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Herrmann und Ulrike - Historischer Roman in 4 Bänden

Johann Karl Wezel

 

Verlag e-artnow, 2016

ISBN 9788026870258 , 771 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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1,99 EUR


 

DRITTES KAPITEL


Inhaltsverzeichnis

Die Gräfin, die – wie man bereits gemerkt haben wird – mehr eitel, als stolz, war, fand in der kindischen Liebe des kleinen Herrmanns so viel schmeichelndes, daß sie nach aufgehobner Tafel, als sie ihr Gemahl auf ihr Zimmer gebracht hatte, das Gespräch sogleich auf ihn lenkte. Sie bestand darauf, daß man einem so viel versprechenden Subjekte eine beßre Erziehung verschaffen müßte, als er bey seinen Eltern haben könnte, und that deswegen den Vorschlag, ihn auf das Schloß zu nehmen und den Unterricht und die Aufsicht des Lehrers mitgenießen zu lassen, den man ohnehin für die kleine Ulrike – eine arme Schwestertochter des Grafen – bezahlte. Ihr Gemahl machte zwar Einwendungen, und darunter eine, die weiser war als alle, die er gewöhnlich zu machen pflegte: er besorgte nämlich, daß man den Knaben durch eine vornehme, seinem Stand und Vermögen nicht angemeßne Erziehung nur unglücklich machen werde. Wir geben ihm, sagte er, eine Menge Bedürfnisse, die er in seiner Eltern Hause nie würde kennen lernen; wir fachen seinen Ehrgeiz nur noch mehr an, da er schon für sich stark genug ist; durch den beständigen Umgang mit dem andern Geschlechte wird seine natürliche Empfindlichkeit erhöht, er wird weichlich, wollüstig und vielleicht gar ein Geck. Haben Sie nicht seinen übermäßigen Stolz bemerkt? – Wenn man sieht, daß er Ihr Liebling ist, wird ihm Jedermann schmeicheln, um Ihnen zu schmeicheln, und in zwey Jahren ist er sonach der verdorbenste, aufgeblasenste und unerträglichste Bursch, der Niemanden in der Welt achtet, als sich selbst. Ihre Güte ist auf alle Fälle zuversichtlich sein Unglück. – Es geht schlechterdings nicht, sezte er mit seinem gewöhnlichen peremtorischen Tone hinzu.

Der Graf machte sehr oft dergleichen gute oder schlechtere philosophische Anmerkungen und Einwendungen bey jeder Gelegenheit, aber niemals im eigentlichen Ernste, um zu widerlegen oder die vorgeschlagne Sache zu hindern, sondern blos aus Räsonnirsucht, um seinen vorgeblichen Verstand zu zeigen: räumte man ihm daher seine Einwürfe als unüberwindlich ein, so war nichts leichter, als ihn unmittelbar durch diese stillschweigende Anerkennung seiner Ueberlegenheit zu der nämlichen Sache zu bereden, die er bestritten hatte. Seine Gemahlin kannte alle feste und schwache Plätze seines Charakters so genau, daß sie eine Karte davon hätte zeichnen können, und gestand ihm deswegen in dem vorhabenden Falle mit betrübter Verlegenheit zu, daß es freilich unmöglich sey, so starke und vernünftige Gegengründe zu entkräften. – Man muß also darauf denken, sezte sie hinzu, wie man den Burschen auf eine weniger gefährliche Art unterstüzt.

Aber, fiel ihr der Graf ins Wort, man kann es ja versuchen: merkt man, daß er durch seinen Aufenthalt bey uns verschlimmert wird, so schickt man ihn wieder zu seinen Eltern. Aber freilich, liebe Gemahlin, Sie sind schwach: wenn Sie einmal etwas lieben, dann fällt es Ihnen schwer, sich davon zu trennen: Ihre Liebe wird gleich zu heftig.

Freilich wohl, gnädiger Herr! antwortete die Gräfin seufzend und zupfte mit einiger Verlegenheit an ihrem Kleide. Ich erkenne wohl, wie sehr Sie Recht haben, daß meine Liebe die Leute meistens verdirbt: ich fühle meine Schwäche in diesem Punkte. – Wir wollen den Burschen lassen, wo er ist.

Aber, nahm der Graf mit einer kleinen Hastigkeit das Wort, warum wollen Sie es denn nicht versuchen, wenn sie Ihr Vergnügen dabey finden? – Wollen Sie zuweilen eine kleine freundschaftliche Warnung von mir annehmen, im Falle daß Sie zu weit gehen –

DIE GRÄFIN

O mit Freuden, gnädiger Herr. Sie wissen, wie willig ich mich von Ihnen leiten lasse, wie gern ich Ihre Vernunftgründe zugebe, daß ich leicht von etwas abstehe, wenn Sie es misbilligen –

DER GRAF

Ja, ich kenne Ihre Güte –

DIE GRÄFIN

Nennen Sie das nicht Güte, gnädiger Herr! Pflicht, Schuldigkeit ist es. Ich schätze mich glücklich genug, daß ich fähig bin, die Richtigkeit und Billigkeit Ihrer Einwendungen und Befehle einzusehen: auf keinen andern Verstand, als auf diesen, mache ich Anspruch.

DER GRAF

War denn Ihre Absicht, daß der Knabe bey uns auf dem Schlosse wohnen sollte?

DIE GRÄFIN

Meine Absicht war es allerdings; denn eine doppelte, so ganz entgegengesezte Erziehung –

DER GRAF

Würde ihn nur verderben! Was er in den Paar Stunden, die er sich bey uns aufhielt, Gutes lernte, würde er den übrigen Theil des Tages bey seinen Eltern wieder vergessen; die Fehler, die er bey uns ablegte, würde er dort wieder annehmen. Sein Vater ist ohnehin etwas ungeschliffen. Das thäte gar nicht gut: wenn er einmal besser erzogen werden soll, so muß er von der Lebensart seiner Eltern gar nichts mehr zu sehen bekommen. Zudem wäre mirs auch unangenehm, ihn unter uns zu leiden, wenn er hernach wieder mit seines Gleichen, mit gemeinen Jungen auf der Gasse spielen und herumlaufen dürfte.

DIE GRÄFIN

Ihre Bedenklichkeiten sind völlig gegründet: es läßt sich nicht das mindeste dawider einwenden. – Ich will mir die Grille wieder vergehen lassen: der Junge mag bleiben, wo er ist. –

Aber wozu denn? rief der Graf mit ereiferter Güte. Ich will dem Haushofmeister befehlen, daß er –

DIE GRÄFIN

Ich bitte Sie, gnädiger Herr! Verursachen Sie sich meinethalben nicht die Beschwerlichkeit, einen Jungen um sich zu sehn, der Ihnen freilich anfangs nicht mit der gehörigen Ehrerbietung begegnen wird –

DER GRAF

Das besorge ich eben. Er hat noch keine Manieren, ist auch wohl zuweilen ungezogen: aber ich denke, er soll sich durch unsern Umgang bald bilden.

DIE GRÄFIN

Das hoff' ich! – Mir sollte die Sorge für seine Erziehung ein süßes Geschäfte seyn. –

Nach einer kleinen tiefsinnigen Pause sezte sie traurig und mit nassen Augen hinzu: Da mir das Glück keine eignen Kinder zu erziehen giebt, muß ich die mütterlichen Vergnügen an fremden genießen.

Aber, warf ihr der Graf ein, Sie werden sich zu sehr an den Knaben fesseln, sich zu sehr mit ihm abgeben und dadurch eine unendliche Last auf sich laden.

DIE GRÄFIN

Meine Last dabey wäre sehr gering: allein für Sie, gnädiger Herr, könnte sie größer seyn, als ich wünschte. – Es mag unterbleiben.

DER GRAF

Nein doch! Sie sollen sich schlechterdings meinetwegen kein Vergnügen versagen.

DIE GRÄFIN

Und ich will schlechterdings kein Vergnügen genießen, das Ihnen nur Eine misvergnügte Minute machen könnte. Wollte ich doch, daß ich nicht so unbescheiden gewesen wäre, Ihnen von meinem unüberlegten Einfalle etwas zu sagen!

DER GRAF

Ihr Einfall muß befriedigt werden: ich geb' es nicht anders zu.

DIE GRÄFIN

Gnädiger Herr, ich müßte mir selbst Vorwürfe machen, wenn ich aus Unbesonnenheit Ihre Güte so mißbrauchte –

DER GRAF

Ich will nun, ich will.

Nunmehr war er auf den Punkt gebracht, wohin er sollte: er sagte die lezten Worte mit so einem auffahrenden positiven Tone, daß nur noch Eine Gegenvorstellung nöthig war, um ihn zornig zu machen. War er einmal unvermerkt dahin geleitet, daß er die Sache selbst verlangen und befehlen mußte, die er anfangs bestritt und im Grunde sehr ungern sah, so hatte die Gräfin zu viel Feinheit, um seinen Stolz bis auf das äusserste zu treiben und einen wirklichen Zorn abzuwarten, sondern sie ergab sich nunmehr mit anscheinendem Widerwillen. – Ich unterwerfe mich Ihrem Befehle, sprach sie mit einer tiefen Verbeugung und küßte ihm ehrerbietig die Hand: Sie können meiner Dankbarkeit gewiß seyn, und eben so sehr meiner Folgsamkeit, so bald Ihnen Ihre Güte nur die mindste Beschwerlichkeit –

Denken Sie nicht mehr daran! unterbrach sie ihr Gemahl. Ihr Vergnügen und das meinige können nie ohne einander seyn. –

Er sagte gleich darauf mit der verbindlichsten Freundlichkeit gute Nacht und trieb die Verbindlichkeit so weit, daß er unmittelbar nach seiner Ankunft in seinem Zimmer bey dem Ausziehen dem Kammerdiener Befehl gab, noch denselben Abend zu dem Einnehmer Herrmann zu gehen und ihm zu melden, daß er sich morgen früh um sieben Uhr vor des Grafen Zimmer einfinden solle.

Die ganze Herrmannische Familie lag schon in tiefem Schlummer: der Hausvater schnarchte bereits so lieblich und mit so mannichfaltigen Veränderungen alle Oktaven durch, daß die arme Ehegattin an seiner Seite nicht fünf Minuten zusammenhängenden vernünftigen Schlummer zuwege bringen konnte. Eben war es ihr geglückt, alle Hindernisse zu überwältigen und in einen sanften erquickenden Schlaf dahinzusinken, als der Kammerdiener des Grafen an der Thür rasselte, und da er diese verschlossen fand, an die niedrigen Fensterladen so emphatisch mit geballten Fäusten anpochte, daß die beiden Eheleute vor Schrecken im Bette weit in die Höhe prellten. Halb aus Scham, halb aus Furchtsamkeit wollte die erwachte Frau das Fenster nicht öfnen, sondern stieß den wieder eingeschlafnen Gemahl so heftig in die Ribben, knipp ihn in die Wangen und paukte ihm endlich so derb auf der Brust herum, daß...