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Gefährliche Côte Bleue - Ein Provence-Krimi mit Capitaine Roger Blanc

Cay Rademacher

 

Verlag DuMont Buchverlag , 2017

ISBN 9783832189402 , 320 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Tod eines Tauchers

Capitaine Roger Blanc stand mit bloßen Füßen auf dem warmen Stahldeck eines Schiffes. Die weißen Aufbauten reflektierten die Mittagssonne so grell, dass seine Augen trotz der getönten Brille schmerzten. Das Wasser war glatt und klar, als wäre die André Malreaux in eine türkisfarbene Glasfläche eingeschmolzen. Die Kette am Bug reichte bis in zehn, vielleicht sogar fünfzehn Meter Tiefe, wo sich der Anker in einen Teppich aus braungrünen, sanft in der Strömung schwingenden Pflanzen gegraben hatte. Ein Schwarm handgroßer, silbriger Fische umschwamm die eisernen Glieder.

Etwa hundert Meter rechts von Blanc strichen träge Wellen gegen eine beinahe lotrechte Felswand, die den Himmel begrenzte. Der grauweiße Kalkstein war uralt, von Rissen und Spalten zerfurcht, am Meeressaum dunkel und glänzend vor Feuchtigkeit, darüber trocken wie Kreide. Dicht unter dem Kamm lagen rote Gesteinsbrocken frei, aus denen der Regen über Äonen die Farbe in langen Fäden ausgewaschen hatte. Calanque des Roches Sanglantes wurde die Bucht genannt, die Calanque »der blutenden Felsen«. Dunkle Kammern öffneten sich auf halber Höhe der Klippen und erinnerten Blanc an leere Augenhöhlen. Pinien krallten sich mit verknoteten Wurzeln über dem Abgrund fest, ihre Äste streckten sich dem Licht entgegen.

Die Sonne brannte auf Blancs nackten Unterarmen, mit jedem Atemzug schmeckte er Rosmarin, Thymian und Salz auf den Lippen. Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Wir haben den ersten Oktober, aber es ist, als hätten wir Hochsommer. Das fühlt sich nicht echt an.«

»Echter als ein Freudenmädchen«, erwiderte sein Freund und Kollege Lieutenant Marius Tonon gelassen. Er lehnte neben ihm an der Reling und prostete ihm mit dem Becher seiner Thermoskanne zu, in die er einen »Kaffee« gekippt hatte, der nicht gerade nach gerösteten Bohnen duftete. »Das sieht hier immer so aus.«

»Wir sollen auf diesem Schiff arbeiten. Aber wir haben nichts zu tun und braten in der Sonne. Das ist zu schön. Da stimmt etwas nicht.«

»Wir könnten eine Runde schnorcheln, falls du dich langweilst«, schlug Marius gut gelaunt vor. »Das Wasser ist noch mindestens zweiundzwanzig Grad warm. Die silbernen Fische unter uns, das sind Saupes, die ›Rinder des Meeres‹. Die knabbern die Pflanzen von den Felsbrocken und sind so blöd, dass du sie mit der Hand fangen kannst. Wir könnten uns auch einen Seeigel holen, seine Schale knacken und ihn mit einem Stück Baguette ausschlürfen.«

»Den ganzen rohen Seeigel?«

»Nur seinen Schließmuskel. Köstlich.«

Blanc verzog das Gesicht. »Du weißt genau, was ich meine«, erklärte er und blickte sich um. »Dieser Job muss einen Haken haben. Wir sind nicht hier, um die Schließmuskeln von Seeigeln zu essen. Wir räumen Scheiße weg.«

Commandant Nicolas Nkoulou hatte sie am frühen Montagmorgen auf die André Malreaux beordert. Mehr als eine Stunde lang hatte Nkoulou Blanc und Marius zuvor in seinem Büro instruiert. Blanc tat nun schon seit einem Vierteljahr Dienst in der Gendarmeriestation von Gadet, doch alle seine bisherigen Besuche im Büro des Commandanten zusammengenommen hatten nicht so lange gewährt wie dieser eine.

Als Calanques wurde, wie Nkoulou ihm ausführlich erklärt hatte, die zerklüftete Felsenküste westlich und östlich von Marseille bezeichnet. Blanc hatte schon vom karibischen Wasser und von harzigen Pinien gehört, von halsbrecherischen Wanderwegen zwischen mürbem Gestein – und von abendlichen Pétanque-Partien vor den Cabanes, den Ferienhäusern jener Glücklichen, die in den Naturschutzgebieten gebaut hatten, als das zwar schon illegal gewesen war, aber noch niemand so genau hingesehen hatte. Er war jedoch noch nie dort gewesen.

»Ein Taucher hat dort vor ein paar Wochen unter Wasser eine Höhle entdeckt«, hatte Nkoulou erklärt. »Die Höhle ist so verwinkelt, dass es lebensgefährlich wäre, dort einzudringen. Aus gewissen Erwägungen hat sich unsere Regierung deshalb entschlossen, den Zugang zu versperren.«

Marius hatte gelacht und gerufen: »Eine zweite Cosquer-Höhle?«

Blanc hatte diesen Namen schon einmal irgendwo gehört, aber er erinnerte sich an keine Einzelheiten mehr.

»Die Höhle, die man 1985 entdeckt hat«, hatte Marius eingeworfen. »Die Höhle mit den Steinzeitbildern, Bären, Löwen, solche Sachen. Tausende Jahre alt und sehr empfindlich. Damit nicht jeder Trottel dort hineinschnorcheln kann, haben sie vor einigen Jahren die Unterwasseröffnung mit Beton und Stahl verrammelt.«

Nkoulou hatte gehüstelt. »Offiziell wissen wir so gut wie nichts. Eine neu entdeckte Unterwasserhöhle, deren Zugang zur allgemeinen Sicherheit versperrt wird. Punkt. Ob dort Bilder von zotteligen Neandertalern an die Wände geschmiert wurden, muss uns nicht interessieren.« Er hatte eine fleckige blaue IGN-Wanderkarte der Calanques auf seinem Schreibtisch ausgebreitet, deren Faltkanten schon mürbe waren. Macht unser Chef Trekkingtouren?, hatte sich Blanc flüchtig gefragt. Nkoulous perfekte Uniform schien ihm von Funktionskleidung und Goretex-Schuhen so weit entfernt zu sein wie eine Priestersoutane von Reizwäsche.

Der Zeigefinger des Commandanten war die Küstenlinie von West nach Ost entlanggefahren. »Das Schiff wartet im Hafen von Martigues auf Sie, Messieurs. Es wird Sie an Cap Couronne vorbeifahren, an Sausset-les-Pins, Carry-le-Rouet … bis hierhin.« Er hatte mit dem Finger auf eine Bucht getippt, deren runde, fast geschlossene Form Blanc unwillkürlich an die Sprechblase eines Comics erinnerte. Erst als sein Chef die Fingerkuppe wieder anhob, hatte er den Namen lesen können: Calanque des Roches Sanglantes.

»Dort wird die André Malreaux ankern. Das Forschungsschiff gehört zum DRASSM, zum Département des recherches archéologiques subaquatiques et sous-marines. Es hat einen Kran an Bord – und ein achthundert Kilogramm schweres Gitter aus massivem Stahl. Vor einiger Zeit hat das Forschungsschiff den Eingang zur Grotte mit einem ultrasensiblen akustischen Scanner abgetastet, der ein 3-D-Modell des Höhleneingangs erzeugt hat, auf dessen Grundlage wiederum ein passendes Gitter an Land gebaut worden ist. Ein paar Taucher werden es einsetzen. Es sollte nicht lange dauern.«

»Und warum sind wir dabei, mon Commandant?«, hatte Blanc gefragt. »Ich habe zuletzt als Junge geschnorchelt, im Ärmelkanal, ungefähr drei Meter vom Strand entfernt.«

Nkoulou hatte auf einige dunkle, eckige Symbole auf der Landkarte gedeutet. »Ferienhäuser. Die meisten werden um diese Jahreszeit verlassen sein. Einige Hundert Meter weiter östlich erkennen Sie den Fischerhafen von La Redonne. Da wohnen keine zwanzig Familien. Es werden also wahrscheinlich kaum Menschen in der Calanque des Roches Sanglantes sein. Aber ›wahrscheinlich‹ bedeutet ja nicht ›sicher‹. Und da die Mission der Taucher«, er hatte gezögert, »eh bien, sensibel ist, hat mich gestern Abend ein leitender Angestellter des DRASSM gebeten, zwei Beamte abzustellen. Nur zur Sicherheit.«

»Glauben die Eierköpfe aus Paris denn ernsthaft, dass jemand die Froschmänner angreifen könnte?«, hatte Marius wissen wollen.

»Ich vermute eher, dass man seitens der Regierung nicht will, dass jemand zu genau hinsieht, wo die Taucher arbeiten. Sollte sich ein Schwimmer bis zu Ihnen verirren oder ein Fischer seine Fangleine direkt neben der André Malreaux ausbringen wollen, dann bitten Sie ihn höflich, sich zum Teufel zu scheren.«

»Und wenn er sich nicht schert?«

»Dann nehmen Sie ihn fest und stecken ihn unter Deck in eine fensterlose Kammer, bis Sie wieder in Martigues ankern.«

»Die Taucher mögen keine Gaffer, was?«

»Ich habe schon mit entspannteren Menschen telefoniert.«

Und so standen Blanc und Marius einige Stunden später am Bug der André Malreaux und zählten Fische. Das Schiff war neu, sauber und gut sechsunddreißig Meter lang. Für Blancs in maritimen Dingen ungeschultes Auge sah es nicht aus wie ein Forschungsschiff, sondern wie eine Luxusjacht aus einem James-Bond-Film der Sechzigerjahre. Nur dass sich am Heck, wo ein Milliardär wohl einen Hubschrauberlandeplatz installiert hätte, ein eckiger Kran über ein großes Arbeitsdeck wölbte. Vom Kran aus führte ein straff gespanntes Stahlkabel ins Wasser. Vor einer halben Stunde hatten die Matrosen an ihm das Gitter in die Tiefe gelassen. Jetzt standen noch ein Mann und eine Frau in hellgrauen Arbeitsoveralls am Heck. Die Frau beobachtete aufmerksam den armdicken Draht. Der Mann hielt das Steuergerät des Krans in den Händen, das aussah wie eine übergroße Spielkonsole. Seine Körperhaltung verriet, dass er nicht sonderlich angespannt war. Dort, wo das Stahlseil in den Wellen verschwand, stiegen Luftblasen nach oben. Sechs Taucher arbeiteten irgendwo unter ihnen.

Blanc blickte zum Ufer hinüber. Einige Häuser klebten geradezu an der Steilküste, die meisten schienen nur aus übereinandergeschichteten Terrassen zu bestehen und waren hinter Pinienzweigen, Hecken und Mauern kaum zu erkennen.

»Jede Hütte ein Milliönchen«, bemerkte Marius. »Meeresblick, reiche Nachbarschaft, ruhige Lage.«

»Sehr ruhig.« Blanc nickte. Auf den meisten Grundstücken war überhaupt keine Bewegung auszumachen. Am Rinnstein der schmalen Straße zwischen den Häusern parkte ein Auto. Blanc inspizierte es durch ein Fernglas: Kleine Haufen Piniennadeln bedeckten schon Motorhaube und Dach.

An der nordöstlichen Seite der Calanque bildeten Felsbrocken und Kiesel eine Art Strand. Blanc glaubte, dass man von...