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Ein Grinsen aus Elfenbein

Ross Macdonald

 

Verlag Diogenes, 2016

ISBN 9783257607642 , 208 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

{5}1


Sie wartete vor meinem Büro: eine untersetzte Frau, knapp mittelgroß, in sportlichem blauem Kostüm und blauem Rollkragenpullover. Die blaue Nerzstola, die sie dazu trug, machte ihre Erscheinung nicht weiblicher. Das dunkle Haar war im Nacken kurz geschnitten; es betonte das Knabenhafte ihres eckigen und sehr braungebrannten Gesichts. Sie war der Typ, der nur dann um halb neun schon auf ist, wenn er entweder etwas sehr Wichtiges vorhat oder die ganze Nacht nicht ins Bett gekommen ist.

Während ich die Tür aufsperrte, trat sie zurück und sah zu mir auf mit dem Blick eines Vogels, der einen besonders großen Wurm anpeilt.

Ich sagte: »Guten Morgen!«

»Mr. Archer?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, streckte sie mir die kurze braune Hand hin. Ringe blitzten; der Händedruck war fest wie der eines Mannes. Dann faßte sie mich am Ellbogen und führte mich in mein eigenes Büro. Sie schloß die Tür hinter sich.

»Bin ich froh, daß Sie da sind, Mr. Archer!«

Sie ging mir bereits auf die Nerven. »Warum?«

»Warum was?«

»Warum sind Sie froh, daß ich da bin?«

»Weil … Na, setzen wir uns erst mal, damit wir uns unterhalten können.« Die durch Koketterie getarnte Starrköpfigkeit hatte überhaupt keinen Charme, sie war eher beunruhigend.

»Über was Besonderes?«

Sie setzte sich in einen Sessel in der Nähe der Tür und ließ {6}ihren Blick herumschweifen. Mein Wartezimmer ist weder groß noch teuer möbliert. Ihr Blick registrierte beides. Aber sie sagte nichts; sie rieb sich nur die Hände. Die Ringe klirrten leise. Drei an jeder Hand. Ziemlich große Diamanten. Sie sahen echt aus.

»Ich habe einen Job für Sie«, sagte sie zu meinem durchgesessenen Kunstledersofa, das gegenüber stand. »Nicht gerade einen großen Job, aber ich zahle gut … Fünfzig pro Tag?«

»Plus Spesen. Wer hat Sie zu mir geschickt?«

»Aber niemand … Setzen Sie sich doch endlich hin! Nein, Ihr Name ist mir bekannt, schon seit Jahren!«

»Ach? Ich wüßte nicht …«

Jetzt kam ihr Blick zu mir zurück, und er war gealtert und müde geworden nach dem Rundgang durch mein armseliges Vorzimmer. Sie hatte grünliche Ringe unter den Augen. Vielleicht war sie tatsächlich die ganze Nacht aufgewesen. Jedenfalls sah sie wie fünfzig aus, trotz des bald knabenhaften, bald backfischhaften Gehabes. Amerikaner werden nicht alt: sie sterben. Diese Erkenntnis sprach deutlich aus ihren Augen.

»Nennen Sie mich Una«, sagte sie.

»Sie leben in Los Angeles?«

»… nicht ganz. Ist ja auch egal, nicht? Ich sag Ihnen schon alles, was wichtig für Sie ist. Darf ich, ja? So ganz brutal?«

»Ich lechze danach.«

Ihr harter, unverhüllter Blick tastete mich beinahe spürbar ab. »Sie sehen okay aus. Aber wenn Sie reden, klingt’s ein wenig nach Hollywood.«

Ich war nicht aufgelegt für den Austausch von Komplimenten. Ihre rauhe Stimme, der jähe Wechsel zwischen guten Manieren und Unverschämtheit störten mich. Es war, als redete ich gleichzeitig mit mehreren Personen, von denen keine ganz vorhanden war.

»Tarnung.« Ich fing ihren Blick auf und hielt ihn fest. »Ich komme mit den verschiedensten Typen zusammen.«

Sie wurde nicht richtig rot. Einen Augenblick schien sie {7}unter Blutandrang zu leiden, aber das verflog gleich wieder. Dann machte die knabenhafte Hälfte wieder das Rennen.

»Ich meine: Pflegen Sie Ihren Klienten den Hals abzuschneiden? Ich habe schon mal schlechte Erfahrungen gemacht.«

»Mit Detektiven?«

»Mit Leuten. Detektive sind auch Leute.«

»Sie sprudeln ja von Komplimenten nur so über, Mrs. …«

»Sie sollen mich Una nennen, hab ich gesagt. Ich kenne keine sozialen Vorurteile. Kann ich mich darauf verlassen, daß Sie tun, was ich verlange, und damit Schluß? Daß Sie Ihr Honorar kassieren und sich im übrigen um Ihren eigenen Kram kümmern?«

»Honorar?«

»Hier.« Sie zog einen zerknitterten Schein aus einer blauen Lederbörse und warf ihn mir achtlos zu, als sei es ein gebrauchtes Kleenextuch und ich ein Papierkorb. Ich fing den Schein auf. Es waren hundert Dollar. Aber ich steckte sie nicht ein.

»Honorarvorschuß erzeugt immer eine gewisse Loyalität«, sagte ich. »Ich werde Ihnen natürlich den Hals trotzdem abschneiden, aber mit Narkose vorweg.«

Sie sah zur Decke. »Warum wollen hier bloß alle Leute mit Gewalt witzig sein? Liegt wahrscheinlich an der Nähe Hollywoods. Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«

»Ich werde tun, was Sie verlangen, wenn es nicht gegen das Gesetz geht und einigermaßen vernünftig ist.«

»Ich verlange nichts Ungesetzliches«, erwiderte sie scharf, »und ich kann Ihnen versprechen, daß es vernünftig ist.«

»Um so besser.« Ich steckte den Schein in die Brieftasche. Er nahm sich dort recht einsam aus. Dann öffnete ich die Tür zu meinem eigentlichen Büro.

Darin standen drei Stühle, für einen vierten war kein Platz. Nachdem ich die Jalousien hochgezogen hatte, setzte ich mich auf den Drehstuhl hinter meinem Schreibtisch und {8}bot ihr mit einer Handbewegung den Sessel gegenüber an. Aber sie setzte sich auf einen unbequemen Stuhl vor die Schrankwand, weit weg vom Fenster und dem Einfall des Lichts.

Sie schlug die Beine übereinander, stopfte eine Zigarette in eine goldene Spitze und zündete sie mit einem flachen goldenen Feuerzeug an.

»Zu dem Job, von dem ich sprach: Sie sollen eine bestimmte Person ausfindig machen. Eine Farbige, die bei mir gearbeitet hat. Das Mädchen hat mein Haus vor zwei Wochen verlassen – um genau zu sein: am 1. September. Soweit wäre das für mich eine Erlösung, wenn sie nicht ein paar Kleinigkeiten mitgenommen hätte. Rubinohrringe und eine goldene Kette.«

»Nicht versichert?«

»Nein. Eigentlich nichts so besonders Wertvolles. Die Sachen haben für mich nur einen Gefühlswert, verstehen Sie?« Sie versuchte gefühlvoll auszusehen. Aber es mißlang ihr.

»Demnach ein Fall für die Polizei?«

»Darüber bin ich anderer Meinung.« Plötzlich war ihr Gesicht aus hartem braunem Holz. »Sie leben doch davon, Leute aufzuspüren, nicht wahr? Wollen Sie sich um Ihren Unterhalt bringen?«

Ich nahm den Hundert-Dollar-Schein aus meiner Brieftasche und warf ihn auf den Schreibtisch. »Scheint so.«

»Seien Sie doch nicht so empfindlich.« Sie zwang ihren verkniffenen, kleinen Mund zu einem Lächeln. »Wissen Sie, Mr. Archer, im Grunde hänge ich an allen Leuten, die für mich gearbeitet haben. Lucy hatte ich besonders gern, und ich möchte sie nicht in Schwierigkeiten bringen. Nie im Leben würde ich ihr die Polizei auf den Hals hetzen; ich möchte lediglich mit ihr sprechen und meine Sachen wiederhaben. Und ich hatte gehofft, Sie würden mir dabei helfen …«

Sie klappte die Lider mit den kurzen Wimpern über die {9}kalten schwarzen Augen. Vielleicht hörte sie ferne Geigenklänge. Ich jedenfalls hörte nur den Lärm der Autos unten auf dem Sunset Boulevard.

»Ich dachte, es handelt sich um eine Schwarze.«

»Für mich gibt es keine Rassenunterschiede.«

»Das meine ich auch nicht. Nur – eine Farbige ist in dieser Stadt unauffindbar. Das hab ich schon mehrmals umsonst versucht.«

»Lucy ist auch nicht in Los Angeles. Ich weiß, wo sie sich aufhält.«

»Warum gehen Sie dann nicht zu ihr und reden mit ihr?«

»Das will ich ja auch, nur möchte ich vorher wissen, mit was für Leuten sie zusammen lebt und so.«

»Eine recht komplizierte Methode, um ein bißchen Schmuck zurückzubekommen. Was wollen Sie nun wirklich von ihr?«

»Das geht Sie nichts an.« Sie versuchte es schnippisch wie ein Backfisch zu sagen, aber die Feindseligkeit drang durch.

»Der Meinung bin ich auch.« Ich schob ihr den Geldschein über den Schreibtisch hin und stand auf. »Das Ganze sieht mir, ehrlich gesagt, etwas faul aus. Warum versuchen Sie es nicht mit einer Kleinanzeige in der Zeitung? Außerdem gibt es genügend Detekteien, die von solchen Fällen leben.«

»Lieber Himmel, ich glaube wirklich, der Mensch ist ehrbar!« Sie sagte es halb im Scherz. »Also gut, Mr. Archer, ich gebe mich geschlagen. Ich bin in Zeitdruck – um es genauer zu sagen, stecke ich in einer gewissen Klemme …«

»Was aber nichts mit einem kleinen Diebstahl zu tun hat. Sie hätten sich eine bessere Geschichte ausdenken sollen.«

»Na schön. Also: Lucy hat eine Zeitlang in meinem Haus gearbeitet und dabei einen gewissen Einblick in meine Familienverhältnisse gewonnen. Dann haben wir uns im Zorn getrennt, das heißt, sie war wütend auf mich – nicht umgekehrt. Hinterher wurde mir klar, wie unangenehm es sein könnte, wenn sie anfinge, gewisse Dinge herumzutratschen. {10}Darum möchte ich wissen, mit wem sie verkehrt. Ich kann daraus meine Schlüsse ziehen.«

»Wenn ich ein bißchen genauer wüßte, was sie nicht herumtratschen soll …«

»Das werde ich Ihnen gerade auf die Nase binden! Schließlich möchte ich Sie ja engagieren, damit diese Dinge nicht bekannt werden.«

Mir gefiel ihre Geschichte immer noch nicht, aber die zweite Version war schon besser als die erste. Ich setzte mich wieder. »Als was hat sie bei Ihnen gearbeitet?«

Sie stockte nur eine Sekunde. »Als Hausmädchen. Ihr voller Name ist Lucy Champion.«

»Und wo steht dieses Haus?«

»Das ist ja wohl gleichgültig.«

Ich schluckte meinen Ärger hinunter. »Wo ist sie jetzt? Oder darf ich das auch nicht erfahren?«

»Diese Frage bedeutet also, daß Sie den Auftrag annehmen?«

»Möglich.«

»Sie...