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Inklusion kann gelingen! - Forschungsergebnisse und Beispiele guter schulischer Praxis

 

Verlag Verlag Bertelsmann Stiftung, 2016

ISBN 9783867937740 , 216 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz frei

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3,99 EUR

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Vorwort


Schulen werden inklusiver


Wir befinden uns im Jahr sieben nach der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die 2009 einen inklusiven Paradigmenwechsel für das deutsche Schulsystem eingeleitet hat. Die Zahl Sieben steht in der Kulturgeschichte symbolisch für Fülle oder einen abgeschlossenen Zyklus. Der Weg zur Inklusion in Schulen ist allerdings noch lange nicht abgeschlossen. Kritische Stimmen wie die Monitoringstelle zur UN-Behindertenrechtskonvention monieren die schleppende Umsetzung in vielen Bundesländern. Andere stellen auch immer wieder grundsätzlich die Frage, ob die Regelschulen wirklich der beste Förderort für Kinder mit Förderbedarf sind.

Aus unterschiedlichen Perspektiven belegen diese Stimmen, dass überall Ernst gemacht wird mit der schulischen Inklusion. Tatsächlich hat sich in den letzten sieben Jahren viel getan in Deutschland: Immer mehr Förderschüler* werden in Regelschulen unterrichtet, Förderschulen werden geschlossen oder in »Schulen ohne Schüler« überführt, Sonderpädagogen kommen an Regelschulen, Fortbildungen für Lehrkräfte in Regelschulen werden gestartet. Schließlich ist Inklusion nicht mehr nur ein Thema in integrativen Schulformen wie Grund- oder Gesamtschulen, sondern Gymnasien suchen mittlerweile ebenfalls Wege gemeinsamen Lernens.

Auch wenn es angesichts der umfassenden Herausforderung viel zu früh wäre, nach sieben Jahren eine Bilanz zu ziehen, geht es in diesem Buch um die Frage, wo wir heute bei der Inklusion in Schulen stehen. Den Einstieg markiert ein Blick auf die aktuellen Kennziffern zur Inklusion und in die Schulgesetze. In ihrer Analyse kommt Nicole Hollenbach-Biele zu dem Schluss, dass Deutschland insgesamt ein langsames Reformtempo fährt. Denn auch wenn immer mehr Kinder mit Handicap eine Regelschule besuchen, geht der Anteil von Schülern in den Förderschulen kaum zurück. Diese zunächst widersprüchlich erscheinende Entwicklung liegt daran, dass derzeit bei immer mehr Schülern ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt wird – Tendenz weiter steigend. Allerdings ändert sich der Befund, wenn statt der Bundesebene die Länderebene betrachtet wird. Dieser länderspezifische Blick zeigt: Vor allem die Stadtstaaten und Schleswig-Holstein haben in den vergangenen Jahren die Weichen für eine umfassende schulische Inklusion gestellt. Dies schlägt sich in den statistischen Zahlen und auch in der Gesetzeslage nieder. Andere Bundesländer stehen hier noch am Anfang.

Doch warum entwickelt sich die schulische Inklusion in einigen Bundesländern so langsam und in anderen vergleichsweise konsequent? Neben unterschiedlichen Ausgangslagen bei Größe und Demographie sowie schulpolitischen Unterschieden gibt es in vielen Bundesländern immer noch grundsätzliche Skepsis, ob das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Förderbedarf funktionieren kann. Kathrin Dedering beleuchtet, welche Befunde die erziehungswissenschaftliche Forschung zu dieser Grundsatzfrage beisteuert. Diverse Studien aus dem deutschsprachigen und internationalen Raum zu den Effekten gemeinsamen Lernens machen deutlich, dass sowohl die Schüler mit als auch jene ohne sonderpädagogischen Förderbedarf in ihrer kognitiven und schulischen Leistungsentwicklung vom inklusiven Unterricht profitieren bzw. dass der getrennte Unterricht in diesen Bereichen Nachteile für Förderschüler mit sich bringt. Für die Schülergruppe ohne Förderbedarf ermöglicht das gemeinsame Lernen zudem einen Mehrwert im (psycho-)sozialen und emotionalen Lernen. Insgesamt kommt Dedering zu dem Schluss, dass inklusiver Unterricht für alle Schüler positiv wirkt, wenn dabei auf die Lerngruppenzusammensetzung, auf gute individuelle Förderung sowie auf konsequente Arbeit an der sozialen Akzeptanz und am Selbstkonzept der Schüler geachtet wird.

Von positiven Erfahrungen mit dem gemeinsamen Unterricht berichten auch die Mütter und Väter. Unter Rückgriff auf die Ergebnisse einer repräsentativen Elternumfrage zeigen Nicole Hollenbach-Biele und Anja Simon, dass Eltern ein Bewusstsein für die positiven Effekte inklusiver Bildung entwickeln, wenn sie in Kontakt mit dem gemeinsamen Lernen kommen, sei es durch die eigenen Kinder oder durch Kinder in ihrem Umfeld. Inklusive Lernumgebungen werden positiver bewertet als nicht inklusiv arbeitende Schulen – und zwar unabhängig davon, ob das eigene Kind Förderbedarf hat oder nicht. Doch es zeigt sich, dass die Mehrheit der Eltern (noch) nicht davon überzeugt ist, dass alle Schüler inklusiv am besten lernen. Auch hier macht die konkrete Erfahrung den Unterschied: Eltern von Kindern, die inklusive Schulen besuchen oder die private Kontakte zu Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf haben, schätzen das Potenzial des gemeinsamen Lernens tendenziell höher ein.

Eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung von Inklusion spielen neben den Eltern auch und in besonderer Verantwortung die Lehrkräfte. Corinna Ziegler, Dirk Richter und Nicole Hollenbach-Biele richten den Blick auf die Erfahrungen von Lehrkräften an inklusiv arbeitenden Schulen. Mit einer Analyse von Daten aus einer repräsenta tiven Umfrage mit 1.000 Lehrkräften der Sekundarstufe I zeigt ihr Beitrag, dass Lehrkräfte an inklusiven Schulen intensiver kooperieren als Lehrkräfte nicht inklusiver Schulen, und das bei vergleichbarer beruflicher Zufriedenheit.

Die Voraussetzungen für eine konsequente Ausweitung des gemeinsamen Lernens scheinen also vorhanden zu sein: Die empirische Schulforschung, Rückmeldungen inklusionserfahrener Eltern und die Einschätzungen inklusiv arbeitender Lehrkräfte zeigen, dass Inklusion unter bestimmten Rahmenbedingungen funktionieren kann. Das könnte Schulpolitikern in den bisher zurückhaltend agierenden Bundesländern Mut machen auf dem Weg zur inklusiven Schule.

Nicht zuletzt braucht dieser Weg orientierende Beispiele bzw. Orte des Gelingens – also Schulen, die bereits erfolgreich inklusiv arbeiten. Mittlerweile gibt es viele solcher Schulen hierzulande. Die Beauftragte des Bundes für die Belange behinderter Menschen zeichnet gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung und der Deutschen UNESCO-Kommission seit 2009 jedes Jahr Schulen mit dem Jakob Muth-Preis für inklusive Schule aus. Ina Döttinger skizziert die Entstehungsgeschichte dieses Preises, seine Kriterien und das Bewerberfeld. Auch hier wird deutlich, dass sich die inklusive Schullandschaft in den vergangenen Jahren entwickelt hat: Bei einer über die Jahre relativ konstanten Bewerberzahl fanden sich in den ersten Jahren der Preisvergabe vergleichsweise viele Grundschulen unter den Bewerbungen. Inzwischen bewerben sich mehr und mehr Schulen der Sekundarstufe I für den Preis, darunter auch Gymnasien. Zudem lässt sich eine deutliche Qualitätssteigerung des Bewerberfelds insgesamt erkennen.

Bis einschließlich 2015 haben sich über 550 Schulen aus allen 16 Bundesländern für den Jakob Muth-Preis beworben. Die Landkarte der Jakob Muth-Preisträger zeigt, dass sich die bisherigen 21 ausgezeichneten Schulen auf neun Bundesländer verteilen. Im Juni 2016 sind die Grund- und Mittelschule Thalmässing aus Bayern, die Saaleschule Halle (Sachsen-Anhalt) und das Geschwister-Scholl-Gymnasium Pulheim (Nordrhein-Westfalen) als erstes Gymnasium überhaupt ausgezeichnet worden. Den jährlichen Preis für einen inklusiv arbeitenden Schulverbund erhielt die Pestalozzi-Schule Husum gemeinsam mit dem Förderzentrum für Lernen, Sprache und emotionale und soziale Entwicklung aus Schleswig-Holstein. Kurze Schulporträts stellen die Arbeit der vier Preisträger vor.

Ein Besuch jeder einzelnen dieser prämierten Schulen ist spannend und erkenntnisreich. Für die inklusive Schulentwicklung in der Fläche ist über die Einzelbeispiele hinaus zu fragen, wie und was man insgesamt von diesen besonderen Schulen lernen kann. Dieser Frage gehen zwei Beiträge des vorliegenden Bandes in unterschiedlicher Weise nach.

Ann-Kathrin Arndt und Rolf Werning haben Interviews mit Schulleitungen, Lehrkräften, Sonderpädagogen und Eltern in zwanzig Jakob Muth-Preisträgerschulen geführt und leiten daraus Merkmale guter inklusiver Schulen ab. Dazu gehören der Fokus auf die Potenziale und Entwicklungsmöglichkeiten eines jeden Kindes, eine individualisierte und zugleich kooperative Lernkultur, die intensive Kooperation sowohl im multiprofessionellen Kollegium als auch mit Eltern und externem Unterstützungssystem sowie – als Grundvoraussetzung – die inklusive Haltung, Kompetenz und ein hohes Engagement aller am Schulleben Beteiligten. Schließlich bedarf es auch einer ausgeprägten Reflexions- und Evaluationskultur.

Nicole Hollenbach-Biele und...