrocken war es aus dem Munde Samuel Bradys gekommen.

„Das habt Ihr, Fremder! Denn auch der ,Traurige’ gehört zu diesen berühmten Boysl Was wäre unser Land, wenn wir sie nicht hätten – ein Banditenparadies, in dem sich kein anständiger Mensch mehr wohlfühlen könnte! Das wäre es, Fremder, was ich Euch noch sagen wollte!“

„Werde es mir zu Herzen nehmen, Boys!“, hatte damals Samuel Brady genickt und er war in dieser Stunde mächtig stolz darauf gewesen, dass man überall, wohin er kam, eine solch hohe Meinung von ihm hatte. Von ihm und seinen Kameraden. Von der Sinclar-Gruppe, die doch nur aus acht Mitgliedern bestand, aus acht Männern, die weder Tod noch Teufel fürchteten, die ein Wesentliches dazu beigetragen hatten, dass es in den Mittelweststaaten kaum mehr zu größeren Bandenbildungen kam. Vereinzelte Verbrechen waren ständig an der Tagesordnung, sie waren noch zu allen Zeiten vorgekommen und werden auch wohl nicht auszurotten sein, so lange diese schöne Welt besteht – nicht nur in jenem Land, das man als das wildeste des Kontinents bezeichnete. Innerhalb der letzten drei Jahre waren es insgesamt vierzehn starke Banditenbanden gewesen, die in den Mittelweststaaten ihr Unwesen getrieben hatten. Nur eine davon wurde in der Nähe von Dallas von der Bürgerwehr und drei starken Sheriffaufgeboten aus den umliegenden Orten zusammengeschossen, während die Liquidation der restlichen dreizehn zum Teil sehr starken Verbrecherorganisationen auf das Konto der G-Männer des Obersten Sinclar zu buchen war.

Da war die Bande James Baxters, die in der Nähe von Mesa bei Phönix in Arizona von Hal Steve, der Nummer „Zwei“, in einem beispiellos heldenhaften...