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Schwesterherz - Thriller

Kristina Ohlsson

 

Verlag Limes, 2017

ISBN 9783641172312 , 496 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

1

BOBBY BRACHTE DAS SCHLECHTE WETTER mit. Regen ist in Stockholm im Grunde nichts Ungewöhnliches, aber bevor Bobby in mein Leben trat, hatte die Sonne geschienen, daran erinnere ich mich noch genau.

Wie auch immer. Es regnete also. Ich hatte nicht sonderlich viel zu tun, und das war mir auch ganz recht. Es war Sommer, und bald würde ich den Laden für die Ferien schließen. Lucy und ich wollten nach Nizza fliegen, baden und in der Sonne liegen, Drinks schlürfen und einander mit Sonnencreme einschmieren. Belle sollte bei ihren Großeltern bleiben. In dieser Situation hat man echt keinen Bock darauf, dass es an der Tür klingelt. Aber genau das passierte. Helmer, Lucys und mein Assistent, ließ den Besucher rein und führte ihn zu meinem Zimmer. Er blieb auf der Schwelle stehen.

Ich erkenne ein Problem, sobald ich es vor Augen habe. Und in dem Augenblick, als ich Bobby zum ersten Mal vor Augen hatte, witterte ich auf der Stelle Unrat. Das hatte nichts mit seiner Kleidung zu tun oder damit, dass er stank wie eine alte Zigarettenfabrik. Nein, sein Blick hatte ihn verraten. Augen wie zwei antike Pistolenkugeln. Kohlrabenschwarz.

»Was gibt’s?«, fragte ich, ohne mir die Mühe zu machen, die Füße vom Schreibtisch zu nehmen. »Ich mache gerade zu.«

»Nicht, bevor Sie mit mir geredet haben«, erwiderte der Mann und trat ins Zimmer.

Ich zog die Augenbrauen hoch.

»Ich hab mich nicht Herein sagen hören«, knurrte ich.

»Seltsam«, entgegnete der Mann, »ich schon.«

Ich nahm die Füße vom Tisch und setzte mich ordentlich hin.

Der Mann streckte mir die Hand über den Schreibtisch hinweg entgegen.

»Bobby T.«, sagte er.

Ich lachte ihm direkt ins Gesicht. Es war kein freundliches Lachen.

»Bobby T.?«, fragte ich und gab ihm die Hand. »Sehr interessant.«

Verdammt lächerlich, hätte ich eigentlich sagen wollen. Ich meine, wer zum Henker nennt sich hier in Stockholm Bobby T.? Es klang wie der miese Name eines miesen Gangsters aus einem miesen amerikanischen Film.

»Als ich klein war, gab es in meiner Klasse zwei Bobbys«, erklärte der Mann. »Also wurden wir Bobby L. und Bobby T. genannt.«

»Ach so«, erwiderte ich. »Zwei Bobbys also? Das ist ungewöhnlich.«

Wahrscheinlich nicht nur ungewöhnlich, sondern einzigartig. Ich riss mich zusammen, um nicht noch mehr zu lachen.

Schweigend stand Bobby vor meinem Schreibtisch. Ich musterte ihn vom Scheitel bis zur Sohle.

»So war es jedenfalls«, sagte er. »Aber wenn Sie nicht Bobby T. sagen wollen, dann müssen Sie das nicht. Bobby reicht vollkommen.«

Meine Gedanken wanderten erneut zum amerikanischen Filmbusiness. Dort wär Bobby ein großer Schwarzer gewesen, die Mutter hätte Lockenwickler in den Haaren gehabt, und sein Vater wäre Bankräuber gewesen. Bobby T. selbst wäre wahrscheinlich der Älteste in einer Schar von vierzehn Geschwistern, der Bräute anbaggerte, indem er ihnen erzählte, wie er seine kleinen Geschwister zur Schule brachte, während die Mutter zu Hause saß und soff. Dass Frauen aber auch immer auf einen solchen Mist reinfallen müssen. Männer, die ihnen leidtun.

Aber zurück zum echten Bobby. Er war hellhäutig, mager und sah ziemlich mitgenommen aus. Seine Haare waren so fettig, dass sie sich lockten, und die Haut glänzte. Was wollte dieser Kerl von mir?

»Jetzt sehen Sie mal zu, dass Sie zur Sache kommen«, sagte ich. Mein Besucher fing allmählich an zu nerven. »Wissen Sie, das war nicht gelogen, als ich gesagt hab, ich würd für heute dichtmachen. Ich hab heute Abend ein verdammt heißes Date und will vorher noch duschen und mich umziehen. Das verstehen Sie doch sicher, oder?«

Ich glaube, er verstand es ganz und gar nicht. Lucy und ich machen uns manchmal einen Spaß daraus zu schätzen, wann die Leute zum letzten Mal Sex hatten. Bobby sah aus wie jemand, der schon seit Jahren nicht mehr zum Zug gekommen war. Mich beschlichen sogar Zweifel, ob er sich jemals einen runterholte. Lucy kann so was viel besser als ich erkennen. Sie behauptet, man könnte es am unteren Teil der Handfläche eines Mannes erkennen, ob er oft onaniert.

»Ich bin nicht meinetwegen hier«, sagte Bobby.

»Ach nein«, seufzte ich. Um wen geht es dann? Um Papi? Mami? Oder um Ihren Kumpel, der die Alte, die er vorige Woche beklaut hat, eigentlich gar nicht niederschlagen wollte?

Sagte ich allerdings nicht.

Ich hab gelernt, die Schnauze zu halten, wenn es nötig ist.

»Es geht um meine Schwester«, sagte Bobby.

Er wand sich ein wenig, und zum ersten Mal, seit er eingetreten war, wurde sein Blick beinahe sanft. Ich faltete die Hände auf dem Schreibtisch und legte einen Gesichtsausdruck auf, von dem ich hoffte, dass er Geduld ausstrahlte.

»Ich gebe Ihnen zehn Minuten, Bobby T.«, erklärte ich.

Nur damit er nicht glaubte, er hätte alle Zeit der Welt.

Bobby nickte mehrmals. Dann ließ er sich unaufgefordert auf einem meiner Besucherstühle nieder.

»Ich erkläre es Ihnen«, sagte er, als hätte ich unbändiges Interesse für seine Geschichte versprüht. »Ich möchte, dass Sie ihr helfen. Also, meiner Schwester. Ich möchte, dass Sie dafür sorgen, dass sie freigesprochen wird.«

Wie oft hat man so etwas als Strafverteidiger schon gehört? Die Leute bringen sich selbst in die unmöglichsten Situationen und wollen dann, dass man sie wieder raushaut. Aber so funktioniert das nicht. Meine Rolle als Anwalt ist es nicht, den Menschen zu helfen, in den Himmel statt in die Hölle zu kommen. Meine Job ist es, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die am Ende das große Urteil fällen, anständige Arbeit machen. Und das tun sie meistens.

»Wollen Sie damit sagen, sie wird eines Verbrechens angeklagt?«, hakte ich nach.

»Nicht eines Verbrechens. Mehrerer.«

»Okay. Sie ist angeklagt, mehrere Verbrechen begangen zu haben. Hat sie dann nicht schon einen Verteidiger?«

»Sie hatte einen. Aber der hat seinen Job nicht gemacht.«

Ich strich mir übers Kinn.

»Und jetzt will sie einen neuen Anwalt?«

Bobby schüttelte den Kopf.

»Nicht sie«, stellte er richtig. »Sondern ich.«

»Entschuldigung, aber jetzt hab ich wohl den Faden verloren. Sie selbst wollen einen Anwalt? Oder meinen Sie nur, Ihre Schwester könnte einen neuen gebrauchen?«

»Letzteres.«

»Und wie kommen Sie darauf, wenn Ihre Schwester doch anderer Meinung zu sein scheint?«, fragte ich. »Man hüte sich davor, den Leuten zu predigen, was sie tun sollen. Die meisten können ganz gut für sich selbst sorgen.«

Bobby schluckte, und sein Blick wurde wieder so hart wie zu Anfang.

»Meine Schwester nicht«, sagte er. »Die konnte noch nie für sich selbst sorgen. Dafür war immer ich zuständig.«

Also war er der verantwortungsbewusste Bruder. Wie schön. Davon gab es viel zu wenige auf der Welt. Oder auch nicht.

»Jetzt hören Sie mir mal gut zu«, sagte ich. »Solange Ihre Schwester nicht unmündig ist, haben Sie überhaupt keine Befugnis, sich einzumischen und ihre Verteidigung über den Haufen zu werfen. Damit erweisen Sie ihr nur einen Bärendienst. Es ist wirklich besser, wenn sie darüber selbst entscheidet.«

Bobby beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf meinem Schreibtisch auf. Ich ertrug seinen Atem nicht und lehnte mich zurück.

»Sie haben wohl nicht zugehört«, entgegnete er. »Ich hab gesagt, dass meine Schwester noch nie für sich selbst sorgen konnte. Konnte. Das ist Vergangenheit.«

Unsicher, was als Nächstes kommen würde, wartete ich erst einmal ab.

»Sie ist tot«, fuhr Bobby T. fort. »Sie ist vor einem halben Jahr gestorben.«

Es geschieht selten oder nie, dass ich erstaunt bin. Doch diesmal war ich es, denn Bobby T. wirkte weder besoffen noch high.

»Ihre Schwester ist tot?«, echote ich leicht verzögert.

Bobby T. nickte, merklich froh darüber, dass ich es schlussendlich begriffen hatte.

»Dann müssen Sie mir aber mal erklären, warum Sie hier sind«, verlangte ich. »Tote brauchen keinen Anwalt mehr.«

»Meine Schwester schon«, sagte Bobby mit zittriger Stimme. »Irgendein Teufel hat ihr Leben zerstört – mit falschen Anschuldigungen –, und ich will, dass Sie mir helfen, das zu beweisen.«

Jetzt musste ich den Kopf schütteln.

Und wählte meine Worte mit Bedacht.

»Bobby, da müssen Sie sich wirklich an die Polizei wenden. Ich bin Anwalt. Mit Ermittlungen beschäftige ich mich nicht. Ich …«

Bobby schlug mit der Faust auf den Schreibtisch, und ich zuckte unwillkürlich zusammen.

»Es ist mir scheißegal, was Sie glauben, womit Sie sich beschäftigen«, brüllte er. »Jetzt hören Sie mir mal zu! Ich weiß, dass Sie meiner Schwester helfen wollen. Deshalb bin ich hier. Weil ich gehört hab, wie Sie es gesagt haben. Im Radio.«

Ich war fassungslos.

»Sie haben mich im Radio sagen hören, dass ich Ihrer Schwester helfen will?«

»Exakt so haben Sie es gesagt. Es sei der Traum eines jeden Anwalts, jemanden wie sie zu verteidigen.«

Langsam dämmerte mir, wovon er sprach. Und wer seine Schwester war.

»Sie sind der Bruder von Sara Texas«, stellte ich fest.

»Tell! Sie hieß Tell!«

Seine aufgebrachte Stimme ließ mich erneut zurückweichen. Dann änderte er seinen...