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Spectrum - Thriller

Ethan Cross

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2017

ISBN 9783732540280 , 510 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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Kapitel 2


Vier Wochen später

Er hörte ein tiefes Knurren und ein Rascheln in den Büschen. Erst dann sah er die Tiere. Sofort ertönte Brüllen, und das Schreien begann. Er rannte los. Eines der Tiere sprang vor ihn und Zarina. Es schlug mit der Tatze nach ihnen. Es war mehr ein Spiel als ein Angriff. Seine Mutter kreischte, stürzte sich auf das Tier und rief ihm zu, er solle laufen. Er spürte warmes Blut auf seiner Haut, wusste aber nicht, wem es gehörte. Er rannte, versteckte sich und hörte, wie seine Mutter bei lebendigem Leib gefressen wurde.

Doch seit den Toten, die er kürzlich in der Squatter-Siedlung gesehen hatte, hatte der Traum sich verändert.

Wenn seine Mutter jetzt verschlungen wurde, dann sah er es mit den Augen des Löwen, und er fühlte, was das Tier fühlte. Er grub seine Zähne in ihr Fleisch und riss es heraus, wobei er sie mit seinen Pranken auf den Boden drückte. Und er schmeckte das Blut in seinem Maul, als er ihre Eingeweide verschlang, während sie noch lebte.

Er spürte, wie ihn irgendetwas an der Schulter traf. Er war sofort wach und griff nach seinem Messer und der Pistole.

»Es ist Zeit«, sagte Raskin. »Mach dein Ding.«

Idris Madeira – oder Krüger, wie man ihn als Profi nannte – funkelte die überhebliche kleine Amerikanerin an. Er wusste, wie spät es war, und seine innere Uhr sagte ihm, dass man ihn zehn Minuten zu früh geweckt hatte. Um den Irrtum zu bestätigen, schaute er auf seine Armbanduhr. Bei einer Mission war Schlaf oft Luxus, und Krüger hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass man jede Ruhephase nutzen musste. Schließlich wusste er nie, wann er wieder einmal tagelang kein Auge zutun konnte.

Die Zielperson schlief jetzt vermutlich. Um sicherzugehen, hatte Krüger beschlossen, bis drei Uhr früh zu warten. Seine arrogante Partnerin hatte sich deswegen beschwert und argumentiert, ein Uhr reiche auch. Doch Krüger konnte Raskin in allen Fragen überstimmen, die die Operation betrafen. Immerhin war er der Profi hier. Er hatte Erfahrung mit solchen Aufträgen.

Das geduldige Raubtier bekam stets die bessere Beute.

Raskin saß auf dem Beifahrersitz. Wortlos gab sie Krüger die Spritze und das kleine Röhrchen mit dem Wattestäbchen, als wäre Krüger ein Jagdhund, den man von der Leine ließ und auf die Beute hetzte. Hätte Krüger nicht das Wissen und die Verbindungen der Amerikanerin gebraucht, um seinen letzten Auftrag zu erfüllen, er hätte die Frau schon längst zu den Ahnen geschickt. Auf jeden Fall hatte die Amerikanerin das verdient, vermutlich sogar mehr als jeder andere, den Krüger bis jetzt getötet hatte. Doch solch ein überstürzter, emotionaler Gewaltakt wäre einfach nur dumm gewesen, und Krüger hatte durch viele schmerzhafte Fehler auf die harte Tour gelernt, dass Geduld sich für jemanden wie ihn stets auszahlte.

Krüger stieg aus dem Van und ging zu dem kleinen zweistöckigen Haus. Es war blaugrün gestrichen und hatte ein eher flaches Giebeldach mit Terrakotta-Schindeln. Krüger hatte den Grundriss des Gebäudes und die Gewohnheiten der Zielperson genau studiert, und so wusste er, dass Fred Little jetzt entweder oben in einem der Schlafzimmer lag oder in seinem Sessel von La-Z-Boy vor dem Fernseher eingeschlafen war.

Die Amerikaner waren ja so besessen von ihren Fernsehern. Krüger und Zarina hingegen besaßen noch nicht einmal einen Fernseher. Wenn Krüger sich ein Fußballspiel ansehen wollte, dann fuhren sie entweder in eine Sportsbar in der Stadt, oder sie gingen gleich ins Stadion. Krüger hatte Besseres zu tun, als anderen bei ihrem Leben zuzuschauen.

Alles war vorbereitet. Man hatte Fred Little den Schlüssel aus der Tasche gestohlen, einen Abdruck davon gemacht und ihn wieder zurückgesteckt. Den Code der Alarmanlage hatten sie bekommen, als sie Fred bei der Eingabe durch ein Teleobjektiv beobachtet hatten. Krüger ging einfach ins Haus, als würde es ihm gehören.

Als er vorsichtig die Treppe hinaufstieg, hielt er sich mit seinen Stiefeln der Schuhgröße 59 so dicht wie möglich an der Wand. Er wollte keinen unnötigen Lärm verursachen, und Stufen knarrten am Rand nur selten. In der rechten Hand hielt er eine schwarze Beretta M9A1 mit Schalldämpfer. Allerdings hatte er nicht die Absicht, die Waffe zu benutzen. Sie war nur eine Vorsichtsmaßnahme.

Als Krüger oben ankam, sah er ein dunkles Gesicht mit glühenden Augen. Instinktiv hob er die Waffe. Dann erkannte er, dass er nur in einen Spiegel schaute. Krüger trat vor, und das Spiegelbild wurde größer. Mondlicht fiel durch das große Fenster über dem Eingangsbereich. Um sich vollständig im Spiegel zu betrachten, musste Krüger seine zwei Meter dreizehn leicht vorbeugen. Erst dann konnte er sich selbst in die Augen sehen.

Aber waren das wirklich seine Augen oder Krügers?

Er wusste es nicht mehr. Er konnte nicht mehr zwischen Idris, dem Ehemann und Vater, und Krüger, dem Profikiller und Söldner, unterscheiden, den man in bestimmten Kreisen nur »das Phantom« nannte. Für ihn war Krüger immer nur ein Schatten gewesen, ein Raubtier, eine Waffe, ein Werkzeug, das Geld für Idris erwirtschaftet hatte. Doch jetzt hatte er das Gefühl, als habe Krüger sich verselbstständigt und die Kontrolle übernommen.

Und dann war er wieder in dem Squatter-Camp und ging von Haus zu Haus. Immer wieder schlug er mit der Klinge zu und hackte Stücke aus Menschen heraus, die so arm gewesen waren, dass sie im Dreck geschlafen hatten. Doch im Geiste hörte er nicht das Reißen von Sehnen oder das Brechen von Knochen. Er hörte die Schreie seiner Mutter und das Knurren der Löwen.

Doch das war Vergangenheit. Krüger schüttelte die Erinnerungen ab, richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf und schaute auf die Uhr. Mit einem Fluch auf den Lippen überprüfte er noch einmal seine Waffen. Offenbar hatte er ganze fünf Minuten lang in den Spiegel gestarrt.

Bei den meisten Missionen hätte solch ein Lapsus unweigerlich zu seinem Tod geführt, aber zum Glück schlief diese spezielle Zielperson tief und fest und hatte auch keine Leibwächter. Doch Krüger wusste auch, dass das Glück nicht von Dauer sein würde, und dann … Ein Fehler, ein kurzer Augenblick, in dem er nicht voll konzentriert war … Er musste raus aus diesem Spiel, und zwar schnell, sonst würde er sich keine Gedanken mehr darüber machen müssen, ob er nun Idris oder Krüger war, denn dann wären sie beide tot.

Krüger öffnete die Schlafzimmertür und schlich hinein. Fred Little schlief auf dem Rücken und schnarchte wie ein Bär. Das dünne Laken hatte er weggetreten, sodass es nur noch einen kleinen Teil seines Oberkörpers bedeckte. Er trug nur ein weißes T-Shirt und karierte Boxershorts. Diese Angewohnheiten waren in den letzten drei Nächten bestätigt worden, als eine Drohne durch Freds Schlafzimmerfenster gespäht hatte.

Vorsichtig zog Krüger das Laken weg und schob das eine Bein von Freds Boxershorts hoch. Dann holte er das Wattestäbchen aus dem Reagenzglas und tupfte damit die Einstichstelle ab. Dank der örtlichen Betäubung würde Fred den Stich nicht merken. Anschließend wartete Krüger einen Moment, bis die Betäubung eingesetzt hatte; dann injizierte er das Suxamethonium in Freds äußeren Schenkelmuskel.

Krüger beobachtete den schlafenden Fred, während das Mittel sich in dessen Körper ausbreitete. Durch seine Nachforschungen wusste Krüger, dass Fred der jüngste von drei Söhnen einer wohlhabenden Farmersfamilie aus dem ländlichen Kentucky war. Das geerbte Geld hatte es Fred erlaubt, am MIT Robotik zu studieren, doch für Krüger sah er mit seinem Schnurrbart und den langen Koteletten noch immer wie ein Hinterwäldler aus. Krüger meinte das jedoch nicht despektierlich. Er – oder besser sein Alter Ego, Idris Madeira – stammte aus einem kleinen Dorf, allerdings in Mosambik, und fühlte sich in der Savanne wohler als in einer Betonwüste.

Nachdem ausreichend Zeit verstrichen war, schaltete Krüger die Nachttischlampe an, und als das seine schlummernde Zielperson nicht weckte, schlug er Fred ins Gesicht.

Prompt riss der Mann die Augen auf und schnappte nach Luft. Dann versuchte er, sich zu bewegen, musste aber feststellen, dass er gelähmt war.

»Sparen Sie sich die Mühe, mein Freund«, sagte Krüger. »Ich habe Ihnen ein Mittel injiziert, das Sie lähmt. Schmerz können Sie jedoch noch empfinden. Der Nachteil ist, dass es auch die Muskeln entspannt, die Sie zum Atmen brauchen. Wenn Sie sich zu sehr wehren oder überanstrengen, dann ersticken Sie.«

Vermutlich noch immer im Halbschlaf und in der Hoffnung, dass das alles nur ein böser Traum war, erwiderte Fred: »Sie können sich nehmen, was Sie wollen.«

»Das wollte ich ohnehin, aber es ist wirklich sehr höflich von Ihnen, mir das zu erlauben.«

»Was soll das überhaupt?«

»Ich brauche nur ein paar Informationen.«

»Informationen? Worüber? Ich weiß doch nichts … jedenfalls nichts von Bedeutung.«

»Spielen Sie nicht den Dummen, mein Freund. Ich weiß ganz genau, wer Sie sind, was Sie tun und für wen Sie arbeiten. Ich brauche Ihren Zugangscode, Mr. Little.«

»Was? Ich habe keinen …«

»Mr. Little, eines sollte Ihnen klar sein: Ich habe alle Macht, und Sie haben nichts. Die Wirkung des Medikaments, das ich Ihnen verabreicht habe, hält lange genug an, Ihrem Körper jede nur erdenkliche Art von Schmerz zuzufügen. Sie werden nicht in der Lage sein, sich zu bewegen, geschweige denn Widerstand zu leisten. Tatsächlich könnte allein schon der Versuch zum Ersticken führen. Natürlich können Sie uns beiden diese Unannehmlichkeiten ersparen, indem Sie mir einfach den Code geben.«

»Mit meinem Code kommen Sie aber weder in den Tresorraum noch an die Boxen....