dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Chasing Home - Mit dir allein

Abbi W. Reed

 

Verlag LYX, 2017

ISBN 9783736304857 , 225 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

6,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

Derzeit können über den Shop maximal 500 Exemplare bestellt werden. Benötigen Sie mehr Exemplare, nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf.


 

1


Mein Handy läutete zum zweiten Mal, gerade als ich mit einem erschöpften Stöhnen von Mikes verschwitztem Körper glitt. Unsere Atmung ging laut und heftig. Beim ersten Klingeln hatte ich das Handy noch ignoriert, doch nun, da wir beide gekommen waren und Mike anfing mir mit diesem verträumten Glanz in den Augen über die Brust zu streicheln, war ich dankbar für die Ablenkung.

Mit einer gemurmelten Entschuldigung angelte ich das Handy vom Nachttisch und rutschte an den äußeren Rand des Bettes. Eine unbekannte Nummer leuchtete auf dem Display auf. Unter anderen Umständen wäre ich gar nicht erst rangegangen. Ich ließ es noch zwei Sekunden lang gegen meine Handfläche vibrieren, ehe ich abhob. »Hallo?«

»Guten Tag, spreche ich mit Mr Lincoln Hall?«

»Der bin ich«, antwortete ich mit einem irritierten Stirnrunzeln. Die Stimme war mir ebenfalls unbekannt und klang zu alt für einen vergessenen Liebhaber.

»Entschuldigen Sie die Störung. Ich bin Andrew Meyers, der Anwalt Ihres Vaters. Das heißt, ich war der Anwalt Ihres Vaters«, korrigierte er sich. »Es tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, aber Ihr Vater ist vorgestern Nacht verstorben.«

Vater. Ich habe keinen Vater, war das Erste, was mir in den Sinn kam. Ich kannte einen Mann namens David Hall, der meine Mutter im Kokain-Rausch backstage nach einem Konzert geschwängert hatte. Die Beziehung hatte genau ein Jahr gehalten. Ich war sieben gewesen, als er sich das letzte Mal die Mühe machte vor unserer Haustür aufzukreuzen, um danach auf eine Tournee zu verschwinden, von der er nie mehr zurückkehrte. Er hatte mir sein viel zu großes Cap mit dem Logo seiner Band auf den Kopf gesetzt und versprochen, mich nächsten Sommer auf einen Campingtrip mitzunehmen, bei dem wir unser Essen aus einem Fluss fischen und unter freiem Himmel schlafen würden. Monatelang bettelte ich meine Mutter an, bis sie mir eine teure Kinderangel kaufte, doch dieser Sommer mit meinem Vater kam nie. Wir hatten keinen Kontakt. Schon seit zweiundzwanzig Jahren nicht mehr.

»Mr Hall, sind Sie noch dran?«

»Das ist tragisch«, brachte ich mit einem trockenen Räuspern hervor. Die Worte klangen genauso leer, wie ich mich fühlte. Tot. Mein Vater war gestorben. Schon vor zwei Tagen. Ich horchte in mich hinein, ließ die Botschaft noch etwas sacken und wartete darauf, von ihr getroffen zu werden, so wie es sein sollte, wenn man erfuhr, dass der eigene Vater verstorben war. Wartete auf irgendein Anzeichen dafür, dass der Tod dieses Mannes mir etwas bedeutete. Doch alles, was ich spürte, war Taubheit.

»Ich hätte Sie gerne schon früher angerufen, aber es war nicht leicht Sie zu erreichen. Von den Angehörigen wusste niemand, wie man Sie kontaktieren kann. Ich nehme an, Sie und Ihr Vater standen sich nicht besonders nahe?«

»Da haben Sie recht.«

Mike schien langsam ungeduldig zu werden. Er lag nackt auf dem Rücken, zog eine Schnute und rieb mit seinem nackten Fuß an meiner Hüfte.

»Es ist Ihnen vielleicht ein Trost zu wissen, dass er in seinen letzten lichten Momenten noch an Sie gedacht hat. Er war seit Monaten schwerkrank. Wussten Sie davon?«

Die Taubheit in mir wuchs. Ich packte das Handy fester und rutschte noch ein Stück weg von Mike und seiner Berührung. »Nein«, antworte ich so leise, dass ich nicht sicher war, ob Mr Meyers mich verstand.

»Krebs im Endstadium. Es ist wirklich sehr tragisch. Er war ein großartiger Mann.«

Das konnte ich nicht bezeugen. Ich hatte keine Ahnung, was für ein Mann mein Vater gewesen war. Ich konnte ihm nicht einmal mehr ein Gesicht zuordnen. Es kam mir falsch vor, Beileidswünsche von seinem Anwalt entgegenzunehmen. Mein Vater und ich waren Fremde, lose verbunden durch einen Nachnamen und ein paar gemeinsame DNA-Stränge.

Mr Meyers schien darauf zu warten, dass ich etwas erwiderte, doch ich schwieg. Mir fiel nichts ein, das ich noch hätte sagen können.

Schließlich räusperte er sich. »Die Beerdigung ist in zwei Tagen. Ich hatte gehofft, dass Sie vielleicht persönlich nach Iowa reisen würden, um ihm dort die letzte Ehre zu erweisen. Dann könnten wir uns treffen und alles Rechtliche klären.«

Iowa? Was in Gottes Namen hatte ihn nach Iowa verschlagen? Als meine Mutter mit ihm zusammen gewesen war, hatte er in Los Angeles gelebt. Ich hatte angenommen, dass er immer noch dort wohnte und vollgedröhnt mit wechselnden Frauen schlief, die alle viel jünger waren als er.

»Was meinen Sie mit ›alles Rechtliche‹?«, fragte ich.

»Ihr Vater hat Ihnen ein Erbe hinterlassen.«

Das war doch lächerlich. Ich wusste nicht, wieso dieser Mann überhaupt den Wunsch verspürt hatte, mir etwas zu vererben. Zu seinen Lebzeiten hatte er sich schließlich auch nicht für mich interessiert. Oder hatte er gar keine anderen Erben? Es sagte viel über unser Verhältnis aus, dass ich nicht einmal wusste, ob er noch andere Kinder gezeugt hatte.

»Das ist …« Meine Stimme versagte abermals. »Sie müssen wissen, dass ich seit mehr als zwanzig Jahren keinen Kontakt zu meinem Vater hatte. Es tut mir leid, dass er tot ist, aber ich will kein Erbe von ihm.«

»Sie werden also nicht nach Iowa kommen?«

»Nein.« Was sollte ich dort? Ich würde nicht so heuchlerisch sein und am Grab eines Fremden Tränen vergießen.

»Das ist bedauerlich. Sind Sie sich da absolut sicher? Ich kann mir vorstellen, dass Sie gerade ziemlich unter Schock stehen. Soll ich vielleicht später noch mal anrufen?«

»Ich bin mir sicher«, entgegnete ich knapp. »Hören Sie … Ich danke Ihnen für Ihren Anruf und dass Sie sich all die Mühe gemacht haben, aber mein Vater und ich hatten im Leben nichts miteinander zu tun und ich wüsste nicht, wieso das nach seinem Tod anders sein sollte.«

»Ich verstehe … Falls Sie das Erbe wirklich ausschlagen wollen, brauche ich allerdings Ihre schriftliche Zustimmung.«

»Von mir aus. Ich unterschreibe Ihnen, was Sie wollen.« Alles, nur damit dieses Gespräch endlich endete. Ich nannte Mr Meyers meine Adresse in Manhattan und legte nach einer Abschiedsfloskel auf. Das Telefon lag schwer wie Blei in meiner Hand. Alles war ganz und gar surreal, als wäre ich nicht wirklich da oder gefangen in einem Traum, aus dem ich nicht erwachen konnte.

»Das klang ernst.« Mike rutschte von hinten an mich heran und fing an, meine Schulter und meinen Nacken zu küssen. »Willst du darüber reden?«

»Nein.«

»Wirklich nicht? Manchmal hilft es …«

»Nein!«, wiederholte ich, heftiger diesmal.

Mike verstummte und zog sich zurück. Ich sah sein Gesicht nicht, aber ich war mir sicher, dass ich ihn gekränkt hatte und er nun schmollte.

Ich atmete tief durch. Meine Hände zitterten. Ich hatte seit Jahren nicht mehr geraucht, aber plötzlich verlangte es mich nach einer Zigarette. Oder einem Joint. Irgendetwas, um kurz abzuschalten und mich zu sammeln.

»Soll ich gehen?« Mike hatte sich vom Bett erhoben und fischte nach seinen Klamotten, die verstreut auf dem Fußboden lagen. Ich hörte an seiner Stimme, dass er bleiben wollte. Und dass ich das ebenfalls wollen sollte. Letzte Nacht hatte ich ihn zum ersten Mal bei mir übernachten lassen. Ein Fehler, wie ich mir nun eingestand. Davor hatte seine Stimme nie diesen hoffnungsvollen Ton gehabt, nachdem wir Sex gehabt hatten. Er war gekommen, er war gegangen. Es war einfach gewesen, genau so, wie ich meine Beziehungen mochte. Kein Drama, keine Verletzungen. Bloß Sex.

Wir hatten uns vor einem Monat in einem netten italienischen Lokal kennengelernt, in dem er als Aushilfe kellnerte. Er hatte Rotwein auf meinem Lieblingshemd verschüttet, und ich hatte ihn angeschrien. Als Wiedergutmachung hatte er mir seine Handynummer unter den Hosenbund geschoben. Seitdem sahen wir uns regelmäßig.

Ich spürte seinen Blick auf mir und wich ihm absichtlich aus. »Ich wäre jetzt lieber allein.«

Mike entgegnete nichts. Er zog sich fertig an und verschwand im Bad. Als er Minuten später wieder herauskam, begleitete ich ihn zur Wohnungstür. Draußen im Flur erwiderte ich zum ersten Mal, seit ich die Neuigkeit über meinen Vater erhalten hatte, seinen Blick.

»Tut mir leid wegen deinem Dad«, sagte Mike leise. Er war so alt wie ich, aber mit seinen Baggyhosen und der schief sitzenden Mütze sah er zehn Jahre jünger aus. Er war ein netter Kerl. Ich mochte ihn. Und dennoch …

»Danke.« Meine Hand verkrampfte sich um den Türstock. »Ich … ich melde mich.«

Mikes rechter Mundwinkel verzog sich zu einem traurigen Lächeln. Er wusste, dass ich mich nicht melden würde.

»Mach’s gut.« Mike drehte sich weg, ohne noch einmal zurückzusehen, die Hände tief in den Hosentaschen. Ich war kurz versucht, ihm hinterherzurufen. Ihn in mein Schlafzimmer zu zerren und dort weiterzumachen, wo wir aufgehört hatten, bevor das Klingeln meines Handys die Stimmung ruiniert hatte. Aber der Moment ging vorüber, Mike betrat den Aufzug, und ich schloss die Tür.

Minutenlang stand ich nur da, ohne mich zu bewegen. Ich dachte nicht einmal an meinem Vater. Ich war einfach vollkommen leer. Schließlich gab ich mir einen Ruck und stellte mich unter die Dusche. Ich hoffte, dass ich mich dann besser fühlen würde und blieb länger als nötig unter dem heißen Wasserstrahl stehen, doch alles, was ich erreichte, war, dass ich mir die Haut verbrühte.

Als ich fertig geduscht und angezogen war, war es erst zehn Uhr. Der bevorstehende Tag kam mir unendlich lang vor. Nicht einmal arbeiten half, dabei...