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Die Australia-Saga - Goldzeit. Eukalyptusfeuer. Traumgesang.

Mirja Hein, Laura Walden

 

Verlag beHEARTBEAT, 2017

ISBN 9783732544752 , 1650 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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14,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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Sophie Victoria Stewart, die wegen ihrer Bewunderung für die englische Königin mit ihrem zweiten Namen gerufen werden wollte und von allen nur Vicky genannt wurde, hasste ihre neue Heimat Melbourne abgrundtief. Es gab nicht einen einzigen Tag, seit sie vor mehr als zwei Jahren mit dem Schiff aus London in der Bucht Port Phillip angekommen waren, an dem sie nicht über die Hitze, den Gestank oder die vom Regen und den Überschwemmungen schlammigen Straßen geschimpft hatte. Sie verabscheute den heißen Sommer, und besonders den Spätfrühling, an dem Wetterumschwünge, Temperaturstürze und Stürme an der Tagesordnung waren. Dann gebärdete sich das Wetter in dieser Stadt wie eine launische Diva. Wenn man Pech hatte, wechselte es binnen Sekunden von trocken und warm zu nass und kalt. Im Volksmund nannte man Melbourne deshalb auch die »Stadt der vier Jahreszeiten an einem Tag«. Melbourne war, seit man in Ballarat und Bendigo Gold gefunden hatte, zu einem regelrechten Hexenkessel geworden, in den es Glückssucher aus der ganzen Welt trieb. Davor sei es ein beschauliches, verschlafenes Städtchen gewesen, behaupteten die Einwohner Melbournes, die schon vor dem Goldrausch dort gelebt hatten. Doch die Geschichte dieser Stadt interessierte Vicky nicht, weil sie ohnehin nicht vorhatte, in Melbourne zu bleiben.

Am ehesten fand noch das kalte Winterwetter, das zuverlässiger war als die anderen Jahreszeiten, Gnade vor Vickys kritischem Auge, weil es sie entfernt an den Londoner Winter erinnerte. Aber nicht nur das Wetter glorifizierte Vicky, seit sie die alte Heimat hatte verlassen müssen, sondern alles an London geriet im Nachhinein zu einem romantischen Idealbild. Ob es die sauberen Straßen, die schönen Häuser, das großstädtische Ambiente oder der Nebel waren, Vicky schwärmte von London, wie sie es niemals auch nur annähernd getan hatte, als sie noch in der Stadt lebte.

Jedes Mal, wenn sie an den Tag dachte, an dem sie gegen ihren erklärten Willen mit ihrer Familie, zwei Hausangestellten und einem halben Hausstand auf einem Auswandererschiff die Themse flussabwärts gefahren war, und das in dem Wissen, für lange Zeit fortzubleiben, spürte sie nackte Wut in sich aufsteigen. Besonders auf ihren Vater, der sie dazu gezwungen hatte, ihr Zuhause zu verlassen, weil die Regierung ausgerechnet ihn für geeignet hielt, dieses hohe Richteramt in der Kolonie wahrzunehmen. Für ihn war das eine große Ehre und unbedingte Verpflichtung gewesen. Bei mir können sie sicher sein, dass meine Vorfahren keine Strafgefangenen sind, und sie brauchen jetzt dringend Männer wie mich … Mit diesen Worten hatte er der Familie mit stolzgeschwellter Brust seine Entscheidung, nach Australien zu gehen, eröffnet. Verabschiedet euch von London, am besten für immer, meine Kinder, hatte ihr Vater verlangt, aber Vicky hatte seine Worte ignoriert, und tat das bis heute. Nein, sie würde zurückkehren, sobald sie einen heiratsfähigen Engländer gefunden hatte, den es so wie sie in die Heimat zurücktrieb. Das hatte sie sich an jenem grauen Tag geschworen. Aber das war keineswegs so einfach. Rückkehrwillige und überdies heiratskompatible Engländer waren in Melbourne eine Seltenheit.

Vicky ballte bei dem Gedanken an ihren ersten mutigen Vorstoß in diese Richtung, der allerdings in einem schrecklichen Fehlschlag geendet war, die Fäuste. Doch selbst diese kleine körperliche Anstrengung brachte sie mächtig ins Schwitzen, denn von Melbournes wolkenlosem Himmel brannte an diesem Februarnachmittag die alles versengende Sonne herunter. Sie hatte Angst, ihr Haar könnte in Brand geraten. So heiß war es auf ihrem Kopf, hatte sie doch in der Wut nach dem Streit mit ihrer Schwester vergessen, ihr Hütchen aufzusetzen. Dass Louise sich aber auch immer so aufspielen musste, dachte Vicky erbost, man könnte meinen, sie sei schon uralt und nicht erst neunzehn Jahre.

Ach, wie gern würde Vicky das alles hinter sich lassen. Ihrer Familie würde sie kaum eine Träne nachweinen. Jedenfalls bildete sie sich das ein, solange sie mit ihnen unter einem Dach leben musste und sie ihr mächtig auf die Nerven gingen, allen voran die Petze Louise.

Es ist wirklich verhext, dass sich keiner findet, der sich erbarmt, mich nach London mitzunehmen, ging es Vicky trübsinnig durch den Kopf. Der erste Vorstoß, ihre Rückkehr nach London in die Wege zu leiten, war jedenfalls zum Fiasko geraten. Wenn sie an ihren völlig unüberlegten Auftritt neulich in der Küche dachte, spürte sie sofort die Schamesröte in ihren Wangen aufsteigen. Sie hatte sich Richard regelrecht an den Hals geworfen. Er war ein Polizist aus London, einer der vielen, die die Regierung in Scharen ins Land geholt hatte, um der durch den Goldrausch explodierenden Kriminalität in Melbourne Herr zu werden. Richard war ein gutmütiger Hüne und der Verlobte von Mary, der Köchin. Vicky saß gern bei Mary in der Küche und schwärmte gemeinsam mit ihr von London. Die Köchin hatte mindestens so viel Heimweh wie sie. Und an jenem Tag, an den sie sich gerade erinnerte, obwohl sie ihn vor lauter Peinlichkeit am liebsten für immer aus ihrem Gedächtnis streichen wollte, war Richard vorbeigekommen, um mit Mary einen Tee zu trinken. Er war weit über dreißig, was der siebzehnjährigen Vicky bereits als steinalt galt. Außerdem war er übergewichtig und litt außerordentlich unter der Hitze. Sein Gesicht glühte in allen erdenklichen Rottönen, und er wischte sich ständig den Schweiß aus dem Gesicht. Doch als er an diesem Tag schnaufend preisgegeben hatte, er würde, sobald seine Pflicht in zwei Monaten getan wäre, mit dem nächsten Schiff in die Heimat zurückkehren, war Vicky hellhörig geworden.

»Du gehst wirklich nach London zurück?«, fragte sie neugierig.

»So sicher wie das Amen in der Kirche. Und zwar zusammen mit meiner Frau.« Er strahlte Mary dabei an, über deren Gesicht jenes dümmliche Grinsen huschte, das Vicky schon von ihrer Schwester Louise kannte, wenn Vaters Freund, der Gefängnisdirektor Archibald Cumberland, zu Besuch kam. Obwohl sie hoffte, dass sie einen Mann niemals so schwärmerisch anschauen würde, fasste sie blitzschnell einen Plan und versuchte, dieses Lächeln nachzuahmen.

»Richard?«, säuselte sie. »Kannst du dir vorstellen, mich zu heiraten?«

Der Polizist musterte sie fassungslos, während ihm der Schweiß aus allen Poren gleichzeitig tropfte, sodass er gar nicht mit dem Wischen nachkam.

»Sophie Victoria, schäm dich!« Marys Stimme überschlug sich beinahe vor lauter Empörung.

Vicky ignorierte die Schelte der Köchin und trat einen Schritt auf den sichtlich verwirrten Polizisten zu.

»Heirate mich!«, verlangte sie.

»Aber, aber, du bist viel zu jung, und ich … ich liebe doch …«

»Bitte! Doch nur zum Schein. Wir werden uns gleich in London wieder scheiden lassen. Vater lässt mich niemals allein gehen! Wo denkst du hin? Ich will dich nicht wirklich zum Mann, sondern nur auf dem Papier, um dieses schreckliche Land zu verlassen.«

»Sophie Victoria! Schluss mit dem Unsinn!« Mary war außer sich.

»Aber was hast du denn? Natürlich kommst du mit, und dann heiratest du ihn. Und ich gehe zu meiner Tante Charlotte und wohne dort. Sie würde sich riesig freuen. Ich wollte doch ohnehin bei ihr bleiben, aber Vater hat es nicht erlaubt.«

Mary stieß einen tiefen Seufzer aus. »Genau, du sagst es. Einmal abgesehen davon, dass ich es nicht erlauben würde, wenn du Richard heiratest, dein Vater wäre entsetzt. Meine Tochter und ein einfacher Polizist

Mary hatte den Tonfall von Richter Samuel Stewart perfekt nachgeahmt und Vicky wider Willen zum Lachen gebracht. Doch das war ihr schon Sekunden später vergangen. »Du verpetzt mich doch nicht, oder? Wenn Dad erfährt, dass mir jedes Mittel recht wäre, nach London zurückzukehren, dann …«

»… dann wird er sagen. Sophie Victoria! Wann benimmst du dich endlich wie eine Lady? Nimm dir ein Vorbild an Louise

Mary hatte den Ton ihres Arbeitgebers erneut so echt getroffen, dass Vicky zusammenzuckte. Mary hatte recht. Ihr Vater würde eine solche Verbindung niemals dulden. Er war streng und doch der Einzige in der Familie, der sie trotz ihrer wilden Art von Herzen liebte. Nach jedem Streit nahm er sie in den Arm und bat sie inständig, Besserung zu geloben. Nein, Richard, der Polizist, war keine Lösung. Aber es musste doch in dieser Stadt irgendwo ein Mann zu finden sein, der den hohen Ansprüchen ihres Vaters gerecht wurde, der sie heiraten wollte und mit dem sie nach England zurückkehren konnte!

Wie soll ich denn in dieser Stadt eine Lady sein? Dass ich nicht lache, dachte Vicky, während sie die lange, schmutzige Straße hinuntersah. Ihr Zorn nach einem bösen Streit mit ihrer Schwester hatte sie ohne Begleitung aus dem Haus und in das verbotene Viertel getrieben, in dem sich das berüchtigte Melbourner Gefängnis und auch das Oberste Gericht, der Arbeitsplatz ihres Vaters, befanden.

Sie konnte sich im Übrigen lebhaft vorstellen, wie die Familienmitglieder reagierten, wenn sie erfuhren, dass sie, jederzeit und ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, das nächste Schiff nach London besteigen würde, wenn man es ihr doch nur erlaubte. Das ein oder andere Mal hatte sie schon mit dem Gedanken gespielt, sich heimlich an Bord eines Schiffes zu schleichen, aber das wollte sie ihren Eltern dann doch nicht antun. Sie traute sich ja nicht einmal, ihrer Familie zu gestehen, wie unendlich groß ihre Sehnsucht nach London war, dass sie dafür nahezu alles in Kauf zu nehmen bereit war. Das schrieb sie nur heimlich ihrer Tante Charlotte. Ihr Vater...