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Codewort Tripolis - Thriller

Will Jordan

 

Verlag Blanvalet, 2017

ISBN 9783641200237 , 800 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

1

Arlington-Nationalfriedhof, Virginia – zwei Wochen zuvor

Die enorme Größe des Friedhofs von Arlington versetzte Drake jedes Mal aufs Neue in Erstaunen. Er erstreckte sich über mehr als sechshundert Hektar am Westufer des Potomac und war vom Weißen Haus aus in zwanzig Minuten zu Fuß zu erreichen. Der riesige Komplex befand sich sowohl geografisch als auch symbolisch dicht am Herzen der Nation. Seine Monumentalität und Ausdehnung dienten der ewigen Erinnerung an die Opfer, die seit den Zeiten des Bürgerkriegs bis heute von Generationen von Amerikanern gebracht wurden. Hier, unter dem wohltuenden Schatten blühender Bäume, hatten über vierhunderttausend amerikanische Kriegstote ihre letzte Ruhestätte gefunden. Ihre Gräber erstreckten sich in ordentlichen Reihen aus weißen Grabsteinen fast bis zum Horizont.

Es war ein ernüchternder Ort, der einen nachdenklich machte. Drake hatte ihn im Laufe der letzten Jahre mehr als einmal besucht – entweder, um gefallenen Kameraden die Ehre zu erweisen, oder auch nur, um mit seinen Gedanken allein zu sein.

Heute hatte ihn jedoch ein anderer Grund hierher geführt.

Am Roosevelt Drive wandte er sich nach links, dann stieg er einen grasbewachsenen Hügel zu einer Gedenkstätte auf der Anhöhe empor. Dabei kam ihm eine kleine Gruppe entgegen, die in die entgegengesetzte Richtung strebte. Es waren Männer und Frauen aller Altersgruppen, aber sie schienen so vertraut miteinander, dass sie höchstwahrscheinlich einer großen Familie angehörten. Ein alter Mann im Zentrum der Gruppe, der sich beim Abstieg vom Hügel schwer auf einen Wanderstock stützte, war vermutlich der Grund ihres Besuches. Er trug eine dunkelblaue Marinemütze, auf der in verwitterten goldenen Buchstaben der Name eines Kriegsschiffes zu lesen stand. Der Mann war an Drake vorbeigegangen, bevor der einen genaueren Blick darauf hatte werfen können.

Aber es spielte auch keine Rolle. Die Mütze bedeutete ihrem Träger etwas, und nur das zählte.

Ist schon seltsam, wie anders Amerika mit seinen Kriegsveteranen umgeht, dachte er mit leisem Bedauern, während er die Treppenstufen hinaufstieg. Hier behandelte man sie mit Respekt, sogar ehrfürchtig. Das alte Klischee, dass ein Uniformierter irgendwo im Land in eine beliebige Bar treten und sofort wenigstens eine Person finden würde, die ihm ein Bier ausgab, traf, jedenfalls Drakes Erfahrung nach, immer noch zu. Drüben im Vereinigten Königreich konnten Veteranen allenfalls auf eine lächerliche staatliche Pension und Bingo-Nächte im Kriegsveteranenclub hoffen.

Er bemühte sich, diese Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen, als er das obere Ende der Treppe erreichte und einen Blick auf die Szenerie warf, die unter ihm lag. Im Zentrum des breiten, offenen Platzes stand ein gewaltiger Marmorsarkophag, dessen weiße Oberfläche im Licht der Nachmittagssonne strahlte.

Das Grabmal des Unbekannten Soldaten war einer der heiligsten Orte in ganz Arlington, ein Monument für die Ewigkeit, ein Symbol für Tausende unbekannter Soldaten, die auf den Schlachtfeldern dieser Welt gefallen und deren Namen für alle Zeit verloren waren.

Es wurde rund um die Uhr und bei jedem Wetter bewacht – von Elitesoldaten des dritten US-Infanterieregiments, das auch unter dem Namen »Old Guard« bekannt war. Auch der heutige Tag stellte keine Ausnahme dar. Ein Soldat mit einem alten M14-Gewehr patrouillierte langsam vor dem Sarkophag auf und ab. Seine Uniform war ebenso makellos wie seine kerzengerade Haltung, und die verspiegelte Sonnenbrille reflektierte das Sonnenlicht. Seine Bewegungen waren so präzise wie die jedes anderen Wachsoldaten, der vor ihm Dienst getan hatte, sodass sich nach jahrzehntelanger Wache ein perfektes Quadrat in den Marmor gegraben hatte.

Ein paar Touristen fotografierten die Vorführung, die für sie vermutlich nur eine Sehenswürdigkeit darstellte, ähnlich wie bei den Wachposten der Queen, die reglos vor dem Buckingham-Palast standen.

Einem flüchtigen Beobachter wäre Drakes Verhalten kaum anders vorgekommen als das von Hunderten anderer Besucher, die an jenem Tag den Friedhof bevölkerten. Er ging mit dem leichten, entspannten Schritt eines Mannes, der ohne Hast und doch zielstrebig auf sein Ziel zusteuert. Seine Miene zeigte kaum mehr als das oberflächliche Interesse eines Durchschnittsbesuchers.

Nur seine Augen hinter der dunklen Sonnenbrille, die an jenem Nachmittag keineswegs unangemessen wirkte, verrieten den hellwachen Blick eines ausgebildeten Kämpfers, der jedes Detail seiner Umgebung registrierte, einschließlich der Menschen. Sein Blick zuckte von Gesicht zu Gesicht und suchte nach einem Hinweis, einem verräterischen Indiz, dass das eine oder andere nicht das war, wofür es sich ausgab.

Drake verdiente seinen Lebensunterhalt damit, Leute aufzuspüren, von denen die meisten nicht gefunden werden wollten. Deshalb war er recht gut darin geworden, sehr schnell zu spüren, wenn etwas nicht stimmte. Einen Blick, der ein wenig zu lange verharrte, ein Zucken, das ungewöhnliche Anspannung und Nervosität verriet, eine unwillkürliche Gewichtsverlagerung, mit der das lästige Gewicht einer verborgenen Waffe ausgeglichen werden sollte. Es gab nichts, was er in seiner Dienstzeit noch nicht gesehen hätte, und seine Sinne waren in diesem Augenblick im Alarmzustand.

Er entspannte sich ein wenig, als er sich dem Amphitheater näherte, und gab sich fürs Erste damit zufrieden, dass keiner der Besucher ein unangemessenes Interesse an ihm gezeigt hatte. Natürlich bedeutete das nicht, dass er von niemandem beobachtet wurde – Drake hatte sich im Laufe der letzten Jahre daran gewöhnt, ständig auf der Hut zu sein.

Es gab etliches, woran er sich im Laufe der letzten Jahre gewöhnt hatte.

Das große Freilufttheater, das für gewöhnlich Gottesdiensten am Veteran’s Day und anderen öffentlichen Veranstaltungen diente, war jetzt ungenutzt und nahezu verlassen. Für Touristen gab es drinnen nicht viel zu sehen, und in den Säulengängen der Mauern befanden sich auch keine Denkmäler, weshalb sich nur wenige Menschen darin aufhielten.

Kurz gesagt, es war ein guter Ort für Gespräche, bei denen man nicht unterbrochen oder abgehört werden wollte. Und hier ging es um eine Unterredung genau dieser Art.

Drake bog um eine der großen Steinsäulen, die die äußere Grenze des Theaters bildeten. Dann hielt er einen Moment inne, um den Innenraum zu inspizieren. Von der Hauptbühne aus stiegen Bankreihen bis zu den äußeren Begrenzungen des Theaters empor.

Keine der Bänke war besetzt.

Drake sah auf seine Uhr, holte tief Luft und überlegte, was er als Nächstes tun sollte. Er konnte die Deckung verlassen und ins Zentrum des Theaters gehen, um sich dem, der auf ihn wartete, zu erkennen zu geben. Damit würde er sich jedoch auch angreifbar machen. Es widersprach seinem Instinkt, in einer solchen Situation aus einer schlechteren Ausgangsposition heraus zu agieren.

Er konnte ebenso gut bleiben, wo er war, und abwarten, ob seine Kontaktperson die Initiative ergriff. Allerdings hing bei Treffen wie diesen oft alles vom gegenseitigen Vertrauen ab, und es war möglich, dass seine Kontaktperson dieselben Zweifel hegte wie er selbst. Er wollte auf keinen Fall riskieren, dass sie kalte Füße bekam und wegging, zumal es ihn erhebliche Mühen gekostet hatte, dieses Treffen überhaupt zu arrangieren.

Er wollte gerade einen Rundgang entlang der Außenmauern des Theaters beginnen, als er Schritte auf dem Steinboden hörte, die auf ihn zukamen. Sie waren langsam, schwer und von einem etwas angestrengten Schnaufen begleitet. Ein übergewichtiger älterer Mann, möglicherweise von angeschlagener Gesundheit.

Drake griff zur Browning-Automatik in dem Pancake-Holster auf seinem Rücken. Er stellte sich innerlich auf die unzähligen Möglichkeiten ein, wie diese Sache schiefgehen konnte, und schlüpfte hinter der Säule hervor.

Der Mann, der ihm gegenüberstand, war schwarz, Anfang sechzig, in einen teuren Anzug gekleidet, von durchschnittlicher Körpergröße und überdurchschnittlichem Gewicht. Sein kurz geschnittenes Haar und der Schnurrbart waren grau meliert. Ein kurzer Blick machte klar, dass diesem Mann das Alter deutlich zugesetzt hatte; er ließ die Schultern hängen, und seine Stirn war von jahrelangen Mühen und Sorgen zerfurcht. Der oberste Knopf seines Hemds war offen, und seine Stirn glänzte von Schweiß.

Der Aufstieg hierher war anscheinend nicht sehr angenehm für ihn gewesen.

Er verspannte sich bei Drakes plötzlichem Auftauchen, fasste sich jedoch rasch, als er begriff, dass Drake der Mann war, den er treffen wollte: den jungen Leiter eines Shepherd-Teams, der konspirativ über einen Mittelsmann mit ihm in Kontakt getreten war, auf einem Gespräch unter vier Augen außerhalb Langleys bestanden und ihm versichert hatte, über Informationen zu verfügen, die für die Agency von größter Wichtigkeit seien.

»Ich hoffe, Sie haben mich nicht nur aus dem Grund hier heraufgelockt, um mich zu erschießen, mein Sohn«, bemerkte er reserviert, blickte mit seinen dunklen Augen kurz hinab und deutete auf die Hand, die Drake hinter seinem Rücken verborgen hielt. »Ich bin mir sicher, dass man hier in Arlington schon ein nettes Plätzchen für mich bereithält, aber ich möchte es im Moment noch nicht beziehen.«

Drake lockerte den Griff, mit dem er die Waffe hielt, und seine Anspannung legte sich ein wenig, doch er blieb auf der Hut. »Director Hunt.«

»Das ist mein Name.«

Charles Hunt war der Leiter der...