dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Von hier an wird's gefährlich

Margaret Millar

 

Verlag Diogenes, 2016

ISBN 9783257607468 , 256 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

7,99 EUR


 

{5}1


In Devons Traum suchte man wieder das Reservoir nach Robert ab. Es war fast wie damals, als es zum erstenmal geschah, als der mexikanische Polizeibeamte, Valenzuela, seinen Leuten Anweisungen gab und die jungen Taucher in ihren Gummianzügen umherstanden, das Atmungsgerät auf den Rücken geschnallt.

Im Traum sah Devon vom Herrschaftshaus her stumm und hilflos zu. In Wirklichkeit war sie damals hinausgegangen, um sich bei Estivar, dem Gutsverwalter, zu beschweren. »Warum sucht man ihn da drin?« »Man muß überall suchen, Mrs. Osborne.« »Das Wasser ist doch so schmutzig. Robert hält sehr auf Sauberkeit.« »Jawohl.« »Er wäre nie in so schmutziges Wasser gestiegen.« »Vielleicht hatte er nicht mehr viel dazu zu sagen, Mrs. Osborne.«

Das Wasser, das nur zur Bewässerung diente, war zu trüb, als daß die Taucher viel hätten ausrichten können, und schließlich machte sich die Polizei mit einem großen Bagger und Sieb ans Werk. Stundenlang suchten sie den Grund ab, fanden aber bloß verrostete Maschinenteile, alte Autoreifen, Holztrümmer und das verschlammte Skelett eines Neugeborenen. Dieser Fund hatte dem Polizisten, Valenzuela, mehr zugesetzt, als wenn man ein Dutzend {6}männliche Leichen zutage gefördert hätte. Hat ein Mann, mag sein Ende noch so grausig sein, nicht meistens etwas auf dem Kerbholz, so daß ihm recht geschah? Doch dieses Kind, das arme Wurm – »verflucht noch mal«, sagte Valenzuela, schlug ein Kreuz und nahm das Häuflein Gebeine in einer Schuhschachtel mit.

Geweckt wurde Devon, als Dulzura an die Schlafzimmertür klopfte.

»Mrs. Osborne? Sind Sie wach?« Die Tür ging eine Handbreit auf. »Zeit zum Aufstehen. Das Frühstück ist auf dem Herd.«

»Es ist noch früh«, erwiderte Devon. »Erst halb sieben.«

»Aber heute ist doch der bewußte Tag. Haben Sie’s vergessen?«

»Nein.« Wohl kaum. Sie hatte ja den Antrag selber unterschrieben, während der Rechtsanwalt zuschaute, offensichtlich erleichtert, daß sie endlich eingewilligt hatte.

Dulzuras wulstige Finger zitterten am Türknauf. »Ich habe Angst. Alle werden sie mich anstarren.«

»Sie brauchen bloß die Wahrheit zu sagen.«

»Wie kann ich nach so langer Zeit noch sicher sein, was wahr ist? Und wenn ich eine Unwahrheit sage, nachdem ich auf die Bibel vereidigt worden bin, wird man mich ins Gefängnis stecken, sagt Estivar.«

»Das war nicht ernst gemeint.«

»Er machte aber ein ernstes Gesicht dazu.«

»Man wird Sie nicht ins Gefängnis stecken«, erklärte Devon. »In zehn Minuten bin ich unten.«

Sie blieb jedoch ruhig liegen und hörte zu, wie Dulzura die Treppe hinunterstapfte und der Wind in einem fort {7}ums Haus nuschelte, als wolle er hinein. Die Herbstnacht war warm gewesen. Devons kurze braune Haare waren feucht, und das Nachthemd klebte ihr am Körper, als sei sie selber aus dem Reservoir gefischt und zum Trocknen aufs Bett gelegt worden, eine halb ertrunkene Melusine.

Daß Dulzura etwas anderes als die Wahrheit sagen würde, stand nicht zu befürchten; schließlich war die Sache ja einfach genug: Nach dem Abendessen war Robert hinausgegangen, um seinen Hund zu suchen, und hatte unterwegs einen Abstecher in die Küche gemacht, um Dulzura zum Geburtstag zu gratulieren; er machte eine neckische Bemerkung, wie groß sie nachgerade geworden sei, und ging dann zur Hintertür hinaus, zur Garage hinüber.

Roberts Wagen stand immer noch da, mit zurückgeklapptem Verdeck, und der Zündschlüssel steckte. Estivar meinte, es sei nicht ratsam, den Schlüssel stecken zu lassen, es sei eine allzu große Versuchung für die mexikanischen Saisonarbeiter, die im Frühling kamen, um die Zitronen zu pflücken, im Sommer, um die Tomaten versandbereit zu machen, und im Herbst, um die Melonen einzubringen. Noch nie war indessen ein Versuch gemacht worden, das Auto zu entwenden. Vielleicht hatte Estivar die Leute bei der Ankunft eindringlich davor gewarnt, vielleicht fanden sie aber auch, es hafte ein Fluch an einem solchen Wagen. Wie immer es sich damit verhielt, er war jedenfalls noch da, verstaubt und unberührt.

Der Schwall der Saisonarbeiter, die kamen und gingen, stand unter der Einwirkung der Sonne wie Ebbe und Flut unter der des Mondes. Jetzt war Oktober, wo es am {8}meisten zu tun gab, und die Schlafbaracke war voll belegt. Devon hatte persönlich keine Beziehung zu den Saisonarbeitern. Englisch konnten sie nicht, und Estivar hatte es ihr ausgeredet, sich mit ihnen in ihrem Schulspanisch verständigen zu wollen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie hießen und wo sie herkamen. Klein und ausgehungert, wuselten sie wie Nagetiere im Gelände umher. »Das müssen Mexikaner gewesen sein, die schwarz über die Grenze gekommen sind«, sagte einer der Polizeibeamten. »Haben ihn wahrscheinlich ausgeraubt und ermordet und irgendwo verscharrt.« – »Leute, die schwarz über die Grenze kommen, beschäftigen wir nicht«, widersprach Estivar scharf.

Devon stieg aus dem Bett und trat ans Fenster, um die Vorhänge auseinanderzuschlagen. Sie war schon lange aus dem ehelichen Schlafzimmer in die kleinste Kammer im zweiten Stock gezogen. Ein kleines Zimmer war weniger einsam, leichter auszufüllen. Dieses ging nach Süden und bot eine weite Aussicht auf das Flußtal und, in der Ferne, die ausgedörrten Berge von Tijuana, wo die Bretterbuden und die Kuppel der Kathedrale dieselbe Farbe aufwiesen wie der Senf, den man auf dem Rennplatz und beim Stierkampf zu den Wurstbrötchen bekam. Am vorteilhaftesten wirkte Tijuana nachts, wenn es nur noch ein Büschel funkelnder Lichter am Horizont war, oder dann frühmorgens, wenn die Kuppel der Kathedrale rosarot erglühte und die Bretterbuden noch im Dunkel lagen.

Da das Fenster offenstand, konnte Devon hören, wie in der Küche unten das Telefon schrillte und Dulzura es abnahm, mit ebenso schriller Stimme, da ihr dieses Ding nie {9}recht geheuer vorkam. Kurz danach stand sie wieder, vernehmlich schnaufend, unter der Tür.

»Es ist seine Mutter; sie behauptet, es sei wichtig.«

»Sagen Sie ihr, ich werde zurückrufen.«

»Sie hat es aber nicht gern, wenn man sie warten läßt.«

Allerdings, dachte Devon, Roberts Mutter wartete nicht gern. Und doch hatte sie wie alle andern gewartet – auf ein Klingeln an der Haustür, ein Telefon, ein Auto auf der Zufahrt, Schritte im Flur; sie hatte auf einen Brief gewartet, ein Telegramm, eine Postkarte, eine Mitteilung, überbracht von einem Bekannten oder auch einem Unbekannten.

»Sagen Sie ihr, ich werde zurückrufen«, erklärte Devon.

Vom Fenster aus konnte sie auch die Reihen der Tamarisken sehen, die als Windschutz angepflanzt worden waren, und damit nicht allzuviel Sand ins Reservoir geweht werde. Auf der Ostseite lag das ausgetrocknete Flußbett, und gegen Westen dehnten sich die bereits abgeernteten Tomatenfelder aus, auf denen es von Vögeln wimmelte. Überall stießen sie zwischen die Stauden nieder, flatterten im allmählich gelb werdenden Laub umher, pickten die verfaulenden Überreste von Früchten an und suchten auf dem Boden nach Samenkörnern und Insekten. Estivar konnte sie alle benennen. Er bezeichnete sie mit ihren mexikanischen Namen, so daß sie Devon wildfremd und exotisch vorkamen, bis sie eines Tages entdeckte, daß manche ihr von zu Hause her wohlvertraut waren. Der chupamirto war ganz einfach ein Kolibri, die cardelina war eine Goldammer, die golondrina eine Schwalbe.

Anderseits gab es Dinge, die vertraute Namen hatten, ihr aber keineswegs vertraut vorkamen. Regen bedeutete {10}für Devon, die an der Ostküste geboren und aufgewachsen war, höchstens etwas, das einem ein Picknick oder einen Ausflug in den Zoo verdarb, nicht etwas, das in kostbaren Millimetern gemessen wurde. Und ein Fluß war für sie immer etwas gewesen, das dauernd da war, wie der Hudson oder der Delaware oder der Potomac. Der Fluß hingegen, den sie jetzt vor Augen hatte, war fast das ganze Jahr hindurch völlig trocken, nur zuweilen verwandelte er sich in ein tobendes Wildwasser, das einen ganzen Lastwagen mitreißen konnte. Brücken gab es nur wenige. Es wurde vorausgesetzt, bei heftigem Regen seien die Leute vernünftig genug, um zu Hause zu bleiben oder sich an die Hauptstraße zu halten; und wenn es nicht regnete, konnte man jederzeit durchs Flußbett fahren oder gehen, ohne Straßenzoll oder Unterhaltskosten.

Dem jenseitigen Flußufer entlang verlief die Grenze der benachbarten Ranch, die Leo Bishop gehörte. Als Robert sie vor anderthalb Jahren als jungverheiratete Frau mitgebracht hatte, war Leo Bishop der erste Nachbar gewesen, den sie kennenlernte. Robert hatte sie gebeten, besonders nett zu ihm zu sein, da er im Winter zuvor unter tragischen Umständen seine Frau verloren habe. Devon hatte sich Mühe gegeben, aber es kam immer noch vor, daß er so fremd auf sie wirkte wie die mexikanischen Arbeiter.

Sie duschte und begann sich anzuziehen. Was sie heute tragen sollte, hing schon seit einer Woche bereit. Sie war nach San Diego hineingefahren, um sich mit Roberts Mutter zu treffen, und diese hatte das Kostüm für sie ausgesucht, etwas in Braun, eine Spur heller als ihr Haar und eine Spur dunkler als ihre sonnverbrannte Haut. Sie fand, sie {11}wirke darin, als sei sie mit dem Stoff zusammen eingefärbt worden, erhob jedoch keinen Einspruch. Braun eignete sich so gut wie irgendeine Farbe für eine junge Frau, die im Begriff war, an einem sonnigen Herbsttag zur Witwe zu werden.

Sie begab sich über die Hintertreppe in die Küche hinunter.

Dulzura stand am Herd, rührte mit der Linken in der Bratpfanne und fächelte sich mit der Rechten Luft zu. Sie war noch nicht...