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Politik und Kommunikation - Zur Geschichte des Politischen in der Vormoderne

Neithard Bulst

 

Verlag Campus Verlag, 2009

ISBN 9783593400112 , 252 Seiten

Format PDF, OL

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29,99 EUR

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Einleitung Neithard Bulst Geht man davon aus, dass an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert ein neues gesellschaftliches Ordnungsmodell eingefordert wurde und an Bedeutung gewann, dass neue Partizipationschancen, Rechtsgleichheit und insbesondere Meinungsfreiheit an die Stelle der überkommenen gesellschaftlichen Hierarchisierung und der mit ihr einhergehenden Ungleichheit und Unfreiheit zu treten begannen, so folgt daraus nicht nur ein Wandel der Ausgangsbedingungen für eine Teilhabe am politischen Raum, sondern auch eine Veränderung des Bedeutungsgehaltes des Politischen selbst. Der Kreis der potentiellen politischen Akteure weitete sich aus, theoretisch auf die Gesamtbevölkerung, wobei für das 19. und 20. Jahrhundert zu fragen wäre, welche Konsequenzen dies für die Inhalte des Politischen und die Formen der Kommunikation hatte. Akzeptiert man diese strukturelle Wende als 'Fundamentalvorgang, als Grundtatsache', so ist zweifellos die Diskussion um die Festschreibung sozialer, ökonomischer, religiöser und rechtlicher Zuschreibungen und Grenzziehungen beziehungsweise deren Infragestellung ein zentraler Gegenstandsbereich des Politischen in der Vormoderne. Die Beiträge dieses Bandes stellen in den Feldern Recht, Wirtschaft und Religion die Frage nach dem Zusammenhang von Kommunikation und Politik. Das Politische wird dabei verstanden als der institutionelle, soziale und kulturelle Raum, in dem Menschen über kollektive Angelegenheiten, Interessen und Konflikte mit repräsentativem Anspruch kommunizieren und ein gemeinsames Verständigungsmedium für das Projekt gesellschaftlicher Selbst-Ordnung finden. 'Als ?politisch? gilt Kommunikation, wenn sie Breitenwirkung, Nachhaltigkeit und Verbindlichkeit besitzt, beansprucht oder zuerkannt erhält, Regeln des Zusammenlebens, Machtverhältnisse oder Grenzen des Sag- und Machbaren thematisiert und auf vorgestellte überindividuelle Einheiten Bezug nimmt oder sie implizit voraussetzt.' Da sich das Politische kommunikativ und partizipatorisch konstituiert, gelten gemeinsame Leitfragen den Mechanismen und Voraussetzungen des Entstehens von Kommunikationsräumen, ihren Implikationen sowie den kurz- und langfristigen Folgewirkungen. Es ist sowohl von politischen wie von unpolitischen Kommunikationsräumen auszugehen (Teuscher), wobei beide Phänomene zu beobachten sind, nämlich dass zunächst unpolitische Diskurse unter bestimmten Konstellationen politisch werden und dass eigentlich politische Diskurse umgekehrt ihren politischen Charakter verlieren (Soergel). Ersteres vollzieht sich in einer Politisierung, letzteres entweder in einer Depolitisierung, indem die Diskurse absichtsvoll-strategisch aus dem Raum des Politischen gedrängt werden, oder in einer Entpolitisierung, indem sie auf die eine oder andere Weise aus diesem herausfallen. Stärker als in der Moderne unterlag die Entstehung eines Kommunikationsraums, soweit er sich quellenmäßig erfassen lässt, im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit nicht nur Regeln, sondern oft auch unterschiedlichen, von den Obrigkeiten oktroyierten Zwängen und Restriktionen. Für den Historiker sind sie allerdings wertvolle Indikatoren für Politisierungsvorgänge. Hierbei handelte es sich keineswegs nur um die frühneuzeitliche staatliche Zensur (Mager), der in der Regel die gedruckten Medien unterlagen - weshalb häufig anonym und im Untergrund oder im Ausland gedruckt werden musste - sondern auch um Informationsverweigerung und Geheimhaltung (Huntebrinker), was letztlich auf Exklusion zielte und Partizipationsmöglichkeiten erheblich erschwerte. Von der politischen Kommunikation, so ein generelles Fazit, blieben die Herrschaftsunterworfenen im Allgemeinen ausgeschlossen. Teilhabe gelang nur unter besonderen Bedingungen, Gewalt stellte dabei ein letztes Mittel dar, um Teilhabe am Politischen zu erzwingen. Die Untertanen waren bestenfalls Rezipienten, keinesfalls aber Akteure solcher politischer Kommunikationsprozesse. Fragt man nach den in erster Linie aus dem Kommunikationsraum Ausgeschlossenen, so sind allerdings keineswegs nur gesellschaftliche Mittel- oder Unterschichten zu nennen, die ohnehin in einer vormodernen, hierarchisch gegliederten Ständegesellschaft praktisch keine politischen Partizipationsrechte besaßen. Fallweise betroffen waren durchaus auch etwa wirtschaftliche Konkurrenten, zum Beispiel städtische Räte in der wirtschaftlich florierenden oberdeutschen Städtelandschaft. Aus Wettbewerbsgründen wurden diesen Auskünfte verweigert (Bulst, Huntebrinker), wobei wirtschaftliche und rechtliche Inhalte von erbetenen beziehungsweise verweigerten Informationen in engem Zusammenhang zu sehen sind. Es lässt sich zeigen, dass solche Informationen gezielt und selektiv, entsprechend Freundschaften und Beziehungsnetzen, gewährt oder verwehrt werden konnten. Der so entstehende Kommunikationsraum hatte durchaus auch politische Dimensionen, vor allem dann, wenn wie etwa im Umgang mit Handwerkgesellen und deren Kommunikationsraum ein unter verschiedenen Städten abgestimmtes gemeinsames Handeln zwingend erforderlich war (Bulst). Zentrales Medium für das Entstehen einer politischen Öffentlichkeit in der Frühen Neuzeit waren in den hier thematisierten religiösen und wirtschaftlichen Diskursen und Auseinandersetzungen (Hoock/Kaiser, Soergel, Mager) in erster Linie die massenhaft gedruckten Flugblätter. In ihnen wurden Aussagen zunächst nur über das Bild vermittelt, dann erschienen zunehmend Flugblätter mit Kombinationen aus Bildern und elaborierten Texten, wobei sich die Frage stellt, inwieweit diese meist gereimten Erläuterungen einem breiten Publikum überhaupt verständlich waren. Hinzu kamen alle Arten sonstiger Druckschriften: Traktate, Streitschriften, Gesetzestexte des Staates und der Kirche sowie Rechtsgutachten, bis schließlich ab dem frühen 17. Jahrhundert periodisch erscheinende Zeitungen, die einen Strukturwandel der Öffentlichkeit einleiteten und nachhaltige Folgen auch für das Politische und die Politisierung eines Kommunikationsraums hatten. In der französischen Auseinandersetzung um die Bulle Unigenitus war das wöchentlich im Untergrund erscheinende jansenistische Kampfblatt Nouvelles ecclésiastiques ou Mémoires pour servir à l'histoire de la constitution Unigenitus - erschienen von 1728 bis 1803 -, welches offensichtlich eine sehr große Verbreitung hatte, das entscheidende Publikationsorgan. Es erlaubte, die komplexen theologischen Kontroversen sowie - außerhalb von Kirche, Theologie und Religion - ihre politischen Implikationen für das Verhältnis von Kirche und Staat und in letzter Konsequenz auch für bürgerliche Vorstellungen vom Staat und seiner Verfassung zur Kenntnis zu nehmen (Mager). Erst die preisgünstigen englischen Einblattdrucke verschafften den 'Wundergeburten' von Katzen oder Kaninchen sowie anderen vorgeblich bedeutungsgeladenen Absonderlichkeiten, Monstrositäten und Naturkatastrophen mit ihren religiösen, sittlich-moralischen und politischen Deutungen die entscheidende Resonanz und Breitenwirkung, so dass weder die Kirche noch das Königshaus oder die Institutionen der gelehrten Welt sich aufgrund ihrer politischen Brisanz einer Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen entziehen konnten (Soergel).